Wirtschaft aus Frauensicht
Gibt es eine weibliche Sicht auf Wirtschaft, und wenn ja, wie unterscheidet sich diese vom männlichen Blick? Die folgenden von Frauen veröffentlichten Publikationen geben darauf eine differenzierte Antwort. Dem Strang einer genuin feministischen Ökonomie
Gibt es eine weibliche Sicht auf die Wirtschaft, und wenn ja, wie unterscheidet sich diese vom männlichen Blick. Vanessa Marent und Hans Holzinger stellen aktuelle Veröffentlichungen zur Diskussion.
Feministische Ökonomie
Bettina Haidinger und Käthe Knittler belegen in „Feministische Ökonomie“, dass es in der Tat eine weibliche Sicht auf Wirtschaft und Wirt schaftswissenschaften gibt. Ihr Buch bietet einen ersten Einblick in die grundlegenden Positionen, Themen und Perspektiven der feministischen Ökonomie. Sie spannen dabei den Bogen von den ersten Ökonominnen der Geschichte, die bis heute weitestgehend unsichtbar geblieben sind, über Kapitalismus- und Marxismuskritik bis hin zu neuen Utopien für eine postpatriarchale und postkapitalistische Ökonomie.
Im Fokus der feministischen Ökonomie steht der unbezahlte Teil der Wirtschaft: die Haus- und Reproduktionsarbeit. Diese unbezahlte Arbeit sichtbar zu machen, sie aufzuwerten und den Androzentrismus in Wissenschaft und Wirtschaft aufzudecken ist das Ziel dieses Zweiges der Ökonomie. Die Kritik der Autorinnen setzt vor allem bei der „Blindheit“der Ökonomie für geschlechterspezifische Ungleichheiten an. Die beiden argumentieren, dass die Auswahl der Fragestellungen, Themen oder auch Methoden in der Forschung traditionell sehr selektiv stattfindet und so Frauen institutionell ausschließt. So werden beispielsweise wirtschaftliche Kennzahlen als objektiv und (geschlechts)neutral angesehen, obwohl ihre Berechnungsweise bestehende Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern häufig versteckt. Als bemerkenswertes Beispiel sei das traditionelle BIP genannt, einer der am meisten verwendeten Indikatoren für Wirtschaftswachstum und Wohlstand. Dieser schließt unbezahlte Arbeit - die nach wie vor zum größten Teil von Frauen geleistet wird - vollkommen aus. Würde man unbezahlte Arbeit aber mit einem durchschnittlichen Frauenlohn belegen, würde dies für Österreich in etwa 37,5 Prozent des BIP ausmachen. Feministische Ökonominnen versuchen daher, diesen Teil der Wirtschaft sichtbar zu machen und die „Geschlechtslosigkeit“der Ökonomie in Fra ge zu stellen. V. M. Ökonomie: feministische
16 Haidinger, Bettina; Knittler, Käthe: Feministische Ökonomie: Intro. Eine Einführung. Wien: Mandelbaum Verl., 2014. 168 S., €11,60 [D], 12 [A], sfr 12,40
ISBN 978385476-629-2
Arbeitszeit und Geschlechtergerechtigkeit
Arbeitszeitpolitik spielt eine wichtige Rolle im Kontext der Vereinbarkeit von Beruf und Familie - oder weiter gefasst - im Zusammengehen von Wirtschafts- und Privatsphäre. „Wer dreht an der Uhr?“Dieser Frage gehtclaudia Sorger nach, um herauszufinden, welchen Beitrag Arbeitszeitpolitik zur Umsetzung von Geschlechtergerechtigkeit leisten kann und welche Rolle die österreichischen Gewerkschaften dabei einnehmen. Dabei arbeitet sie das Thema der Geschlechtergerechtigkeit, ein Begriff, den sie zwischen Differenzund Gleichheitsfeminismus einordnet, sowohl theoretisch als auch empirisch auf. Die Analyse der aktuellen Situation zeigt, dass sich Arbeitszeitmodelle noch immer an veralteten Rollenbildern orientieren. Prototyp ist der vollzeiterwerbstätige Mann, der durch seine Partnerin von der Versorgungsarbeit entlastet wird. Tatsächlich leisten Frauen zwei Drittel der unbezahlten Arbeit, darunter fallen z. B. Kinderbetreuung, Pflege von Angehörigen und Hausarbeit. Weiters ist für Frauen Teilzeitarbeit die erste (und oft einzige) Strategie, um Beruf und Familie zu vereinbaren. Durch die hohe Teilzeitquo te sehen sich Frauen aber wiederum verstärkt mit den negativen Begleiterscheinungen wie schlechteren Aufstiegschancen und niedrigeren Stundenlöhnen konfrontiert. Aber auch junge Männer, die den klassischen Geschlechterrollen widersprechend Angebote wie die Elternkarenz in Anspruch nehmen wollen, sehen sich mit zahlreichen Hürden konfrontiert.
Geschlechtergerechte Arbeitszeitpolitik soll diesen Ungleichheiten entgegenwirken und dazu beitragen, dass Frauen und Männer in gleichem Ausmaß und unter gleichen Voraussetzungen am Erwerbsleben teilnehmen können. Den Gewerk-
schaften kommt dabei eine zentrale Rolle zu. Durch aktive Arbeitszeitpolitik könnten sie dazu beitragen, den Zeitkonflikt zu lösen und eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie ermöglichen. Doch die Autorin zeichnet mit Blick auf die Sozialpartnerschaft ein eher düsteres Bild. Sie sei männerdominiert, zu wenig transparent und vertrete starke ökonomische Interessen der Wirtschaft, die einer Neubewertung von unbezahlter Arbeit entgegenstehen. Die österreichischen Gewerkschaften stehen daher vor der Herausforderung, eine aktivere Rolle in der Gestaltung der Arbeitszeitpolitik einzunehmen und „an der Uhr zu drehen“. V. M. Arbeitszeit: Frauen
17 Sorger, Claudia: Wer dreht an der Uhr? Geschlechtergerechtigkeit und gewerkschaftliche Arbeitszeitpolitik. Münster: Westfäl. Dampfboot 2014. 281 S., €29,90 [D], 31,-[A], sfr 45,ISBN 978-3-89691-966-3
Solidarische Ökonomie und Commons
Zwei Frauen mit großen Verdiensten um einen anderen Blick auf Ökonomie sollen hier anhand zweier Publikationen gewürdigt werden. Die Rede ist von Susanne Elsen, Proponentin einer Solidarischen Ökonomie, und Silke Helfreich, Mitinitiatorin der deutschen Bewegung für „Commons“. Beide haben sich zuletzt um die Herausgabe von Grundlagenwerken verdient gemacht. Nicht weniger als 20 Beiträge umfasst der von Susanne Elsen, Professorin an der Freien Universität Bozen, herausgegebene Band über Solidarische Ökonomie und die Gestaltung des Gemeinwesens. Sieben davon sind von Frauen verfasst. Neben theoretischen Einführungen sind insbesondere die vorgelegten Praxisbeispiele von Interesse. Dies gilt auch für das von Silke Helfreich mit der Heinrich-böll-stiftung herausgegebene Grundlagenwerk „Commons“mit insgesamt 80 Beiträgen. Vor- und zur Diskussion gestellt werden nationale und internationale Ansätze eines Wirtschaftens jenseits von Profitmaximierung. Landwirtschaftliche Commons-projekte werden dabei ebenso beschrieben wie ein anderer Umgang mit Wissen, zivilgesellschaftliche Initiativen wie die Transitionbewegung oder Baugenossenschaften. Zudem findet man/frau grundsätzliche Beiträge etwa zu einem „gemeingütersensitiven Wettbewerbsrecht“oder zu einer neuen „Stromallmende“. Das Buch ist übrigens auch selbst mit Commons-lizenz ausgestattet und darf als digitale Version im Netz verbreitet und inhaltlich bearbeitet bzw. abgewandelt werden. H. H. Wirtschaft: Gemeinwohl
18 Ökosoziale Transformation. Solidarische Ökonomie und die Gestaltung des Gemeinwesens. Hrsg. v. Susanne Elsen. Neu-ulm: Ag-spak, 2011. 450 S., €32,- [D], 33,- [A], sfr 45,ISBN 978-3-940865-19-9
19 Commons. Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat. Bielefeld: transcript, 2012. 526 S., €24,80 [D], 25,50 [A], sfr 37,50
ISBN 978-3-8376-2036-8 Too big to tell Das Unvorstellbare und in der Tat Verrückte der modernen Finanzwirtschaft nimmt die Filmemacherin Johanna Tschautscher aufs Korn. Wie entsteht Geld? Was ist Geldschöpfung? Wie viel Geld gibt es und wer hat es? Was verleiht die Bank bei einer Kreditvergabe? Wie lange gibt es Finanzkrisen bereits und wie wird jene von 2008 erklärt? Und wie sollen wir da heraus kommen? Welche Machtstrukturen verhindern, dass es zu einem transparenten und den Bürgerinnen dienenden Geldsystem kommt? Diese und weitere Fragen stellt Tschautscher in „Too big to tell“in Anspielung an das zum geflügelten Wort gewordene Attribut „Too big to fail“für jene Banken, die gerettet werden mussten, um das Gesamtwirtschaftssystem nicht zu gefährden.
Tschautscher interviewt Finanzexperten wie Dirk Sollte von der Universität St. Gallen (s. PZ 1/2010) oder Friedrich Schneider von der Wirtschaftsuniversität Linz, die Vertreterin eines alternativen Geldsystems Margret Kennedy, den Wirtschaftspublizisten Wolfgang Kessler oder den grünen Eu-parlamentarier Sven Giegold. Deutlich werden Phänomene wie die Aufblähung des Geldvolumens durch die Hebelwirkung bei der Kreditvergabe (nur 10 Prozent der von den Banken vergebenen Kredite müssen durch Sparguthaben gedeckt sein, der Rest ist „Geldschöpfung“) sowie des Finanzsektors durch die Verlagerung des Kapitals von Realinvestitionen in Finanzspekulationen. Deutlich wird auch, dass die Versuche der Regulierung des Finanzsystems zwar gegeben sind (so hat die EU nicht nur neue Gesetze ausgearbeitet, sondern mit Financewatch auch eine als NGO organisierte Beobachtungsstelle forciert), aber wohl nicht ausreichen. Der Film versucht Licht ins Dunkel des Finanzgeschehens zu bringen und trägt damit ein Stück weit zur finanzpolitischen Alphabetisierung bei, doch gänzliche Klarheit bringen auch die Gespräche mit den Experten nicht.darauf geht die Filmemacherin auch explizit ein (und auch der Titel des Films verweist darauf). Tschautscher bleibt somit am Ende et-
was resigniert. „Nach zahlreicher Lektüre wissen wir nun hunderte Details und kennen diese Sprache“, so schreibt sie am Dvd-cover, doch „diese Erklärungen und die Suche nach Veränderung fordern das Menschliche nicht mehr ein“, was eben eine Wirtschaft im Dienste der Grundbedürfnisse aller Menschen bedeuten würde. Offensichtlich wären hier radikalere Einschnitte vonnöten, etwa die Trennung in „Dienstleistungsbanken“, die der Kreditvergabe im Sinne des Gemeinwohls dienen, und Privatbanken, die weiter spekulieren dürfen, jedoch nicht mehr mit staatlicher Hilfe rechnen dürften, wie etwa Christian Felber (s. PZ 2014/3) fordert. Der Film betreibt bei aller Ratlosigkeit dennoch ein wichtiges Stück Aufklärung, allein schon weil er zeigt, welches für die Gesellschaft gefährliche Eigenleben der Finanzsektor entwickelt hat. Die kabarettistischen Einschübe von Günther Lainer unterstreichen das Absurde und Unsagbare der tagtäglich mit Milliarden von Dollar, Euro oder Yen jonglierenden Banker und Finanzdienstleister.
Die Bundeszentrale für Politische Bildung in Bonn vertreibt diesen Film in Deutschland zusammen mit Unterrichtsmaterial in einer Auflage von 10.000 Stück. Die Global Marshall Plan Initiative Deutschland verteilt 500 Kopien des Filmes an den eigenen Lesekreis und veranstaltet Filmvorführungen. Und die Pro Zukunft-redaktion hat das Werk in die „Top Ten 2014 der Zukunftsliteratur“aufgenommen. H. H. Geld: Finanzsystem
20 Tschautscher, Johanna; Lainer, Günther: Too big to tell. Recherchen in der Finanzwelt. DVD 2014,
112 min. www.johanna-tschautscher.eu
Kapital des Staates
Durchaus der Mainstream-ökonomie zuzurechnen ist die britische Professorin für Technologiepolitik der Universität Sussex Mariana Mazzucato, die dennoch einen neuen Blickwinkel in die Debatte einbringt. An zahlreichen Befunden legt die Autorin in „Das Kapital des Staates“ihre The se dar, dass die wichtigsten Anstöße für technische Innovationen nicht von Unternehmen, sondern von den Staaten kommen. Ob im Bereich des Internets, der Pharmabranche oder der Biotechnologien, es seien staatliche Investitionen, die zu neuen Durchbrüchen führen. Das sogenannte „Risikokapital“der Wirtschaft springe in der Regel erst auf, wenn hohe und vor allem rasche Gewinne lockten, sei jedoch nicht immer risikobereit, was technologische Durchbrüche erschwere, so die Autorin. Die großen Konzerne, die mit neuen Technologien immense Gewinne machen, stünden damit in der Schuld der Staaten, die sie in adäquater Form zurückzahlen müssten. Mazzucato hat, ausgehend von der Verknüpfung von Risiko und Gewinn, ein Modell über den Zusammenhang von Innovationen und Ungleichheit entwickelt. Ihr Befund: Nur dort, wo der Staat die entsprechende Rendite für seine Investitionen bekommt, etwa in skandinavischen Ländern, gelinge eine ausgewogene Wohlstandsverteilung. Drei Formen des Rückflusses an Mitteln aus Investitionen des Staates sind für die Ökonomin denkbar: 1. nationale Innovationsfonds, die aus Tantiemen von Erfindungen finanziert werden und neue Investitionen ermöglichen; 2. direkte staat liche Beteiligung an Unternehmen, wie dies Finnland etwa bei Nokia gemacht hat; 3. schließlich sind Investitionsbanken nach dem Beispiel Chinas oder Brasiliens denkbar, die Investitionen finanzieren und Renditen lukrieren.
Grüne Technologie
Ausführlich beschreibt Mazzucato, die die Europäische Kommission zu Fragen wirtschaftlichen Wachstums berät und im Vorstand des renommierten britischen Umwelt-thinktanks Green Al liance tätig ist, auch den notwendigen und noch immer am Anfang stehenden Wandel hin zu grünen Technologien. Wie andere auch, lobt die Autorin die Vorreiterrolle Deutschlands, aber auch jene von China – für ihr eigenes Land sieht sie gro ßen Nachholbedarf. Mazzucato plädiert für eine abgestimmte internationale Kooperation der Staaten, um die Transformation anzustoßen: „Eine der größten zukünftigen Herausforderungen bei sauberen Technologien wird es sein, dafür zu sorgen, dass wir durch den Aufbau kooperativer Ökosysteme nicht nur die Risiken auf alle verteilen, sondern auch die Gewinne.“(S. 200) Die Konkurrenz deutscher, Us-amerikanischer und chinesischer Solarunternehmen sieht sie dabei als normalen Prozess im Rahmen von Marktwirtschaften. Aufgabe der Staaten sei es jedoch, die entsprechenden Marktsignale für die Umsteuerung zu setzen. Und hier schließt die Autorin den Kreis zum oben Gesagten: „Hätte der Staat nur 1 Prozent Rendite auf seine Investitionen ins Internet bekommen, könnte er heute mehr in grüne Technologien investieren.“(S. 238) H. H. Innovation: Staat
Mazzucato, Mariana: Das Kapital des Staates. Eine andere Geschichte von Innovation und Wachs tum. München: Kunstmann, 2014. 303 S.,
€ 22,95 [D], 23,50 [A], sfr 35,ISBN 978-3-95614-000-6