Wandel durch soziale Erfindungen
Soziales
Wandel durch soziale Erfindungen
Bereits Robert Jungk und das von ihm geschätzte Institut for Social inventions gingen davon aus, dass die wichtigsten Veränderung der Zukunft nicht technischer, sondern sozialer Natur sein werden. Aktuelle Publikationen, von Hans Holzinger gelesen, stellen sich erneut der Frage nach gesellschaftlichem Wandel.
Innovationen werden in der Regel dem Bereich der Technik zugeordnet. Doch bereits Robert Jungk und das von ihm geschätzte Institute for Social Inventions in London gingen davon aus, dass die wichtigsten Veränderungen der Zukunft nicht technischer, sondern sozialer Natur sein werden. Dabei geht es auch um neue institutionelle Arrangements, etwa im Bereich innovativer Arbeitszeitmodelle. Aktuelle Publikationen stellen sich erneut der Frage nach dem gesellschaftlichen Wandel, der von Menschen und Gruppen ausgeht. Hans Holzinger hat sie gelesen.
Soziale Erfindungen
„Eine Soziale Erfindung ist eine neue und phantasievolle Lösung für ein soziales Problem oder ein neuer Weg, die Qualität des Lebens zu verbessern.“Ausgehend von dieser Begriffsbestimmung des „Institut for Social Inventions“in London haben Claudia Stracke-baumann und Norbert Müllert ein neues Lehrveranstaltungsformat für die Hochschule für angewandte Sozialforschung München entwickelt. Das in Erinnerung an den 100. Geburtstag von Robert Jungk durchgeführte Projekt lässt sich dabei selbst als soziale Erfindung charakterisieren. Einem Fachtag an der Hochschule folgten eine Exkursion zur Wirkungsstätte von Robert Jungk nach Salzburg sowie Zukunftswerkstätten, in denen aktuelle Problemfelder und Zukunftsideen im Kontext der Sozialen Arbeit identifiziert und in Forschungsprojekten mit weiteren Kolleginnen verdichtet wurden. Stracke-baumann spricht von einer „TAGKTION“, einem Kunstwort, welches Taktion (Berührung) mit Jungk verbindet. Im vorliegenden Band werden der Prozess des Seminarmodells sowie daraus entstandene Projekte vorgestellt. Die Basis bildete ein von Norbert Müllert entwickelter Kriterienkatalog für soziale Erfindungen, der Aspekte wie „gemeinnützig“, „Lebensqualität verbessernd“, „ökologisch“, „einfach/nachahmbar“, „verbreitbar/durchsetzungsfähig“oder „neuartig/phantasievoll“umfasst. Kurz zu den vorgestellten Projekten: Eine Studentinnen-gruppe entwarf ein Konzept für einen „Greenday“und setzte diesen am eigenen Campus um. Constance Engelfried führte im Sinne von „Action Research“mit ihren Studierenden eine Zukunftswerkstatt durch, in der Mädchen eines Münchner Stadtteils mit „besonderem Entwicklungsbedarf“über ihre Lebenssituation befragt werden konnten. Eine weitere Studentinnengruppe entwickelte aus einer Zukunftswerkstatt ein Verfahren, das Wohnbauträgern in der sozialverträglichen
Sanierung von Siedlungen unterstützt. Aus diesem „Kreasozprojekt“, das den Rezensenten besonders beeindruckt hat, entstand mittlerweile ein Sozialunternehmen, das erfolgreich Aufträge umsetzt und eine Art Kulturzentrum auf einem aufgelassenen Fabriksgebäude in München, den „Kreasozturm“, betreibt. Grundsätzlichen Überlegungen zu Sozialen Erfindungen (Teil I) sowie den aus der Lehrveranstaltung entstandenen Projekten (Teil II) folgen im dritten Teil des Bandes Beiträge über weitere Projekte aus der Sozialen Arbeit, die mit sozialen Erfindungen zu tun haben, wie das „Kontext-leseprojekt“zur (Re-)-sozialisierung strafffälliger Jugendlicher oder die „Schlau-schule“, ein schulanaloger Unterricht für junge Flüchtlinge. Wir gratulieren den Kolleginnen zu den spannenden Projekten und dem Bemühen, soziale Erfindungen in den Kontext wissenschaftlichen Arbeitens zu stellen, und freuen uns, dass auf diese Weise auch das Wirken Robert Jungks in Erinnerung gehalten wird. Innovation: soziale
45 Soziale Erfindungen – Soziale Arbeit. Theoretisches, Erfinderisches, Praktisches. Hrsg. v. Stracke-baumann, Claudia; Müllert, Norbert.
München: AG Spak, 2014. 269 S., € 19,- [D], 19,50 [A], ISBN 978-3-940 865-87-8
Gesellschaftliche Innovationen
„Jenseits des Anspruchs der klassischen Futurologie, Zukünfte voraussagen zu können, sollen mit dem Fokus auf gesellschaftliche Innovationen Impulse zur Gestaltung von Zukunft gesetzt werden“, damit begründet Karl Peter Sprinkart die Motivation zu einer Ringvorlesung an der Fakultät für angewandte Sozialwissenschaften der Universität München, die in der vorliegenden Publikation dokumentiert wird. In Anlehnung an den Sozialwissenschaftler Wolfgang Zapf werden soziale Innovationen definiert als „neue Wege, Ziele zu erreichen, insbesondere neue Orga-
nisationsformen, neue Regulierungen, neue Lebensstile, die die Richtung des sozialen Wandels verändern, Probleme besser lösen als frühere Praktiken, und die es deshalb wert sind, nachgeahmt und institutionalisiert zu werden“(Zit. Sprinkart, S. 11). Schon der Untertitel des Bandes signalisiert, dass mit „nachhaltigen Strategien für die Zukunftsfelder Ernährung, Umwelt, Politik, Wirtschaft und Kommunikation“ein sehr breiter Ansatz gewählt wurde. Zu Wort kommen Persönlichkeiten aus dem wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Bereich wie Hans-peter Dürr und Karl-ludwig Schweisfurth (Ernährung), die Club of Rome-mitglieder Ernst Ulrich von Weizsäcker und Günter Pauli (Umwelt), die lange Zeit an der Humboldt Universität lehrende Politikwissenschaftlerin Gesine Schwan und der dmgründer und Grundeinkommens-verfechter Götz W. Werner (Politik & Partizipation) sowie der Vorstandsvorsitzende der Sparda-bank München, Helmut Lind, der sich für das Konzept der Gemeinwohlökonomie einsetzt. Man darf von den Beiträgen dieser vielzitierten Autorinnen und Vortragenden nicht immer Neues erwarten; wenn, dann besticht die Zusammenschau unterschiedlicher Zugänge. Manches Mal wäre es wohl spannend gewesen, die den Vorträgen folgenden Diskussionen nachvollziehen zu können. Denn Vorschläge wie das Grundeinkommen und die Gemeinwohlökonomie werden zwar engagiert und begeisternd vorgetragen, zu kurz kommen dabei aber die Fragen nach der politischen Umsetzung sowie den Widerständen dagegen.
Anders der Beitrag von Ernst U. v. Weizsäcker, der Wissenschaft und Politik kennt; sein Modell einer Ökosteuer, die Energie jährlich analog zur Innovationsrate verteuert, ergänzt er in seinen Ausführungen um einen „Sozialtarif fürs Lebensnotwendige“sowie um die „Aufkommensneutralität für Industriezweige, die ansonsten aus dem Land gehen würden“(S. 64), um die Umsetzungswahrscheinlichkeit des Konzepts zu erhöhen. Letzteres bedeutet freilich ein großes Zugeständnis gegenüber dem Business as usual und untergräbt die Notwendigkeit eines Schritts in diese Richtung auch im Kontext sozialer Ausgewogenheit.
Als Beispiel einer sozialen Innovation wird „Mimi – Integration und Gesundheit mit Migranten für Migranten“vorgestellt, initiiert vom Sozialunternehmer Ramazan Salman. Einfluss auf die Politik zu nehmen ist auch Ziel der ebenfalls dokumentierten Kampagnen des World Future Council (WFC) für Zukunftsgerechtigkeit, die an politische Entscheidungsträgerinnen adressiert sind. Denn die „reale Welt wird sich allein aus der Erkenntnis über die Notwendigkeit zur Integration von ökonomischen und ökologischen Systemen nicht ändern“, wie die Medienexpertin des WFC, Maja Göpel, formuliert: „Ändern wir jedoch die jeweiligen Gesetze und Institutionen, erwächst daraus neuer Raum für Innovationen im Sinne der umgesetzten Nachhaltigkeit“. Wirklich gute Politik sei daher selbst eine Innovation: „die der Rahmenbedingungen, unter denen wir Geschichte gestalten“(S. 197). Eine Überlegung, die im Nachhaltigkeitsdiskurs spät aber doch an Relevanz gewinnt (vgl. etwa „Perspektiven einer Suffizienzpolitik“PZ 2/2014*42).
Innovation: soziale
46 Perspektiven gesellschaftlicher Innovation. Nachhaltige Strategien für die Zukunftsfelder Ernährung, Umwelt, Politik, Wirtschaft, Kommunikation. Sprinkart, Karl Peter ... (Mitarb.). Regensburg: Walhalla, 2015. 232 S., € 19,95 [D], 20,50 [A]
ISBN 978-3-8029-3926-6
Fortschrittsgeschichten
Um klassische Technikinnovationen geht es in dem in der Reihe „Forum für Verantwortung“erschienenen Band „Fortschrittsgeschichten“des Wissenschaftspublizisten Marcel Hänggi. Doch anders als die üblichen Erzählungen, die sozialen Wandel aufgrund technologischer Erfindungen beschreiben, zeigt der Autor auf, wie Technikinnovationen, ihre Verbreitung bzw. auch Vereitelung von politischen, sozialen und kulturellen Faktoren beeinflusst werden. Und er verweist darauf, dass entgegen landläufiger Meinung bei technischen Erfindungen beileibe nicht immer der Wunsch nach „Fortschritt“Pate gestanden hat. So sei es nicht die Absicht Johannes Gutenbergs gewesen, billigere Bücher zu machen, um mehr Menschen den Genuss des Lesens zu ermöglichen, sondern schönere Editionen, die einem auserlesenen Zirkel vorbehalten bleiben sollten. Erst andere wie Martin Luther hätten den Buchdruck für ihre Ziele, etwa der rascheren Verbreitung von reformerischen Inhalten, verwendet. Und die Dampfmaschine sei ursprünglich erfunden worden, um in den Barockgärten der feudalen Herrscher des 18. Jahrhunderts noch imposantere Wasserspiele zu kreieren. Erst später sei diese für industrielle Zwecke, das Abpumpen des Wassers aus Kohlegruben, verwendet worden. An der Dampfmaschine macht Hänggi auch deutlich, dass neue Erfindungen selten alte ersetzen, vielmehr würden sich diese addieren oder gar gegenseitig hochschaukeln. Die Dampfmaschine habe dazu geführt, dass der Energieverbrauch dramatisch anstieg. In grundsätzlicher Perspektive: „Die Moderne verbraucht mehr Stein als die Steinzeit, mehr Eisen als die Eisenzeit, mehr Kohle als das
´Kohlezeitalter´“(S. 66), so Hänggi. Es gäbe daher keinen Grund anzunehmen, dass die aktuelle Förderung erneuerbarer Energie den Verbrauch nicht erneuerbarer Energien verdrängen würde, „solange diese nicht aktiv zurückgebunden werden“(ebd.).
Linearer Fortschrittsbegriff
Dass eindeutig das Leben erleichternde Erfindungen oft lange brauch(t)en, um akzeptiert zu werden, macht Hänggi am Schwefeläther deutlich. Nur zögerlich hätten sich Ärzte darauf eingelassen, diese Form der Betäubung bei medizinischen Eingriffen anzuwenden und damit den Behandelten unnötige Schmerzen zu ersparen. Und nicht immer waren es technologische oder naturwissenschaftliche Erfindungen, die zu Fortschritten führten. Den Beginn der Produktivitätssteigerungen in der Landwirtschaft datiert der Autor mit der Entdeckung der Leguminosen, die den Böden Stickstoff zuführten (lange bevor der Kunstdünger erfunden wurde), sowie mit der in der frühen Neuzeit einsetzenden Einhegung der Allmenden. Dass die „Grüne Revolution“ohnedies eine zweischneidige Sache ist, belegt der Autor mit aktuellen Studien (selbst der Weltbank), die die Überwindung des Hungers vornehmlich von naturangepassten Anbaumethoden erwarten. Als Beispiel dafür, dass die Durchsetzung von Erfindungen immer auch von ökonomischen Rahmensetzungen abhängt, schildert Hänggi schließlich den Umstand, dass die Eisenbahn in England erst reüssierte, nachdem der Getreidepreis (und damit der Treibstoff der Pferde) politisch hinaufgesetzt worden war. Ein anschauliches Beispiel für die Notwendigkeit von Ressourcensteuern! Das Buch ist voll von spannenden und auch widersprüchlichen „Fortschrittsgeschichten“. Hänggi hinterfragt darin den „linearen Fortschrittsbegriff“sowie den „Mythos des Fortschritts“. Erfindungen seien nicht per se gut oder schlecht: „Gegen Technik sein ist sinnlos, aber genauso sinnlos ist es, generell ´für Technik´ zu sein.“(S. 34) Die Aussage, dass der Fortschritt nicht aufzuhalten sei, führe in die Irre. In der Geschichte hat es für den Autor zweifellos viele Fortschritte gegeben, doch diese ließen sich nicht zum ´Fortschritt´ im Singular summieren. So könnte es durchaus sein, dass sich die Frage nach dem Fortschritt in Zukunft negativ entscheidet: „Wenn die menschliche Zivilisation ihre eigenen Grundlagen zerstört.“(S. 22) Bei allen Vorbehalten gegen den Fortschrittsbegriff kämen wir gerade dann nicht umhin, „Fortschritt anzustreben im Sinne einer Entwicklung, die das verhindert“(ebd.).
Fortschritt: Geschichte
47 Hänggi, Marcel: Fortschrittsgeschichten. Für einen guten Umgang mit Technik. Frankfurt/m.: Fischer, 2015. 303 S., € 12,99 [D], 13,40 [A]
ISBN 978-3-596-03220-4
Social Entrepreneurs
Die flächendeckende Nutzung des Internets und seine Anwendung quer über den Globus sind für den österreichischen Journalisten Claus Reitan einer der zentralen Treiber für den rasanten Wandel der Welt in den letzten Jahren. Er bezieht sich dabei insbesondere auf die Veränderung des Wirtschaftens: Der Globus sei zum Marktplatz ohne Aufsicht geworden. „Er bot jenen Akteuren die Spielräume und Gelegenheiten zur Bereicherung, die sie zu nutzen wussten“(S. 12), notiert der Autor mit Blick auf die Finanzkrise. Reitan sieht auch die ökologischen Herausforderungen und er befürchtet, dass der Wohlfahrtsstaat in der bisherigen Form nicht zu halten sein wird: „Europas und Österreichs Lebensstandard beruhen – unter anderem – auf einer Wirtschaftsweise und einer Staatsgebarung, die mit den Krisen des 21.Jahrhunderts am Ende ihrer Versprechungen angelangt sind.“(S. 15) Hoffnungen setzt der Autor – wie andere auch – auf die Zivilgesellschaft, die von der Politik derzeit aber nur wahrgenommen werde, wenn sie Subventionsansuchen stellt.
Reitan beschreibt als Journalist neue Ansätze wie das „Ashoka“-netzwerk, das junge Menschen darin fördert, sinnvolle Projekte umzusetzen, er hofft auf die Vielzahl an Sozialunternehmen, die gemeinnützig wertvolle Sozialarbeit verrichten, auf junge Startups, die nicht auf Konkurrenz sondern auf Kooperation basierten, sowie auf die zahlreichen freiwillig Engagierten, ohne die unsere Gesellschaft nicht überlebensfähig wäre. Reitan lobt auch erste Bemühungen der Umsteuerung durch herkömmliche Unternehmen („CSR“sieht er als Zukunftsmodell) sowie der Politik, die zumindest Nachhaltigkeitsstrategien formuliere. Die Zunahme an Diskussionsforen, Tagungen und Expertinnen-meetings könnten ein Indiz für den bevorstehenden Wandel sein, so die Hoffnung des Autors: „Breitere und höhere Bildung, mehr Information und Wissen unter Bedingungen von Demokratie und Vielfalt ergeben jetzt, genau jetzt, die größtmögliche Schwungmasse für Transformation.“(S. 113) Wollen wir es hoffen, ließe sich da nur ergänzen. Wer sich nicht daran stößt, dass die Mehrzahl der Beispiele des Bandes – gemäß dem Untertitel – aus Österreich stammt, findet in der Tat Belege für den
sozialen Wandel, auch wenn diese Initiativen es nicht ersparen werden, die politischen Weichen im Sinne einer sozialökologischen Umsteuerung neu zu stellen. Zivilgesellschaft: Wandel
48 Reitan, Claus: Gesellschaft im Wandel. Perspektivenwechsel für Österreich. Wien: Ed. Steinbauer, 2014. 127 S., € 21,80 [D], 22,50 [A]
ISBN 978-3-902494-70-2
Arbeit neu denken
Als soziale Erfindungen gelten auch neue institutionelle Arrangements, die dazu beitragen, die Lebenssituation von Menschen zu verbessern. Die Einführung von sozialen Sicherungssystemen, die zur Abfederung von Lebensrisiken wie Erkrankung oder Erwerbslosigkeit geschaffen wurden, gilt demnach als genuine soziale Erfindung ebenso wie die Demokratie selbst, die in ihrer rudimentären Form zumindest Machtwechsel ohne Gewalt ermöglicht. Wenn institutionelle Arrangements an die Grenzen ihrer Problemlösungsfähigkeit gelangen, sind neue Settings gefragt. Dies gilt insbesondere für die Arbeitswelt in allen spätindustriellen Gesellschaften. Das Bild des 40Stunden-vollzeitjobs stammt aus der Industriegesellschaft mit einem dominierenden männlichen Alleinernährer als Industriearbeiter. Die Berufstätigkeit des Großteils der Frauen, der Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft sowie nicht zuletzt die enormen Produktivitätsfortschritte im sekundären Sektor (Stichwort: Automatisierung) machen neue Arbeitszeitmodelle nötig und auch möglich. In einem vom Club of Vienna herausgegebenen Band mit der provokanten Fragestellung „Arbeit: Wohl oder Übel?“werden solche sozialen Innovationen am Arbeitsmarkt thematisiert. „Wenn Menschen heute ohne Arbeit sind, meint man in der Regel, ohne bezahlte Beschäftigung, und hat den ebenso wichtigen Aspekt von Befriedigung, ja Glück, die man auch in der Arbeit finden soll, übersehen“, meint Hermann Knoflacher in der Einleitung (S. 8). Arbeit vom Kapitalwachstum abhängig zu machen, sei die gleiche Umkehrung, wie die Behauptung, die Menschen seien für die Wirtschaft da und nicht umgekehrt, so der Präsident des Club of Vienna, der für eine Wirtschaft der Nähe einritt. Der Soziologe Paul Kellermann schlägt in dieselbe Kerbe, wenn er meint, dass weder Arbeit noch Arbeitsplätze ´geschaffen´ werden müssten, „sondern es müssen Leistungen mit Hilfe entsprechender Arbeitsorganisation erbracht werden“(S. 15). Bedürfnisse und Leistungsvermögen der Gesellschaftsmitglieder müssten somit
immer wieder neu austariert werden, in hochproduktiven Ökonomien stelle daher die „sozial ungleiche Geldverfügbarkeit“(S. 22) die größte Herausforderung dar. Die gesellschaftliche Arbeitsorganisation sei „unvernünftig gesteuert“, wenn „Menschen ungestillte Bedürfnisse und qualifiziertes Arbeitsvermögen haben, aber im Erwerbsarbeitsprozess nicht beteiligt sind“(S. 27). Zwei Wege gibt es aus diesem Dilemma – beide werden in weiteren Beiträgen des Bandes thematisiert: Die bessere Verteilung des erwirtschafteten Sozialprodukts durch eine Neuverteilung der notwendigen Erwerbsarbeit (die Geschäftsführerin des Sozialunternehmens abz*austria, Manuela Vollmann, beschreibt flexible Arbeitszeit- und Jobsharing-modelle, die Erwerbs- und Sorgearbeit für beide Geschlechter ermöglichen) oder die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens (wofür der Soziologe Sascha Liebermann und der Arbeitspsychologie Theo Wehner in ihrem Beitrag plädieren). Auch wenn man den beiden nicht folgen will, so bleibt unbestritten, dass das sinkende Erwerbsarbeitsvolumen bei steigender Produktivität neue Arbeitszeitmodelle sowie eine weitere Ausweitung von steuerfinanzierten Transfereinkommen sinnvoll erscheinen lassen. Dies belegen die weiteren dem Niedriglohnsektor sowie der Frage einer möglichen Pionierrolle von Frauen im Arbeitsmarkt der Zukunft gewidmeten Beiträge. Arbeit: Wohlstand
50 Arbeit: Wohl oder Übel? Diagnosen und Utopien. Hrsg. v. Club of Vienna. Wien: Mandelbaum, 2015. 169 S., € 12,50 [D], 13,- [A]
ISBN 978-3-85476-642-1