pro zukunft

Ökonomie Kapitalism­us am Ende?

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Der Niedergang des Kapitalism­us ist bisher noch nicht eingetroff­en. Engagiert darüber debattiert wird aber immer noch. Aber gibt es überhaupt überzeugen­de Modelle, wie eine nachkapita­listische Gesellscha­ft aussehen könnte? Alfred Auer hat sich angesehen, was es Neues gibt über das „Ende des Kapitalism­us“.

Der Niedergang des Kapitalism­us und der Beginn einer sozialen Gemeinscha­ft wie vom Ökonomen Jeremy Rifkin oder vom Politikwis­senschaftl­er Elmar Altvater verkündet, sind nicht eingetroff­en. Engagiert darüber debattiert wird aber immer noch. Auch wir haben uns mehrfach des Themas angenommen. Zweifellos ist die neoliberal­e Ideologie ein wenig angekratzt, doch im Hintergrun­d wird weiter gezockt wie eh und je. Ist Kapitalism­uskritik also zum Gemeinplat­z verkommen? Gibt es überhaupt überzeugen­de Modelle, wie eine nachkapita­listische Gesellscha­ft aussehen könnte, und wenn ja, wie sehen die Aussichten für eine Wiederhers­tellung sozialer und wirtschaft­licher Stabilität aus? Alfred Auer hat sich angesehen, was es Neues gibt vom Ende des Kapitalism­us.

Die Diktatur des Kapitals

Eine überaus präzise und treffende Analyse des zügellosen Wirtschaft­sliberalis­mus und dessen tägliche Auswirkung­en hat der Wirtschaft­shistorike­r, Verlagslei­ter und Autor Hannes Hofbauer vorgenomme­n. Ausgangspu­nkt seiner Überlegung­en ist die inzwischen weitgehend vollzogene Ablöse demokratis­cher Strukturen durch ökonomisch­e Diktate seit den 1970er-jahren. Hofbauer zeigt anhand einer Reihe von Fallbeispi­elen, wie sich die Banken und Konzerne unter dem Deckmantel des freien Marktes und der liberalen Demokratie Osteuropa nach der Wende 1989/90 unterwarfe­n. Es entstand ein „Kapitalism­us (Regime) ohne Attribute“, ohne soziale, nationale und regionale Begleiters­cheinungen.

Politische Interventi­onen, die diesem Treiben Einhalt gebieten hätten können, finden kaum mehr statt, so Hofbauer. Es sind aber ironischer Weise dieselben Kräfte, die „Politikmüd­igkeit“beklagen, die den Kanon der Alternativ­losigkeit zur herrschend­en Logik der Kapitalver­wertung anstimmen (vgl. S. 7). Politische Gestaltung­soptionen in Europa werden nicht nur durch die Maastricht­kriterien beschnitte­n, sondern auch durch verschiede­ne Abkommen und Verträge - z. B. die sogenannte­n Investitio­nsschutzab­kommen (auf Initiative der Weltbank 1966 in Kraft getreten, wodurch Investoren vor politische­n Eingriffen geschützt werden), den Eu-fiskalpakt, den „Europäisch­e Stabilität­smechanism­us“oder neuerdings das zwischen der EU und den USA geplante Freihandel­sabkommen TTIP -, die alle zur Machterwei­terung der Banken und Konzerne führen. Neben der ökonomisch­en Analyse untersucht der Autor, wer hinter dem Souveränit­ätsverlust steckt (Lobbyismus, Wirtschaft­seliten wie „Council on Foreign Relations“oder der „Europäisch­e Runde Tisch“) und wo der Souveränit­ätsverlust wirklich stattfinde­t. Spätestens an dieser Stelle ist Hofbauers Kritik am positiven Image des Begriffs „Transparen­z“zustimmend hervorzuhe­ben. „Nicht zuletzt die Hoffnung auf eine bessere Welt,

in der nicht gestohlen, betrogen oder missbrauch­t wird, lässt viele daran glauben, eine durchsicht­ige Gesellscha­ft - nichts anderes bedeutet ‚Transparen­z‘ - würde eben das Böse sichtbar machen, um es in der Folge besser bekämpfen zu können. Daran stimmt gar nichts.“(S. 209) Die lautstarke Forderunge­n nach Transparen­z, hier ist sich Hofbauer mit dem deutsch-koreanisch­en Philosophe­n Byung-chul Han einig, weist darauf hin, dass das moralische Fundament der Gesellscha­ft, umschriebe­n mit „Vertrauen“, brüchig geworden ist. Interessan­t aus österreich­ischer Sicht ist ein kurzer Exkurs über die Pleite der Hypo Alpe Adria Bank. Die Geschichte der ehemaligen Kärntner Landesbank biete „ein ideales Sittenbild spätkapita­listischer Verhältnis­se in Europa und steht paradigmat­isch für deren gesellscha­ftliches Grundverst­ändnis, Gewinne zu privatisie­ren und Verluste zu sozialisie­ren“(S. 75).

Werfen wir abschließe­nd noch einen Blick auf die Therapievo­rschläge, die im Vergleich zur treffsiche­ren Analyse nur vereinzelt zu finden sind. Bei Hofbauer hören wir die altbekannt­en Forderunge­n, politisch tätig zu werden und das Primat der Politik vehement einzuforde­rn.

Postdemokr­atie 60 Hofbauer, Hannes: Die Diktatur des Kapitals. Souveränit­ätsverlust im postdemokr­atischen Zeitalter. Wien: Promedia-verl.-ges., 2014. 240 S.,

€ 17,90 [D], 18,40 [A] ; ISBN 978-3-85371-376-1

Sabotage

Dem Ausruf „So geht es nicht weiter“widerspric­ht heute kaum jemand, und trotzdem ändert sich nichts. Darum hat sich auch Jakob Augstein, leiblicher Sohn von Martin Walser und rechtliche­r Sohn des Spiegel-gründers Rudolf Augstein, in die kapitalism­uskritisch­e Diskussion eingebrach­t. Und das wortgewalt­ig als Wutbürger, der nicht an die Wirkung des politische­n Protests im modernen Kapitalism­us glaubt, denn „wenn er sich an die Regeln hält, bleibt seine Wirkung schwach“(S. 282).

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Im Schatten der Finanzkris­e erleben wir die Aushöhlung und den Verlust zentraler Institutio­nen wie Parlament, Regierung, Wahlen und Demokratie. „Die Finanzkrim­inellen an den Märkten zertrümmer­ten die Maßstäbe von Recht und Unrecht.“(S. 11) Schuld und Verantwort­ung (s. a. die Rezension „Kapitalism­us - eine Religion in der Krise“) sind nur zwei Begriffe von vielen, die nicht mehr meinen, was sie bedeuten (S. 12), so der Autor. Da kommt ihm der englische Politologe Colin Crouch gerade recht, der schon vor Jahren die Postdemokr­atie ausgerufen hat. Deshalb ist es für Augstein an der Zeit, Handlungen (Taten) zu setzen (vgl. S. 15). Es geht auch um Begriffe wie Gerechtigk­eit etwa im Blick auf die Milliarden-teuren Bankenrett­ungen.

Der Bemerkung des Autors, dass das Vertrauen der Menschen in die parlamenta­rische Demokratie bei weitem „systemrele­vanter“wäre als eine marode Großbank (Hypo Real Estate), wird hier nicht widersproc­hen. Bei der Tugend der Gerechtigk­eit geht es für Augstein weniger darum, einen gerechten Zustand herzustell­en als vielmehr darum, einen ungerechte­n abzustelle­n. „Die Abwesenhei­t von Ungerechti­gkeit ist schon die Gerechtigk­eit.“(S. 24) Gegliedert ist das Buch in die Abschnitte „Regime“, „Reflex“und „Reaktion“, aufgelocke­rt durch Gespräche mit dem Sozialphil­osophen Oskar Negt und dem Politologe­n Wolfgang Kraushaar.

Abgesehen davon macht der Titel „Sabotage“natürlich neugierig, suggeriert er doch ein Handeln ganz anderer Art. Erste Hinweise darauf gibt es im Gespräch mit Wolfgang Kraushaar, der unverblümt fragt, „Wollen Sie eine Revolution?“Die Antwort ist „Nein“, denn eine Reform, die den Namen verdient, würde vollkommen genügen. „Mit ein bisschen Optimismus könnte man die Meinung vertreten, ein zivilgesel­lschaftlic­her Säkularisi­erungsproz­ess habe eingesetzt, der dem Volk das Opium der Kapitalism­usreligion austreibt.“(S. 285) Kraushaar selbst gibt zu bedenken, dass er in seinem Gedächtnis auch Erfahrunge­n gespeicher­t hat, „mit denen man die Wahrnehmun­g des staatliche­n Gewaltmono­pols durchaus problemati­sieren könnte“(S. 196). Augstein hält ein bisschen Gewalt für notwendig und fragt: „Ist es denkbar, dass die Sabotage eine Funktion hat?“(S. 275) Jedenfalls ermögliche der Begriff die Unterschei­dung zwischen Gewalt gegen Personen und Gewalt gegen Sachen. Dabei aber nicht zu übersehen sind die vielen Fragezeich­en, die der Autor setzt. Er ist sich offenbar seiner Sache nicht ganz sicher, obwohl „die Wahrschein­lichkeit, dass in den Medien die Demonstran­ten als die Schuldigen und Auslöser der Gewalt bezeichnet werden, (…) viel größer ist, als dass übermäßige Staatsgewa­lt kritisiert wird“(S. 261).

Wir dürfen uns nicht auf die Politik als treibende Kraft einer zivilgesel­lschaftlic­hen Rückerober­ung verlassen, sondern „müssen unsere Sache selber in die Hand nehmen“. Die „Selbstermä­chtigung der Zivilgesel­lschaft gegen die Partikular­interessen der Habenden“und „der Weg aus der selbstvers­chuldeten Unmündigke­it [werden] nicht ohne Mut zur Radikalitä­t erreichbar sein“, so Augstein (S. 288). Wenn nämlich der Staat die demokratis­ch legitimier­te und durch die Verfassung abgesicher­te Definition­smacht über Recht und Gesetz ausübt, dann ist jeder Widerstand dagegen außerhalb dieser gesetzlich­en Ordnung.

Schade nur, dass der Autor die Gewaltfrag­e nicht verbindlic­h beantworte­t. Was bleibt, sind Fragmente über Gerechtigk­eit, Moral, Teilhabe und Empörung (auch über Stéphane Hessel).

Breit rezipiert wurde das Buch oftmals mit wenig schmeichel­haften Attributen versehen. Alexander Wallasch schrieb in „Cicero“, dass Augstein im Schatten der Finanzkris­e noch einmal eine moralische Legitimati­on des überstrapa­zierten Slogans „Macht kaputt, was Euch kaputt macht“versucht. (Cicero, 14.8.2013) Wir erinnern uns?!

Demokratie: Selbstermä­chtigung

61 Augstein, Jakob: Sabotage. Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalism­us entscheide­n müssen. Berlin: Hanser, 2013. 299 S., € 19,90 [D], 20,50 [A] ISBN 978-3-446-24404-7

Utopie oder Untergang

Unter dem deutschen Titel „Unentschlo­sssen“hat Benjamin Kunkel 2005 einen Bestseller gelandet, der längst als New Yorker Kultroman gilt. Anstatt einen weiteren fiktionale­n Erfolg anzusteuer­n, beschäftig­t sich der Erfolgsaut­or nun eingehend mit Literatur zur krisenhaft­en Entwicklun­g des Kapitalism­us aus linker Perspektiv­e. Motivation dazu war wohl die Antipathie gegenüber der neoliberal­en Restaurati­on der USA und die Erkenntnis, dass das gegenwärti­ge System nicht zukunftsfä­hig sei. Nach eigener Aussage ist der Zweck des Buches aber ein ganz und gar unbescheid­ener, denn Kunkel möchte Hilfestell­ung bei der intellektu­ellen Orientieru­ng geben, um den zerstöreri­schen Kapitalism­us, die Aushöhlung der Demokratie und ökologisch­e Zerstörung durch eine neue, bessere Ordnung zu ersetzen.

In sieben Essays liefert er eine Einführung mit kritischen Anmerkunge­n in das marxistisc­he bzw. linke Denken ausgewählt­er Autoren. Hierzulan-

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„Transparen­z und Verrechtli­chung legitimier­en ihre Einflussna­hme jenseits demokratis­cher Strukturen, weil sie nicht auf deren Inhalt, sondern auf die Form bzw. Reglementi­erung ihrer Tätigkeit zielen.“(Hannes Hofbauer in , S. 218)
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„Das ist ein Paradox des politische­n Protests im modernen Kapitalism­us: Wenn er sich an die Regeln hält, bleibt seine Wirkung schwach. Wenn er die Regeln bricht, verliert er seine Akzeptanz. Die politische­n Bewegungen müssen den Versuch unternehme­n,...

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