Editorial / Impressum
Mit prächtig in Szene gesetztem Alpenpanorama, horrenden Kosten – 90.000 € Gipfelspesen pro Minute wurden errechnet – und zumindest einer positiv aufgenommenen Absichtserklärung ist vor etwa zwei Wochen das pompös inszenierte Treffen der G-7 in bayerischer Naturidylle ohne nennenswerte Zwischenfälle zu Ende gegangen. Einem der drängendsten Themen, der Verständigung auf nicht mehr als zwei Grad zusätzliche Erwärmung bis zum Jahr 2050, wurde einvernehmlich Rechnung getragen.
Doch was heißt einvernehmlich, wenn wesentliche Akteure – Russland, China, die Schwellen- und Entwicklungsländer des amerikanischen Subkontinents und Afrikas nicht mit am Verhandlungstisch sitzen? Und was bedeutet die Aussicht auf eine zügige Umsetzung des Ttipabkommens?
Worum geht es tatsächlich, und wer ist involviert, wenn über die Zukunft der Welt beraten und entschieden wird? Unser Freund Jean Ziegler, ein unermüdlicher Kämpfer für eine solidarische Weltgesellschaft, befürchtet wohl zurecht, dass mit der Ratifizierung dieses umstrittenen Vertrags „die Weltmacht der Konzerne endgültig realisiert“wäre.1) Mit seinem jüngsten Buch legt Ziegler ei- ne brillante Analyse zur Genese und zum (historischen) Widerstand gegen die heute „dominierende kannibalische Weltordnung der Finanzoligarchie“vor. Über pointierte Formulierungen hinaus (die auf manche irritierend wirken, nach Meinung des Autors aber unumgänglich sind, um klar zu machen, worum es geht) überzeugt Ziegler an dieser Stelle insbesondere aufgrund der differenzierten historischen Befunde und der schonungslosen Darstellung des Status quo.
Jean Ziegler stellt vor allem radikale, entlarvende Fragen und gibt darauf bedenkenswerte, überzeugende Antworten: Was nützt ein Intellektueller? Woher rührt die Ungleichheit zwischen den Menschen? Was unterscheidet falsche von richtigen Ideologien? Sind die Gesetzmäßigkeiten des Marktes schicksalshaft vorbestimmt und unumkehrbar? Oder auch: Was unterscheidet Wissenschaft von Ideologie? Besonders spannend, weil an dieser Stelle kaum erwartet, äußert sich Ziegler zum Zusammenhang von Wissenschaft und Kunst oder auch zur Rolle der Universität im 21. Jahrhundert. Die im Wandel der Geschichte sich markant verändernde Rolle von „Staat“(vom Instrument der Repression hin zum mit Kalkül geschwächten Bollwerk gegen die Entrechtung der Machtlosen) und „Nation“(einst Grundlage gesellschaftlicher Solidarität, heute zunehmend Konstrukt für rassistische Unterdrückung und Ausbeutung): dies – und mehr diskutiert und verhandelt der
Autor leidenschaftlich und präzise zugleich.
Seine bedenkenswerte Conclusio: Es ist unabdingbar, sich in Anbetracht der entfesselten Kräfte der nachweislich falschen, weil zerstörerischen Ideologie des Marktes der intellektuellen Widerständigkeit zu erinnern, wie sie im „Neolithikum der Sozialwissenschaften“u. a. von Marx, Lukás, Horkheimer oder Sartre konzipiert wurde (vgl. S. 18) und darauf aufbauend für eine Neuordnung der Gesellschaft zu kämpfen.
Zu hinterfragen freilich bleibt, ob die von Ziegler beschworene „solidarische Vernunft der neuen, weltweiten Zivilgesellschaft“(S. 272) tatsächlich den erhofften Wandel bewirken kann. Zumindest wäre es wichtig, die diesem Ziel dienlichen Strategien näher zu beleuchten.
Eine ganz andere, so spannend wie ein Thriller zu lesende Geschichte erzählt Peter Stephan Jungk mit der akribisch recherchierten und virtuos vermittelten Romanbiografie seiner Großtante Edith Tudor-hart (1908 - 1973), einer aus Wien stammenden Kommunistin, die als Spionin und Fotopionierin ein ungemein spannendes und schwieriges Leben führte.2) Sensibel und aufwühlend erzählt, ist dieses Buch zugleich Familien- und Zeitgeschichte, das nicht zuletzt auch Fragen zur politischen Identität Robert Jungks thematisiert.
Diese Nummer versammelt im Hauptteil Rezensionen zur Bedeutung sozialer Erfindungen und zum schonenden Umgang mit Ressourcen (vorgestellt von Hans Holzinger), fasst Befunde über das mögliche „Ende des Kapitalismus“zusammen (Alfred Auer) und diskutiert Herausforderungen einer „Bildungswende“(Walter Spielmann). Stefan Wally hat sich angesehen, wie unterschiedlich der Zusammenhang von Freiheit, Ich und Selbstbestimmung beleuchtet werden kann. Ausgewählte Beiträge zur Zukunftsforschung runden den Blick auf aktuelle Publikationen ab. Berichtenswertes aus Zeitschriften und Institutionen hat in bewährter Form Werner Riemer zusammengestellt, und wie immer runden Nachrichten aus der JBZ besonders hervorzuheben: die Widmung einer Gedenktafel am Wohnort von Robert und Ruth Jungk durch die Stadt Salzburg auch diese Ausgabe ab.
Eine erkenntnisreiche Lektüre sowie einen erholsamen Sommer in spannenden Zeiten wünscht im Namen des JBZ-TEAM