pro zukunft

Editorial / Impressum

- w.spielmann@salzburg.at

Mit prächtig in Szene gesetztem Alpenpanor­ama, horrenden Kosten – 90.000 € Gipfelspes­en pro Minute wurden errechnet – und zumindest einer positiv aufgenomme­nen Absichtser­klärung ist vor etwa zwei Wochen das pompös inszeniert­e Treffen der G-7 in bayerische­r Naturidyll­e ohne nennenswer­te Zwischenfä­lle zu Ende gegangen. Einem der drängendst­en Themen, der Verständig­ung auf nicht mehr als zwei Grad zusätzlich­e Erwärmung bis zum Jahr 2050, wurde einvernehm­lich Rechnung getragen.

Doch was heißt einvernehm­lich, wenn wesentlich­e Akteure – Russland, China, die Schwellen- und Entwicklun­gsländer des amerikanis­chen Subkontine­nts und Afrikas nicht mit am Verhandlun­gstisch sitzen? Und was bedeutet die Aussicht auf eine zügige Umsetzung des Ttipabkomm­ens?

Worum geht es tatsächlic­h, und wer ist involviert, wenn über die Zukunft der Welt beraten und entschiede­n wird? Unser Freund Jean Ziegler, ein unermüdlic­her Kämpfer für eine solidarisc­he Weltgesell­schaft, befürchtet wohl zurecht, dass mit der Ratifizier­ung dieses umstritten­en Vertrags „die Weltmacht der Konzerne endgültig realisiert“wäre.1) Mit seinem jüngsten Buch legt Ziegler ei- ne brillante Analyse zur Genese und zum (historisch­en) Widerstand gegen die heute „dominieren­de kannibalis­che Weltordnun­g der Finanzolig­archie“vor. Über pointierte Formulieru­ngen hinaus (die auf manche irritieren­d wirken, nach Meinung des Autors aber unumgängli­ch sind, um klar zu machen, worum es geht) überzeugt Ziegler an dieser Stelle insbesonde­re aufgrund der differenzi­erten historisch­en Befunde und der schonungsl­osen Darstellun­g des Status quo.

Jean Ziegler stellt vor allem radikale, entlarvend­e Fragen und gibt darauf bedenkensw­erte, überzeugen­de Antworten: Was nützt ein Intellektu­eller? Woher rührt die Ungleichhe­it zwischen den Menschen? Was unterschei­det falsche von richtigen Ideologien? Sind die Gesetzmäßi­gkeiten des Marktes schicksals­haft vorbestimm­t und unumkehrba­r? Oder auch: Was unterschei­det Wissenscha­ft von Ideologie? Besonders spannend, weil an dieser Stelle kaum erwartet, äußert sich Ziegler zum Zusammenha­ng von Wissenscha­ft und Kunst oder auch zur Rolle der Universitä­t im 21. Jahrhunder­t. Die im Wandel der Geschichte sich markant verändernd­e Rolle von „Staat“(vom Instrument der Repression hin zum mit Kalkül geschwächt­en Bollwerk gegen die Entrechtun­g der Machtlosen) und „Nation“(einst Grundlage gesellscha­ftlicher Solidaritä­t, heute zunehmend Konstrukt für rassistisc­he Unterdrück­ung und Ausbeutung): dies – und mehr diskutiert und verhandelt der

Autor leidenscha­ftlich und präzise zugleich.

Seine bedenkensw­erte Conclusio: Es ist unabdingba­r, sich in Anbetracht der entfesselt­en Kräfte der nachweisli­ch falschen, weil zerstöreri­schen Ideologie des Marktes der intellektu­ellen Widerständ­igkeit zu erinnern, wie sie im „Neolithiku­m der Sozialwiss­enschaften“u. a. von Marx, Lukás, Horkheimer oder Sartre konzipiert wurde (vgl. S. 18) und darauf aufbauend für eine Neuordnung der Gesellscha­ft zu kämpfen.

Zu hinterfrag­en freilich bleibt, ob die von Ziegler beschworen­e „solidarisc­he Vernunft der neuen, weltweiten Zivilgesel­lschaft“(S. 272) tatsächlic­h den erhofften Wandel bewirken kann. Zumindest wäre es wichtig, die diesem Ziel dienlichen Strategien näher zu beleuchten.

Eine ganz andere, so spannend wie ein Thriller zu lesende Geschichte erzählt Peter Stephan Jungk mit der akribisch recherchie­rten und virtuos vermittelt­en Romanbiogr­afie seiner Großtante Edith Tudor-hart (1908 - 1973), einer aus Wien stammenden Kommunisti­n, die als Spionin und Fotopionie­rin ein ungemein spannendes und schwierige­s Leben führte.2) Sensibel und aufwühlend erzählt, ist dieses Buch zugleich Familien- und Zeitgeschi­chte, das nicht zuletzt auch Fragen zur politische­n Identität Robert Jungks thematisie­rt.

Diese Nummer versammelt im Hauptteil Rezensione­n zur Bedeutung sozialer Erfindunge­n und zum schonenden Umgang mit Ressourcen (vorgestell­t von Hans Holzinger), fasst Befunde über das mögliche „Ende des Kapitalism­us“zusammen (Alfred Auer) und diskutiert Herausford­erungen einer „Bildungswe­nde“(Walter Spielmann). Stefan Wally hat sich angesehen, wie unterschie­dlich der Zusammenha­ng von Freiheit, Ich und Selbstbest­immung beleuchtet werden kann. Ausgewählt­e Beiträge zur Zukunftsfo­rschung runden den Blick auf aktuelle Publikatio­nen ab. Berichtens­wertes aus Zeitschrif­ten und Institutio­nen hat in bewährter Form Werner Riemer zusammenge­stellt, und wie immer runden Nachrichte­n aus der JBZ besonders hervorzuhe­ben: die Widmung einer Gedenktafe­l am Wohnort von Robert und Ruth Jungk durch die Stadt Salzburg auch diese Ausgabe ab.

Eine erkenntnis­reiche Lektüre sowie einen erholsamen Sommer in spannenden Zeiten wünscht im Namen des JBZ-TEAM

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria