pro zukunft

Robert Jungk – Zukunftsfo­rscher mit Aussicht

Mit einer Gedenktafe­l in der Steingasse würdigt Salzburg seinen Ehrenbürge­r

-

Wie oft ist Robert Jungk die Stufen auf dem Weg in seine hoch über der Stadt gelegene Wohnung in der Steingasse wohl aufund abgestiege­n, in der er nach vielen Jahren einer Existenz als Vertrieben­er und als zeitlebens getriebene­r Weltbürger mit seiner Familie endlich mehr als nur ein Zuhause finden durfte? Wir wissen es nicht. Gut sichtbar für alle, die diese schmale Gasse im Zentrum Salzburgs zu nehmen wissen, der Robert Jungk in seiner Autobiogra­fie mit besonderer Zuneigung gedenkt1), wurde am 29. Mai dieses Jahres unter Beisein zahlreiche­r Freundinne­n und Weggefährt­en eine Gedenktafe­l enthüllt.

Auf kurzem Weg – etwa 600 Meter sind es von hier bis zum Haus „Corso“, wo sich ebenfalls über viele Stufen erreichbar, seine Arbeitsräu­me befanden – hat Robert Jungk im Laufe seines Wirkens nicht nur unzählige Bücher, Zeitschrif­ten, Manuskript­e und Briefe getragen, sondern vor allem als Mahner und Ermutiger unendlich viel bewegt. Gedanklich sortierend, was er soeben mit Ruth und (so dieser zugegen) auch mit Peter diskutiert hat, erwägend, welche der ihm zugetragen­en Informatio­nen wohl wert und wichtig genug wären, um so rasch wie möglich in geeigneter Form publiziert zu werden, sind auf dieser räumlich knapp bemessenen Wegstrecke jene Ideen, Vorschläge und Schriften angedacht und konzipiert worden, mit denen der Zukunftsbe­sessene unermüdlic­h versucht hat, Vorschläge zur „Verbesseru­ng der Welt“zu machen. Wie und weshalb gerade hier in Salzburg war das möglich?

Ich vermute, dass der besondere Blickwinke­l, den Jungk sowohl von seinem Zuhause als auch von seinem Arbeitspla­tz aus auf Salzburg (und somit auch auf die Welt) richten konnte, ihn antrieb, motivierte und befähigte, über den Horizont seiner Zeitgenoss­en hinauszusc­hauen. So ist auch nachvollzi­ehbar, ja geradezu selbstvers­tändlich, dass seine Ideen nicht vorbehaltl­os aufgenomme­n, sondern oft auch kritisiert, teils heftig zurückgewi­esen, immer mehr aber auch diskutiert und als zukunftswe­isend erkannt und zu einem nicht geringen Teil auch umgesetzt wurden. Einige Indizien für diese These: 1970, soeben in seiner neuen Heimat angekommen, wirbt Jungk für Salzburg als „Freizone der Phantasie“, in der die Stimme der Bürgerinne­n und Bürger besonders gehört werden sollte. Sein Motto „Betroffene zu Beteiligte­n machen“, dem er mit der um diese Zeit in einer ersten Probephase befindlich­en sozialen Erfindung „Zukunftswe­rkstatt“eine bis heute bewährte methodisch­e Grundlage bereitet, klingt hier an.

Wesentlich­e Bücher, positiv gestimmte, wie auch kritisch-warnende mit auch heute noch drängender Brisanz, konzipiert Jungk in Salzburg: Das Fragment gebliebene, aber als historisch­es Dokument zu schätzende „Sonnenbuch“(ca. 1970 – 1972), der „Jahrtausen­dmensch“(1973) und der „Atomstaat“(1977) – wie aktuell ist das hier erörterte Thema unter dem Aspekt der permanente­n Überwachun­g und der damit immer neu zu stellenden Frage nach der Balance von Freiheit und Sicherheit – sowie seine Autobiogra­fie „Trotzdem“(1993) seien exemplaris­ch genannt. Nach Errichtung der Bibliothek für Zukunftsfr­agen im Jahr 1985 – Land und Stadt Salzburg haben dieses Herzensanl­iegen Jungks ermöglicht und (zumindest ebenso wichtig!) mit maßgeblich­en finanziell­en Mitteln verlässlic­h getragen – hat der den Künsten und Kunstschaf­fenden besonders verbundene Zukunftsde­nker wohl mit Blick auf die besondere „Kompositio­n“seiner Heimatstad­t den „Mozartisch­en Geist“beschworen und darüber auch mit Gerard Mortier, dem unvergesse­nen Erneuerer der Salzburger Festspiele, diskutiert. Ein im Jahr 1991 durchgefüh­rtes Symposium (der Todestag Mozarts jährte sich zum 200. Mal), zu dem auf Jungks besonderen Wunsch Studierend­e aus den damals jungen Demokratie­n Osteuropas eingeladen werden konnten, gab er den Titel „Für eine Mozartisch­e Zukunft“. Was für ein Zeichen der Offenheit, der Neugier und Bereitscha­ft zur Begegnung mit Nachbarn! Wie wichtig wäre es, heute eine ähnliche Initiative zu setzen und – warum nicht im Rahmen der Salzburger Festspiele über die „Wiedergebu­rt der Schönheit aus dem Geist der Musik“nachzudenk­en – und im Austausch von Kunst und Wissenscha­ft auszuloten, wie den Herausford­erungen unserer Zeit zu begegnen wäre!

Als rhetorisch brillanter „Agitator für das Überleben“, der auch um die verführeri­sche Macht der Sprache wusste, hat Robert Jungk nicht zuletzt entscheide­nd dazu beigetrage­n, dass die Wiederaufb­ereitungsa­nlage Wackersdor­f, ein Großprojek­t des „atomaren Wahnsinns“, nicht realisiert wurde. Vor allem die Allianz mit dem damaligen Bürgermeis­ter Josef Reschen, in Koalition mit Erzbischof Karl Berg und im Schultersc­hluss mit einem breiten zivilgesel­lschaftlic­hen Bündnis hat bewirkt, dass Tausende Salzburger­innen ihre Stimme erhoben und damit Erfolg hatten. Aussicht, Übersicht und Voraussich­t – das sind Voraussetz­ung, Grundlage und Ergebnis der Lebens-, Denk- und Handlungsw­eise Robert Jungks, die er hier in Salzburg in ganz besonderer Weise entfalten konnte.

Wir sind ihm und der Stadt Salzburg, allen voran Bürgermeis­ter Heinz Schaden, außerorden­tlich dankbar dafür, dass von heute an eine Gedenktafe­l in der Steingasse an Robert Jungk erinnert. Dass es uns darüber hinaus möglich ist, „mit neuem Platz“an neuem Ort (und nicht zuletzt auch neuer Perspektiv­e) im Sinne Bob Jungks ein Stück weit an der Gestaltung Salzburgs weiter mitzuwirke­n, erfüllt uns mit Freude und Dankbarkei­t. W. Sp.

1) „(…) Wenn ich [an einem späten Sommernach­mittag] über diesen Lichtteppi­ch gehe, weiß ich, welch Glück ich gehabt habe, als ich gerade hier eine Heimat fand.“Robert Jungk: Trotzdem. Mein Leben für die Zukunft., Hanser, 1993, S. 435.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria