Verantwortungsvolles Unternehmertum?
Selbstbild deutscher Wirtschaftseliten
Galten Unternehmensführer 2001 noch für 60 Prozent der Befragten als Hoffnungsträger, so sahen dies zehn Jahre später nur mehr 20 Prozent so. Banker rangieren mittlerweile laut Allenspacher Berufsprestigeskala an letzter Stelle, nur mehr 3 Prozent schreiben ihnen die Qualität von Zukunftsgestaltern zu. Grund genug für das Göttinger Institut für Demokratieforschung, dem Selbstbild der Wirtschaftseliten auf den Zahn zu fühlen. In rund 160 Einzelinterviews wurden die Einstellungen deutscher Führungskräfte zu Gesellschaft, Politik, Leistung, Gerechtigkeit oder Geschlechterrollen erhoben. Selbstverständlich handelt es sich bei den Ergebnissen um subjektive Einschätzungen, um Selbstauskünfte oder teilweise gar – wie Matthias Micus als einer der Studienautoren einmal meint – mitunter gar um „phantastische Selbstsuggestionen” (S. 264). Insbesondere sehen sich die Befragten als zentrale Leistungsträger der Gesellschaft mit hoher Verantwortung vor allem gegenüber ihren Belegschaften. Einkommen für die Mitarbeiterinnen und deren Familien zu sichern, wird als hoher Wert herausgestellt. Davon abgeleitet wird ein Gerechtigkeitsverständnis, welches eben auf Leistung basiert. Pflicht und Verantwortung aller wird eingefordert, der Begriff der Solidarität jedoch skeptisch beurteilt, ebenso eine zu starke Einmischung des Staates. Während Unternehmer permanent Verantwortung tragen, könnten Politikerinnen diese auf die nach ihnen Kommenden oder gar auf nächste Generationen abschieben, so ein weiteres Indiz der positiven Selbsteinschätzung der Wirtschaftseliten.
Neben Pauschalurteilen wie der „Umverteilungssucht der Politiker” (S. 311) oder der Affinität zum Neiddiskurs werden aber auch differenzierende Befunde sichtbar: zentral erscheint die Garantie von Rechtsstaatlichkeit, Gewerkschaften und Tarifpolitik werden von Industrieführern als Bestandteil eines kooperativen Systems akzeptiert und eher von Familienbetrieben abgelehnt. Das politische Engagement der Wirtschafseliten nehme ab und die politische Zugehörigkeit verliere an Eindeutigkeit, so ein weiterer Befund. Gesprochen wird eher von„ politischer Heimatlosigkeit” (S. 333). Der Sozialdemokrat Gerhard Schröder wird von vielen als Politiker mit Wirtschaftsverstand gelobt, Angela Merkel auch kritisiert. Bemerkbar sei ein Faible für das „ chinesische Modell”, welches dem Tempo des glo balen Wettbewerbs möglicherweise besser entspre che als langwierige demokratische Aushandlungsprozesse. Keine Sympathien erfahren direktdemokratische Ansätze; und als größter Feind werden – das mag überraschen – mittlerweile die Medien ausgemacht, die „skandalisieren”, „ Lawinen lostreten”, “Hetzjagenden” betreiben. Dahinter stehe freilich, so die Autoren, auch der Verlust an Macht durch mehr Öffentlichkeit und Transparenz.
Leistung für das Gemeinwohl?
Bei aller verbalen Betonung ethischer Handlungsgrundlagen zeige sich, so eine Interpretation der Studienautoren, eine Tendenz zur wirtschaftlichen Engführung von sozialen Werten:„ Im Gerechtigkeitsbild deutscher Unternehmer sind ihre Mitarbeiter – ebenso wie sie selbst – Humankapitalisten. Jeder ist sein eigener Unternehmer. Wissen, Leistungsfähigkeit, Arbeitskraft und Gesundheit sind Ressourcen, die in dividuell aufgebaut, gemehrt, erhalten werden müssen.” (S. 271) Dass wirtschaftliche Chancen und Möglichkeiten (noch immer) häufig vererbt werden, bleibe dabei ebenso außen vor, wie die mittlerweile ja bekannten eklatanten Einkommens- und Vermögensunterschiede. Womöglich insistieren die Firmenlenker auch deswegen so stark auf soziale Werte, so eine Interpretation der Autorinnen, weil ihnen die neoliberale Schlagseite ihres Freiheitsverständnisses durchaus bewusst sei und sie “ihre Entbürokratisierungsforderungen und Steuersenkungsbegehren durch den Verweis auf das Gemeinwohl zu legitimieren suchen” (S. 273). Auch die vorgegebene “rastlose Betriebsamkeit” und das Balancieren zwischen “Flow und Erschöpfung” (S. 321) entspricht dem Selbstbild des Leistungsträgers. Über Überforderung oder gar Burnout werde aber ungern gesprochen, was der Selbstzuschreibung vom erfolgreichen Gestalter widerspreche. “Leistung” habe an dere soziale Motivationen, etwa religiöse Überzeugungen, abgelöst. Bereits 40 Prozent der Befragten bezeichneten sich als konfessionslos. Das Unternehmen gut zu führen, nach Möglichkeit Umsätze und Gewinne zu vergrößern und damit zum „Ge-
Neben den politischen Eliten haben angesichts der sich mehrenden Krisen auch die wirtschaftlichen Eliten mit zunehmendem Vertrauensschwund zu kämpfen. Andererseits steigen die Erwartungen hinsichtlich sozialer wie ökologischer Herausforderungen. Und mit ihnen Publikationen über ein anderes, ein nachhaltiges Unternehmertum.hans Holzinger analysiert einschlägige Publikationen sowie eine umfangreiche Studie über das Selbstbild deutscher Unternehmensführerinnen.
„Unternehmer lieben die Selbstzuschreibung, 24 Stunden am Tag alles für die Firma zu geben. Auch das Wochenende ist für gewerblichen Fleiß natürlich nicht tabu.“(Walter/marg in , S. 323)
meinwohl“beizutragen, wird als eine Art „säkularisierte Mission“(S. 329) bezeichnet. Aufschlussreich erscheint auch die Differenzierung innerhalb der Unternehmerschaft sowie die Abgrenzung gegenüber Imageschädigern: “Die Familienunternehmer grenzen sich gegenüber Großunternehmern und Managern, also im Prinzip gegenüber allen anderen ab, die Großunternehmer gegenüber den Managern und die Manager gegenüber den schwarzen Schafen aus der eigenen Gruppe.” (S. 262) Resümee: Eine Untersuchung, die Aufschluss gibt über das Selbstbild deutscher Wirtschaftseliten und die ihren Wert aus den sozialwissenschaftlichen Interpretationen der Befunde sowie dem Vergleich der Ergebnisse mit anderen soziologischen Befunden bezieht. Aufgeräumt wird dabei auch mit Klischees etwa der notwendigen Internationalität von Wirtschaftseliten – zwei Drittel der Befragten verfügten über keinerlei Auslandserfahrungen – oder dem Unternehmenspatriarchen, der einsam seine Entscheidungen treffe. Unternehmen bräuchten heute eine kooperative Führung, um der Komplexität der Anforderungen gerecht zu werden. Die Autoren nennen das „postheroisches Verhalten“.
Unternehmen: Selbstbild 84 Sprachlose Elite? Wie Unternehmer Politik und Gesellschaft sehen. Hrsg. v. Fritz Walter u. Stine Marg. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2015. 350 S.,
€ 16,95 [D], 17,50 [A] ; ISBN978-3-498-04213-4
Postwachstumsunternehmen?
Zu kurz kommen in der von BP Europa geförderten Studie über die Wirtschaftseliten Deutschlands Umweltund Nachhaltigkeitsthemen (Wirtschaftswachstum wird durch die Bank als Notwendigkeit angesehen) sowie mögliche Dissidenten, die aus dem Mainstream-unternehmensselbstbild ausscheren. Eine aufschlussreiche Untersuchung dazu hat das Deutsche Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) vorgelegt.
Die Hälfte der 700 befragten Klein- und Mittelunternehmen (KMU) geben dabei an, dass sie für sich keine gesellschaftlichen Wachstumserwartungen und keinen ökonomischen Wachstumsdruck wahrnehmen beziehungsweise dass diese für ihr Handeln nicht relevant sind. Die andere Hälfte der KMU nimmt durchaus externe Wachstumserwartungen oder Wachstumsdruck wahr, selten jedoch in solch hohem Maße, dass sie ihre Unternehmenswerte gefährdet sehen. Jedes zweite dieser Unternehmen versucht vielmehr, die Wachstumserwartungen nur begrenzt zu bedienen und sich dem (ökonomischen) Druck zu entziehen, um Ziel- und Wertkonflikte möglichst zu vermeiden. Bei Unternehmen mit Wachstumsdruck wirkt mit, dass Wachstum teilweise als Erfolgs- und Leistungsnachweis wahrgenommen wird, den man gegenüber den internen und externen Stakeholdern erbringen muss (und möchte). Die zentralen Ursachen für Wachstumsdruck werden jedoch im Kostenund Investitionsdruck gesehen – rund 60 Prozent al ler Nennungen entfallen hierauf. Unternehmen ohne Wachstumsdruck nennen als Strategien: Positionierung in Marktnischen, nachhaltigkeitsorientierte Qualitätsführerschaft, regionale Einbettung, Vermeidung von Abhängigkeiten, Entschleunigung, Kostenreduktion. Unternehmen: Wachstum
85 Gebauer, Jana; Sagebiel, Julian: Wie wichtig ist Wachstum für KMU? Ergebnisse einer Befragung von kleinen und mittleren Unternehmen. Schriftenreihe des IÖW 208/2015 www.ioew.de/publikation/wie_wichtig_ ist_wachstum_fuer_kmu/
Sustainable Companies
Das 2009 von Evelyn Oberleiter und Günther Reifer in Bozen gegründete Terra-institut arbeitet mit Unternehmen, die sich an Nachhaltigkeit ausrichten wollen. In „Sustainable Companies“haben die beiden gemeinsam mit dem Kollegen Hans-ulrich Streit nun einen „Leitfaden“herausgegeben, der ihren ganzheitlichen Ansatz darstellt, wie „Unternehmen zum Teil der Lösung von Problemen“(S. 14) werden können. „Jede Reise beginnt mit einer akkuraten Standortbestimmung“(S 21), so das Beraterteam, das mit Peter Senge vom Bild einer die Wirklichkeit verzerrenden Blasenbildung des industriellen Zeitalters ausgeht: „Umso größer die scheinbare Welt innerhalb der Blase wird, umso weiter entfernt sie sich von der ´wirklichen´ Wirklichkeit“. (S. 33) Eine Blase sei daher gekennzeichnet durch zunehmende Fehlwahrnehmungen: „Die Krise, in der wir uns heute befinden, könnte man demnach als unbeabsichtigtes Ergebnis von ungeprüften Annahmen betrachten, die dem Denken der modernen Industriegesellschaft zugrunde liegen.“(ebd.)
Mit Otto Scharmer werden acht solcher Blasen ausgemacht: die Finanzblase (Abkopplung der Finanzvon der Realwirtschaft), die Unendlichkeitsblase (Wachstumslogik), die Verteilungs- und Besitzblase (zunehmende Ungleichverteilung), die Führungsblase (zunehmende Steuerungsdefizite), die Konsumblase (Abkopplung des Konsums vom Wohlbefinden), die Demokratieblase (Verlust an Selbstwirksamkeit), die Eigentumsblase (Übernutzung von Gemeingütern) sowie die Technologieblase (Entkopplung der Technik von sozialen Bedürfnissen). Das Erkennen dieser Blasen ehe sie plat -
„Nicht Gewerkschaften, nicht sozialdemokratische Parteien, nicht einmal die Linke oder unerbittlich quengelnde NGOS sind die Hauptfeinde der Wirtschaftselite, sondern ´die Medien´.“(Walter/marg in 84 , S. 315)
zen sei daher, so die Autorinnen, grundlegend für einen Wandel in Richtung Nachhaltigkeit und müsse auch am Anfang jedes Nachhaltigkeitsprozesses in einem Unternehmen stehen. Denn es gehe nicht nur darum, die Dinge richtig, sondern die richtigen Dinge zu tun. Das Leitziel, Marktführer in einer Region oder Branche zu werden, würde dann beispielsweise abgelöst von der Frage, wie wir als Unternehmen am besten zum Gemeinwohl einer Region beitragen können.
In einem siebenstufigen Prozess – von den Autorinnen in der „Terra-blume“illustriert – wird der „Mission“bzw. „Vision“sowie der „systemischen Zugehörigkeit“daher ein zentraler Stellenwert beigemessen, der der Suche nach den geeigneten Produkten sowie der „operativen Exzellenz“vorge- lagert sein müsse. Neben den Kunden, Belegschaften, Partnerunternehmen (Zulieferer) spiele die Einbettung des Unternehmens in die Region bzw. das „übergeordnete System“eine wichtige Rolle bei der Ausrichtung als „Sustainable Companies“. Gesetzt wird selbstverständlich auf nachhaltige Produkte und Dienstleistungen („Circular Economy“), aber auch auf ein „Wertangebot“durch Unternehmen, eine „Ausrichtung am Sinn“, die auch zu einer neuen Beziehungskultur führe, sowie auf neue Unternehmensnetzwerke, die Verantwortung („advocacy“) übernehmen und zu Veränderungsknoten („Transition Cells“) werden. Mit Jorgen Randers gehen die Autorinnen aber davon aus, dass freiwillige Maßnahmen nicht reichen werden. Politische Regulierungen seien notwendig, um sicher zu stellen, „dass wir die notwendigen Veränderungen unternehmen“; begleitet sein müsste dieser Prozess von dem Paradigmenwechsel weg von dem, „was am Profitabelsten ist, hin zu dem, was gesellschaftlich betrachtet am Notwendigsten ist“(S. 240).
Das Buch zeigt Wege auf, wie Unternehmen Teil einer Bewegung für den Wandel hin zu Nachhaltigkeit werden können, ohne der Gefahr des Greenwashing bzw. lediglich kosmetischer Ökomaßnahmen zu unterliegen.
Unternehmen: Nachhaltigkeit Oberleiter, Evelyne; Reifer, Günther; Streit, Hansulrich: Sustainable Companies. Wie Sie den Aufbruch zum Unternehmen der Zukunft wirksam gestalten – ein Leitfaden. München: oekom, 2016. 243 S., € 19,95 [D], 20,60 [A] ; ISBN 978—3-86582-795-2
Mitgefühl in der Wirtschaft
Eine Begegnung von Wirtschaft, Wissenschaft und buddhistischen Denkerinnen unter Vorsitz des Dalai Lama ermöglichte eine Tagung des in Zürich ansässigen „Mind and Life Institute“. Die Vorträge und Gespräche sind nachzulesen in dem Band „Mitgefühl in der Wirtschaft“. Thematisiert werden Ergebnisse der Neurowissenschaften ( Tania Singer, Direktorin am Max-planck-institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig, referiert Ergebnisse eines Forschungsprogramms an der Universität Zürich über kooperatives Verhalten), der Mikroökonomie (Ernst Fehr schildert Experimente, die zeigen, dass Menschen bei gesellschaftlichen Interaktionen nicht nur auf Eigennutz, sondern auch auf Fairness achten) oder der Glücksforschung, deren Befunde der britische Ökonom Richard Layard erläutert. Die Ausführungen sollen zeigen, dass Altruismus im Menschen angelegt sei und dass Meditation dabei helfen könne, eine offene Haltung gegen über der Mitwelt zu entwickeln. Eine „buddhistische Ökonomie“basiert auf Großzügigkeit und Schenken, so der Philosoph John Dunne, diese gä be es freilich nur mehr bei einigen, einfach lebenden buddhistischen Dorfgemeinschaften in Indien. Die Anhäufung von Besitz führe zu Gier und Egoismus, auch in „buddhistischen“Ländern. Die im Schlusskapitel „Einführung des Prosozialen in Wirt schaftssysteme“geschilderten Beispiele beziehen sich daher auch überwiegend auf Entwicklungsprojekte in nichtkapitalistischen Strukturen, etwa das Barfoot College in Indien, das Dörfer im Aufbau von Solarsystemen unterstützt, oder die Mikrokreditbewegung (im Buch geschildert vonarthur Vayloyan vom Unternehmen Credit Suisse, das in diesen Bereich eingestiegen ist). Mehrfach wird die berechtigte Frage aufgeworfen, wie ein anderes Wirtschaften auf größerer Ebene umgesetzt werden könne. Der Dalai Lama hofft auf Bildung und einen Bewusstseinswandel hin zu immateriellen Werten, der seit der Jahrtausendwende immer mehr Menschen in den Konsumländern erfasse. William George von der Havard Business School plädiert für neue Führungspersönlichkeiten in Unternehmen, die sinnvolles Tun vor alleiniges Schielen auf Profit stellen. Auch er setzt auf die junge Generation, nachdem die alte Managerriege weitgehend versagt habe. Vage bleiben (leider) die Antworten auf neue politische Regeln, die etwa der Ökonom Ernst Fehr in einer der Diskussionen eingefordert. Insgesamt jedoch stellt der Band eine Bereicherung für die Suche nach neuen Wirtschaftsethiken und –modellen dar, wie sie etwa die an anderer Stelle dargelegte Bewegung der Gemeinwohlökonomie versucht.
Wirtschaft: Mitgefühl Singer, Tania; Ricard, Matthieu: Mitgefühl in der Wirtschaft. Ein bahnbrechender Forschungsbericht.
Mit Beiträgen v. Dalai Lama u.a.m.. München: Knaus, 2015. 256 S., € 16,99 [D], 17,50 [A]
ISBN 978-3-8135-0657-0
„Die gesamte Menschheit braucht Altruismus und Empathie, nicht unbedingt als Bestandteil eines religiösen Glaubens, sondern um Probleme zu lösen, vor denen wir heute stehen, weil es an Altruismus und Empathie mangelt.“(Dalai Lama in , S. 224)