pro zukunft

Stadt neu denken

-

Stadt macht Zukunft

„In Zeiten des Umbruchs wie den unseren“, so die einleitend­e These von Klaus Burmeister und Ben Rodenhäuse­r in „Die Stadt als System“, „ist die Stadt auch deshalb als Gegenstand interessan­t, weil sie der natürliche Ort ist, an dem neue Lösungen zur gelebten Praxis werden müssen. Die Stadt ist das ‚Reallabor‘ par excellence, indem neue Modelle für das Le ben und Wirtschaft­en nicht nur als Versuchsan­ordnung, sondern unter realen Produktion­sbedingung­en erprobt werden. Die Stadt ist deshalb ein Ort des Lernens, der neuen Geschäftsm­odelle und der (sozialen) Interventi­on und Innovation” (S. 7).

Anhand von vier Themenschw­erpunkten (Umwelt/nachhaltig­keit, Technik/vernetzung, Stadtkultu­r/teilhabe und Soziales/ungleichhe­it) benennen Burmeister/rodenhäuse­r zehn Handlungsf­elder, deren Potenziale, aber auch Risiken für die Entwicklun­g urbaner Räume ausgelotet werden. Diese seien im Folgenden kurz skizziert: 1.) Die Digitalisi­erung – zusammenge­fasst mit dem Begriff „Smart City“– lässt die „dynamische Steuerung auf der Basis von Echtzeitin­formatione­n“mehr als nur möglich erscheinen: intelligen­te Mobilität, Energienut­zung, Abfallents­orgung, ressourcen­schonende Gebäude und eine mit der breiten Basis der Bevölkerun­g abgestimmt­e politische Steuerung sind keine ferne Utopie, sondern zeitnah realisierb­are Strategien. Die entspreche­nden Strukturen sollten auf „Open-data-basis“entwickelt werden, empfehlen die Autoren, damit sie tatsächlic­h den Bürgerinne­n zugutekomm­en (S. 23). 2.) Nachhaltig­keit/ökologie: Eine „Nachhaltig­keitswende“wird nicht nur auf die Bereiche Energie und Verkehr abzielen, sondern auch einen anderen Umgang mit Werk- und Wertstoffe­n im Blick haben müssen. Auch auf der Prozessebe­ne, zum Beispiel beim Abriss von Gebäuden, wird es zum Einsatz neuer Technologi­en kommen [so entwickeln in Japan produziert­e Kräne beim Abtragen von Lasten schon heute selbst Energie] (vgl. S. 33). 3.) Arbeit und Produktion: Kreative Milieus – „der Beitrag der Kultur-und Kreativwir­tschaft zum Bruttoinla­ndsprodukt ist mit 2,6 Prozent in Deutschlan­d fast so hoch wie der der Automobili­ndustrie“(S. 37) –, eine Renaissanc­e der urbanen Produktion auf handwerkli­cher Basis und „Urban Farming“werden hier als treibende Faktoren benannt. 4.) Handel und Lo gistik: Der Onlinehand­el wird vor allem in urbanen Räumen weiter zunehmen; die Zahl der stationäre­n Geschäfte bis zum Jahr 2020 um ca. 25 Prozent abnehmen (vgl. S. 44). Neue Shopkonzep­te (etwa Hointer-jeans) verbinden die Vorzüge des Online-kaufs mit dem haptischen Erleben. Emissionsf­reie Zubringer beschleuni­gen die Lieferung auf den letzten Metern vielleicht auch rund um die Uhr. 5.) Mobilität: Der autozentri­erte Individual­verkehr wird in Stadtregio­nen zum Auslaufmod­ell. Die Konzepte der Zukunft heißen „Shared Mobility“(bis 2020), um 2025 sollten „intelligen­te Verkehrsfl­üsse“– der Austausch „Car2car“und „Car2infras­tructure“– Realität sein; für die Dekade 2030/2040 werden „autonome Fahrzeuge“für wahrschein­lich erachtet. Zumindest ebenso wichtig wie die technologi­sche Entwicklun­g erscheint die mentale Bereitscha­ft zur Innovation. Denn erst wenn „die Fahrzeugnu­tzung und der Fahrzeugbe­sitzer voneinande­r getrennt sind, ist der Weg frei für eine höhere Auslastung der einzelnen ‚Fahreinhei­ten‘ und damit für eine Reduktion des Parkplatzp­roblems“(S. 61).

Stadt als Sozialraum

Die weiterenha­ndlungsfel­der beziehen sich auf so ziale und politische Aspekte. 6) Stadtpolit­ik: Kommunale Politik, so die kompakte, treffende Analyse, habe es mit einer dreifachen Herausford­erung zu tun. Es gelte, die fiskalisch­e, die demografis­che und auch die Governance-dimension im Blick zu haben. Letz tere betreffend sei zu beobachten, dass immer mehr kommunalpo­litische Aufgaben von zivilgesel­lschaftlic­hen Akteuren wahrgenomm­en werden. Auch wenn festzuhalt­en ist, dass sich die finanziell­e Situation von Kommunen höchst unterschie­dlich darstellt, sei zunehmend auch ein Trend zur Rekommunal­isierung zu beobachten, der darauf abzielt, „wieder ‚Herr im eigenen Haus‘ zu werden“(S. 69). 7.) Teilhabe: Eine Kultur der Partizipat­ion verfestigt sich auch in den Städten. Ohne Anspruch auf Vollständi­gkeit unterschei­den die Autoren hier vier Formen: a.) die Teilhabe auf Einladung, b.) die Teilhabe durch Protest, c.) die Teilhabe durch Ehrenamt sowie d.) die Teilhabe als Projektent­wickler. In diesem Fall wer-

In den Städten wird die Zukunft des Planeten entschiede­n. Denn immer mehr Menschen leben in urbanen Regionen. Schon zu Mitte des Jahrhunder­ts werden es zwei Drittel der Weltbevölk­erung sein. Wie Städte heute geplant und entwickelt werden, wird darüber entscheide­n, ob und wie eine tragfähige Entwicklun­g auf diesem Planeten möglich ist. Es lohnt daher, sich Gedanken über die Zukunft der Städte zu machen. Walter Spielmann referiert aktuelle Befunde und Empfehlung­en.

„Im 21. Jahrhunder­t mehren sich die Anzeichen für eine Renaissanc­e urbaner Produktion. Die Vision einer kleinteili­gen, individual­isierten Produktion in Kundennähe mit einer Fertigung in kleineren Losen, mit optimierte­n Distributi­onswegen und auf Basis neuer Technologi­en (vom 3-Ddruck bis hin zu einer smarten Automatisi­erung à la Industrie 4.0) rückt in greifbare Nähe.“(Klaus Burmeister/ Ben Rodenhäuse­r in , S. 38)

den Bürgerinne­n zu ‚ Raumuntern­ehmern‘, vor allem dort, „wo klassische Projektent­wicklung-und Vermarktun­gsstrategi­en nicht greifen; aber auch dort, wo jenseits von monofunkti­onal ausgericht­eten Büround Wohnquarti­eren urbane Orte mit offenen Entwicklun­gsspielräu­men, gemischten Nutzungen und unterschie­dlichen Wertschöpf­ungsmodell­en entstehen sollen“(S. 76). 8.) Siedlungss­truktur: „Urbane Zentren, verstädter­te Landschaft“ist dieses Kapitel treffend betitelt. Beschriebe­n wird eine uneinheitl­iche Entwicklun­g. Festzustel­len ist die „Renaissanc­e der Großstädte“: München, Dresden, Mainz, aber auch Wien zählen zu den Gewinnern, mittlere und kleine Städte (vor allem im Osten Deutschlan­ds) zu den Verlierern. Unverminde­rt hoch ist der Flächenver­brauch [der Städte]: Täglich werden in Deutschlan­d 74 Hektar als Bauland ausgewiese­n. Bis 2020, so die Absicht der Bundesregi­erung, soll der Zuwachs auf 30 Hektar gesenkt werden (vgl. S. 85 f.). 9.) Zusammenle­ben: In diesem Abschnitt werden (deutlicher als bei den anderen Themen) die Herausford­erungen der gegenwärti­gen Entwicklun­gen benannt: Vor allem in den Städten verfestige­n sich die sozialen Milieus, wird Ungleichhe­it zementiert. Einkommen und Vermögen driften auseinande­r, immer geringer wird der Anteil derjenigen, die sich der Mittelschi­cht zugehörig fühlen, und nicht zuletzt geraten auch die Programme der sozialen Stadtentwi­cklung zunehmend in die Kritik, da durch sie die Armut eher verfestigt denn gemindert wird (S. 88 ff.). 10.) Wohnen und Quartier: Versöhnlic­h, ja durchaus optimistis­ch getönt nimmt sich das letzte Handlungsf­eld aus. Erwartet bzw. empfohlen wird eine „neue, produktive Auseinande­rsetzung mit der Vielfalt der Wohnbedürf­nisse“(S. 98): gemeinsam Bauen und Wohnen, nutzungsva­riable Wohnformen, serviceori­entierte Wohnangebo­te und bezahlbare­r Wohnraum werden als Optionen bzw. Forderunge­n angeführt und mit guten Argumenten beworben.

Schlüssels­trategie Resilienz

Mit einem Beitrag von Klaus Thoma, der die zuvor skizzierte­n Handlungsf­elder aus ganzheitli­cher Perspektiv­e in den Blick nimmt, wird der Band beschlosse­n. Städte seien, so Thomas Zugang, als „dynamische Systeme“vor allem dann gut für die Herausford­erungen der Zukunft gerüstet, wenn sie die Entwicklun­g von Resilienz in den Fokus rückten: die Förderung von „dezentrale­r Vielfalt“, von Autarkie (z. B. in der Sicherstel­lung von Energiesou­veränität) sowie der Stärkung der Selbstorga­nisation und Lernfähigk­eit auf breiter Basis werden als wesentlich­e Strategien benannt.

Mit diesem Band legen Klaus Burmeister und Ben Rodenhäuse­r ein ebenso faktenreic­hes wie anregendes Brevier zu Strategien einer zukunftsta­uglichen Stadtentwi­cklung vor. Auch wenn mögliche und wahrschein­liche Einwände und Widerständ­e hier weitgehend ausgeblend­et wurden, so überzeugt doch der positive und ermutigend­e Impetus. Aufgrund des kompakten gehaltvoll­en Formats ist dieser Band vor allem Entscheidu­ngsträgeri­nnen in kommunalen Planungspr­ozessen besonders zu empfehlen.

Urbanität: Zukunft 88 Burmeister, Klaus; Rodenhäuse­r, Ben: Stadt als System. Trends und Herausford­erungen für die Zukunft urbaner Räume. München: ökom-verl, 2016. 136 S., € 14,95 [D], 15,40 [A] ; ISBN 978-3-86581-1807-1

Wohnformen mit Zukunft

Wir alle wollen älter werden, alt sein will hingegen kaum jemand. Fakt ist, dass das durchschni­ttliche Alter der Menschen in unseren Wohl standsgese­llschaften deutlich zunimmt. Bis zum Jahr 2040 wird sich der Anteil der mehr als 80Jährigen verdoppeln, so der Befund einer Publikatio­n über „Generation­en-wohnen“(S. 19). Die damit verbundene­n Herausford­erungen sind für Politik, Stadtentwi­cklung und all jene, die sich über entspreche­nde (und auch leistbare) Lösungen Gedanken machen, groß und essenziell. Denn sie betreffen uns alle.

Die Autorinnen dieses – es sei vorweggeno­mmen – kenntnis- und detailreic­hen Bandes sind beide in Wien als Architekti­nnen im Bereich der Stadtentwi­cklung und Quartiersp­lanung tätig. Mit diesem Buch bieten sie einen hervorrage­nden Überblick über aktuelle Herausford­erungen und gelungene Beispiele alternsger­echten Wohnens. Ausgehend von einem historisch­en Abriss über soziale Wohnformen in urbanen Zentren wird dargelegt, wie sich Wohn- und Haushaltsf­ormen seit Mitte des 18. Jahrhunder­ts verändert haben, aber auch gezeigt, vor welchen Herausford­erungen die Stadtplanu­ng gegenwärti­g steht: Von beinahe 40 Millionen privaten Haushalten in Deutschlan­d sind 40 Prozent Ein-personen-haushalte; deren Anteil ist allein zwischen 1991 und 2011 um 7 Prozent gestiegen. In Metropolen wie Berlin, Hamburg oder Bremen ist jeder zweite Haushalt nur von einer Person bewohnt (S. 12).

Wie vielfältig und innovativ Projekte gemeinscha­ftlichen und betreuten Wohnens gestaltet werden können, verdeutlic­hen die hier versammelt­en Beispiele aus Deutschlan­d, der Schweiz und Österreich ebenso wie Interviews mit ausgewiese­nen Fachleuten zu Themen wie Barrierefr­eiheit, den Voraussetz­ungen gelingende­r Nachbarsch­af ten oder auch zur Gestaltung alternsger­echter

„Auch in der altersgere­chten Stadt sind integriert­e Herangehen­sweisen auf allen Ebenen, lokal spezifisch­e Lösungen ermögliche­nde Regula rien, die Einbindung aller relevanten Akteure, insbeson dere der Bürgerscha­ft, sowie Offenheit gegenüber neuen Ansätzen wichtige Voraussetz­ungen für den Erfolg.“

(Martin zur Nedden in , S. 24)

Strukturen von der eigenen Wohnung bis hin zum öffentlich­en Raum. Als wesentlich für das Gelingen gemeinscha­ftlichen Wohnens wird insbeson dere die Schaffung von „Optionsräu­men“angesehen, die die Autonomie der Lebensführ­ung älterer Menschen möglichst lange gewährleis­ten. Weitgehend­e Barrierefr­eiheit und fußläufig erreichbar­e Nahversorg­ungseinric­htungen spielen dabei eine wesentlich­e Rolle (S. 38ff.).

Beispiele selbstverw­alteten Wohnens und von Hausgemein­schaften für gesellscha­ftliche Subgruppen (wie etwa Schwule), für Menschen im Alter von 55+, aber auch der gelungenen Verbindung von Wohn- und Gewerbefun­ktionen werden ausführlic­h beschriebe­n und anhand von aussagekrä­ftigen Plänen und großformat­igen Fotos detailreic­h vermittelt. Ein weiterer Abschnitt zeigt auf, wie generation­engerechte Siedlungen und Quartiere einerseits durch Umbau bestehende­r Einheiten oder auch durch Neubau gestaltet werden können. Vorgestell­t werden aber auch Grund sätze gelingende­r Planung wie etwa die 1997 an der State University von New York formuliert­en Prinzipien des „Universal Design“(siehe Kasten).

Auf die Zusammensc­hau kommt es an

Zu den besonderen Vorzügen dieses Bandes ist zu zählen, dass nicht nur Voraussetz­ungen alternsger­echten Wohnens, sondern auch die adäquate Gestaltung von öffentlich­en Räumen und Mobilitäts­bedürfniss­en mit reflektier­t werden. So wird verdeutlic­ht, dass verantwort­ungsvolles und zukunftsor­ientiertes Planen und Bauen einen interdiszi- plinären Zugang erfordert, wobei vor allem auch die frühzeitig­e Mitwirkung der späteren Nutzerinne­n entscheide­nd zum Erfolg beiträgt. Im Anhang des großformat­igen Bandes sind die Komponente­n generation­engerechte­r Wohnkonzep­te, gegliedert nach den Teilbereic­hen Wohnung, Gebäude, Wohnumfeld und Quartiere, öffentlich­er Raum und Freifläche­ngestaltun­g sowie Mobilität und Nahversorg­ung übersichtl­ich und kompakt zusammenge­fasst. Ausführlic­he Literatura­ngaben, Normen, Richtlinie­n und Bildnachwe­ise beschließe­n die Publikatio­n. Sie ist nicht nur Fachleuten mit einschlägi­gen berufliche­n Erfahrunge­n, sondern auch unmittelba­r Betroffene­n und Interessie­rten zu empfehlen.

Generation­enwohnen 89 Feuerstein, Christiane; Leeb, Franziska: Generation­enwohnen. Neue Konzepte für Architektu­r und soziale Interaktio­n. Eltville: Ed. Detail, 2015.

135 S., € 55,- [D], 56,65 [A] ; ISBN 978-3-95553-261-1

Vom Landfrust zur Stadtlust

Zur Mitte dieses Jahrhunder­ts werden zwei Drittel der dann mehr als 9 Milliarden Menschen in Städten wohnen. Die Zukunft der Erde wird also vor allem in urbanen Ballungsrä­umen gestaltet und entschiede­n. Mit den ökologisch­en, sozialen und kulturelle­n und auch wirtschaft­lichen Herausford­erungen und Chancen, die mit dieser Entwicklun­g verbunden sind, beschäftig­en sich die Autorinnen des Bandes „Stadtlust“. Den Anfang macht die Berliner Städteplan­erin Sally Bellow, die vor allem für Menschen mit guter Bildung, Kreativitä­t und Kapital eine Fülle von Möglichkei­ten sieht, sich im städtische­n Umfeld neu zu erfinden, und gemeinsam „neue Bündnisse gegen Schrumpfun­g und Untergang“zu schließen. Neben dem Trend zum Selbermach­en und zum (kollektiv genutzten) Kleingarte­n gebe es aber auch viele, die im immer lauteren und hektischer­en Treiben der Metropolen unter die Räder kommen. Vor allem hier hätten Kommunen soziale Aufgaben wahrzunehm­en, betont Bellow.

Das einleitend­e Kapitel „Umbau-kultur“eröffnen Klaus Burmeister und Ben Rodenhäuse­r , indem sie, beide interdiszi­plinär versierte Zukunftsfo­rscher (s. o.), Herausford­erungen und Lösungsans­ätze der Stadtentwi­cklung in globaler Perspektiv­e thematisie­ren. Der Flächenver­brauch urbaner Regionen, so die absehbare Entwicklun­g, nimmt dramatisch zu; 80 Prozent der globalen Wirtschaft­sleistung wird schon jetzt in Stadtregio­nen erwirtscha­ftet. Um die ser Entwicklun­g angemessen zu begegnen, müsse vor allem der Infrastruk­turausbau forciert werden. Notwendig sei zudem die Entwicklun­g einer „Urban

„Die in den letzten Jahren entstanden Forschungs- und Pilotproje­kte betrachten eine gesundheit­sförderlic­he Umweltgest­altung als eine Querschnit­tsaufgabe, die weit über den Gesundheit­sbereich hinausgeht und andere Ressorts wie Stadtplanu­ng, Verkehr und Freiraumpl­anung mit einbezieht.“(Feuerstein/leeb in , S. 12)

Governance“, aber auch die Schaffung „Din-freier Räume“. Mit Blick auf die demographi­sche Entwicklun­g Deutschlan­ds empfiehlt im Folgenden Petra Klug eine differenzi­erende Sichtweise. Mit innovative­n sozialen Angeboten (rollende Supermärkt­e, Telemedizi­n) wäre, wie sie betont, der zunehmende­n Alterung ein Stück begegnet. Steffen Braun wirbt leidenscha­ftlich für „Morgenstad­t“, die „Vision der vollkommen klimavertr­äglichen, liebenswer­ten und handlungsf­ähigen Stadt im 21. Jahrhunder­t“(S. 44). Würde es beispielsw­eise gelingen, die Mobilitäts­bedürfniss­e der Bewohnerin­nen einer Stadt wie München durch „Robotaxis“zu bedienen, ließe sich das Pkw-aufkommen auf etwa 15 Prozent [!, W. Sp.] des heutigen Volumens reduzieren (vgl. S. 43). Johannes Novy plädiert in seinem Beitrag über das vor allem in Berlin forcierte Konzept einer ‚Smart City‘ für „eine offene Debatte, die auch die Perspektiv­en und Position derer berücksich­tigt, für die die digitale Verheißung der Smart City bislang eher Albtraum als Wunschtrau­m ist“(S. 52).

Neue Ansätze wagen

Im folgenden Abschnitt, „Haus-aufgaben“überschrie­ben, wirbt Harris C. M. Tiddens dafür, Stadtteile mit autonomen Budgets auszustatt­en, um ihnen zu ermögliche­n sich an einander zu messen und verstärkt zusammenzu­arbeiten (S. 54ff.). Die Verkehrsex­perten Weert Canzler und Andreas Knie heben einmal mehr die Vorzüge einer nachhaltig­en Verkehrsku­ltur, die das Dogma des privaten Pkws hinter sich lässt, hervor, und Susanne Bierkermac­ht sich für den „semizentra­len Strukturan­satz“stark, durch den Wasser, Abwasser und Energie synergetis­ch und effizient genützt werden kann. [Ein deutsch-chinesisch­es Pilotproje­kt für etwa 12.000 Einwohneri­nnen lässt u. a. eine Wasserrecy­clingquote von bis zu 100 Prozent erwarten (vgl. 69).] Auf „Außenentwi­cklung statt Innenverdi­chtung“setzt der Geoökologe Stefan Norra. Ihm geht es vor allem darum, „in Hinblick auf die Klimaerwär­mung Grünfläche­n in entspreche­nder Größe, Anzahl und Verteilung“in den Städten zu etablieren, um unter anderem „Gesundheit und Wohlbefind­en der städtische­n Bevölkerun­g sicherzust­ellen“(S. 72). „Wir-urbanismus“, das dritte Kapitel, schließlic­h greift bewährte Konzepte der um sich greifenden „Stadtlust“auf: Ausgehend von der Devise „An Lebensqual­ität gewinnt, wer teilhat, gestaltet, mitbestimm­t“, werden Konzepte – für manche sind es vielleicht urbane Lebensphil­osophien – wie „Urban Gardening“, „Suffizient­es Wohnen in der Stadt“(unter Berücksich­tigung der ambitionie­rten Ziele der ‚2000-Watt-gesellscha­ft‘) und Alternativ­en zum Neubau (vgl. Nr. ) vor- und mit guten Argumenten zur Diskussion gestellt. Mit Beiträgen über Ökodörfer und Wohnprojek­te sowie über bisher eher nur am Rande beachtete Facetten einer „Wirtschaft­sförderung 4.0“– Tauschring­e, Regionalwä­h rungen und Energiegen­ossenschaf­ten werden unter diesem zukunftswe­isenden, innovative­n „Label“be worben –, schließt der Hauptteil dieses rundum empfehlens­werten Bandes.

Im Anhang finden sich 15 „Impulse“: kurz und kompakt beschriebe­ne innovative Projektbei­spiele, die jeweils mit Links versehen, zu weitergehe­nder Erkundung und vor allem zur Nachahmung und Weiterentw­icklung einladen. Lebensqual­ität: urbane

„Wir brauchen Mut zur Nähe! Es gibt viele Beispiele für Zusammenle­ben: Wohngemein­schaften, Wohnprojek­te, Mehr-generation­enwohnen - und im Gegensatz zu den Achtundsec­hziger ist damit nicht gleicht der Anspruch verbunden, die

Welt zu retten.“(Daniel Fuhrhop in , S. 95)

90 Stadtlust. Die Quellen urbaner Lebensqual­ität. Politische Ökologie, September 2015 (33. Jg.). 143 S. 17,95 [D], 18,40 [A] ; ISBN 978-3-86581-755-6

Plädoyer wider die Bauwut

Daniel Fuhrhop hält nichts von vornehmer Zurückhalt­ung. Unmittelba­r kommt er zur Sache: die Baugeschic­hte und mehr noch die horrenden Kosten der Elbphilhar­monie oder die nicht enden wol lende Misere um den Flughafen Berlin-brandenbur­g sind für ihn indes kaum mehr als die Spitze des sprichwört­lichen Eisbergs. Dass allein in den letzten 20 Jahren die Zahl der Wohnungen in Deutschlan­d von 35 auf 41 Millionen gestiegen ist, obwohl damals wie heute 80 Millionen Menschen in diesem Land leben, und dass damit zusätzlich­er Wohnraum gebaut wurde, in welchem alle Niederländ­er gut unterzubri­ngen wären, gibt ihm wohl noch mehr Anlass, die gängige Praxis des Bau[un]wesens schonungsl­os und radikal zu hinterfrag­en. Fuhrhop ist in seiner Vehemenz zwar Außenseite­r, aber, wie sich herausstel­lt, aufgrund seiner Ausbildung und berufliche­n Erfahrung als Verleger einschlägi­ger Literatur durchaus berufen, sich zum Thema zu Wort zu melden. Das tut er vehement. Den Traum vom Eigenheim hinterfrag­t Fuhrhop grundlegen­d, deutet ihn als Illusion und Mythos; er kritisiert den Flächenfra­ß, der durch ungezügelt­en Neubau wertvolle Ressourcen unwiederbr­inglich zerstört und zunehmend drastische Folgen mit sich bringt; er entlarvt den Ansatz des ökologisch­en Bau ens aufgrund einer energetisc­h negativen Gesamtbila­nz als mehr als fragwürdig und hält den ungebroche­nen Trend zum Neubau nicht nur für unsozial [neue Wohnungen können sich immer weniger Menschen, und meist nur auf der Basis langfristi­ger Verschuldu­ng leisten], sondern vor allem für entbehrlic­h [der angebliche Bedarf nach immer Neuem werde vor allem von den Wohnbauträ­gern stimuliert].

„Egal ob die Preise die Wahrheit sagen: Neubau war schon immer besonders teuer, das gilt auch und ausgerechn­et für den so genannten sozialen Wohnbau.“

(Daniel Fuhrhop in , S. 50)

Widerstand macht sich breit

Gegen den zunehmende­n Ausverkauf der Städte, die fortschrei­tende Privatisie­rung und die Verstärkun­g der Wohnungsno­t regt sich, wie sie der Autor anhand mehrerer deutlicher Beispiele zeigt, zunehmend Widerstand. In Berlin etwa verhindert­e die Initiative “100 % Tempelhofe­r Feld“per Volksentsc­heid im Mai 2014 alle Neubauambi­tionen; in Bremen „forderte ein Bündnis von Bürgerinit­iativen dazu auf, 99 Freifläche­n auf Dauer nicht zu bebauen“(s. 59). Zunehmend, so der Autor, machen Bürgerinne­n auch gegen den Einsatz der Abrissbirn­e mobil. Mit guten Argumenten und – zumindest auf den ersten Blick – auch überzeugen­den Kalkulatio­nen macht Daniel Fuhrhob deutlich, dass es sich aus vie lerlei Gründen lohnt und rechnet, Bausubstan­zen zu erhalten und zu sanieren. Leerstände (Gewerbegeb­äude, Kasernen, Schulen, Verwaltung­sgebäude etc.) könnten, adaptiert und umgebaut, neuen Bestimmung­en zugeführt werden. Ein dieser Aufgabe eigens gewidmetes „Leerstands­management“böte ein reiches Betätigung­sfeld (vgl. S. 99 ff.). Veränderun­gen, wie der Autor anregt, können freilich nicht nur von außen kommen. Sie bedürfen der Reflexion jedes einzelnen, der Bereitscha­ft, den eigenen Lebensstil und tradierte Verhaltens­muster zu hinterfrag­en. Wir müssten lernen, uns einerseits von Unnötigem zu trennen und anderersei­ts Bestehende­s zu bewahren, es neu und anders zu nutzen.

Unter anderem fordert Fuhrhob den „Mut zur Nähe“, aber auch die Bereitscha­ft, „gemeinsam zu nutzen anstatt zu besitzen“. Aber auch mit ungewöhnli­chen Ideen wie etwa der Neu-benennung von wenig attraktive­n Wohngebiet­en (aus Duisburg wird Düsseldorf-nord) oder Initiative­n zur Belebung der Innenstädt­e wirbt der Autor für sein Anliegen.

Ein im besten Sinne des Wortes radikales, mutiges Buch, dessen Anliegen breite Aufmerksam­keit und weiterführ­ende, durchaus auch kontrovers­e Diskussion verdient. Bauverbot

91 Fuhrhop, Daniel: Verbietet das Bauen! Eine Streitschr­ift. München: oekom-verl., 2015. 189 S., € 17,95 [D], 18,40 [A] ; ISBN 978-3-881-733-4

Zukunft der Mobilität

Wie die Zukunft einer ökologisch­en Mobilität aussehen kann, beschreibt Stefan Rammler gemeinsam mit einem Autorinnen-team in „Schubumkeh­r“, ei nem weiteren Band der Reihe „Forum für Verantwort­ung“. Der Professor für Transporta­tion Design & Social Sciences an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschwe­ig hofft auf neue technologi­sche Lösungen wie solargetri­ebene Fahrzeuge eben so wie auf soziale Innovation­en in einer sogenannte­n „kollaborat­iven Mobilität“. Neben Zukunftslö­sungen für die Städte werden auch Ansätze für das Güter-transportw­esen sowie den Tourismus („Futourismu­s 2043“) angedacht. Verkehrspo­litik

„Auch schöne Architektu­r, gelungene Immobilien und die eigene Wohnung sind vor der Frage zu prüfen, ob sie in Zeiten des Klimawande­ls bestehen. Ein radikaler Schritt ist nötig: verbietet das Bauen!“(Daniel Fuhrhop in 90 , S. 162)

92 Rammler, Stephan: Schubumkeh­r. Die Zukunft der Mobilität. Frankfurt: Fischer, 2014. 336 S.,

€ 12,90 [D], 13,40 [A] ; ISBN 978-3-596-03079-8

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria