Stadt neu denken
Stadt macht Zukunft
„In Zeiten des Umbruchs wie den unseren“, so die einleitende These von Klaus Burmeister und Ben Rodenhäuser in „Die Stadt als System“, „ist die Stadt auch deshalb als Gegenstand interessant, weil sie der natürliche Ort ist, an dem neue Lösungen zur gelebten Praxis werden müssen. Die Stadt ist das ‚Reallabor‘ par excellence, indem neue Modelle für das Le ben und Wirtschaften nicht nur als Versuchsanordnung, sondern unter realen Produktionsbedingungen erprobt werden. Die Stadt ist deshalb ein Ort des Lernens, der neuen Geschäftsmodelle und der (sozialen) Intervention und Innovation” (S. 7).
Anhand von vier Themenschwerpunkten (Umwelt/nachhaltigkeit, Technik/vernetzung, Stadtkultur/teilhabe und Soziales/ungleichheit) benennen Burmeister/rodenhäuser zehn Handlungsfelder, deren Potenziale, aber auch Risiken für die Entwicklung urbaner Räume ausgelotet werden. Diese seien im Folgenden kurz skizziert: 1.) Die Digitalisierung – zusammengefasst mit dem Begriff „Smart City“– lässt die „dynamische Steuerung auf der Basis von Echtzeitinformationen“mehr als nur möglich erscheinen: intelligente Mobilität, Energienutzung, Abfallentsorgung, ressourcenschonende Gebäude und eine mit der breiten Basis der Bevölkerung abgestimmte politische Steuerung sind keine ferne Utopie, sondern zeitnah realisierbare Strategien. Die entsprechenden Strukturen sollten auf „Open-data-basis“entwickelt werden, empfehlen die Autoren, damit sie tatsächlich den Bürgerinnen zugutekommen (S. 23). 2.) Nachhaltigkeit/ökologie: Eine „Nachhaltigkeitswende“wird nicht nur auf die Bereiche Energie und Verkehr abzielen, sondern auch einen anderen Umgang mit Werk- und Wertstoffen im Blick haben müssen. Auch auf der Prozessebene, zum Beispiel beim Abriss von Gebäuden, wird es zum Einsatz neuer Technologien kommen [so entwickeln in Japan produzierte Kräne beim Abtragen von Lasten schon heute selbst Energie] (vgl. S. 33). 3.) Arbeit und Produktion: Kreative Milieus – „der Beitrag der Kultur-und Kreativwirtschaft zum Bruttoinlandsprodukt ist mit 2,6 Prozent in Deutschland fast so hoch wie der der Automobilindustrie“(S. 37) –, eine Renaissance der urbanen Produktion auf handwerklicher Basis und „Urban Farming“werden hier als treibende Faktoren benannt. 4.) Handel und Lo gistik: Der Onlinehandel wird vor allem in urbanen Räumen weiter zunehmen; die Zahl der stationären Geschäfte bis zum Jahr 2020 um ca. 25 Prozent abnehmen (vgl. S. 44). Neue Shopkonzepte (etwa Hointer-jeans) verbinden die Vorzüge des Online-kaufs mit dem haptischen Erleben. Emissionsfreie Zubringer beschleunigen die Lieferung auf den letzten Metern vielleicht auch rund um die Uhr. 5.) Mobilität: Der autozentrierte Individualverkehr wird in Stadtregionen zum Auslaufmodell. Die Konzepte der Zukunft heißen „Shared Mobility“(bis 2020), um 2025 sollten „intelligente Verkehrsflüsse“– der Austausch „Car2car“und „Car2infrastructure“– Realität sein; für die Dekade 2030/2040 werden „autonome Fahrzeuge“für wahrscheinlich erachtet. Zumindest ebenso wichtig wie die technologische Entwicklung erscheint die mentale Bereitschaft zur Innovation. Denn erst wenn „die Fahrzeugnutzung und der Fahrzeugbesitzer voneinander getrennt sind, ist der Weg frei für eine höhere Auslastung der einzelnen ‚Fahreinheiten‘ und damit für eine Reduktion des Parkplatzproblems“(S. 61).
Stadt als Sozialraum
Die weiterenhandlungsfelder beziehen sich auf so ziale und politische Aspekte. 6) Stadtpolitik: Kommunale Politik, so die kompakte, treffende Analyse, habe es mit einer dreifachen Herausforderung zu tun. Es gelte, die fiskalische, die demografische und auch die Governance-dimension im Blick zu haben. Letz tere betreffend sei zu beobachten, dass immer mehr kommunalpolitische Aufgaben von zivilgesellschaftlichen Akteuren wahrgenommen werden. Auch wenn festzuhalten ist, dass sich die finanzielle Situation von Kommunen höchst unterschiedlich darstellt, sei zunehmend auch ein Trend zur Rekommunalisierung zu beobachten, der darauf abzielt, „wieder ‚Herr im eigenen Haus‘ zu werden“(S. 69). 7.) Teilhabe: Eine Kultur der Partizipation verfestigt sich auch in den Städten. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit unterscheiden die Autoren hier vier Formen: a.) die Teilhabe auf Einladung, b.) die Teilhabe durch Protest, c.) die Teilhabe durch Ehrenamt sowie d.) die Teilhabe als Projektentwickler. In diesem Fall wer-
In den Städten wird die Zukunft des Planeten entschieden. Denn immer mehr Menschen leben in urbanen Regionen. Schon zu Mitte des Jahrhunderts werden es zwei Drittel der Weltbevölkerung sein. Wie Städte heute geplant und entwickelt werden, wird darüber entscheiden, ob und wie eine tragfähige Entwicklung auf diesem Planeten möglich ist. Es lohnt daher, sich Gedanken über die Zukunft der Städte zu machen. Walter Spielmann referiert aktuelle Befunde und Empfehlungen.
„Im 21. Jahrhundert mehren sich die Anzeichen für eine Renaissance urbaner Produktion. Die Vision einer kleinteiligen, individualisierten Produktion in Kundennähe mit einer Fertigung in kleineren Losen, mit optimierten Distributionswegen und auf Basis neuer Technologien (vom 3-Ddruck bis hin zu einer smarten Automatisierung à la Industrie 4.0) rückt in greifbare Nähe.“(Klaus Burmeister/ Ben Rodenhäuser in , S. 38)
den Bürgerinnen zu ‚ Raumunternehmern‘, vor allem dort, „wo klassische Projektentwicklung-und Vermarktungsstrategien nicht greifen; aber auch dort, wo jenseits von monofunktional ausgerichteten Büround Wohnquartieren urbane Orte mit offenen Entwicklungsspielräumen, gemischten Nutzungen und unterschiedlichen Wertschöpfungsmodellen entstehen sollen“(S. 76). 8.) Siedlungsstruktur: „Urbane Zentren, verstädterte Landschaft“ist dieses Kapitel treffend betitelt. Beschrieben wird eine uneinheitliche Entwicklung. Festzustellen ist die „Renaissance der Großstädte“: München, Dresden, Mainz, aber auch Wien zählen zu den Gewinnern, mittlere und kleine Städte (vor allem im Osten Deutschlands) zu den Verlierern. Unvermindert hoch ist der Flächenverbrauch [der Städte]: Täglich werden in Deutschland 74 Hektar als Bauland ausgewiesen. Bis 2020, so die Absicht der Bundesregierung, soll der Zuwachs auf 30 Hektar gesenkt werden (vgl. S. 85 f.). 9.) Zusammenleben: In diesem Abschnitt werden (deutlicher als bei den anderen Themen) die Herausforderungen der gegenwärtigen Entwicklungen benannt: Vor allem in den Städten verfestigen sich die sozialen Milieus, wird Ungleichheit zementiert. Einkommen und Vermögen driften auseinander, immer geringer wird der Anteil derjenigen, die sich der Mittelschicht zugehörig fühlen, und nicht zuletzt geraten auch die Programme der sozialen Stadtentwicklung zunehmend in die Kritik, da durch sie die Armut eher verfestigt denn gemindert wird (S. 88 ff.). 10.) Wohnen und Quartier: Versöhnlich, ja durchaus optimistisch getönt nimmt sich das letzte Handlungsfeld aus. Erwartet bzw. empfohlen wird eine „neue, produktive Auseinandersetzung mit der Vielfalt der Wohnbedürfnisse“(S. 98): gemeinsam Bauen und Wohnen, nutzungsvariable Wohnformen, serviceorientierte Wohnangebote und bezahlbarer Wohnraum werden als Optionen bzw. Forderungen angeführt und mit guten Argumenten beworben.
Schlüsselstrategie Resilienz
Mit einem Beitrag von Klaus Thoma, der die zuvor skizzierten Handlungsfelder aus ganzheitlicher Perspektive in den Blick nimmt, wird der Band beschlossen. Städte seien, so Thomas Zugang, als „dynamische Systeme“vor allem dann gut für die Herausforderungen der Zukunft gerüstet, wenn sie die Entwicklung von Resilienz in den Fokus rückten: die Förderung von „dezentraler Vielfalt“, von Autarkie (z. B. in der Sicherstellung von Energiesouveränität) sowie der Stärkung der Selbstorganisation und Lernfähigkeit auf breiter Basis werden als wesentliche Strategien benannt.
Mit diesem Band legen Klaus Burmeister und Ben Rodenhäuser ein ebenso faktenreiches wie anregendes Brevier zu Strategien einer zukunftstauglichen Stadtentwicklung vor. Auch wenn mögliche und wahrscheinliche Einwände und Widerstände hier weitgehend ausgeblendet wurden, so überzeugt doch der positive und ermutigende Impetus. Aufgrund des kompakten gehaltvollen Formats ist dieser Band vor allem Entscheidungsträgerinnen in kommunalen Planungsprozessen besonders zu empfehlen.
Urbanität: Zukunft 88 Burmeister, Klaus; Rodenhäuser, Ben: Stadt als System. Trends und Herausforderungen für die Zukunft urbaner Räume. München: ökom-verl, 2016. 136 S., € 14,95 [D], 15,40 [A] ; ISBN 978-3-86581-1807-1
Wohnformen mit Zukunft
Wir alle wollen älter werden, alt sein will hingegen kaum jemand. Fakt ist, dass das durchschnittliche Alter der Menschen in unseren Wohl standsgesellschaften deutlich zunimmt. Bis zum Jahr 2040 wird sich der Anteil der mehr als 80Jährigen verdoppeln, so der Befund einer Publikation über „Generationen-wohnen“(S. 19). Die damit verbundenen Herausforderungen sind für Politik, Stadtentwicklung und all jene, die sich über entsprechende (und auch leistbare) Lösungen Gedanken machen, groß und essenziell. Denn sie betreffen uns alle.
Die Autorinnen dieses – es sei vorweggenommen – kenntnis- und detailreichen Bandes sind beide in Wien als Architektinnen im Bereich der Stadtentwicklung und Quartiersplanung tätig. Mit diesem Buch bieten sie einen hervorragenden Überblick über aktuelle Herausforderungen und gelungene Beispiele alternsgerechten Wohnens. Ausgehend von einem historischen Abriss über soziale Wohnformen in urbanen Zentren wird dargelegt, wie sich Wohn- und Haushaltsformen seit Mitte des 18. Jahrhunderts verändert haben, aber auch gezeigt, vor welchen Herausforderungen die Stadtplanung gegenwärtig steht: Von beinahe 40 Millionen privaten Haushalten in Deutschland sind 40 Prozent Ein-personen-haushalte; deren Anteil ist allein zwischen 1991 und 2011 um 7 Prozent gestiegen. In Metropolen wie Berlin, Hamburg oder Bremen ist jeder zweite Haushalt nur von einer Person bewohnt (S. 12).
Wie vielfältig und innovativ Projekte gemeinschaftlichen und betreuten Wohnens gestaltet werden können, verdeutlichen die hier versammelten Beispiele aus Deutschland, der Schweiz und Österreich ebenso wie Interviews mit ausgewiesenen Fachleuten zu Themen wie Barrierefreiheit, den Voraussetzungen gelingender Nachbarschaf ten oder auch zur Gestaltung alternsgerechter
„Auch in der altersgerechten Stadt sind integrierte Herangehensweisen auf allen Ebenen, lokal spezifische Lösungen ermöglichende Regula rien, die Einbindung aller relevanten Akteure, insbeson dere der Bürgerschaft, sowie Offenheit gegenüber neuen Ansätzen wichtige Voraussetzungen für den Erfolg.“
(Martin zur Nedden in , S. 24)
Strukturen von der eigenen Wohnung bis hin zum öffentlichen Raum. Als wesentlich für das Gelingen gemeinschaftlichen Wohnens wird insbeson dere die Schaffung von „Optionsräumen“angesehen, die die Autonomie der Lebensführung älterer Menschen möglichst lange gewährleisten. Weitgehende Barrierefreiheit und fußläufig erreichbare Nahversorgungseinrichtungen spielen dabei eine wesentliche Rolle (S. 38ff.).
Beispiele selbstverwalteten Wohnens und von Hausgemeinschaften für gesellschaftliche Subgruppen (wie etwa Schwule), für Menschen im Alter von 55+, aber auch der gelungenen Verbindung von Wohn- und Gewerbefunktionen werden ausführlich beschrieben und anhand von aussagekräftigen Plänen und großformatigen Fotos detailreich vermittelt. Ein weiterer Abschnitt zeigt auf, wie generationengerechte Siedlungen und Quartiere einerseits durch Umbau bestehender Einheiten oder auch durch Neubau gestaltet werden können. Vorgestellt werden aber auch Grund sätze gelingender Planung wie etwa die 1997 an der State University von New York formulierten Prinzipien des „Universal Design“(siehe Kasten).
Auf die Zusammenschau kommt es an
Zu den besonderen Vorzügen dieses Bandes ist zu zählen, dass nicht nur Voraussetzungen alternsgerechten Wohnens, sondern auch die adäquate Gestaltung von öffentlichen Räumen und Mobilitätsbedürfnissen mit reflektiert werden. So wird verdeutlicht, dass verantwortungsvolles und zukunftsorientiertes Planen und Bauen einen interdiszi- plinären Zugang erfordert, wobei vor allem auch die frühzeitige Mitwirkung der späteren Nutzerinnen entscheidend zum Erfolg beiträgt. Im Anhang des großformatigen Bandes sind die Komponenten generationengerechter Wohnkonzepte, gegliedert nach den Teilbereichen Wohnung, Gebäude, Wohnumfeld und Quartiere, öffentlicher Raum und Freiflächengestaltung sowie Mobilität und Nahversorgung übersichtlich und kompakt zusammengefasst. Ausführliche Literaturangaben, Normen, Richtlinien und Bildnachweise beschließen die Publikation. Sie ist nicht nur Fachleuten mit einschlägigen beruflichen Erfahrungen, sondern auch unmittelbar Betroffenen und Interessierten zu empfehlen.
Generationenwohnen 89 Feuerstein, Christiane; Leeb, Franziska: Generationenwohnen. Neue Konzepte für Architektur und soziale Interaktion. Eltville: Ed. Detail, 2015.
135 S., € 55,- [D], 56,65 [A] ; ISBN 978-3-95553-261-1
Vom Landfrust zur Stadtlust
Zur Mitte dieses Jahrhunderts werden zwei Drittel der dann mehr als 9 Milliarden Menschen in Städten wohnen. Die Zukunft der Erde wird also vor allem in urbanen Ballungsräumen gestaltet und entschieden. Mit den ökologischen, sozialen und kulturellen und auch wirtschaftlichen Herausforderungen und Chancen, die mit dieser Entwicklung verbunden sind, beschäftigen sich die Autorinnen des Bandes „Stadtlust“. Den Anfang macht die Berliner Städteplanerin Sally Bellow, die vor allem für Menschen mit guter Bildung, Kreativität und Kapital eine Fülle von Möglichkeiten sieht, sich im städtischen Umfeld neu zu erfinden, und gemeinsam „neue Bündnisse gegen Schrumpfung und Untergang“zu schließen. Neben dem Trend zum Selbermachen und zum (kollektiv genutzten) Kleingarten gebe es aber auch viele, die im immer lauteren und hektischeren Treiben der Metropolen unter die Räder kommen. Vor allem hier hätten Kommunen soziale Aufgaben wahrzunehmen, betont Bellow.
Das einleitende Kapitel „Umbau-kultur“eröffnen Klaus Burmeister und Ben Rodenhäuser , indem sie, beide interdisziplinär versierte Zukunftsforscher (s. o.), Herausforderungen und Lösungsansätze der Stadtentwicklung in globaler Perspektive thematisieren. Der Flächenverbrauch urbaner Regionen, so die absehbare Entwicklung, nimmt dramatisch zu; 80 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung wird schon jetzt in Stadtregionen erwirtschaftet. Um die ser Entwicklung angemessen zu begegnen, müsse vor allem der Infrastrukturausbau forciert werden. Notwendig sei zudem die Entwicklung einer „Urban
„Die in den letzten Jahren entstanden Forschungs- und Pilotprojekte betrachten eine gesundheitsförderliche Umweltgestaltung als eine Querschnittsaufgabe, die weit über den Gesundheitsbereich hinausgeht und andere Ressorts wie Stadtplanung, Verkehr und Freiraumplanung mit einbezieht.“(Feuerstein/leeb in , S. 12)
Governance“, aber auch die Schaffung „Din-freier Räume“. Mit Blick auf die demographische Entwicklung Deutschlands empfiehlt im Folgenden Petra Klug eine differenzierende Sichtweise. Mit innovativen sozialen Angeboten (rollende Supermärkte, Telemedizin) wäre, wie sie betont, der zunehmenden Alterung ein Stück begegnet. Steffen Braun wirbt leidenschaftlich für „Morgenstadt“, die „Vision der vollkommen klimaverträglichen, liebenswerten und handlungsfähigen Stadt im 21. Jahrhundert“(S. 44). Würde es beispielsweise gelingen, die Mobilitätsbedürfnisse der Bewohnerinnen einer Stadt wie München durch „Robotaxis“zu bedienen, ließe sich das Pkw-aufkommen auf etwa 15 Prozent [!, W. Sp.] des heutigen Volumens reduzieren (vgl. S. 43). Johannes Novy plädiert in seinem Beitrag über das vor allem in Berlin forcierte Konzept einer ‚Smart City‘ für „eine offene Debatte, die auch die Perspektiven und Position derer berücksichtigt, für die die digitale Verheißung der Smart City bislang eher Albtraum als Wunschtraum ist“(S. 52).
Neue Ansätze wagen
Im folgenden Abschnitt, „Haus-aufgaben“überschrieben, wirbt Harris C. M. Tiddens dafür, Stadtteile mit autonomen Budgets auszustatten, um ihnen zu ermöglichen sich an einander zu messen und verstärkt zusammenzuarbeiten (S. 54ff.). Die Verkehrsexperten Weert Canzler und Andreas Knie heben einmal mehr die Vorzüge einer nachhaltigen Verkehrskultur, die das Dogma des privaten Pkws hinter sich lässt, hervor, und Susanne Bierkermacht sich für den „semizentralen Strukturansatz“stark, durch den Wasser, Abwasser und Energie synergetisch und effizient genützt werden kann. [Ein deutsch-chinesisches Pilotprojekt für etwa 12.000 Einwohnerinnen lässt u. a. eine Wasserrecyclingquote von bis zu 100 Prozent erwarten (vgl. 69).] Auf „Außenentwicklung statt Innenverdichtung“setzt der Geoökologe Stefan Norra. Ihm geht es vor allem darum, „in Hinblick auf die Klimaerwärmung Grünflächen in entsprechender Größe, Anzahl und Verteilung“in den Städten zu etablieren, um unter anderem „Gesundheit und Wohlbefinden der städtischen Bevölkerung sicherzustellen“(S. 72). „Wir-urbanismus“, das dritte Kapitel, schließlich greift bewährte Konzepte der um sich greifenden „Stadtlust“auf: Ausgehend von der Devise „An Lebensqualität gewinnt, wer teilhat, gestaltet, mitbestimmt“, werden Konzepte – für manche sind es vielleicht urbane Lebensphilosophien – wie „Urban Gardening“, „Suffizientes Wohnen in der Stadt“(unter Berücksichtigung der ambitionierten Ziele der ‚2000-Watt-gesellschaft‘) und Alternativen zum Neubau (vgl. Nr. ) vor- und mit guten Argumenten zur Diskussion gestellt. Mit Beiträgen über Ökodörfer und Wohnprojekte sowie über bisher eher nur am Rande beachtete Facetten einer „Wirtschaftsförderung 4.0“– Tauschringe, Regionalwäh rungen und Energiegenossenschaften werden unter diesem zukunftsweisenden, innovativen „Label“be worben –, schließt der Hauptteil dieses rundum empfehlenswerten Bandes.
Im Anhang finden sich 15 „Impulse“: kurz und kompakt beschriebene innovative Projektbeispiele, die jeweils mit Links versehen, zu weitergehender Erkundung und vor allem zur Nachahmung und Weiterentwicklung einladen. Lebensqualität: urbane
„Wir brauchen Mut zur Nähe! Es gibt viele Beispiele für Zusammenleben: Wohngemeinschaften, Wohnprojekte, Mehr-generationenwohnen - und im Gegensatz zu den Achtundsechziger ist damit nicht gleicht der Anspruch verbunden, die
Welt zu retten.“(Daniel Fuhrhop in , S. 95)
90 Stadtlust. Die Quellen urbaner Lebensqualität. Politische Ökologie, September 2015 (33. Jg.). 143 S. 17,95 [D], 18,40 [A] ; ISBN 978-3-86581-755-6
Plädoyer wider die Bauwut
Daniel Fuhrhop hält nichts von vornehmer Zurückhaltung. Unmittelbar kommt er zur Sache: die Baugeschichte und mehr noch die horrenden Kosten der Elbphilharmonie oder die nicht enden wol lende Misere um den Flughafen Berlin-brandenburg sind für ihn indes kaum mehr als die Spitze des sprichwörtlichen Eisbergs. Dass allein in den letzten 20 Jahren die Zahl der Wohnungen in Deutschland von 35 auf 41 Millionen gestiegen ist, obwohl damals wie heute 80 Millionen Menschen in diesem Land leben, und dass damit zusätzlicher Wohnraum gebaut wurde, in welchem alle Niederländer gut unterzubringen wären, gibt ihm wohl noch mehr Anlass, die gängige Praxis des Bau[un]wesens schonungslos und radikal zu hinterfragen. Fuhrhop ist in seiner Vehemenz zwar Außenseiter, aber, wie sich herausstellt, aufgrund seiner Ausbildung und beruflichen Erfahrung als Verleger einschlägiger Literatur durchaus berufen, sich zum Thema zu Wort zu melden. Das tut er vehement. Den Traum vom Eigenheim hinterfragt Fuhrhop grundlegend, deutet ihn als Illusion und Mythos; er kritisiert den Flächenfraß, der durch ungezügelten Neubau wertvolle Ressourcen unwiederbringlich zerstört und zunehmend drastische Folgen mit sich bringt; er entlarvt den Ansatz des ökologischen Bau ens aufgrund einer energetisch negativen Gesamtbilanz als mehr als fragwürdig und hält den ungebrochenen Trend zum Neubau nicht nur für unsozial [neue Wohnungen können sich immer weniger Menschen, und meist nur auf der Basis langfristiger Verschuldung leisten], sondern vor allem für entbehrlich [der angebliche Bedarf nach immer Neuem werde vor allem von den Wohnbauträgern stimuliert].
„Egal ob die Preise die Wahrheit sagen: Neubau war schon immer besonders teuer, das gilt auch und ausgerechnet für den so genannten sozialen Wohnbau.“
(Daniel Fuhrhop in , S. 50)
Widerstand macht sich breit
Gegen den zunehmenden Ausverkauf der Städte, die fortschreitende Privatisierung und die Verstärkung der Wohnungsnot regt sich, wie sie der Autor anhand mehrerer deutlicher Beispiele zeigt, zunehmend Widerstand. In Berlin etwa verhinderte die Initiative “100 % Tempelhofer Feld“per Volksentscheid im Mai 2014 alle Neubauambitionen; in Bremen „forderte ein Bündnis von Bürgerinitiativen dazu auf, 99 Freiflächen auf Dauer nicht zu bebauen“(s. 59). Zunehmend, so der Autor, machen Bürgerinnen auch gegen den Einsatz der Abrissbirne mobil. Mit guten Argumenten und – zumindest auf den ersten Blick – auch überzeugenden Kalkulationen macht Daniel Fuhrhob deutlich, dass es sich aus vie lerlei Gründen lohnt und rechnet, Bausubstanzen zu erhalten und zu sanieren. Leerstände (Gewerbegebäude, Kasernen, Schulen, Verwaltungsgebäude etc.) könnten, adaptiert und umgebaut, neuen Bestimmungen zugeführt werden. Ein dieser Aufgabe eigens gewidmetes „Leerstandsmanagement“böte ein reiches Betätigungsfeld (vgl. S. 99 ff.). Veränderungen, wie der Autor anregt, können freilich nicht nur von außen kommen. Sie bedürfen der Reflexion jedes einzelnen, der Bereitschaft, den eigenen Lebensstil und tradierte Verhaltensmuster zu hinterfragen. Wir müssten lernen, uns einerseits von Unnötigem zu trennen und andererseits Bestehendes zu bewahren, es neu und anders zu nutzen.
Unter anderem fordert Fuhrhob den „Mut zur Nähe“, aber auch die Bereitschaft, „gemeinsam zu nutzen anstatt zu besitzen“. Aber auch mit ungewöhnlichen Ideen wie etwa der Neu-benennung von wenig attraktiven Wohngebieten (aus Duisburg wird Düsseldorf-nord) oder Initiativen zur Belebung der Innenstädte wirbt der Autor für sein Anliegen.
Ein im besten Sinne des Wortes radikales, mutiges Buch, dessen Anliegen breite Aufmerksamkeit und weiterführende, durchaus auch kontroverse Diskussion verdient. Bauverbot
91 Fuhrhop, Daniel: Verbietet das Bauen! Eine Streitschrift. München: oekom-verl., 2015. 189 S., € 17,95 [D], 18,40 [A] ; ISBN 978-3-881-733-4
Zukunft der Mobilität
Wie die Zukunft einer ökologischen Mobilität aussehen kann, beschreibt Stefan Rammler gemeinsam mit einem Autorinnen-team in „Schubumkehr“, ei nem weiteren Band der Reihe „Forum für Verantwortung“. Der Professor für Transportation Design & Social Sciences an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig hofft auf neue technologische Lösungen wie solargetriebene Fahrzeuge eben so wie auf soziale Innovationen in einer sogenannten „kollaborativen Mobilität“. Neben Zukunftslösungen für die Städte werden auch Ansätze für das Güter-transportwesen sowie den Tourismus („Futourismus 2043“) angedacht. Verkehrspolitik
„Auch schöne Architektur, gelungene Immobilien und die eigene Wohnung sind vor der Frage zu prüfen, ob sie in Zeiten des Klimawandels bestehen. Ein radikaler Schritt ist nötig: verbietet das Bauen!“(Daniel Fuhrhop in 90 , S. 162)
92 Rammler, Stephan: Schubumkehr. Die Zukunft der Mobilität. Frankfurt: Fischer, 2014. 336 S.,
€ 12,90 [D], 13,40 [A] ; ISBN 978-3-596-03079-8