Weckruf für Europa
Der Worst Case ist eingetreten. Ein Rechtspopulist wird der nächste Us-präsident. Jeder Unsinn, den er nicht sagte, wurde ihm im Wahlkampf bereits positiv ausgelegt. Die gute Nachricht: Gegen eine Trump-welt der Angstmacherei, der Hetztiraden, der Diskriminierung, der Anstiftung zu Gewalt regt sich inzwischen Widerstand nicht nur in vielen Usstädten sondern weltweit. Die ersten Äußerungen nach der Wahl klangen freilich etwas versöhnlicher, die amerikanische Regierung unter Trump wird aber unberechenbar werden und die Beziehungen zu Europa werden sich wohl verändern.
Zwei Wochen nach seinem Sieg ist der designierte Us-präsident zwar auf Distanz zu einigen Kernaussagen aus dem Wahlkampf gegangen. Europa wird sich aber auf härtere Zeiten einstellen müssen. Der Streit über den richtigen Umgang mit dem angehenden Us-präsidenten ist in der EU voll entbrannt. Und die Meinungen der Mitgliedstaaten gehen weit auseinander. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat jedenfalls darauf hingewiesen, dass nur unter Bedingungen der Achtung demokratischer Grundwerte wie Freiheit oder dem Respekt vor der Würde des Menschen eine künftige Zusammenarbeit möglich sei.
Europa tut gut daran, selbstbewusst eigene Wege zu gehen, sowohl beim Klimaschutz als auch beim Kampf gegen den IS und in der Nahost-politik sowie in der Sicherheitspolitik. Trumps Weltsicht zwingt die Europäer dazu, sich mehr Autonomie in wichtigen Bereichen zuzutrauen. Politik ist niemals „alternativlos”. Es muß gelingen, die Demokratie in Europa zu erneuern und die Werte Solidarität, Emanzipation und Friedenssicherung zu beleben, sagte der kroatische Philosoph Srecko Horvat in einer Montagsrunde der JBZ.
Im Wahlkampf hatte Donald Trump das nordatlantische Militärbündnis als obsolet bezeichnet. Nun sagt der designierte Präsident in einem Telefonat mit Nato-generalsekretär Jens Stoltenberg, die Nato werde auch in Zukunft wichtig sein. Man sei sich aber einig, dass die Lasten unter den Nato-mitgliedsstaaten gerechter verteilt werden müssten. Auch das Wiener Atomabkommen mit dem Iran von 2015, von Obama und den Europäern als diplomatischer Durchbruch gefeiert, wurde von Trump als „furchtbares Abkommen“bezeichnet. Die iranische Regierung kann wohl zu Recht von Europa erwarten, dass es eine eindeutige Position gegen-
über den USA vertritt und auf die Einhaltung des Abkommens pocht.
Eine Sorge in Europa, das Freihandelsabkommen TTIP, dürfte sich nach der Wahlnacht allerdings erledigt haben. Der Wunsch, den nationalen Markt gegen ausländische Konkurrenz abzuschotten, wurde vom künftigen Präsidenten mehrfach geäußert. Erinnern wir uns an Trumps Aussagen über den Klimawandel, den er als „hoax“und als eine Erfindung der Chinesen, mit dem Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit der Us-unternehmen zu schwächen, bezeichnet hat. Nun räumt Trump sogar eine mögliche menschliche Mitverantwortung an der Klimaerwärmung ein.
Wir leben in bewegten Zeiten. Nach Brexit und Trump kann es kein „weiter wie bisher“geben. Zugegeben, angesichts des Bildes, das Europa bietet, könnte man schon verzweifeln. Europa zeigt sich wieder einmal ratlos und uneinig. Was müsste aber geschehen, dass Europa erwachsen wird und seine geopolitische Rolle wahrnimmt? „Europa muss nicht ‘Weltmacht’ werden im amerikanischen Sinne“, schreibt in DIE ZEIT (17.11.2016, Nr. 48, S. 3). „Es genügt vollkommen, wenn Europa Regionalmacht wird - oder sich bewusst macht, dass es das längst ist.“Regionalmacht größer gefasst heißt aber auch, Mitverantwortung übernehmen weit über den Kontinent hinaus. Wir leben in bewegten Zeiten. Diese spiegeln sich auch in der Vielfalt an Themen in der vorliegenden Ausgabe wider. Wie immer geht es uns in erster Linie um die Darstellung von Lösungsansätzen. Im vielgelobten neuen Bericht an den Club of Rome „Ein Prozent ist genug“1) legen Jörgen Randers, Co-autor von „Die Grenzen des Wachstums“, und der gegenwärtige Generalsekretär des Vordenker-clubs Graeme Maxton Vorschläge dar, die über ein paar Kurskorrekturen weit hinausgehen. Und dennoch, so betonen beide, würden nur Anregungen gegeben, die Aussicht auf politische Mehrheiten haben. Entsprechende Aufklärung vorausgesetzt. Der Bericht trägt, so Hans Holzinger in seiner Rezension, dazu in hervorragender Weise bei, nicht nur weil wirtschaftliche Zusammenhänge verständlich dargelegt und Fachbegriffe gut erklärt werden, sondern weil Wirtschaften wieder vom Kopf auf die Füße gestellt wird.
Stefan Wally analysiert anhand neuer Publikationen die aktuelle Entwicklung des Kapitalismus und beschäftigt sich damit, wie Stimmungen unser Leben und die Politik beeinflussen. Birgit Bahtic-kunrath bespricht, wie eine multikulturelle bzw. -religiöse Gesellschaft funktionieren kann, und ob der Islam eine Gefahr für die Demokratie und der Nährboden für terroristische Aktivitäten ist. Weiters finden Sie im Heft den zweiten Teil des Schwerpunkts „Digitalisierung“sowie die Autobiografie von Helmut von Loebell, dem ersten Geschäftsführer der JBZ. Schließlich haben wir in bewährter Weise die TOP TEN 2016 der Zukunftsliteratur für Sie zusammengestellt.
Eine anregende Lektüre verbunden mit guten Wünschen zum bevorstehenden Jahreswechsel wünscht Ihnen a.auer@salzburg.at 1) Randers, Jörgen; Maxton, Graeme: Ein Prozent ist genug. Mit wenig Wachstum soziale Ungleichheit, Arbeitslosigkeit und Klimawandel bekämpfen. Der neue Bericht an den Club of Rome. München: oekom, 2016. 288 S. siehe Rezension Nr.