Wachstum neu denken
Dass die aktuellen Versuche mittels Kapitalflutung und Niedrigzinsen Wachstum zu generieren, nur begrenzt Erfolg zeitigen, sieht man nicht nur in Japan, jenem Land mit der längsten Stagnationsphase, sondern auch in Europa und in den USA. Wir steuern auf Postwachstumswirtschaften zu. Nicht aufgrund schlechten Wirtschaftens, sondern weil hoch entwickelte Volkswirtschaften nicht weiter wachsen müssen. Dies zur Kenntnis zu nehmen und die entsprechenden Veränderungen einzuleiten, sei das Gebot der Stunde, so Postwachstumsökonomen. Schon mehrmals haben wir in PZ „Postwachstumsperspektiven“thematisiert. Hans Holzinger hat sich diesmal einige internationale Publikationen dazu angesehen, angeführt vom neuen Bericht an den Club of Rome, der es in sich hat.
Ein Prozent ist genug
„Was haben die den geraucht?“, so ein hämischer Kommentar über den neuen Bericht an den Club of Rome „Ein Prozent ist genug“. Wenn sich ein Businessmagazin zu derartiger Polemik veranlasst sieht, muss was dran sein an dem Buch. Und in der Tat: Jörgen Randers, Co-autor des ersten Cub of Rome-berichts „Die Grenzen des Wachstums“, und der gegenwärtige Generalsekretär des Vordenker-kreises Graeme Maxton legen Vorschläge dar, die über ein paar Kurskorrekturen weit hinausgehen. Und dennoch, so betonen die beiden, würden nur Anregungen gegeben, die Aussicht auf politische Mehrheiten haben. Entsprechende Aufklärung vorausgesetzt. Die vorliegende Publikation trägt dazu in hervorragender Weise bei, nicht nur weil wirtschaftliche Zusammenhänge verständlich dargelegt und Fachbegriffe in eigenen Kästen gut erklärt werden, sondern weil Wirtschaften wieder vom Kopf auf die Füße gestellt wird. „Die reiche Welt wird auf eine Produktivitätsbarriere stoßen, die Produktivität allmählich stagnieren“(S. 91), so die Grundthese der Autoren. Der banale Grund: Alle Volkswirtschaften der „alten“Welt der Oecd-staaten seien mittlerweile Dienstleistungsgesellschaften. Doch Dienstleistungen lassen sich nur bedingt rationalisieren. Geringes Wirtschaftswachstum ist für die beiden aber nicht das Problem, vielmehr gäbe es andere Herausforderungen zu bewältigen. Randers und Maxton nennen insbesondere die alternde Bevölkerung, die Verteuerung von Ressourcen und den Klimawandel. Der Staat werde in Zukunft mehr Mittel brauchen (etwa für die Abdeckung der Kosten des Klimawandels), doch die private und öffentliche Verschuldung stoße an ihre Grenzen, der Konsum werde daher zurückgehen, was aber die Chance auf einen anderen Wohlstand – die Autoren sprechen von „allgemeinem Wohlergehen“(S. 150) – ermögliche.
Dreizehn Vorschläge
Dreizehn Vorschläge unterbreiten Randers und Max ton „zur Verminderung der Arbeitslosigkeit, der Ungleichheit und der Erderwärmung“, die sie im zweiten Teil des Buches ausführen. 1) Verkürzung der Jahresarbeitszeit (bezogen auf die USA Anpassung an die Urlaubsansprüche in Europa), 2) Anhebung des Renteneintrittsalters, 3) Neudefinition des Begriffs „bezahlte Arbeit“, der auch die häusliche Pflege von Angehörigen umfasst (vorgeschlagen wird hier eine einheitliche Finanzierung), 4) Erhöhung des Arbeitslosengeldes (!), um die Konsumnachfrage von Menschen in diesen „Übergangsphasen“zu erhalten, 5) Erhöhung der Steuern von Unternehmen und Reichen (vor allem im Sinne einer Automatisierungsdividende an den Staat), 6) verstärkter Einsatz grüner Konjunkturpakete (finanziert auch über „neu gedrucktes Geld“), 7) Besteuerung fossiler Brennstoffe und faire Verteilung der Erlöse an alle Bürgerinnen (d. h. aufkommensneutrale Gestaltung), 8) Verlagerung von der Einkommensbesteuerung auf die Besteuerung von Emissionen und Rohstoffverbrauch, 9) Erhöhung der Erbschaftssteuern „zur Verringerung der Ungleichheit, der Beschneidung von Philantropismus und zur Erhöhung der staatlichen Einnahmen“, 10) Förderung gewerkschaftlicher Organisationen, „um die Einkommen zu steigern und die Ausbeutung zu verringern“, 11) Beschränkung des Außenhandels „wo nötig, um Arbeitsplätze zu erhalten, das allgemeine Wohlergehen zu erhöhen und die Umwelt zu schützen“,12) Förderung kleinerer Familien durch Geburtenkontrolle, schließlich 13) „Ein führung eines existenzsichernden Grundeinkommens für diejenigen, die es am dringendsten brauchen, damit alle ohne Zukunftsangst leben können“(alle Zitate S. 150f.).
Die Vorschläge sind nicht allesamt neu, erhalten aber Gewicht durch das Renommee des Club of Rome. Und sie sind gut argumentiert. So erhöhe Freihandel den Wohlstand der Menschen, wenn ungleiche Gü-
„Der Staat wird häufig als unfähig angeprangert, der Privatsektor hingegen für seine Effizienz gelobt, obwohl immer wieder große Unternehmen schließen müssen und Menschen in die Arbeitslosigkeit entlassen, die Umwelt zerstören, sich als korrupt erweisen, gefährliche Güter produzieren oder ihre Monopolstellung missbrauchen.“(Randers/maxton in , S. 239)
ter getauscht werden (wie Adam Smith es vorschlug), nicht jedoch, wenn Staaten um gleiche Güter konkurrieren, was aufgrund von Lohndumping lediglich die Gewinne der Konzerne erhöhe, nicht jedoch die Bedingungen der Arbeitnehmerinnen verbessere. Auch aus ökologischen Gründen wird eine Dezentralisierung des Wirtschaftens favorisiert. Strittig erscheint – das räumen die Autoren selbst ein – der Vorschlag zur Geburtenkontrolle, um den ökologischen Fußabdruck zu verringern: vorgeschlagen wird eine Einmalzahlung an jede 50-jährige Frau, die nur ein Kind geboren hat (!). Die Idee dahinter: Aufwertung eines Frauenbildes, das nicht mehr an die Geburt vieler Kinder gebunden ist. Das Grundeinkommen soll schließlich an all jene ausbezahlt werden, die keiner Erwerbsarbeit nachgehen (können): den Alten, Behinderten, Kranken und Arbeitslosen. Die Höhe soll ein Drittel des Durchschnittseinkommens betragen, 10 Prozent des BIP sollten dafür aufgewendet werden. Die Absicht hinter diesem Vorschlag ist außer Streit zu stellen, dass das Recht auf ein Existenzminimum allen zusteht und dass die Früchte der bevorstehenden technologischen Revolutionen auch jenen zu Gute kommen, die nicht daran partizipieren. Randers und Maxton meinen, dass das garantierte Mindesteinkommen unausweichlich sein wird: „Die Frage ist nicht, ob es eingeführt wird, sondern wann.“(S. 231).
Resümee: Die dargelegten Anregungen gehen davon aus, dass das gegenwärtige Wirtschaften (die Autoren nennen es „marktradikales Denken“) nicht geeignet ist, die anstehenden Probleme zu lösen. Es sei Aufgabe der Staaten, wieder bedeutend mehr Initiative zu ergreifen. Die Schrumpfung des privaten Konsums bei gleichzeitigem Ausbau öffentlicher Leistungen hoher Qualität gilt dabei als Maxime, die dem Wohlergehen der Menschen dienen und zugleich die Transformation der Volkswirtschaften in die Dienstleistungsära umweltverträglich ermöglichen soll. In Summe sehr pragmatische Vorschläge, die mit Ideologien vom „schlanken Staat“oder dem „Wachstum durch Förderung der Reichen“aufräumen, dem gegenwärtigen Austeritätsdenken eine Absage erteilen und dem Wachstum eine neue Richtung geben. Die Umsetzung der Maßnahmen sei, so die Autoren, freilich nur in gut funktionierenden Demokratien möglich, „weil Unternehmensinhaber und Reiche weltweit massiv und aggressiv Widerstand leisten werden – was durchaus verständlich ist“(S. 237). Doch auch der Kampf um bessere medizinische Versorgung oder bessere Schulbildung sei von demokratischen Mehrheiten erreicht worden. Diese seien daher auch für die nun anstehende Umverteilung möglich. Neue Zukunftswege zu entwerfen und diese in die öffentlichen Debatten einzubringen, um den neoliberalen Mainstream zu brechen, ist hierfür wesentlich. Das vorliegende Buch leistet einen wichtigen Beitrag dazu. Wachstum: Umverteilung
1 Randers, Jörgen; Maxton, Graeme: Ein Prozent ist genug. Mit wenig Wachstum soziale Ungleichheit, Arbeitslosigkeit und Klimawandel bekämpfen. Der neue Bericht an den Club of Rome. München: oekom, 2016. 288 S., € 22,95 [D], 23,60 [A]
ISBN 978-3.86581-810-2
Langsames Wachstum als Ziel
Auch James K. Galbraith hinterfragt den Glauben an weitere hohe Wachstumsraten. Der renommierte Us-amerikanische Ökonom sieht in der jüngsten Finanz- und Schuldenkrise keinen Ausrutscher, son dern verortet diese systemisch in einem größeren zeitlichen Horizont. Die Wachstumsjahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg seien durch billige Rohstoffe, allem voran billigem Erdöl, befeuert worden, so die zentrale These des Ökonomen (worauf übrigens bereits dessen Vater, John Kenneth Galbraith in „Gesellschaft im Überfluss“hingewiesen hat). Die Mainstream-wirtschaftswissenschaften hätten sich daran gewöhnt, physische Begrenzungen in ih ren Wachstumsmodellen zu ignorieren, was sich nun räche. Galbraith geht davon aus, dass die derzeit nie drigen Rohstoffpreise nur ein vorübergehendes Phä nomen darstellen (ebenso wie der derzeitige Schiefergas-boom in den USA). Als weitere Ursachen für die aktuellen Wirtschaftskrisen nennt der an der University of Texas in Austin lehrende Ökonom die rasch gestiegenen Defensivkosten – er nennt allem voran die wachsenden Ausgaben für Militär, die angesichts der sich verändernden wirtschaftlichen Kräfteverhältnisse in der Welt völlig dysfunktional geworden seien, sowie den krisenanfälligen und überdimensionierten Bankensektor. Dazu komme die digitale Revolution, die Gewinne auf Kosten einer wachsenden Zahl von Arbeitslosen lukriere.
Wo sieht Galbraith Auswege?
Wirtschaftsschrumpfung hält er für gefährlich, weil dies eine Abwärtsspirale in Gang setzen würde: Unternehmen hören auf zu investieren, Arbeitsplätze gehen verloren, die Steuereinahmen sinken usw. Galbraith plädiert daher für ein langsames, aber stabiles Wachstum: „Es soll mehr als Null betragen, aber unter dem Wert liegen, der einst unter den Vorzeichen von billiger Energie und Gleichgültigkeit gegenüber dem Klimawandel möglich war.“(S. 265) Materiell und psychologisch sollten wir uns auf diesen Zustand einstellen: „Wenn die Rohstof-
„Das erste ökonomische Ziel unserer Zeit sollte nicht das Wachstum sein, sondern die Solidarität in unserem Streben nach einem guten Leben.“
(J. K. Galbraith in , S. 12)
„Wir müssen dafür sorgen, dass jeweils die ´richtigen´ Bevölkerungsgruppen arbeiten – und nicht arbeiten – und dass alle Haushalte über die Mittel verfügen, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen.“
(J. K. Galbraith in , S. 272)
„Die Idee hinter Plenitude ist, uns von einer Kombination aus Anreizen und Zwängen, die kaum noch Wohlbefinden erzeugen Wachstum, Arbeiten und Konsumieren, die Umwelt ausbeuten -, zu emanzipieren, mit dem Ziel, einen anderen, bewussteren, entschleunigten Lebensstil zu erreichen.“(Juliet B. Schor in 3 , S. 207)
fe teurer werden, können wir uns nicht mehr alles leisten.“(ebd.) Der Ökonom plädiert insbesondere für eine andere Wirtschaftspolitik: Kosten für Militär und einen überdimensionierten Finanzsektor sollten zurückgefahren, die Lebensbedingungen der Menschen durch „robuste Sozialsysteme“, Mindestlöhne und leistbares Wohnen gesichert werden. Erwerbsarbeit weniger zu besteuern (Galbraith plä diert stattdessen wie Randers und Maxton für die Erhöhung der Erbschafts- und Schenkungssteuern) und die schrumpfende Erwerbsarbeit besser zu verteilen, soll Arbeitslosigkeit abbauen und den Arbeitsmarkt effizienter machen. Neben Arbeitszeitverkürzungen gehe es auch darum, dass die „richtigen Menschen“arbeiten (Galbraith fordert anders als die Club of Rome-autoren u. a., dass es Älteren ermöglicht werden sollte, früher in Rente zu gehen, um Jungen Arbeitsplätze zu überlassen!). Resümee: Ein spannendes Buch mit verständlichen Darlegungen der wirtschaftlichen Entwicklung seit den 1950er-jahren und sehr pragmatischen Lösungsvorschlägen, die soziale und ökologische Belange in den Mittelpunkt stellen. Auch hier wird spannend sein, ob der neue Us-präsident Trump, der im Wahlkampf ja Vollbeschäftigung versprochen hat, Anleihen nehmen wird.
Wachstumskritik 2 Galbraith, James K.: Wachstum neu denken. Was die Wirtschaft aus den Krisen lernen muss.
Zürich: Rotpunktverl., 2016. 304 S., € 32,- [D], 33,10 [A] ISBN 978-3-85869-691-5
Aus der Fülle leben
Juliet B. Schor zählt zu den bekanntesten Soziologinnen der USA. Früh hat sie auf die Schere zwischen Konsumwachstum und Lebensqualität in ihrem Land hingewiesen. Nun ist ihr Bestseller „Plenitude“, was auf „Fülle“verweist, unter dem etwas unglücklichen, da fundamentalistisch anmutenden Titel „Wahrer Wohlstand“auf Deutsch erschienen. „Mich haben an den Arbeiten Juliet Schors immer die Genauigkeit der Analyse bei gleichzeitiger politischer Klarheit beeindruckt und ihr Beharren darauf, dass das alles nicht so weitergehen muss, sondern verändert werden kann“, so Harald Welzer im Vorwort zur deutschen Übersetzung (S. 9). Schor favorisiere weder den „starken Staat“noch die „Ökodiktatur“, sondern setze auf die „Intelligenz der Praxis”: „Man muss die einzelnen Dinge einfach anders machen, damit alles anders wird“, so Welzer weiter (ebd.).
Schor legt zunächst die ökologischen Folgen des Konsumwachstums dar. Der sogenannten „Kuznet-kurve“, der gemäß sich der Umweltzustand hochentwickelter Ökonomien aufgrund moderner Technologien wieder verbessere, setzt sie die „Transformationskurve“entgegen. Diese besagt, dass mehr Natur immer weniger Produktion bedeute und umgekehrt. „Erfüllt leben auf einem angezählten Planeten“(S. 123) erfordere daher eine Konsumrücknahme. Einen wesentlichen Motor hierfür sieht Schor – dies noch vehementer als Galbraith – in der Verkürzung der Arbeitszeit. Dies sei aufgrund weiterer Rationalisierungen volkswirtschaftlich notwendig, würde die Lebensqualität der unter Zeitstress lebenden Menschen verbessern und würde der Umwelt helfen: „Eine Reduzierung der Arbeitszeit ist nicht nur gute Arbeitsmarktund Sozialpolitik, sondern auch gute Umweltpolitik.“(S. 20)
„Zurückerobern der Zeit“
Das „Zurückerobern der Zeit“ist für Schor der zen trale Angelpunkt von Nachhaltigkeitsstrategien. Möglich würden auf diesem Wege neue Formen der Eigenarbeit und Gemeinwohlwirtschaft, für die Schor zahlreiche Beispiele vornehmlich aus den USA anführt. In der Finanzierung des Wandels setzt die Soziologin vor allem auf Umweltsteuern: „Wenn Luftverschmutzer konsequent für ihre Emissionen bezahlen müssten und die Bürger in den Genuss die ser Erträge kämen, entspräche das der Schaffung eines neuen ökologischen Vermögenswertes, nämlich dem Anspruch an die Atmosphäre.“(S. 188) In vestitionen in die Nachhaltigkeitswende, die etwa von der „Slow money“-bewegung forciert werden, würden mehr wirtschaftliche Impulse geben als das Verharren in den alten Strukturen (Schor zitiert eine Us-studie, der gemäß Investitionen in Erneuerbare Energien zu über dreimal mehr Beschäftigung führen als in den kapitalintensiven Sektor der fossilen Energieträger. S. 205).
Mit „Plenitude-ökonomie“beschreibt die Autorin all jene Ansätze eines anderen Wirtschaftens, die an vielen Orten als Antwort auf die steigenden Krisen zu sprießen beginnen. Immer mehr Menschen würden die Botschaft dieser Krisen verstehen: „Sie reagieren darauf, indem sie pflanzen, anbauen, spa ren, teilen, recyceln, fertigen und sich um ihre Mit menschen kümmern.“(S. 214). Eine Hoffnung, auf die die Alternativbewegung der 1970er-jahre bereits einmal gesetzt hat, wie etwa Robert Jungk in seinem soeben neu aufgelegten Buch „Der Jahrtausendmensch“eindrucksvoll beschrieben hatte. Die Strahlkraft damals blieb freilich begrenzt. Vielleicht ist die Zeit nun reifer für die Transformation?
Wachstumskritik Schor, Juliet B.: Wahrer Wohlstand. Mit weniger Arbeit besser leben. München: oekom, 2016. 266 S., € 19,95 [D], 20,60 [A]
ISBN 978-3-86581-777-8
Transformationspfade
Wie kommt es zum Wandel? Der Sozialwissenschaftler Carsten Kaven hat vier zentrale Autoren und deren Pfade zur Nachhaltigkeit analysiert: Martin Jänickes Weg der „Ökologischen Modernisierung“, Jeremy Rifkins „Dritte Industrielle Revolution“, Elmar Altvaters Übergang zu einem „Ökosozialismus“sowie Chandran Nairs Perspektive einer staatlich gelenkten Ressourcenökonomie jenseits des Konsumkapitalismus. Alle vier Autoren sehen die Weltwirtschaft bzw. das westlich-kapitalistische Wirtschaftsmodell an einem Scheideweg, wobei als zentrale Faktoren auch hier der Klimawandel und die Ressourcenverknappung ausgemacht werden. Für Jänicke ist das herkömmliche Wachstumsmodell an ein Ende gekommen; grüne Technologien würden das Wirtschaften verändern, aber auch das Wachstum abbremsen. Altvater sieht das Wachstumsparadigma im Kapitalismus eingeschrieben; er prognostiziert daher eine sich weiter zuspitzende Transformationskrise, die zu sozialen Revolten führen werde und neue Modelle mit stärkerer Marktplanung nötig mache. Nair hat insbesondere Asien im Blick und geht davon aus, dass die Ressourcen für eine Kopie des westlichen Wachstumsmodells nicht reichen werden und nur eine kleine Konsumentenschicht davon profitieren würde. Rifkin scheint am optimistischsten zu sein: Auch er sieht den Wendepunkt in den sich verknappenden Ressourcen, insbesondere des Erdöls, einer „elitären Energie“, die den mächtigsten Volkswirtschaften am längsten zur Verfügung stehen werde, wenn auch zu bedeutend höheren Kosten. Länder nachholender Entwicklung, aber auch die Volkswirtschaften der reichen Länder seien gut beraten, den Übergang ins postfossile Zeitalter in den nächsten 50 Jahren zu schaffen. Er hofft auf Digitalisierung und Dezentralisierung in einer stärker „kollaborativen Ökonomie“.
Transformation der vielen Schritte
Kaven gibt eine gute Zusammenfassung aller Positionen und deren Stärken und Schwächen. Seine These: Sowie das Bild eines Scheidewegs bzw. – im Sinne der Chaosforschung – einer Bifurkation in die Irre führe (da Übergänge fließend sein können), gäbe es nicht den einen Kapitalismus. Wenn der finanzgetriebene Rentenkapitalismus von heute überwunden werden kann, böten sich – so der Autor – durchaus Chancen auf dessen Wandel. Und wenn Rifkins neues Energieregime in Verbindung mit neuen Technologien tatsächlich Fuß fassen würde (ähnlich der ökologischen Modernisierung von Jänicke), würden soziale Verwerfungen (wie sie Altvater prognostiziert) ausbleiben, neue Bewegungen ins System integriert werden. In den Bick zu nehmen seien vorhandene materielle Infrastrukturen wie Straßennetze, Pipelines, Energiemultis, aber auch immaterielle Infrastrukturen wie Einstellungen, Denkweisen und Kulturmuster, die dem Wandel entgegenstehen können, so Kaven. Und doch sei beides veränderbar. Wie überhaupt aus allen beschriebenen Ansätzen wertvolle Elemente zur Transformation zu gewinnen seien. Der Autor plädiert zusammenfassend für den jeweiligen Kontexten angepasste Strategien, die, gespeist aus dem ökologischen Imperativ, die Perspektive des „guten Lebens“als Realutopie in den Mittelpunkt stellen. Marktlösungen würden dann verbunden mit stärkeren staatlichen Eingriffen, Elemente der Selbstorganisation mit neuen kulturellen Leitbildern vom „guten Leben“, dezentralisierte Versorgungsstrukturen mit globaler Vernetzung. Kaven geht pragmatisch an die Frage des ökologischen Wandels heran und er benennt auch, dass dieser Verlierer haben werde – große Energiekonzerne, Automobilhersteller, die den Umstieg auf neue Antriebe verpassen, oder die industrielle Landwirtschaft. Doch Veränderung sei immer mit Widerstand und einem zähen Ringen ver bunden gewesen: „Innerhalb kapitalistischer Verhältnisse sind alle Schritte der Emanzipation dem mühsamen Ringen sozialer Bewegungen zu verdanken. Warum sollte es heute anders sein, wo mäch tige Interessen großer Unternehmen betroffen sind?“(S. 193) Kapitalismus: Transformation
„Vor diesem Hintergrund (von “Fenstern der Machbarkeit”) scheint es das vernünftigste zu sein, auf Breite und Vielfalt der lokalen Projekte und Ansätze zu setzen, um für die Unwägbarkeiten auf einem alternativen Pfad gewappnet zu sein.“(Carsten Kaven in , S. 186)
4 Kaven, Carsten: Transformation des Kapitalismus oder grüne Marktwirtschaft? Pfade zur Nachhaltigkeit bei Altvater, Jänicke, Nair und Rifkin. München: oekom, 2015. 207 S. € 22,95 [D], 23,60 [A] ISBN 978-3-86581-750-1
Handbuch für eine neue Ära
Mehrmals berichteten wir in PZ bereits über die an Bedeutung gewinnende Postwachstumsbewegung. Nun ist ein Handbuch für „Degrowth“erschienen, das insgesamt 53 Themen in knappen Essays abhandelt. Erörtert werden Grundbegriffe der Umweltökonomie wie „Entropie“, „Gesellschaftlicher Metabolismus“, „Jevons´ Paradoxon“, „Steady-state-ökonomie“oder „Peak Oil“und „Rohstofffronten“ebenso wie philosophisch-kulturelle Aspekte, etwa „Autonomie“, „Antiutilitarismus“, „Kommerzialisierung”, „Konvivialität“oder „Glück“. Neue praktische Ansätze wie „Minimalismus“, „Alternativwährungen“, „Commons“, „Kooperativen“, „Ökogemeinschaften“oder „Urban Gardening“kommen ebenso zur Sprache wie neue politische Vorschläge, etwa “Grund- und Höchsteinkommen“, „Bürgergeld“(meint ausschließlich vom Staat geschöpftes Geld)
oder „Beschäftigungsgarantie“(Forderung nach einem vom Staat finanzierten öffentlichen Arbeitssektor, der ausschließlich Gemeinwohlaufgaben wahrnimmt; gedacht als Alternative zum bedingungslosen Grundeinkommen). Unter den Autorinnen sind zahlreiche bekannte Vertreterinnen der internationalen Postwachstumsbewegung wie der kanadische Ökonom Peter A. Viktor („Wachstum“), sein britischer Kollege Tim Jackson („Wirtschaftsordnung, neue“), die oben vorgestellte Soziologin Juliet B. Schor („Arbeitsumverteilung“), der französische Ökonom Serge Latouche („Dekolonialisierung des Vorstellungsraums“, „Pädagogik der Angst“) oder die Philosophin Barbara Muraca
(„Utopie“).
Wissenschaftlich fundiert und ansprechend geschrieben, stellen die Autorinnen Aspekte eines neuen Wirtschaftens und Lebens in den Kontext der Postwachstumsbewegung. Darunter finden sich auch hierzulande vielleicht weniger bekannte Ansätze wie „Nowtopia“, womit der kalifornische Open Source-spezialist Chris Carlson die Bewegung von Menschen und Gruppen bezeichnet, die jenseits der Marktbeziehungen neue Produktionsweisen entwickeln, oder die auf George Bataille
zurückgehende Diskussion über „Dépense“(Aufwendung), die der Frage nachgeht, was eine Gesellschaft mit der nicht zur Befriedigung der physischen Bedürfnisse verwendeten Energie (im Sinne von Handlungsenergie) macht. Die Internationalität unterstreicht nicht zuletzt das Kapitel „Bündnisse“, in dem u. a. die lateinamerikanische Bewegung des Buen Vivir, die indische „Economy of Permanence“sowie die afrikanische Ubuntu-philosophie mit auf Gemeinschaft ausgerichteten Wirtschaftsweisen vorgestellt werden.
Die Beiträge durchzieht ein starker Veränderungsoptimismus ganz im Sinne eines „Handbuchs für eine neue Ära“. Die Frage nach Überwindung oder Transformation des Kapitalismus wird dabei unterschiedlich gesehen, wie ein einschlägiger Beitrag darlegt. Verbindend wirkt das Ziel, ein anderes Denken und neue Praxen des Handelns einzubringen. Dass „Degrowth“dabei zuvorderst eine soziale Bewegung einer Minderheit ist, empfindet Niko Paech
im Vorwort zur deutschen Ausgabe nicht als Makel, sondern als Prädikat: „Eine subversive Unterwanderung des Wachstumsdogmas beginnt damit, sich selbst zugleich als Träger eines reduktiven Übungsprogramms und als lebendes Kommunika tionsinstrument zu entdecken.“(S. 12)
Degrowth-bewegung Degrowth. Handbuch für eine neue Ära. Hrsg. v. Giacomo D´alisa u. a. München: oekom, 2016. 297 S., € 25,- [D], 25,70 [A] ; ISBN 978-3-86581-767-9
Rolle des Wirtschaftsjournalismus
Ferdinand Knauß , Redakteur bei der Wirtschaftswoche, hat sich die Rolle des Wirtschaftsjournalismus im Kontext des „Wachstumsparadigmas“angesehen und einschlägige Beiträge aus FAZ, Die Zeit und Der Spiegel analysiert. Er geht dabei zurück bis zum Beginn des Wirtschaftswunders in den 1950er-jahren, ortet den ideologischen Knick in den 1960er-jahren, als Ludwig Erhards Politik der Mäßigung durch das „Wachstums- und Stabilitätsgesetz“des neuen Wirt schaftsminister und „Medienliebling“Karl Schiller abgelöst worden sei. Dieser habe den Glauben an unbegrenztes Wachstum grundgelegt, den auch die in den 1970er-jahren aufkommenden ökologischen Bedenken („Die Grenzen des Wachstums“) nicht wirklich erschüttern konnten, so die Analysen von Knauß. Der Autor beleuchtet drei „Erzählungen“des Wachstumsdogmas: das „Wachstum der Grenzen durch Innovation“, den „Standort Deutschland als Ersatzvaterland“sowie die „Einwanderer als Wachstumsretter“. Die Schlussfolgerungen von Knauß sind bedenkenswert. Das Wachstumsparadigma sei zunächst eine erfolgreiche Antwort auf die Krisen und Kriege der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gewesen: „Der Welt wäre viel Leid erspart geblieben, wenn schon in den 1920er-jahren stattgefunden hätte, was dann nach 1945 gelang: Wohlstand für alle.“(S. 166) Was zunächst sinnvoll und erfolgreich war, hätte jedoch ab den späten 1960er-jahren seine Wirksamkeit verloren. Wachstum sei zum ideologischen Fetisch geworden – mit dem Preis immer höherer Staatsverschuldung. Knauß analysiert das unkritische Nahverhältnis zwischen Wirt schaftsforschungsinstituten, politischen Parteien (die bis herauf in die aktuelle Zeit durchgehend für Wirt schaftswachstum eintreten) und dem Wirtschaftsjournalismus. Die Mathematisierung der Wirtschaftswissenschaften sowie die Verabsolutierung des Bruttonationalprodukts als „scheinbar überparteiliches Kri terium“(S. 167) hätten dabei großen Einfluss gehabt. Statt kritisches Korrektiv zu sein, wurden die Medien zumindest im Bereich Wirtschaftsberichterstattung zum “Resonanzraum der vorherrschenden Ansichten“(S. 173), so der Autor. Selbst heute sei kein Umdenken in Sicht. Knauß warnt, dass diese Starrheit den Vertrauensverlust in die Medien weiter verstärken werde. Im Zeitalter des Internet komme den Medien noch stärker als früher die Aufgabe zu, Hintergrundberichte zu liefern und Orientierung zu geben. Der Journalist plädiert daher dafür, kritische Sichtweisen, die bislang dem Feuilleton vorbehalten seien, auch auf die Wirtschaftsseiten zu bringen. Denn: „Wirtschaft ist ein viel zu wichtiges Feld, um es allein den zählenden und rechnenden Ökonomen zu überlassen.“(S176).
Wachstumskritik
„Degrowth bedeutet zuallererst Wachstumskritik. Degrowth-anhänger fordern die Dekolonialisierung der öffentlichen Debatte von der Sprache des Ökonomismus und die Abschaffung des Wirtschaftswachstums als gesellschaftliches Ziel.“(Giorgis Kallis u. a. in 5 , S. 20)
„Das Ende des Zeitalters des Wachstums erfordert einen Wirtschaftsjournalismus, der sich vom ökonomischen Expertentum der Vergangenheit emanzipiert.“(Ferdinand Knauß, in , S. 175)
6 Knauß, Ferdinand: Wachstum über Alles? Wie der Journalismus zum Sprachrohr der Ökonomen wurde. München: oekom, 2016. 192 S., € 24,95 [D],
25,70 [A] ; ISBN 978-3-86581-822-5
Neue Gesellschaftsverträge
Der „Degrowth-bewegung“nahe steht ein schmaler Band „Eine Idee von Glück“, der Gespräche zwischen dem Begründer der Slow-food-bewegung, Carlo Petrini, und dem chilenischen Autor und Aktivisten Luis Sepulvéda wiedergibt. Das mit Essays der Autoren angereicherte Buch gibt Einblick in das Denken und Wirken zweier Mitbegründer einer Bewegung gegen Kommerzialisierung und Konsumismus (beide Autoren sind Jahrgang 1949). Die Ausführungen setzen auf neue Nischen-ansätze in den Zentren des Kapitalismus ebenso wie auf Impulse aus Lateinamerika durch die Indio-bewegung. Als Vorbild wird etwa Pepe Mujica, bis 2015 Präsident von Uruguay, genannt. Petrini wie Sepulvéda sehen in der permanenten Beschleunigung (gesprochen wird von „Gerenne“) eine wesentliche Ursache für das sinkende Wohlbefinden vieler Menschen.
„Das Beste was wir tun können, ist nichts“, damit bringt Björn Kern das Grundprinzip der Anhänger des Minimalismus auf den Punkt. „Ich brauche nicht fortzugehen, um aufzubrechen, ich muss nichts tun, nur das Richtige unterlassen“, so der Autor pointiert gleich zu Beginn (S. 5), um ein paar Seiten weiter zu verraten, dass dies gar nicht so leicht, da gesellschaftlich keineswegs akzeptiert sei: „Wer nichts tut, befindet sich in der Verteidigungshaltung. Wer seine Gesundheit nicht ruiniert und keine Dinge erwirbt, die seine Lebensgrundlage zerstören, und dann auch noch gut gelaunt ist, weckt Unmut.“(S. 7) Eine humorvolle wie geistreiche Abhandlung über die Fallen der Konsum- und Arbeitsgesellschaft. Der in Berlinundbrandenburglebendeschriftsteller(bisherdrei Romane) provoziert, spart nicht mit (Selbst-)ironie und möchte damit zur Veränderung beitragen.
Dass Nachhaltigkeit insbesondere neuer politischer Rahmensetzungen bedürfe, betont schließlich der Experte für Wirtschaftsrecht Joachim D. Weber in „Wie wollen wir leben?“Weber macht zahlreiche Vorschläge, insbesondere plädiert er für einen neuen „Gesellschaftsvertrag der Nachhaltigkeit“, der ins deutsche Grundgesetz übernommen werden sollte und die Begriffe „Freiheit“und „Gerechtigkeit“den neuen Gegebenheiten anpasst. Dass „Marktwirtschaften“sehr unterschiedlich ausgeprägt sein können – und in historischer Perspektive auch waren, was etwa am sich wandelnden Eigentumsbegriff abzulesen ist -, zeigt der Sammelband „Markt! Welcher Markt!“, der auf hohem theoretischen Niveau die wissenschaftlichen Diskurse zum Thema erörtert. Hingewiesen sei hier zuletzt auf den Band mit dem zugegeben etwas pathetisch anmutenden Titel „Mutter Erde ruft um Hilfe“ von Ernst Scheiber und Kurt Ceipek, mit Interviews, geführt von den Herausgebern mit den ausgewiesenen Energie- und Klimaexperten Heinz G. Kopetz (Österreichischer Biomasseverband) und Klaudia Kemfert (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung).
Degrowth-bewegung 8 Petrini, Carlo; Sepulvéda, Luis: Eine Idee von Glück. München: oekom, 2015. 167 S., € 16,95 [D], 17,50 [A] ISBN 978-3-86581-735-8
9 Kern, Bjorn: Das Beste was wir tun können, ist nichts. Frankfurt: Fischer, 2016. 247 S., € 9,99 [D], 10,30 [A] ; ISBN 978-3-596-03531-1
Weber, Joachim D.: Wie wollen wir leben? Analysen, Konsequenzen und Vorschläge für nachhaltiges Handeln ... Berlin: Berliner Wissenschaftsverl., 2016. 83 S., 16,90 [D], 17,50 [A] ; ISBN 978-3-8305-3610-9
Markt! Welcher Markt? Der interdisziplinäre Diskurs um Märkte und Marktwirtschaft. Hrsg. v.
W. Ötsch u. a. Marburg: Metropolis, 2015. 419 S.,
€ 34,80 [D], 36,- [A] ; ISBN 978-3-7316-1161-5
Mutter Erde ruft um Hilfe. Klima: Alarmstufe rot. Hrsg. v. Ernst Scheiber u. Kurt Ceipek. Wien: Verl. DTW, 2015. 160 S., € 18,- ; ISBN 978-3-200-04082-3