Gar nicht romantisch
Stimmungen entscheiden darüber, was wahrgenommen wird und was nicht. Sie beeinflussen unser Leben und die Politik. Heinz Bude und Christian Saehrendt haben sich darüber Gedanken gemacht. Stefan Wally berichtet.
Gefühlige Zeiten
Eine neue Welle der Romantik rollt über uns hinweg.christian Saehrendtdurchstreift in seinem Buch „Gefühlige Zeiten“die Welt der neuen Sehnsüchte und Naturbezüge, die seiner Meinung nach immer präsenter werden. Paradoxe Fluchtbewegungen und Versteckenspiele nennt er die Phänomene.
Der Streifzug ist lehrreich und erheiternd. Saehrendt lenkt unseren Blick auf Veränderungen, die langsam rund um uns stattfinden, oft aber übersehen werden. Hochzeiten werden aufwändiger, dem Erlebnis des romantischen Tages werden schon mal die Liebeszweifel geopfert. In Umfragen wird ein „romantischer Partner“gesucht, das Instrument dafür ist dann das Abgleichen von Eigenschaftslisten. „Der Triumph der Romantik und ihr Aufgehen in einer Produkt- und Dienstleistungspalette sind ein- und dasselbe.“(S. 21) Umso mehr rationale Ökonomie unsere Leben begleitet, desto mehr suchen wir Romantik. Wir finden sie, indem wir sie kaufen.
Die Revue der neuen Romantik geht weiter: Auch im Tourismus wird viel gezahlt, um märchenhafte Schönheit zu sehen mit Wäldern und Wiesen, Burgen, Schlössern und Fachwerkstädtchen. (S. 36) Auch im Fußball schimpfen Anhänger von Borussia Dortmund (Umsatz: ca. 270 Millionen Euro pro Jahr) die TSG Hoffenheim wegen deren Abhängigkeit von der Softwarefirma SAP, sie würden den wahren Fußball bedrohen.
In der Politik werden abstruse Verschwörungstheorien immer populärer. Im Wirtschaftsleben lässt sich plötzlich die Niederlage als besondere Form der „Glaubwürdigkeit“verkaufen. Man vergleiche dazu die Entwicklung des MSV Duisburg in den vergangenen Jahren, der mit jedem Abstieg mehr Saisonkarten verkauft. Auch die Suche nach dem wahren eigenen Ich, dem eigentlichen „Wesen“wird populärer (und zum kaufbaren Erlebnis), während die Wis senschaft immer mehr Zweifel an der Abgrenzbarkeit des Ich und der Existenz eines solchen Wesenskerns nahelegt. (S. 184f)
Saehrendt wirkt am Ende seiner Reise durch die neue Romantik entnervt. „Vielleicht liegt der Fehler darin, diese Welt immer noch romantisieren zu wollen. Reichen nicht zweihundertfünfzig Jahre dieses Wahnsinns? Der Zwang zur Verzauberung der Welt, der ewige Wunsch nach Verschmelzung mit allem und jedem, die ständige Abwertung dessen, was man hat, und des sen, was ist, zugunsten dessen, was man ‘eigentlich’ sein und haben möchte und verdient hätte?“(S. 247)
Kultur
Saehrendt, Christian: Gefühlige Zeiten. Köln: Dumont, 2015. 249 S., € 19,99 [D], 20,60 [A] ISBN 978-3-8321-9790-2
Macht der Stimmungen
In dem aktuell erschienenen Buch von Christian Saehrent über die neue Romantik in Deutschland, versucht der Autor eine Stimmung zu begreifen und zu beschreiben, die er für sehr mächtig hält. Was solche Stimmungen eigentlich sind, verspricht der Soziologie Heinz Bude zu erklären.
In seinem Buch „Das Gefühl der Welt. Über die Macht von Stimmungen“liefert er Ansätze, was Stimmungen einer Gesellschaft sind. Sie bündeln, was gedacht und gesagt wird, betonen bestimmte Erfahrungen und verdrängen andere. Bude rät zu hoher Sensibilität für neue Stimmungen und empfiehlt die Kunst als Hinweisgeber: „Wo jedoch sind Anzeichen für das Aufkommen einer neuen Stimmung zu finden? Einen Fingerzeig kann man der Debatte in der bildenden Kunst entnehmen.“(S. 27). Grundsätzlich sieht Bude zwei konkurrierende aber verwandte Stimmungen in der Gegenwart, denen er eine dritte entgegensetzen will. Bude spricht von der „universellen Stimmung der Selbstmotivierung, Selbstüberprüfung und Selbstverwirklichung“. (S. 122) Diese nehme zwei Formen an. Die eine sei die Welt der Optimierung des Ich, des Silicon Valley, der technologischen Beschleunigung, sich selbst immer neu zu motivieren, das Beste aus sich selbst zu machen. Die andere Stimmung sei die des Rückzugs auf einen außerweltlichen Ort. Ziel sei die Findung des „inneren Kerns“, des eigenen Wesens, des eigenen Seelenfriedens. Hier vollende sich der Egozentrismus eben mystisch. Sie entspricht vielleicht der neuen Romantik, die Saehrendt wahrnimmt.
Die Stimmung, für die Bude wirbt, ist anders, sie wird von den „Zukünftigen“getragen: „Diese Zukünftigen sollen eine Zeit der Überdrehtheit und der Unberührtheit hinter sich lassen. Man ist auf eine grundsätzliche Weise konservativ, weil man in einer auseinanderfliegenden Welt, in der alle nur sich und die Ihren in Sicherheit bringen wollen, keinen Sinn sieht. Denn eine solche Welt hat es aufgegeben, Zukünfte zu produzieren, die Lebbarkeiten für mehr als nur die eigenen Leute versprechen.“(S. 127) Alltagskultur
31 Bude, Heinz: Das Gefühl der Welt. Über die Macht der Stimmungen. München: Hanser, 2016. 141 S., € 18,90 [D], 19,50 [A]
ISBN 978-3-446-25065-9