Freiheit für das Andere
Byung-chul Han verteidigt das Andere und dessen Platz. Stefan Wally hat sich Neuerscheinungen angesehen, in denen die Freiheit des Anderen, des Redens, des Diskurses thematisiert werden.
Die Austreibung des Anderen
„Die Zeit, in der es den Anderen gab, ist vorbei.“Dieser Satz steht am Beginn des Buches des heute in Berlin lehrenden Philosophen Byung-chul Han. Hans Tenor ist, dass die Durchsetzung des Gleichen einem Terror gleicht. „Charakteristisch für die heutige Gesellschaft ist die Beseitigung jeder Negativität. Alles wird geglättet. Auch die Kommunikation wird geglättet zum Austausch von Gefälligkeiten.“(S. 34)
Die Gewalt des Globalen fege alle Singularitäten hinweg, die sich dem allgemeinen Tausch nicht unterwerfen. Der Neoliberalismus erzeuge eine massive Ungerechtigkeit auf der globalen Ebene. Ausbeutung und Ausschließung seien konstitutiv für ihn. Gleichzeitig produziere er den Reflex in Form des nationalromantischen Lobes der Grenze und des islamischen Terrorismus.
Diesen Reflexen tritt Han entgegen: „Angesichts der Gewalt des Globalen gilt es, das Universelle vor der Vereinnahmung durch das Globale zu schützen.“Ein Kernsatz: „Notwendig ist daher die Erfindung einer universellen Ordnung, die sich auch für das Singuläre öffnet“. ( S. 25) Ein wichtiges Beispiel ist für Han die Gastfreundschaft: Sie „ist der höchste Ausdruck der universellen Vernunft, die zu sich selbst gekommen ist. Die Vernunft übt keine homogenisierende Macht aus: Mit ihrer Freundlichkeit ist sie imstande, den Anderen in seiner Andersheit anzuerkennen und willkom men zu heißen. Freundlichkeit bedeutet Freiheit.“(S. 28)
„Der Terror des Gleichen erfasst heute alle Lebensbereiche. Man fährt überall hin, ohne eine Er fahrung zu machen. Man nimmt Kenntnis von allem, ohne zu einer Erkenntnis zu gelangen. Man häuft Informationen und Daten an, ohne Wissen zu erlangen. Man giert nach Erlebnissen und Erregungen, in denen man aber sich immer gleich bleibt. Man akkumuliert Friends und Follower, oh ne je einem Anderen zu begegnen.“(S. 9) Kraft voll und facettenreich bringt Han Beispiel um Beispiel vor, skizziert, wie „in der Hölle des Gleichen“kein Begehren des Anderen mehr möglich wird. Han spricht über Selfies, Selbstentbößung im Netz, den Verlust der Fähigkeit, dem Anderen zuzuhören, die Notwendigkeit des Anderen für die Liebe.
Diese Abwehr des Gleichen ist für Han in keiner Weise ein Aufruf, eine „eigene Authentizität“zu suchen. „Der Authentizitätszwang zwingt das Ich dazu, sich selbst zu produzieren.“Heute wolle jeder anders sein als der Andere. Aber in diesem An-
ders-sein-wollen setze sich das Gleiche fort. Hier habe man es mit einer Konformität höherer Potenz zu tun (S. 29f.). Dem setzt Han Konflikte entgegen. Diese seien nicht destruktiv. „Sie haben eine konstruktive Seite. Erst aus Konflikten entstehen stabile Beziehungen und Identitäten.“(S. 35) Hans Text zeichnet sich durch höchste Sensibilität gegenüber gesellschaftlichen Entwicklungen aus. Es muss sein Sensorium sein, das ihn zu einem der meist diskutierten Philosophen der Gegenwart macht. Dabei sagt er oft Nein zu dem, womit er konfrontiert wird. Ein Nein, das nicht immer leicht zu ertragen ist. Moderne: Kritik
32 Han, Byung-chul: Die Austreibung des Anderen. Gesellschaft, Wahrnehmung und Kommunikation heute. Frankfurt/m.: S. Fischer . 110 S., € 20,- [D], 20,60 [A] ; ISBN 978-3-10-397212-2
Ideen entwickeln und aneignen
Die Geschichte unserer Ideen ist nicht nur eine Geschichte der genialen Köpfe. Samuel Salzborn geht das Thema anders an. Er setzt die Geschichte der Ideen in den Kontext der geschichtlichen Entwicklung. Was dabei herauskommt, ist das Buch „Kampf der Ideen.“Eine zentrale These ist, dass wir nicht nur einen Kampf der Ideen untereinander erleben und erlebten. Vielmehr geht es immer mindestens genauso relevant darum, wer sich Ideen aneignet. Es geht auch um den Kampf um Ideen.
Salzborn greift den Begriff des Arsenals der Ideen auf. Ideen über das Zusammenleben, die Zukunft entstehen und können nicht eingezäunt, uneingeschränkt in Besitz genommen werden. Vielmehr sind wir immer wieder damit konfrontiert, dass unterschiedliche Interessen auf sie zugreifen, versuchen, sich Ideen anzueignen. Dabei setzen sie die Ideen in verschiedene Zusammenhänge, die auch die Bedeutung der Idee beeinflussen. „Denn die Idee … gibt es im Arsenal der Ideen nicht, weil die Pluralität von Interpretationen und Rezeptionen einen Konsens strukturell unmöglich macht. Sie ist vielmehr eine Konstruktion, selbst umkämpft und umstritten, die aus dem Blickwinkel der Gegenwart verstanden, dabei akzentuiert und somit nutzbar gemacht wird.“(S. 17) In bestimmten Epochen und in bestimmten Bewegungen gerinnt eine Idee zur Leitidee, mit der gegen konkurrierende Gruppen und Interessen ins Feld gezogen wird.
Auf dieser Grundlage beginnt der Autor die Darstellung der politischen Ideen und des Kampfes um sie. Er startet mit dem Versprechen der Aufklärung, der Emanzipation zum Individuum und Subjekt. Er reflektiert anarchistische Radikalisierungen dieses Freiheitsbegriffs und die konservativen Reaktionen. Er widmet sich in der Folge den sozialistischen Gleichheitsforderungen und dem politisch konkurrierenden Argument der (jeweiligen) Überlegenheit von Rassen, Nationen oder Kulturkreisen, das in engem Zusammenhang mit Totalitarismus steht.
Ausführlich geht Salzborn auf aktuelle Diskussionen und die darin bestehenden Demarkationslinien ein. Im Unterschied zu vielen anderen Übersichten zur Politischen Ideengeschichte, widmet er der Gegenwart sehr viel Aufmerksamkeit. Ein eigenes Kapitel beschäftigt sich mit Paradigmen in Zeiten der Globalisierung. Dazu gehört für ihn auch das Paradigma Umwelt- und Naturschutz. Innerhalb die ses Paradigmas unterscheidet Salzborn zwei Flügel, die er als Environmentalism und als Ecologism bezeichnet. Beide gehen von einer Begrenztheit öko nomischen Wachstums aus. „Ziel des Environmentalism ist die Neuausrichtung kapitalistischer Ökonomie am Ziel der nachhaltigen Entwicklung, womit eine Ökologisierung des Politischen erstrebt wird, was das Potenzial für eine Sensibilisierung aller politischer Theorien für ökologische Fragen beinhaltet, wie die Annahme, dass Konflikte und Herrschaft generell ökologische Dimensionen haben und insofern der Blick auf die Umwelt unerlässlich für die modernen Gesellschaften sei.“(S. 127) Der Ecologism ist wesentlich radikaler. Er stellt den Subjektbegriff der Aufklärung in Frage. „Der Ecologism setzt sich generell für tiefgreifende gesellschaftliche und soziale Veränderungen ein, die vom Primat einer Politisierung von Ökologie ausgehen, also den diametralen Gegenpol zum Environmentalism bilden: Zentrum des Denkens ist nicht der Mensch in seiner Umwelt, sondern die unabhängig vom Menschen gedachte Natur, wobei angenommen wird, dass es eine authentische Natur jenseits der Kultur geben könnte.“(S. 127f.) Salzborn beendet sein Buch mit einem „Blick zurück nach vorn“. „Im Übergang des vormodernen Personenverbandsstaates des Mittelalters in den An staltsstaat der Neuzeit entwickelte sich das Politikverständnis einer Herrschaftsordnung, die auf einer territorial klar umrissenen, mit einer monopolitisierten Zentralgewalt versehene und einer auf Kontinuität und Dauer hin angelegten Staatsbevölkerung basierte. An der Schwelle von Vormoderne zu Moderne kulminierten zahlreiche Entwicklungsstränge in einem Prozess, in dem der moderne Nationalstaat entstand (..).“(S. 161) Die entscheidenden Kriterien des Nationalstaates seien demnach Territorialität, Staatsgewalt und Staatsvolk. Hier beginnt Salzborn über Staatszerfallsprozesse zu sprechen. Diese können an jedem der drei folgenden Elemen-
„In Zukunft wird es womöglich einen Beruf geben, der Zuhörer heißt. Gegen Bezahlung schenkt er dem Anderen Gehör.
Man geht zum Zuhörer, weil es sonst kaum jemand mehr gibt, der dem Anderen zuhört. Heute verlieren wir immer mehr die Fähigkeit des Zuhörens. Vor allem die zunehmende Fokusisierung auf das Ego, die Narzifi zierung der Gesellschaft erschwert es.” (Byung-chul Han in , S. 93)