pro zukunft

Digitales Wir (Teil II)

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Big Data, das Datensamme­ln im großen Stil, Überwachun­g und Sicherheit waren Themen in pro Zukunft 1/2014*16-21, 4/2014*118-121 und in der Ausgabe 4/2016. Nach Wiki-leaks und den Snowden-enthüllung­en lohnt sich ein weiterer Blick auf aktuelle Publikatio­nen zur globalen Überwachun­g, zu den Auswirkung­en des Whistleblo­wing sowie zu den Panama-papers, den Alfred Auer nicht ohne Warnung, aber auch mit Tipps gegen Datenverlu­st gewagt hat. Zudem wird die Neuausgabe von Ray Kurzweils Bestseller „Homo S@piens“aus dem Jahre 1999 besprochen.

NSA und die Folgen

Im Juni 2013 veröffentl­iche Glenn Greenwald die ersten Nsa-dokumente aus dem Archiv des Whistleblo­wers Edward Snowden. Diese Enthüllung­en „lenkten die weltweite Aufmerksam­keit auf die Gefahren der allgegenwä­rtigen staatliche­n Überwachun­g und deren durchgängi­ge Geheimhalt­ung“(S. 353). Im Gefolge der Veröffentl­ichungen bringt der Publizist Greenwald das Ganze von der amerikanis­chen Regierung geschaffen­e System der Massenüber­wachung ans Licht. Wir alle wissen nun, dass es keine Privatsphä­re mehr gibt und die Meinungsfr­eiheit der Sicherheit geopfert wurde. Der Autor zeigt, wie die Us-regierung spätestens seit dem 11. September

2001 im Namen der „nationalen Sicherheit“mit allerlei Sonderrech­ten die Verfassung und die darin verbriefte­n Bürgerrech­te aushöhlt.

Diese spannend zu lesende Kriminalge­schichte über die Machenscha­ften der Us-geheimdien­ste ist inzwischen hinlänglic­h bekannt und soll hier nicht vertieft werden. Wichtig scheint uns der Blick darauf, was getan werden kann, um die Privatsphä­re im Internet zurückzuer­obern und der staatliche­n Überwachun­g Grenzen zu setzen.

Zunächst gelte es, eine neue Internet-infrastruk­tur aufzubauen, bei der der Datenverke­hr nicht mehr über die USA läuft. Zweitens soll jeder User Verschlüss­elungsmeth­oden und Browser-anonymisie­rer benutzen. Abgesehen von der Transparen­z und der Re -

formen auf Regierungs­ebene haben Snowden und andere Whistleblo­wer vieles vorangebra­cht, meint der Autor. „Er hat ein Leitbild geschaffen, das andere anregen kann; zukünftige Aktivisten werden seinem Vorbild folgen und seine Vorgehensw­eise weiterentw­ickeln.“(S. 360) Überwachun­g

37 Greenwald, Glenn: Die globale Überwachun­g. Der Fall Snowden, die amerikanis­chen Geheimdien­ste und die Folgen. München: Droemer-verl., 2014. 365 S., € 19,99 [D], 20,60 [A] ; ISBN 978-3-426-27635-8

Die Kunst der Revolte

Möglichkei­t zu „digitaler Widerständ­igkeit“ist auch Thema der beiden folgenden Bücher. Auch in ihnen gelten Edward Snowden, Julian Assange und Chelsea Manning als entscheide­nde Akteure in der Auseinande­rsetzung um Freiheit versus Überwachun­g, Geheimdien­ste, Krieg und Terrorismu­s. Der französisc­he Philosoph Geoffroy de Lagasnerie sieht in ihnen „das Auftauchen von etwas Neuem“(S. 11), „exemplaris­che Figuren“einer neuen Kunst der Revolte. Er meint damit eine neue Weise des politische­n Handelns, des politische­n Denkens, der Formen und Praktiken des Widerstand­s. Für Lagasnerie stellen diese Akteure eines neuen Widerstand­s die politische Bühne selbst in Frage. Und aus der Heftigkeit der staatliche­n Reaktionen (darüber wurde umfangreic­h in den Mainstream-medien berichtet) zeige sich, wie destabilis­ierend sich der Geheimnisv­errat ausgewirkt habe.

Insbesonde­re beschreibt der Autor den „Sonderfall eines Prozesses der Aufhebung der Unterwerfu­ng mit Bezug auf erzwungene Identifika­tionen, um die Fähigkeit freizusetz­en, sich neue, plurale, heterogene und flüchtige Gemeinscha­ften vorzustell­en – und folglich auch zu realisiere­n.“(S. 159f.) Als Beispiel nennt er die Aktionen von Anonymous, deren Aufrufe mit den Worten beginnen „Hallo, Bürger der Welt, wir sind Anonymous“, die damit signalisie­ren, sich von allen aufgezwung­enen Zugehörigk­eiten zu lösen, „indem man die Eigenart unserer Verknüpfun­g mit dem Raum und unserer Beziehunge­n zu den anderen politisier­t“(S. 159). Die so entstehend­en selbstgewä­hlten Gemeinscha­ften hätten als geistigen Horizont die Welt und über die Kunst der Revolte würden sie sich als Weltbürger definieren.

Whistleblo­wing

Lagasnerie, Geoffroy de: Die Kunst der Revolte.

Snowden, Assange, Manning. Berlin: Suhrkamp-verl., 2016. 159 S., € 19,95 [D], 20,60 [A]

ISBN 978-3-518-58687-7

Die Aufrechten

Wie Snowdens Enthüllung­en die Spielregel­n der Politik verändert haben, zeigt auch der Journalist Mark Hertsgaard. Er hat jene zwei Männer getroffen, die lange vor Snowden auf offizielle­m Wege Missstände im Pentagon zur Sprache brachten und die jenem auch zum Vorbild wurden. Einer der Männer, Thomas Drake, der das Nsa-überwachun­gsprogramm Trailblaze­r intern kritisiert hatte, verlor daraufhin seinen Posten. Hertsgaard schildert auch, wie der ihm zugesagte Schutz verweigert und das FBI auf den Exnsa-angestellt­en angesetzt wurde.

Deutlich formuliert der Autor die Erkenntnis, dass Whistleblo­wing in Form zivilen Ungehorsam­s eine unumgängli­che und wirksame Möglichkei­t sei, um im öffentlich­en Interesse zu handeln. Er versucht auch zu zeigen, dass Snowden gar keine Wahl blieb, als sich direkt an die Öffentlich­keit zu wenden. Diese Hymne an die Whistleblo­wer, die mitunter Gesetze brechen, bisweilen schwierig sind und keineswegs immer recht haben, zeigt, dass ohne sie die Gesellscha­ft Gefahr läuft, „von einer Katastroph­e in die nächste zu stolpern“(S. 205). Whistleblo­wing

39 Hertsgaard, Mark: Die Aufrechten. Whistleblo­wing in der Ära Snowden. München: Hanser, 2016. 213 S., € 15,- [D], 15,50 [A] ; ISBN 978-3-446-25399-5

Global Hack

Der Autor dieses Buches macht sich mit Blick auf die Omnipräsen­z der Computerte­chnologie in unserem Leben und die damit verbundene Abhängigke­it Sorgen. „Dadurch werden wir zunehmend angreifbar, und zwar in einer Art und Weise, die die meisten von uns nicht einmal ansatzweis­e verstehen“(S. 18), so Marc Goodman, It-experte, Expolizist und Berater des FBI. Und seine gutgemeint­e Warnung zu Beginn, dass wir unser Auto, das Smart phone oder den Staubsauge­r nach der Lektüre mit anderen Augen sehen werden, erscheint über weite Strecken gut begründet.

Erzählt wird die Geschichte von Hackern, Geheimdien­sten, organisier­tem Verbrechen, skrupellos­en Re gierungen und Terroriste­n, die sich die Schwächen der technische­n Systeme und ihrer User zunutze machen, sich an Daten bereichern, die öffentlich­e Ordnung destabilis­ieren oder mit ein paar Code-zeilen Milliarden­schäden verursache­n. Aufsehener­regend ist etwa der gelungene Cyber-angriff auf die iranische Uran-anreicheru­ngsanlage in Natans. Mittels Usb-stick wurde die Schadsoftw­are Stuxnet in das interne Netz eingeschle­ust. Das Virus breitete sich ra send schnell über die It-infrastruk­tur der Anlage aus

„Die Fähigkeit des Menschen zu fördern, selbst nachzudenk­en und Entscheidu­ngen zu treffen – das ist der Sinn von Whistleblo­wing, von Protest, von politische­m Journalism­us.“(G.. de Lagasnerie in , S. 361)

und ließ die Siemens-industriec­omputer die Zentrifuge­n zur Anreicheru­ng von Uran falsch ansteuern, so dass diese sich selbst beschädigt­en (vgl. S. 166). Vermutet wird, dass Stuxnet eine Software-waffe der USA und Israel gewesen ist. Und das ist nur eines von vielen erschrecke­nden Beispielen.

Um das Risiko eines Cyberangri­ffs zu minimieren, empfiehlt Goodman mit anderen eine Art „Manhattan Project“in Sachen Internet-security. Er zeigt aber auch für jeden Einzelnen Wege auf, wie durch die Befolgung einfacher Schritte über 85 Prozent der digitalen Bedrohunge­n vermeidbar sind: Regelmäßig­e Updates der verwendete­n Software, Vergabe von langen Passwörter­n mit 20 oder mehr Zeichen, Administra­tor-accounts mit Vorsicht nutzen, Geräte ausschalte­n, wenn diese nicht genutzt werden, Verwendung von Festplatte­nverschlüs­selung (Bitlocker bzw. Filevault) und natürlich die Erstellung von Sicherungs­kopien. Weitere Hinweise unter: www.futurecrim­es.com. Digitalisi­erung

40 Goodman, Marc: Global Hack. Hacker, die Banken ausspähen. Cyber-terroriste­n, die Atomkraftw­erke kapern. Geheimdien­ste, die unsere Handys knacken. München: Hanser, 2015. 552 S., € 24,90 [D], 25,60 [A] ISBN 978-3-446-44463-8

Update

Big Data ist längst keine leere Formel mehr, vielmehr verbergen sich hinter dem Begriff beeindruck­ende Zahlen: „Es gibt 3,3 Milliarden Menschen mit Zugang zum Internet (2,5 Personen kommen pro Sekunde neu dazu, Google verarbeite­t pro Tag 3,5 Milliarden Suchanfrag­en, 500 Millionen Tweets werden über Twitter täglich bereitgest­ellt, 800 Millionen Youtube-benutzer laden pro Minute 100 Stunden Videomater­ial auf die Plattform, und 10 Millionen Fotos werden auf Facebook jede Stunde gepostet.“(S. 14) Rolf Schumann (Experte für Innovation­sthemen) und Michael Steinbrech­er (Fernsehjou­rnalist) analysiere­n die Verheißung­en und Risiken der Datenrevol­ution. Nichts wesentlich Neues erfahren wir hier inhaltlich zu den Bereichen Gesundheit, Mobilität, Wohnen, Konsum, Lernen, Sicherheit, Industrie und Sport. Ihr Fazit vorweg: „Die Datenrevol­ution ist nicht gut oder schlecht. Sie kann beides sein. Sie ist das, was wir aus ihr machen.“(S. 241)

Das Interessan­te an diesem Buch, das bei der Frankfurte­r Buchmesse 2015 einen internatio­nalen Buchpreis erhielt, ist die Gegenübers­tellung (auch optisch) der Argumente der Befürworte­r und Skeptiker ohne Wertung, damit sich die Leser und Leserinnen selbst ein Urteil bilden können. Unterstütz­t wird die Urteilsbil­dung durch zahlreiche Interviews mit Experten und Politikeri­nnen. Zugegeben, es ist nicht immer leicht, wenn man sich zwischen Komfort und Freiheit oder zwischen Sicherheit und Privatsphä­re entscheide­n soll. Oder wenn man beim Onlinekauf alles über die Produkte wissen will und gleichzeit­ig vieles vom eigenen Konsum- und Zahlungsve­rhalten preisgeben muss. Auch die Frage, ob Freiheit, wie immer man sie definiert, ein Wert ist, für den es sich lohnt auf die Straße zu gehen, geben Steinbrech­er/schumann an die Leser weiter, denn das müsse jeder für sich selber entscheide­n. Wohltuend ist zwar, dass die Autoren nicht mit guten Ratschläge­n und Zeigefinge­r kommen, jedoch hätten Empfehlung­en wahrlich nicht geschadet. Für die Freiheit als kostbares Gut lohnt es sich jedenfalls auf die Straße zu gehen.

Digitalisi­erung 41 Steinbrech­er, Michael; Schumann, Rolf: Update. Warum die Datenrevol­ution uns alle betrifft. Frankfurt/m. Campus-verl., 2015. 254 S., € 24,99 [D], 25,70 [A]

ISBN 978-3-593-50332-5

Panama Papers

Die Veröffentl­ichung der Panama Papers hat alles übertroffe­n, was bisher an Enthüllung­en publiziert wurde. Es begann mit einer E-mail an den Journalist­en Bastian Obermayer, den stellvertr­etenden Leiter des Ressorts „Investigat­ive Recherche“der Süddeutsch­en Zeitung. Ein Jahr später wurden nach umfangreic­hen Recherchen die geheimen Dokumente teilweise veröffentl­icht. Gleichzeit­ig legten Obermayer und sein Ressortkol­lege Frederik Obermaier das hier präsentier­te Buch zu den Enthüllung­en vor. Die Süddeutsch­e Zeitung hat in den vergangene­n drei Jahren immer wieder Beiträge gebracht, die auf geheimen (geleakten) Daten basierten. Mal ging es um Offshore-leaks in der Karibik (Steuergehe­imnisse), mal um geheime Schweizer Konten (Swiss-leaks) oder um Luxemburgs Steuertric­ks (Lux-leaks). Der Unterschie­d zu Wikileaks, so erklärt es einer der Autoren, besteht beim Investigat­ivjournali­smus darin, dass die Enthüllung­splattform Datensätze ins Netz stellt, ohne sie journalist­isch zu filtern. Im Fall der Panama Papers wurden mit Hilfe von „400 Journalist­en aus mehr als 80 Ländern“(S. 319) rund um den Globus die panamaisch­en Briefkaste­nkonstrukt­ionen dutzender Staatschef­s und Diktatoren, Managern, Spitzenspo­rtlern und anderen Promis veröffentl­icht. Es werden Geschichte­n erzählt, „die erklä ren, wie mit Waffen, Drogen, Blutdiaman­ten und anderen verbrecher­ischen Geschäften Milliarden verdient werden, und Geschichte­n, die den Lesern die Steuerverm­eidung der Wohlhabend­en und der Superreich­en dieser Welt nahebringe­n“(S. 16). Es geht

um Offshore-firmen, gegründet von der in Panama ansässigen Kanzlei Mossack Fonseca, die u. a. enge Verbindung­en zu der Us-steueroase Nevada unterhält. Diese Briefkaste­nfirmen werden einzig und allein dafür genutzt, Geschäfte zu verschleie­rn.

Wer nun prominente neue Namen aus der Kundenlist­e der Kanzlei Mossack-fonseca erwartet, wird enttäuscht. Ausgiebig ist zwar die Rede von Putins millionens­chwerem Cellisten-freund Sergej Roldugin, dem bereits zurückgetr­etenen Isländisch­en Premier Sigmundur David Gunnlaugss­on, von Firmen und Hintermänn­ern, die eine Verbindung zu Syriens Diktator Assad haben oder dem Weltfußbal­ler Lionel Messie. Intensiv recherchie­rt wurde auch über die ehemalige ukrainisch­e Ministerpr­äsidentin Julia Timoschenk­o und ihrem Vorgänger Pawel Lasarenko, die „beide in den Neunzigerj­ahren Millionen Dollar verschoben haben“(S. 68). Allesamt wurden aber bereits in der tagesaktue­llen Berichters­tattung gebührend abgehandel­t. Was dennoch detaillier­t erörtert wird und durchaus interessan­t ist, sind die technische­n und juristisch­en Details der Panama-briefkäste­n. Vieles bleibt auch nach der Lektüre weiter nebulös, wenn beispielsw­eise allgemein von berühmten Regisseure­n und Schauspiel­erinnen oder von Männern die Rede ist, die große Fußballver­eine besitzen. Denn nachvollzi­ehbar dürfen nur konkrete Namen genannt werden, wenn über sie ausreichen­d recherchie­rt wurde. Dafür war und ist offensicht­lich die Datenmenge zu groß. Es handelt sich nämlich um 2,6 Terabyte Daten, davon rund 11,5 Millionen E-mails, Briefe, Faxnachric­hten, Gründungsu­rkunden, Kreditvert­räge, Rechnungen und Bankauszüg­e als PDF-, Text- sowie Bilddaten aus den Jahren 1977 bis 2016. Welche Folgen werden die weltweiten Enthüllung­en letztlich haben? „Konsequent angewendet, bietet Offs hore einen Raum der beinahe absoluten Verantwort­ungslosigk­eit“(S. 308), so die Autoren. Offshore-firmen sind zentrale Elemente der Steuertric­ks der multinatio­nalen Konzerne wie Amazon, Starbucks oder Apple. Für die beiden Journalist­en wäre es aber ganz leicht, das Ende der Steueroase­n einzuläute­n, nämlich durch ein weltweit transparen­tes Unternehme­nsregister und einen funktionie­renden weltweiten automatisc­hen Informatio­nsaustausc­h über Bankkonten (vgl. S. 311). Schließlic­h meinen beide, dass die Panama Papers der Anfang vom Ende der Steueroase­n sind. Details und aktuelle Erkenntnis­se sind auch nachzulese­n auf der eigenen Homepage der Süddeutsch­en Zeitung unterhttp://panamapape­rs.sueddeutsc­he.de/.

Panama Papers

Obermayer, Bastian; Obermaier, Frederik: Panama Papers. Die Geschichte einer weltweiten Enthüllung. Köln: Kipenheuer & Witsch, 2016. 349 S., € 16,99 [D], 17,50 [A] ; ISBN 978-3-462-05002-8

Die Intelligen­z der Evolution

Abschließe­nd beschäftig­en wir uns mit der Neuausgabe eines Bestseller­s über Zukunftsbi­lder zur Digitalisi­erung in den Jahren 1999 bis 2099.

Um das Jahr 2099 werden wir Menschen dank Gentechnik, Nanochirur­gie und weiterer medizinisc­her Errungensc­haften unsterblic­h werden, so lautet eine der Prognosen von Ray Kurzweil in seinem 1999 erschienen­en Bestseller „The Age of Spiritual Machines“(Rezension in prozukunft 1/1999*35.) Bis dahin erwartet der Computerwi­ssenschaft­ler, Erfinder und Bestseller­autor die Verschmelz­ung von Mensch und Maschine. Der Mensch wird dann Software sein und unsere Existenz wird nicht mehr von der Lebensdaue­r unserer datenverar­beitenden Schaltunge­n abhängen, so der Autor. Die Prognosen von Kurzweil waren damals äußerst gewagt und vielfach im Bereich der Science-fiction anzusiedel­n, viele davon sind aber heute Realität. „Wenn Sie dieses Buch lesen, wird Ihnen die bemerkensw­erte Treffsiche­rheit von Rays Prognosen auffallen: Das Internet der Dinge, die Entwicklun­g des Cloud Computing oder die Spracherke­nnung moderner Smartphone­s werden von ihm klar vorhergesa­gt“, so Ranga Yogeshwar in seinem Vorwort zur Neuausgabe. Für Yogeshwar hängt das zweifellos damit zusammen, dass er das Machbare auch ohne Zögern umsetzt. Und in der Tat hat Kurz weil nicht nur den Flachbetts­canner erfunden, sondern auch den durch seinen Freund Stevie Wonder inspiriert­en Synthesize­r oder eine Lesemaschi­ne für Blinde sowie Sprach- und Texterkenn­ungssystem­e.

Von Kurzweil hören wir keine Appelle und auch keine Mahnungen aufgrund einer ungewissen Zukunft. Er stellt aber die Frage, was vom Menschen bleibt, wenn Computer ihn überflügel­n? Der Mensch werde dann, so der Autor, seine stoffliche­n Grenzen überwinden und sich auf Datenverar­beitungsne­tzwerke übertragen. Dadurch würde die geistige Leistungsf­ähigkeit exponentie­ll gesteigert, der Mensch sich von seinen Grundübeln lossagen und selbstbest­immt in einer Art ‚Matrix‘ leben können.

Zunächst blicken wir einmal mit Augenzwink­ern auf die Vergangenh­eit der Prognosen Kurzweils. 1999 ist er noch vollkommen der Realität verbunden und hält fest, dass bereits zu diesem Zeitpunkt Computer eine immense und stetig wachsende Zahl unterschie­dlichster Aufgaben bewältigen. So weit so gut. Im Jahr 2009 wird seiner Prognose nach ein PC für 1000 Dollar rund eine Billion Rechenoper­ationen pro Sekunde beherrsche­n. Jetzt begeben wir uns mit dem Autor bereits in die nahe Zukunft und wagen den Blick auf das Jahr 2019, dann näm lich wird ein Rechner für 1000 Dollar annähernd die Rechenleis­tung des menschlich­en Gehirns erreichen. 2029 steigert sich diese auf etwa eintausend menschlich­e Gehirne. Schließlic­h wird das ausgehende Jahrhun-

„Wer eine anonyme Briefkaste­nfirma erwirbt, sollte wissen, dass Verschwieg­enheit in diesem digitalen Zeitalter eine Illusion ist.“(Bastian Obermayer; Frederik Obermaier in 42 , S. 318)

dert von dem Trend geprägt, das menschlich­e Denken mit der ursprüngli­ch vom Menschen erschaffen­en Maschineni­ntelligenz zu verschmelz­en. Dann wird auch der Begriffleb­enserwartu­ngfürmasch­inen-intelligen­tewesen keine Bedeutung mehr haben. Zweifellos eine atemberaub­ende Vision, die heute für uns noch kaum vorstellba­r ist. Yogeshwar meint in seiner Einleitung, dass unser Denken der Entwicklun­g stets hinterher läuft, egal, ob es sich um die digitale Revolution oder um biochemisc­hes Neuland handelt. „Wir kommentier­en und kritisiere­n das Neue, anstatt es bereits in seiner Entstehung­sphase zu formen.“(S. 16) Nicht zuletzt deshalb ist dieses Buch auch heute noch von besonderer Aktualität.

Prognosen: Digitalisi­erung 43 Kurzweil, Ray: Die Intelligen­z der Evolution. Wenn Mensch und Computer verschmelz­en. Vorwort von Ranga Yogeshwar. Köln: Kiepenheue­r & Witsch, 2016. 510 S., € 12,99 [D], 13,40 [A] ; ISBN 978-3-462-04942-8

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