Das Wiedererstarken des Nationalen
Die Rechten in Europa sind auf dem Vormarsch und das nicht erst seit dem Brexit und dem Wahlsieg Donald Trumps. In der Schweiz ist die rechtspopulistische SVP seit längerem wählerstärkste Partei, in den Niederlanden liegt die „Partei für die Freiheit“von Geert Wilders in den Umfragen zu den Parlamentswahlen Mitte März angeblich voran, in Frankreich könnte die Frontnational-chefin Marine Le Pen sogar nächste Präsidentin werden. Bewegungen wie PEGIDA und der Zulauf zur AFD in Deutschland zeigen, dass die populistische Rückkehr zum Territorialen ein zentraler politischer Faktor unserer Zeit geworden ist.
In diesem Klima der Ausbreitung nationaler Denkmuster, in dem sich politische Debatten wieder zunehmend auf regionale Bezugsräume und weniger auf den Kontinent Europa beziehen, hat der emeritierte Historiker Peter Alter einen Essay über Europa verfasst. Er diagnostiziert
1) angesichts des um sich greifenden Nationalismus und erfolgreicher populistischer Bewegungen eine veritable Krise Europas und zeigt, wie Europa „heute einen Rückschritt bei der nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs so hoffnungsvoll begonnenen Integra- tionspolitik, gar einen Rückfall in die unseligen Zeiten nationaler Egoismen und rücksichtlos vertretener nationaler Interessen“erlebt. (S. 16) Wie aber ist die Anziehungskraft und Wirkmächtigkeit dieser Bewegung heute zu erklären? Alter beschreibt den Nationalismus in seiner historischen Analyse sowohl als Verheißung als auch als Verhängnis und definiert ihn als Ideologie und nationalstaatliche Bewegung. Das Denken in nationalistischen Kategorien schien nach der Erfahrung des Völkermordes in Europa überwunden. Aber „geschichtliche Erfahrung gerät offenbar auch sehr schnell in Vergessenheit.“(S. 13) Und so feiert der neue Nationalismus eine Wiederauferstehung, der aber „im Grunde der alte Nationalismus (ist), den die Europäer aus ihrer Geschichte zur Genüge kennen: Feindbilder sind für ihn unverzichtbar.“(S. 9) Deshalb reitet der „nationalistische Rechtspopulismus in Deutschland und Europa derzeit auf einer Welle der Fremdenfeindlichkeit, der Europaskepsis, der Intoleranz gegenüber Flüchtlingen und der entschlossenen Rückbesinnung auf das ‚nationale Interesse‘“(S. 166). Letztlich aber werde, so hofft der Autor, die Europäische Union doch in eine postnationale Zukunft steuern. Einen etwas anderen Zugang zum Thema wählt der französische Schriftsteller Didier Eribon. In seinem autobiografischen Essay „Rückkehr nach Reims“2) beschreibt er seinen Versuch, die populistische Wut der „Abgehängten“zu verstehen. Er kehrt in die Stadt seiner Kind-
heit, nach Reims, zurück und trifft dort seine Eltern wieder. Eribon ist Soziologe, lebt in Paris, ist homosexuell. Seine Eltern gehören zur Arbeiterschaft. Diesem Milieu hatte er den Rücken gekehrt. In seinem Buch reflektiert Eribon darüber, wie er seine soziale Herkunft zurückgelassen hat. Jetzt, wo er wieder mit ihr konfrontiert wird, beobachtet er Veränderungen, die ihn beunruhigen. Die Eltern, die einst loyale Wähler der Kommunisten waren, sympathisieren nun mit der radikalen Rechten. Eribon versucht nachzuzeichnen, wie die Arbeiterschaft in den vergangenen vierzig Jahren das Lager wechselte – oder: Wie es von der politischen Linken verlassen wurde. Er spricht dabei die enttäuschten Hoffnungen der Linksregierung von 1981 an, als Kommunisten und Sozialisten gemeinsam regierten, ohne der Wirtschaftskrise Herr zu werden. Er erzählt, wie das Scheitern dem Denken „Alle Politiker sind doch gleich“den Boden bereitete. Er spürt nach, wie die Linke immer moderater wurde, das Vokabular der Unterdrückung durch Begriffe wie „Gesellschaftsvertrag“und „Modernisierung“ersetzte. Eribon sieht in den Stimmen für die Front National eine negative Selbstaffirmation: Ausdruck der Abgrenzung gegen „die da oben“.
„Die gewichtigste Folge des Verschwindens der Arbeiterklasse und der Arbeiter, ja des Klassenbegriffs überhaupt aus dem politischen Diskurs, war die Aufkündigung der alten Allianz zwischen Arbeitern und anderen gesellschaftlichen Gruppen (Beamte, Angehörige des öffentlichen Dienstes, Lehrer,…) innerhalb des linken Lagers, die den Weg freimachte für einen neuen, größtenteils rechts verankerten oder sogar rechtsextremen ‘historischen Block’ (Gramsci), der heute große Teile der prekarisierten und verwundbaren Unterschicht mit Leuten aus Handelsberufen, mit wohl habenden in Südfrankreich lebenden Rentnern, ja sogar mit faschistischen Ex-militärs und traditionalistischen Katholiken verbindet.“(S. 127f.)
Der Aufstieg des Rechtspopulismus ist neben anderen einer der Gründe für die Krise Europas. Mögliche Schritte dieser Entwicklung entgegenzutreten sind im Kapitel „Europa in der Krise“versammelt. Hans Holzinger beschäftigt sich in dieser Ausgabe mit „reguliertem Kapitalismus“und mit der Öko-wende, die mehr ist als Green Economy. Stefan Wally widmet sich dem Thema „Natur und Wetter“sowie der Zukunftsforschung und Dagmar Baumgartner bearbeitet in einem Beitrag zum Thema Migration Aspekte der neuen Völkerwanderung.
Eine erkenntnisreiche und zugleich kurzweilige Lektüre wünscht, auch im Namen des Jbz-teams, a.auer@salzburg.at
1)
Alter, Peter: Nationalismus. Ein Essay über Europa. Stuttgart: Kröner-verl., 2016. 190 S. (Einsichten Band 1) € 14,90 [D], 15,40 [A] ; ISBN 978-3-520-71301-8
2) Eribon, Didier: Rückkehr nach Reims. Berlin: Suhrkamp, 2016.
238 S., € 18,- [D], 18,50 [A] ; ISBN 978-3-518-07252-3