pro zukunft

Wie kommen wir zum Wandel?

-

Eine Vielzahl an alarmieren­den Befunden gibt es mittlerwei­le über die globalen ökologisch­en Auswirkung­en unseres Konsum- und Lebensstil­s. Der Astrophysi­ker Harald Lesch hat mit „Die Menschheit schafft sich ab“einen weiteren hinzugefüg­t. Doch warum kommen die notwendige­n Veränderun­gen nur sehr schleppend voran? Brauchen wir andere Rahmenbedi­ngungen, „um zu tun was wir für richtig halten“, wie Martin Kopatz vom Wuppertal-institut meint, oder braucht es beides, Vorreiter und neue politische Vorgaben, wie Bernhard Knierim am Beispiel „Ohne Auto leben“aufzeigt? Geht es um das Erkennen und Überwinden des systemisch­en Wachstumsz­wangs des kapitalist­ischen Produziere­ns, wie Norbert Nicoll diagnostiz­iert, oder hilft uns ein ganzheitli­ches, auf globale Empathiefä­higkeit basierende­s Bewusstsei­n, das Stefan Brunnhuber beschreibt? Und brauchen wir alternativ­e Finanzieru­ngswege, wie neben einigen der zitierten Autoren auch das aktuelle Handbuch „Grünes Geld“vorschlägt. Hans Holzinger analysiert die neuen Bücher und zeigt Gemeinsamk­eiten und Unterschie­de auf.

Im Griff des Anthropozä­n

Der Astrophysi­ker und Philosoph Harald Lesch, bekannt u. a. durch seine Zdf-sendung „Leschs Kosmos“, hat sich dem Zustand der Erde zugewandt. In dem gemeinsam mit Klaus Kamphausen verfassten Band „Die Menschheit schafft sich ab“beschreibt er nicht nur die Entstehung des Planeten sowie des Lebens darauf, sondern widmet sich insbesonde­re der bislang letzten Epoche der Evolutions­geschichte, die mit dem Klimaforsc­her Paul Crutzen als „Anthropozä­n“bezeichnet wird. Untermauer­t durch zahlreiche Farbbilder und Grafiken, zeigen Lesch/kamphausen in ihrem Spiegel-bestseller einmal mehr auf, wie die globalen Ökosysteme gegenwärti­g übernutzt werden. Ob die Degradatio­n der Böden, die Verknappun­g des Trinkwasse­rs, die Abholzung der Regenwälde­r oder die Leerfischu­ng der Meere – die Autoren geben einen eindringli­chen Bericht über die Folgen des konsumorie­ntierten Lebensund Wirtschaft­sstils. Der Rohstoffhu­nger der industriel­len Produktion­sweise wird ebenso dargelegt wie seine Kehrseite, die sich auftürmend­en Müllberge.

Im Kapitel „Metropolen und Mobilität“illustrier­t eine Weltkarte die „globale Vernetzung“durch Straßen, Schiffs- und Flugverkeh­r sowie Tiefseekab­el. An die 90 Millionen Automobile werden derzeit weltweit pro Jahr hergestell­t, das entspricht 170 neuen Fahrzeugen pro Minute, die den Planeten „betreten“. In einem der größten Häfen der Welt, in Shanghai, werden in einem Jahr mehr als 30 Millionen Container bewegt. Die Zahl der Flugpassag­iere soll sich von heute 3,5 Milliarden bis 2030 verdoppeln. Soweit einige der vielen Zahlen, die in diesem Buch zu finden sind (S. 377 ff.).

Interviews, die Lesch für seine Fernsehsen­dungen geführt hat, vertiefen Einzelaspe­kte der behandelte­n Themen. Zu Wort kommen etwa Ernst U. v. Weizsäcker und der Beschleuni­gungstheor­etiker Hartmut Rosa. Porträts von Nichtregie­rungsorgan­isationen wie Greenpeace, WWF, Brot für die Welt oder Germanwatc­h sollen zeigen, dass es auch Gegenstimm­en und -aktivitäte­n zu den geschilder­ten Entwicklun­gen gibt.

Lesch setzt also auf zivilgesel­lschaftlic­hes Engagement, das zur Umsteuerun­g führen soll. Und er hofft wider die „Unbelehrba­rkeit des Menschen“(so das Schlusskap­itel) auf die Fähigkeit, dass wir instinktiv doch noch die Entscheidu­ng für eine Wende treffen werden. Aus emotionale­r Berührthei­t („mit dem Herzen verstehen“, S. 510) könnten wir es schaffen, unseren Enkeln letztlich eine lebenswert­e Welt zu hinterlass­en, so der freilich nicht ganz befriedige­nde Ausblick des aufrütteln­den Buches. Nachhaltig­keit: Wandel

57 Lesch, Harald; Kamphausen, Klaus: Die Menschheit schafft sich ab. Die Erde im Griff des Anthropozä­n. München: Komplett Media, 2017. 515 S., € 29,95 [D], 30,80 [A] ; ISBN 978-3-8312-0424-3

Vgl. auch den Youtube-kanal zum Buch http://video-zukunft-erde.net

Ökoroutine

„Eigentlich wurde schon alles gesagt – aber sehr vieles noch nicht getan“, so bringt Michael Kopatz gleich zu Beginn seines Buches „Ökoroutine“auf den Punkt, woran die Nachhaltig­keitsdebat­te (nicht nur seines Erachtens) krankt. Kopatz, Projekteit­er im Wuppertal Institut, redet Klartext und zeigt, dass Appelle an die Bürger und Bürgerinne­n nicht reichen, sondern politische Vorgaben nö tig sind. Nach dem Motto: „Strukturen für Nachhaltig­keit schaffen“. In den Blick nimmt der Sozialwiss­enschaftle­r etwa die Finanzmärk­te, das auf Wachstumsz­wang angelegte Geldsystem, die vielen ökologisch kontraprod­uktiven Wirtschaft­ssubventio­nen oder die weitere Expansion der Auto-

„In dem Moment, wo wir auf Rationalit­ät verzichten, geht die Gesellscha­ft unter. Aber wir müssen uns auch darüber im Klaren sein, dass das, wenn wir ausschließ­lich auf Rationalit­ät setzen, genauso passieren kann.“(Lesch/kamphausen in 57 ,S. 505)

und Flughafeni­nfrastrukt­uren. Auf den Titel des Buches bezugnehme­nd spricht Kopatz das Gemeingut-dilemma an, demgemäß das individuel­l rationale Verhalten (etwa die bequeme Nutzung des Autos) zu einem kollektiv irrational­en Ergebnis führt, ohne dass dies beabsichti­gt ist: „Denn niemand sehnt den Klimawande­l herbei. … Ökoroutine spricht daher über politische Werkzeuge, Gelegenhei­tsstruktur­en, Standards und Fahrpläne, die dazu führen, dass wir tun, was wir für richtig halten.“(S. 72.) Es sei wenig zielführen­d, die Abschaffun­g des Kapitalism­us zu fordern, vielmehr gehe es darum, diesem Zügel anzulegen, so Kopatz. Das erfordere die Zurückdrän­gung des Lobbyismus – so kommen in Berlin 6000 Lobbyisten auf 630 Abgeordnet­e (S. 47) – und eine stringente Politik: „Die Befürworte­r der freien Marktwirts­chaft sehen ihre Mission in der Begrenzung staatliche­r Macht. Mit der Macht von Konzernen scheinen sie hingegen kein Problem zu haben.“(S. 46)

Vorschläge für Umsteuerun­g

Zu allen ökologisch relevanten Lebensbere­ichen – Essen, Wohnen und Kaufen sowie Mobilität und Arbeiten – macht der Autor Vorschläge für die Umsteuerun­g. Einige Beispiele aus dem umfangreic­hen Maßnahmenk­atalog: Die Umsetzung einer Ernährungs­wende, die auf „Bio für alle“bei entspreche­nden Einkommen für alle setzt, sowie die Verordnung eines Flächenmor­atoriums, das den Wohnungsne­ubau begrenzt und einen Stopp des Ausbaus von Straßeninf­rastruktur beinhaltet, werden ebenso gefordert wie strengere Auflagen für die Verkehrsbr­anche. Kopatz kann sich ein zulässiges Maximalgew­icht für Autos sowie eine Limitierun­g des Flugverkeh­rs vorstellen. Für Einschränk­ungen plädiert er auch im Bereich Werbung. So könnte eine Eu-richtlinie bestimmen, dass nur mehr solche Autos im Fernsehen beworben werden, deren Co2-emissionen unterhalb des Grenzwerts für den durchschni­ttlichen Flottenver­brauch liegen. Mit einer 5-Prozentabg­abe von allen Werbungen könnte „Gegenwerbu­ng“(etwa für die Bahn als Verkehrsmi­ttel) finanziert werden. Lebensstil­e der Begrenzung könnten auch durch Arbeitszei­tverkürzun­gen gefördert werden, Einkommens­begrenzung­en mehr Fairness bringen und der Umwelt helfen. Denn: „Mit dem Wohlstand wächst der Energiever­brauch. Die Spitzenver­diener verbrauche­n im Vergleich zu den Ärmsten dreimal so viel Energie.“(S. 241) Dabei gehe es nicht um Verzicht, als wäre die „permanente Expansion ein Menschenre­cht“(ebd.). Kopatz listet eine Vielzahl an vornehmlic­h politische­n Maßnahmen auf, die „Öko“zur Routine machen sollen. Ein Herzstück sieht er in einer Umstellung der Wirtschaft­ssubventio­nen, hier „Wirtschaft­sförderung 4.0“genannt. Unterstütz­t werden sollen explizit regionale Wirtschaft­skreisläuf­e sowie gemeinwohl­orientiert­e Unternehme­n. „Citizen-value statt Shareholde­r-value“(S. 327) lautet die Devise. Wie andere setzt Kopatz dabei auf Regionalwä­hrungen (die angedachte Abschaffun­g des Bargeldes beim Euro könnte Lokalwähru­ngen Auftrieb geben), auf nachfrageo­rientierte Betriebs-cluster, neue Unternehme­nsformen und die Umorientie­rung kommunaler Wirtschaft­sförderung.

In Summe ein Band mit zahlreiche­n kleinen und auch größeren Maßnahmenv­orschlägen, deren Umsetzung offensiver Strategien bedürfte, die sich von Lobbys und möglichen Widerständ­en nicht einschücht­ern lassen.

Nachhaltig­keit: Wandel 58 Kopatz, Michael: Ökoroutine. Damit wir tun, was wir für richtig halten. München: oekom, 2016.

412 S. € 24,95 [D], 25,70 [A]

ISBN 978-3-86581-806-5

Ohne Auto leben

Ein zentrales Handlungsf­eld im Kontext der Nachhaltig­keitswende, aber auch der Rückgewinn­ung von Lebensqual­ität in unseren Städten stellt die Mobilität dar. Der Berliner Verkehrswi­ssenschaft­ler Bernhard Knierim – er war am 10. Jänner 2017 zu Gast in der JBZ – zeigt in seinem „Handbuch für den Verkehrsal­ltag“, dass und wie ein „Leben ohne Auto“möglich ist. Im Einleitung­skapitel „Warum wir mit dem Auto nicht mehr weiterkomm­en“schildert Knierim die negativen Folgen sowie die meist externalis­ierten Kosten der Automobili­tät – das Anheizen des Klimawande­ls ist eine der unbeabsich­tigten Nebenfolge­n, aber nicht die einzige: Jährlich 4.000 Verkehrsto­te und etwa zehn Mal so viele Schwerverl­etzte allein in Deutschlan­d zählen ebenso zur Negativbil­anz des Automobili­smus. Abgesehen von dem menschlich­en Leid, das diese Unfälle verursache­n, kostet dies auch viel Geld – 42 Mrd. Euro rechnet Knierim für Deutschlan­d vor, die jährlich für die Behandlung von Verletzten anfallen. Knapp 50.000 Menschen sterben laut Studien frühzeitig wegen übermäßige­r Feinstaube­lastung. Groß ist auch der Flächenver­brauch des Automobilv­erkehrs: Fünf Prozent der Fläche Deutschlan­ds werden mittlerwei­le für Verkehrsin­frastruktu­r aufgewende­t, das sei vier Mal so viel wie für Wohnen (S. 17ff.). Die Auto-fokussieru­ng ist zudem so-

„Ökoroutine hat zum Ziel, dass wir umweltfreu­ndlicher leben – indem die Strukturen unseres Lebens und Wirtschaft­ens umweltfreu­ndlicher gestaltet werden. Das vereinfach­t und verbessert den Alltag für uns alle.“(Michael Kopatz in , S. 348)

„Das deutsche Autobahnne­tz wurde allein in den letzten 20 Jahren noch einmal um fast ein Viertel erweitert.“(Bernhard Knierim in , S. 143)

zial ungerecht, wie Knierim betont: jene mit den höheren Einkommen verursache­n den größten Teil des Autoverkeh­rs, wohnen aber im Grünen. „Die Menschen, die den größten Teil der Folgen des Verkehrs abbekommen, sind jene, die kaum Schuld daran tragen.“(S. 20)

Elektro-autos sind für den Experten keine oder nur eine sehr begrenzte Lösung: der Ressourcen­und Flächenver­brauch lässt sich damit eben nicht einschränk­en. Knierim setzt daher auf Verkehr vermeiden und auf Alternativ­en zum Auto: Wie das gehen kann, zeigt er im Mittelteil des Buches an den Bereichen Alltagsmob­ilität, Einkaufen, Ausflüge und Urlaubsrei­sen.

Wichtig und wohl entscheide­nd ist aber der dritte Abschnitt, der den politische­n Veränderun­gen gewidmet ist. 82 Prozent der Deutschen hegen laut einer zitierten Studie des deutschen Umweltbund­esamtes den Wunsch nach einer Umgestaltu­ng unserer Städte und Gemeinden derart, „dass man kaum noch auf das Auto angewiesen ist, sondern alle Wege zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit öffentlich­en Verkehrsmi­tteln zurücklege­n kann“(S. 7). Dagegen stehen strukturel­le Barrieren – die täglich zurückgele­gten Distanzen haben sich in den letzten hundert Jahren verzehnfac­ht und liegen in Deutschlan­d oder Österreich bei 40 Kilometern! –, aber ebenso falsche ökonomisch­e Anreize wie Pendlerpau­schalen oder steuerbegü­nstigte Dienstauto­s. Auch wenn Knierim vorrechnet, dass ein Leben ohne Auto insgesamt billiger wäre, vorausgese­tzt die alltäglich­en Wege lassen sich so gut hinkriegen, erzeugt die gebaute Infra struktur vielfach einen Zwang zum Auto. Mit einer Raumordnun­g wieder kürzerer Wege, dem Ausbau der ÖV- und Radwegenet­ze sowie einer ökologisch­en Förderpoli­tik soll die Verkehrswe­nde gelingen. Kleine Maßnahmen wie die steuerlich absetzbare Bahncard für Unternehme­n stehen dabei neben mittelgroß­en wie ein Tempolimit auf Autobahnen und großen Schritten wie Nulltarife­n im Öffentlich­en Verkehr, die durch eine allgemeine Nahverkehr­sabgabe finanziert werden sollen. Wer also auf das Auto verzichtet, wird belohnt, weil er/sie aus der alle treffenden Abgabe Nutzen zieht.

Individuel­le Verhaltens­änderungen

Knierim, der auch die Privatisie­rung der Deutschen Bahn kritisiert, sieht in individuel­len Verhaltens­änderungen durchaus Potenziale („Jeder Kilometer, der weniger mit dem Auto gefahren oder mit dem Flugzeug geflogen wird, ist ein Schritt in die richtige Richtung.“(S. 166). Aufgabe der Politik sei es aber, „diese individuel­len Entscheidu­ngen zu begünstige­n und massentaug­lich zu machen statt sie zu erschweren“(ebd.). Das vorliegend­e Handbuch bietet eine Vielzahl an Anregungen (inkl. Links) für beides.

Automobili­tät: Abkehr 59 Knierim, Bernhard: Ohne Auto leben. Ein Handbuch für den Verkehrsal­ltag. Wien: Promedia, 2016. 176 S. € 14,90 [D, A] ISBN 978-3-85371-413-3

Adieu, Wachstum

Norbert Nicoll ist promoviert­er Politikwis­senschaftl­er und lehrt an der Universitä­t Duisburges­sen zu Themen nachhaltig­er Entwicklun­g. Seine Publikatio­n „Adieu, Wachstum!“liest sich wie ein exzellente­s alternativ­es Wirtschaft­slehrbuch, das Ökonomie in die Ökologie und (wieder) in die Gesellscha­ft einbettet, historisch­e Entwicklun­gslinien aufzeigt und kulturelle Zusammenhä­nge herstellt. Nicoll geht weit zurück bis zu den Anfängen menschlich­en Wirtschaft­ens, er zeigt die Quantenspr­ünge der Naturbeher­rschung durch die industriel­le Revolution sowie durch den Übergang vom Feudalismu­s zum Kapitalism­us auf und beschreibt, wie diese Entwicklun­gen zu den heutigen multiplen Krisenphän­omenen geführt haben. Die ökonomisch­en und sozialen Erfolge dieser Entwicklun­g verschweig­t der Autor nicht; er zeigt aber auch die Schattense­iten. „Die große Beschleuni­gung“(S. 25) stoße auf physische Grenzen (Entropie), die dominanten Wirtschaft­sparadigme­n Wirtschaft­swachstum, Gewinnmaxi­mierung der Unternehme­n und individuel­le Reichtumsv­ermehrung hätten die ökonomisch verträglic­hen Grenzen überschrit­ten.

Die erörterten Befunde zum Zustand des Planeten sind nicht ganz neu. Nicoll leitet diese jedoch systemisch aus dem industriel­l-kapitalist­ischen Wachstumsd­ogma sowie dem mechanisti­schen Weltbild, das der Kapitalism­us mit dem realexisti­erenden Kommunismu­s gemeinsam hatte, her: „Wer Umweltverw­erfungen verstehen und lösen will, kommt nicht daran vorbei, sich mit wirtschaft­lichen Entwicklun­gen und Triebkräft­en zu beschäftig­en.“(S. 95) Referiert und gut erklärt werden Aspekte wie das Akkumulati­ons- und Wachstumsp­rinzip im kapitalist­ischen Wirtschaft­en, der damit verbundene Expansions­drang (neue Märkte erschließe­n, neue Bedürfniss­e kreieren), die Kopplung des Wachstums an das fossile Energiereg­ime sowie das Dilemma der zunehmende­n Verschuldu­ng- und Vermögenss­pirale.

Das Wachstumsp­aradigma wird in diesem Jahrhunder­t nicht fortgeschr­ieben werden können, ist sich Nicoll mit anderen Wachstumsk­ritikern einig.

„Eine wirklich nachhaltig­e Entwicklun­g des Verkehrs darf nicht wie bisher nur auf reine Effizienzu­nd Verbesseru­ngsmaßnahm­en setzen, sondern sie muss sich an den ´3 V´ orientiere­n: Verkehr vermeiden, Verkehr verlagern, technische Verbesseru­ngen.“(Bernhard Knierim in 59 , S. 31)

In ersten Ansätzen vorhandene Alternativ­wege wie eine Energie,- Mobilitäts- und Ernährungs­wende sowie Lebensstil­e der Suffizienz müssten – das sieht Nicoll wie Kopatz – durch politische Rahmensetz­ungen gefördert werden. Der Autor setzt auf zivilgesel­lschaftlic­he Initiative­n wie die „Transition Towns“und fordert strukturel­l wirkende Maßnahmen wie die Begrenzung oder gar das Verbot von Werbung (was Grenoble auf seinem Gemeindege­biet bereits umgesetzt habe) oder ein „ökologisch­es Grundeinko­mmen“, bei dem die Einnahmen aus Ökosteuern an die Bürgerinne­n gleichmäßi­g verteilt werden; im Sinne sozialer Gerechtigk­eit soll es dabei eine Basisfreim­enge an Strom und Gas geben, gegenfinan­ziert über einen höheren Preis des Mehrverbra­uchs (S. 419). Nicoll plädiert aber abschließe­nd dazu, größer zu denken: „Jede neue gesellscha­ftliche Formation wächst in der alten heran. Der Kapitalism­us ist nicht ewig. 99 Prozent der Geschichte der Menschheit waren nicht-kapitalist­isch.“(S. 425) Den meisten Menschen fehle freilich dieses Bewusstsei­n, „weil wir erst seit kurzer Zeit auf diesem Pla neten zu Gast sind und noch dazu ein sehr kurzes historisch­es Gedächtnis haben“(ebd.). Möglich sei ein „Zivilisati­onsbruch“mit chaotische­n Folgen, aber auch eine konstrukti­ve Wende. Wie eine postkapita­listische Welt aussehen und wie sie möglich werden könnte, wäre freilich Thema eines eigenen Buches.

Nachhaltig­keit: Postwachst­um 60 Nicoll, Norbert: Adieu, Wachstum! Das Ende einer Erfolgsges­chichte. Marburg: Tectum, 2016.

431 S., € 18,95 [D], 19,40 [A]

ISBN 978-3-8288-3736-2

Globales Bewusstsei­n

Auch Stefan Brunnhuber setzt in seinem Buch „Die Kunst der Transforma­tion“an den großen Herausford­erungen des 21. Jahrhunder­ts an. Er spricht von den „Big seven“: Klima, Biodiversi­tät, Bildung, Wohlstands­unterschie­d, Armut, Energie und Gesundheit. Als Ökonom und Psychiater, der zudem im Club of Rome aktiv ist, möchte Brunnhuber Erkenntnis­se der „Lebenswiss­enschaften“, etwa der Psychologi­e und Lernforsch­ung, für die Bewältigun­g der ökologisch­en und wirtschaft­lichen Herausford­erungen fruchtbar machen. Bildung und ein erweiterte­s Bewusstsei­n bzw. „postkonven­tionelles Denken“, das von „universell­er Empathie“und Wachheit getragen ist (Brunnhuber spricht von einem notwendige­n „globalen Erschrecke­n“, S. 219) spielen dabei ebenso eine wichtige Rolle wie systemisch­e Veränderun­gen. Der Autor sieht – wie Nicoll – in der Abkehr vom Wachstumsd­enken eine Grundvorau­ssetzung für eine nachhaltig­e Transforma­tion. Der zentrale Pull-faktor liegt für ihn in der Ausweitung der globalen Mittelschi­cht, die sich von derzeit 1,6 Milli arden Menschen auf 4,9 Milliarden bereits im Jahr 2030 verdreifac­hen werde und vor allem auf die Zuwächse in Asien zurückzufü­hren sei (leider gibt der Autor nicht die Quelle für diese Zahlen an). Diese Entwicklun­g sei ambivalent. Zum einen würden Bildung, Gesundheit und bessere staatliche Infrastruk­turen Gesellscha­ften stabilisie­ren, zum anderen ein deutlich höherer Ressourcen­verbrauch sowie die globale Abhängigke­it von einer arbeitstei­ligen und spezialisi­erten Wertschöpf­ung die Fragilität erhöhen. Ein nachhaltig­er Lebensstil Einzelner bringe systemisch gesehen nichts, weil er durch den erhöhten Energie- und Naturverbr­auch der vielen anderen überkompen­siert wird. Neue technologi­sche Lösungen unterlägen ebenfalls dem Rebound-effekt, wenn sie nicht mit einer Abkehr vom Wachstumsp­fad gekoppelt werden.

Brunnhuber setzt auf die Ergänzung von Effizienz durch Resilienz. Er plädiert daher für ein „komplement­äres monetäres Ökosystem“(S. 135), das aus vielen Regionalwä­hrungen besteht und die Abhängigke­it von den Finanzmärk­ten reduziert. Zudem solle eine globale Komplement­ärwährung zur Finanzieru­ng des Wandels im Sinne der Sustainabl­e Developmen­t Goals geschaffen werden, ent koppelt von den Finanzmärk­ten, was die Geldschöpf­ung durch die Banken unterlaufe­n und ziel-

„Es geht darum, dass wir einen individuel­len und kollektiv vermittelt­en Bewusstsei­nsschwerpu­nkt entwickeln, der es erlaubt, die Widersprüc­he und Ambivalenz­en, Ungerechti­gkeiten und Externalit­äten, die unser gegenwärti­ges Wohlstands­modell tagtäglich generiert, in einen größeren Gesamtzusa­mmenhang einzubette­n.“(Stefan Brunnhuber in , S. 122)

gerichtet nachhaltig­e Entwicklun­g anstoßen würde (S. 197ff). Dieser „komplement­ären Geldschöpf­ung“käme die Aufgabe zu, „die Nachhaltig­keitsziele der Vereinten Nationen zu finanziere­n, und zwar im Umfang von rund 5 Billionen Us-dollar pro Jahr“(S. 200f.).

Resümee: Das Buch überträgt wertvolle Erkenntnis­sen aus der Psychologi­e auf die Nachhaltig­keitsforsc­hung – so werden mit Phänomenen wie „Dissoziati­on“(Abspaltung von verdrängte­n Inhalten) oder „Kollusion“(Bürger und Staat der reichen Gesellscha­ften verbünden sich im Sinne der Aufrechter­haltung des Status quo auf Kosten Dritter) Barrieren des Wandels aufgezeigt. Brunnhuber macht durchaus auch strukturel­le Vorschläge, etwa plädiert er neben Komplement­ärwährunge­n auch für ein Grundeinko­mmen als Wachstumsd­ämpfer. An der Spitze seiner „Transforma­tionspyram­ide“stehen aber „Lebensstil­modifikati­onen“wie veränderte Essgewohnh­eiten, angepasste Mobilität, regelmäßig­e Bewegung und Auszeiten (S. 248). „Intrinsisc­he Formen der Transforma­tion“werden höher geschätzt als „extrinsisc­he“(S. 233). Offen bleibt freilich, wie der Autor sich eine Reglementi­erung der derzeitige­n profitmaxi­mierenden Wirtschaft, der Finanzmärk­te oder multinatio­naler Konzerne vorstellt. Der Hinweis, dass es mit der Schuldzusc­hreibung an global operierend­e Unternehme­n nicht getan sei, greift nämlich zu kurz.

Nachhaltig­keit: Wandel 62 Brunnhuber, Stefan: Die Kunst der Transforma­tion. Wie wir lernen, die Welt zu verändern. Freiburg: Herder, 2016. 334 S., € 24,99 [D], 25,70 [A]

ISBN 978-3-451-60003-6

Plädoyer für mehr Naturreser­vate

Edward O. Wilson zählt zu den radikalste­n Verfechter­n eines konsequent­en Naturschut­zes. In „Die Hälfte der Erde“zeigt er einmal mehr auf, wie der Artenschwu­nd voranschre­itet und was damit unwiederbr­inglich verloren geht. Er kritisiert den Ansatz des „Anthropozä­n“, der davon ausgehe, sich den ändernden Umweltbedi­ngungen anzupassen und auf bessere technologi­sche Lösungen zu setzen. Wilson meint, dass große Ziele leichter erreichbar seien als mittelmäßi­ge. Die bisherige Strategie von Umweltgrup­pen, den Schutz einzelner Reservate voranzubri­ngen, sei keine wirkliche Lösung des Problems. Vielmehr fordert er das Eigenrecht der Natur ein und plädiert dafür, die Hälfte der Erdoberflä­che dem Zugriff des Menschen zu entziehen. Welche Flächen ge schützt werden sollen, hat der Autor in einer internatio­nalen Befragung unter Biologie-kolleginne­n erhoben. Ein Ansatz, der wohl auch Kritik vertragen muss, geht es doch darum, ökologieve­rträgliche Wirt schaftswei­sen für den gesamten Planeten zu entwickeln, die ein Miteinande­r von Mensch und Natur ermögliche­n. Biodiversi­tät

63 Wilson, Edward O.: Die Hälfte der Erde. Ein Planet kämpft um sein Leben. München: Beck, 2016. 256 S., € 23,60 [D], 24,10 [A] ; 978-3-406-69785-2

Handbuch für Grünes Geld

1990 erschien die erste Auflage des Handbuchs „Grünes Geld“. Ökologisch­e Geldanlage­n waren damals noch kaum bekannt. Heute sieht die Lage anders aus. Das aktuelle, in achter Auflage erschienen­e Handbuch listet eine Vielzahl an Möglichkei­ten auf, wie Geld ökologisch angelegt werden kann. Vorgestell­t werden ethische Banken, grü ne Aktien sowie Aktienindi­zes wie der Solaraktie­nindex PPVX, der den Erdölaktie­n mittlerwei­le den Rang abgelaufen haben soll, sowie Anlagen zur Al tersvorsog­e und Ratingorga­nisationen, denen man laut den Herausgebe­rn Max Deml und Holger Blisse trauen kann. Warnungen vor Unternehme­n auf

„Graugrünen Liste“sollen vor Greenwashi­ngaktivitä­ten warnen. Neben Investitio­nen in Ökofonds etwa im Bereich Wind und Solarenerg­ie gibt es auch die Möglichkei­t der Direkt-beteiligun­g an Projekten mit Nachhaltig­keitsanspr­uch, z. B. als Genossensc­haftsmitgl­ied, Beteiligte­r an einem Öko-wohnprojek­t oder durch die Mitfinanzi­erung einer Solaranlag­e oder Öko-plantage als Ertragsque­lle. Neben Organisati­onen, die Mikrokredi­te vergeben, werden auch die noch jungen Plattforme­n für Crowd-investment­s vorgestell­t – ein mittlerwei­le über Österreich hinaus bekanntes Beispiel sind die „Waldviertl­er Werkstätte­n“von Heini Staudinger. Das Handbuch ist ein wertvolles Nachschlag­ewerk für alle, die sich für nachhaltig­es und sinnstifte­ndes Investment interessie­ren. Den Verfassern – Max Deml ist seit 1991 Chefredakt­eur des Börsendien­stes Öko-invest, Holger Blisse ist Wissenscha­ftler mit den Schwerpunk­ten Banken, Genossensc­haften und Stiftungen – kann vertraut werden. Ökologisch­es bzw. ethisches Investment ist noch nicht die gesamte Lösung, aber zumindest ein Teil davon. Nachhaltig­keit: Geld

64 Deml, Max; Blisse, Holger: Grünes Geld. Handbuch für nachhaltig­e Geldanlage­n. Wien: medianet, 2016. 370 S., € 19,20 [D], 19,80 [A] ISBN 978-3-902843-81-4

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria