Wie kommen wir zum Wandel?
Eine Vielzahl an alarmierenden Befunden gibt es mittlerweile über die globalen ökologischen Auswirkungen unseres Konsum- und Lebensstils. Der Astrophysiker Harald Lesch hat mit „Die Menschheit schafft sich ab“einen weiteren hinzugefügt. Doch warum kommen die notwendigen Veränderungen nur sehr schleppend voran? Brauchen wir andere Rahmenbedingungen, „um zu tun was wir für richtig halten“, wie Martin Kopatz vom Wuppertal-institut meint, oder braucht es beides, Vorreiter und neue politische Vorgaben, wie Bernhard Knierim am Beispiel „Ohne Auto leben“aufzeigt? Geht es um das Erkennen und Überwinden des systemischen Wachstumszwangs des kapitalistischen Produzierens, wie Norbert Nicoll diagnostiziert, oder hilft uns ein ganzheitliches, auf globale Empathiefähigkeit basierendes Bewusstsein, das Stefan Brunnhuber beschreibt? Und brauchen wir alternative Finanzierungswege, wie neben einigen der zitierten Autoren auch das aktuelle Handbuch „Grünes Geld“vorschlägt. Hans Holzinger analysiert die neuen Bücher und zeigt Gemeinsamkeiten und Unterschiede auf.
Im Griff des Anthropozän
Der Astrophysiker und Philosoph Harald Lesch, bekannt u. a. durch seine Zdf-sendung „Leschs Kosmos“, hat sich dem Zustand der Erde zugewandt. In dem gemeinsam mit Klaus Kamphausen verfassten Band „Die Menschheit schafft sich ab“beschreibt er nicht nur die Entstehung des Planeten sowie des Lebens darauf, sondern widmet sich insbesondere der bislang letzten Epoche der Evolutionsgeschichte, die mit dem Klimaforscher Paul Crutzen als „Anthropozän“bezeichnet wird. Untermauert durch zahlreiche Farbbilder und Grafiken, zeigen Lesch/kamphausen in ihrem Spiegel-bestseller einmal mehr auf, wie die globalen Ökosysteme gegenwärtig übernutzt werden. Ob die Degradation der Böden, die Verknappung des Trinkwassers, die Abholzung der Regenwälder oder die Leerfischung der Meere – die Autoren geben einen eindringlichen Bericht über die Folgen des konsumorientierten Lebensund Wirtschaftsstils. Der Rohstoffhunger der industriellen Produktionsweise wird ebenso dargelegt wie seine Kehrseite, die sich auftürmenden Müllberge.
Im Kapitel „Metropolen und Mobilität“illustriert eine Weltkarte die „globale Vernetzung“durch Straßen, Schiffs- und Flugverkehr sowie Tiefseekabel. An die 90 Millionen Automobile werden derzeit weltweit pro Jahr hergestellt, das entspricht 170 neuen Fahrzeugen pro Minute, die den Planeten „betreten“. In einem der größten Häfen der Welt, in Shanghai, werden in einem Jahr mehr als 30 Millionen Container bewegt. Die Zahl der Flugpassagiere soll sich von heute 3,5 Milliarden bis 2030 verdoppeln. Soweit einige der vielen Zahlen, die in diesem Buch zu finden sind (S. 377 ff.).
Interviews, die Lesch für seine Fernsehsendungen geführt hat, vertiefen Einzelaspekte der behandelten Themen. Zu Wort kommen etwa Ernst U. v. Weizsäcker und der Beschleunigungstheoretiker Hartmut Rosa. Porträts von Nichtregierungsorganisationen wie Greenpeace, WWF, Brot für die Welt oder Germanwatch sollen zeigen, dass es auch Gegenstimmen und -aktivitäten zu den geschilderten Entwicklungen gibt.
Lesch setzt also auf zivilgesellschaftliches Engagement, das zur Umsteuerung führen soll. Und er hofft wider die „Unbelehrbarkeit des Menschen“(so das Schlusskapitel) auf die Fähigkeit, dass wir instinktiv doch noch die Entscheidung für eine Wende treffen werden. Aus emotionaler Berührtheit („mit dem Herzen verstehen“, S. 510) könnten wir es schaffen, unseren Enkeln letztlich eine lebenswerte Welt zu hinterlassen, so der freilich nicht ganz befriedigende Ausblick des aufrüttelnden Buches. Nachhaltigkeit: Wandel
57 Lesch, Harald; Kamphausen, Klaus: Die Menschheit schafft sich ab. Die Erde im Griff des Anthropozän. München: Komplett Media, 2017. 515 S., € 29,95 [D], 30,80 [A] ; ISBN 978-3-8312-0424-3
Vgl. auch den Youtube-kanal zum Buch http://video-zukunft-erde.net
Ökoroutine
„Eigentlich wurde schon alles gesagt – aber sehr vieles noch nicht getan“, so bringt Michael Kopatz gleich zu Beginn seines Buches „Ökoroutine“auf den Punkt, woran die Nachhaltigkeitsdebatte (nicht nur seines Erachtens) krankt. Kopatz, Projekteiter im Wuppertal Institut, redet Klartext und zeigt, dass Appelle an die Bürger und Bürgerinnen nicht reichen, sondern politische Vorgaben nö tig sind. Nach dem Motto: „Strukturen für Nachhaltigkeit schaffen“. In den Blick nimmt der Sozialwissenschaftler etwa die Finanzmärkte, das auf Wachstumszwang angelegte Geldsystem, die vielen ökologisch kontraproduktiven Wirtschaftssubventionen oder die weitere Expansion der Auto-
„In dem Moment, wo wir auf Rationalität verzichten, geht die Gesellschaft unter. Aber wir müssen uns auch darüber im Klaren sein, dass das, wenn wir ausschließlich auf Rationalität setzen, genauso passieren kann.“(Lesch/kamphausen in 57 ,S. 505)
und Flughafeninfrastrukturen. Auf den Titel des Buches bezugnehmend spricht Kopatz das Gemeingut-dilemma an, demgemäß das individuell rationale Verhalten (etwa die bequeme Nutzung des Autos) zu einem kollektiv irrationalen Ergebnis führt, ohne dass dies beabsichtigt ist: „Denn niemand sehnt den Klimawandel herbei. … Ökoroutine spricht daher über politische Werkzeuge, Gelegenheitsstrukturen, Standards und Fahrpläne, die dazu führen, dass wir tun, was wir für richtig halten.“(S. 72.) Es sei wenig zielführend, die Abschaffung des Kapitalismus zu fordern, vielmehr gehe es darum, diesem Zügel anzulegen, so Kopatz. Das erfordere die Zurückdrängung des Lobbyismus – so kommen in Berlin 6000 Lobbyisten auf 630 Abgeordnete (S. 47) – und eine stringente Politik: „Die Befürworter der freien Marktwirtschaft sehen ihre Mission in der Begrenzung staatlicher Macht. Mit der Macht von Konzernen scheinen sie hingegen kein Problem zu haben.“(S. 46)
Vorschläge für Umsteuerung
Zu allen ökologisch relevanten Lebensbereichen – Essen, Wohnen und Kaufen sowie Mobilität und Arbeiten – macht der Autor Vorschläge für die Umsteuerung. Einige Beispiele aus dem umfangreichen Maßnahmenkatalog: Die Umsetzung einer Ernährungswende, die auf „Bio für alle“bei entsprechenden Einkommen für alle setzt, sowie die Verordnung eines Flächenmoratoriums, das den Wohnungsneubau begrenzt und einen Stopp des Ausbaus von Straßeninfrastruktur beinhaltet, werden ebenso gefordert wie strengere Auflagen für die Verkehrsbranche. Kopatz kann sich ein zulässiges Maximalgewicht für Autos sowie eine Limitierung des Flugverkehrs vorstellen. Für Einschränkungen plädiert er auch im Bereich Werbung. So könnte eine Eu-richtlinie bestimmen, dass nur mehr solche Autos im Fernsehen beworben werden, deren Co2-emissionen unterhalb des Grenzwerts für den durchschnittlichen Flottenverbrauch liegen. Mit einer 5-Prozentabgabe von allen Werbungen könnte „Gegenwerbung“(etwa für die Bahn als Verkehrsmittel) finanziert werden. Lebensstile der Begrenzung könnten auch durch Arbeitszeitverkürzungen gefördert werden, Einkommensbegrenzungen mehr Fairness bringen und der Umwelt helfen. Denn: „Mit dem Wohlstand wächst der Energieverbrauch. Die Spitzenverdiener verbrauchen im Vergleich zu den Ärmsten dreimal so viel Energie.“(S. 241) Dabei gehe es nicht um Verzicht, als wäre die „permanente Expansion ein Menschenrecht“(ebd.). Kopatz listet eine Vielzahl an vornehmlich politischen Maßnahmen auf, die „Öko“zur Routine machen sollen. Ein Herzstück sieht er in einer Umstellung der Wirtschaftssubventionen, hier „Wirtschaftsförderung 4.0“genannt. Unterstützt werden sollen explizit regionale Wirtschaftskreisläufe sowie gemeinwohlorientierte Unternehmen. „Citizen-value statt Shareholder-value“(S. 327) lautet die Devise. Wie andere setzt Kopatz dabei auf Regionalwährungen (die angedachte Abschaffung des Bargeldes beim Euro könnte Lokalwährungen Auftrieb geben), auf nachfrageorientierte Betriebs-cluster, neue Unternehmensformen und die Umorientierung kommunaler Wirtschaftsförderung.
In Summe ein Band mit zahlreichen kleinen und auch größeren Maßnahmenvorschlägen, deren Umsetzung offensiver Strategien bedürfte, die sich von Lobbys und möglichen Widerständen nicht einschüchtern lassen.
Nachhaltigkeit: Wandel 58 Kopatz, Michael: Ökoroutine. Damit wir tun, was wir für richtig halten. München: oekom, 2016.
412 S. € 24,95 [D], 25,70 [A]
ISBN 978-3-86581-806-5
Ohne Auto leben
Ein zentrales Handlungsfeld im Kontext der Nachhaltigkeitswende, aber auch der Rückgewinnung von Lebensqualität in unseren Städten stellt die Mobilität dar. Der Berliner Verkehrswissenschaftler Bernhard Knierim – er war am 10. Jänner 2017 zu Gast in der JBZ – zeigt in seinem „Handbuch für den Verkehrsalltag“, dass und wie ein „Leben ohne Auto“möglich ist. Im Einleitungskapitel „Warum wir mit dem Auto nicht mehr weiterkommen“schildert Knierim die negativen Folgen sowie die meist externalisierten Kosten der Automobilität – das Anheizen des Klimawandels ist eine der unbeabsichtigten Nebenfolgen, aber nicht die einzige: Jährlich 4.000 Verkehrstote und etwa zehn Mal so viele Schwerverletzte allein in Deutschland zählen ebenso zur Negativbilanz des Automobilismus. Abgesehen von dem menschlichen Leid, das diese Unfälle verursachen, kostet dies auch viel Geld – 42 Mrd. Euro rechnet Knierim für Deutschland vor, die jährlich für die Behandlung von Verletzten anfallen. Knapp 50.000 Menschen sterben laut Studien frühzeitig wegen übermäßiger Feinstaubelastung. Groß ist auch der Flächenverbrauch des Automobilverkehrs: Fünf Prozent der Fläche Deutschlands werden mittlerweile für Verkehrsinfrastruktur aufgewendet, das sei vier Mal so viel wie für Wohnen (S. 17ff.). Die Auto-fokussierung ist zudem so-
„Ökoroutine hat zum Ziel, dass wir umweltfreundlicher leben – indem die Strukturen unseres Lebens und Wirtschaftens umweltfreundlicher gestaltet werden. Das vereinfacht und verbessert den Alltag für uns alle.“(Michael Kopatz in , S. 348)
„Das deutsche Autobahnnetz wurde allein in den letzten 20 Jahren noch einmal um fast ein Viertel erweitert.“(Bernhard Knierim in , S. 143)
zial ungerecht, wie Knierim betont: jene mit den höheren Einkommen verursachen den größten Teil des Autoverkehrs, wohnen aber im Grünen. „Die Menschen, die den größten Teil der Folgen des Verkehrs abbekommen, sind jene, die kaum Schuld daran tragen.“(S. 20)
Elektro-autos sind für den Experten keine oder nur eine sehr begrenzte Lösung: der Ressourcenund Flächenverbrauch lässt sich damit eben nicht einschränken. Knierim setzt daher auf Verkehr vermeiden und auf Alternativen zum Auto: Wie das gehen kann, zeigt er im Mittelteil des Buches an den Bereichen Alltagsmobilität, Einkaufen, Ausflüge und Urlaubsreisen.
Wichtig und wohl entscheidend ist aber der dritte Abschnitt, der den politischen Veränderungen gewidmet ist. 82 Prozent der Deutschen hegen laut einer zitierten Studie des deutschen Umweltbundesamtes den Wunsch nach einer Umgestaltung unserer Städte und Gemeinden derart, „dass man kaum noch auf das Auto angewiesen ist, sondern alle Wege zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegen kann“(S. 7). Dagegen stehen strukturelle Barrieren – die täglich zurückgelegten Distanzen haben sich in den letzten hundert Jahren verzehnfacht und liegen in Deutschland oder Österreich bei 40 Kilometern! –, aber ebenso falsche ökonomische Anreize wie Pendlerpauschalen oder steuerbegünstigte Dienstautos. Auch wenn Knierim vorrechnet, dass ein Leben ohne Auto insgesamt billiger wäre, vorausgesetzt die alltäglichen Wege lassen sich so gut hinkriegen, erzeugt die gebaute Infra struktur vielfach einen Zwang zum Auto. Mit einer Raumordnung wieder kürzerer Wege, dem Ausbau der ÖV- und Radwegenetze sowie einer ökologischen Förderpolitik soll die Verkehrswende gelingen. Kleine Maßnahmen wie die steuerlich absetzbare Bahncard für Unternehmen stehen dabei neben mittelgroßen wie ein Tempolimit auf Autobahnen und großen Schritten wie Nulltarifen im Öffentlichen Verkehr, die durch eine allgemeine Nahverkehrsabgabe finanziert werden sollen. Wer also auf das Auto verzichtet, wird belohnt, weil er/sie aus der alle treffenden Abgabe Nutzen zieht.
Individuelle Verhaltensänderungen
Knierim, der auch die Privatisierung der Deutschen Bahn kritisiert, sieht in individuellen Verhaltensänderungen durchaus Potenziale („Jeder Kilometer, der weniger mit dem Auto gefahren oder mit dem Flugzeug geflogen wird, ist ein Schritt in die richtige Richtung.“(S. 166). Aufgabe der Politik sei es aber, „diese individuellen Entscheidungen zu begünstigen und massentauglich zu machen statt sie zu erschweren“(ebd.). Das vorliegende Handbuch bietet eine Vielzahl an Anregungen (inkl. Links) für beides.
Automobilität: Abkehr 59 Knierim, Bernhard: Ohne Auto leben. Ein Handbuch für den Verkehrsalltag. Wien: Promedia, 2016. 176 S. € 14,90 [D, A] ISBN 978-3-85371-413-3
Adieu, Wachstum
Norbert Nicoll ist promovierter Politikwissenschaftler und lehrt an der Universität Duisburgessen zu Themen nachhaltiger Entwicklung. Seine Publikation „Adieu, Wachstum!“liest sich wie ein exzellentes alternatives Wirtschaftslehrbuch, das Ökonomie in die Ökologie und (wieder) in die Gesellschaft einbettet, historische Entwicklungslinien aufzeigt und kulturelle Zusammenhänge herstellt. Nicoll geht weit zurück bis zu den Anfängen menschlichen Wirtschaftens, er zeigt die Quantensprünge der Naturbeherrschung durch die industrielle Revolution sowie durch den Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus auf und beschreibt, wie diese Entwicklungen zu den heutigen multiplen Krisenphänomenen geführt haben. Die ökonomischen und sozialen Erfolge dieser Entwicklung verschweigt der Autor nicht; er zeigt aber auch die Schattenseiten. „Die große Beschleunigung“(S. 25) stoße auf physische Grenzen (Entropie), die dominanten Wirtschaftsparadigmen Wirtschaftswachstum, Gewinnmaximierung der Unternehmen und individuelle Reichtumsvermehrung hätten die ökonomisch verträglichen Grenzen überschritten.
Die erörterten Befunde zum Zustand des Planeten sind nicht ganz neu. Nicoll leitet diese jedoch systemisch aus dem industriell-kapitalistischen Wachstumsdogma sowie dem mechanistischen Weltbild, das der Kapitalismus mit dem realexistierenden Kommunismus gemeinsam hatte, her: „Wer Umweltverwerfungen verstehen und lösen will, kommt nicht daran vorbei, sich mit wirtschaftlichen Entwicklungen und Triebkräften zu beschäftigen.“(S. 95) Referiert und gut erklärt werden Aspekte wie das Akkumulations- und Wachstumsprinzip im kapitalistischen Wirtschaften, der damit verbundene Expansionsdrang (neue Märkte erschließen, neue Bedürfnisse kreieren), die Kopplung des Wachstums an das fossile Energieregime sowie das Dilemma der zunehmenden Verschuldung- und Vermögensspirale.
Das Wachstumsparadigma wird in diesem Jahrhundert nicht fortgeschrieben werden können, ist sich Nicoll mit anderen Wachstumskritikern einig.
„Eine wirklich nachhaltige Entwicklung des Verkehrs darf nicht wie bisher nur auf reine Effizienzund Verbesserungsmaßnahmen setzen, sondern sie muss sich an den ´3 V´ orientieren: Verkehr vermeiden, Verkehr verlagern, technische Verbesserungen.“(Bernhard Knierim in 59 , S. 31)
In ersten Ansätzen vorhandene Alternativwege wie eine Energie,- Mobilitäts- und Ernährungswende sowie Lebensstile der Suffizienz müssten – das sieht Nicoll wie Kopatz – durch politische Rahmensetzungen gefördert werden. Der Autor setzt auf zivilgesellschaftliche Initiativen wie die „Transition Towns“und fordert strukturell wirkende Maßnahmen wie die Begrenzung oder gar das Verbot von Werbung (was Grenoble auf seinem Gemeindegebiet bereits umgesetzt habe) oder ein „ökologisches Grundeinkommen“, bei dem die Einnahmen aus Ökosteuern an die Bürgerinnen gleichmäßig verteilt werden; im Sinne sozialer Gerechtigkeit soll es dabei eine Basisfreimenge an Strom und Gas geben, gegenfinanziert über einen höheren Preis des Mehrverbrauchs (S. 419). Nicoll plädiert aber abschließend dazu, größer zu denken: „Jede neue gesellschaftliche Formation wächst in der alten heran. Der Kapitalismus ist nicht ewig. 99 Prozent der Geschichte der Menschheit waren nicht-kapitalistisch.“(S. 425) Den meisten Menschen fehle freilich dieses Bewusstsein, „weil wir erst seit kurzer Zeit auf diesem Pla neten zu Gast sind und noch dazu ein sehr kurzes historisches Gedächtnis haben“(ebd.). Möglich sei ein „Zivilisationsbruch“mit chaotischen Folgen, aber auch eine konstruktive Wende. Wie eine postkapitalistische Welt aussehen und wie sie möglich werden könnte, wäre freilich Thema eines eigenen Buches.
Nachhaltigkeit: Postwachstum 60 Nicoll, Norbert: Adieu, Wachstum! Das Ende einer Erfolgsgeschichte. Marburg: Tectum, 2016.
431 S., € 18,95 [D], 19,40 [A]
ISBN 978-3-8288-3736-2
Globales Bewusstsein
Auch Stefan Brunnhuber setzt in seinem Buch „Die Kunst der Transformation“an den großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts an. Er spricht von den „Big seven“: Klima, Biodiversität, Bildung, Wohlstandsunterschied, Armut, Energie und Gesundheit. Als Ökonom und Psychiater, der zudem im Club of Rome aktiv ist, möchte Brunnhuber Erkenntnisse der „Lebenswissenschaften“, etwa der Psychologie und Lernforschung, für die Bewältigung der ökologischen und wirtschaftlichen Herausforderungen fruchtbar machen. Bildung und ein erweitertes Bewusstsein bzw. „postkonventionelles Denken“, das von „universeller Empathie“und Wachheit getragen ist (Brunnhuber spricht von einem notwendigen „globalen Erschrecken“, S. 219) spielen dabei ebenso eine wichtige Rolle wie systemische Veränderungen. Der Autor sieht – wie Nicoll – in der Abkehr vom Wachstumsdenken eine Grundvoraussetzung für eine nachhaltige Transformation. Der zentrale Pull-faktor liegt für ihn in der Ausweitung der globalen Mittelschicht, die sich von derzeit 1,6 Milli arden Menschen auf 4,9 Milliarden bereits im Jahr 2030 verdreifachen werde und vor allem auf die Zuwächse in Asien zurückzuführen sei (leider gibt der Autor nicht die Quelle für diese Zahlen an). Diese Entwicklung sei ambivalent. Zum einen würden Bildung, Gesundheit und bessere staatliche Infrastrukturen Gesellschaften stabilisieren, zum anderen ein deutlich höherer Ressourcenverbrauch sowie die globale Abhängigkeit von einer arbeitsteiligen und spezialisierten Wertschöpfung die Fragilität erhöhen. Ein nachhaltiger Lebensstil Einzelner bringe systemisch gesehen nichts, weil er durch den erhöhten Energie- und Naturverbrauch der vielen anderen überkompensiert wird. Neue technologische Lösungen unterlägen ebenfalls dem Rebound-effekt, wenn sie nicht mit einer Abkehr vom Wachstumspfad gekoppelt werden.
Brunnhuber setzt auf die Ergänzung von Effizienz durch Resilienz. Er plädiert daher für ein „komplementäres monetäres Ökosystem“(S. 135), das aus vielen Regionalwährungen besteht und die Abhängigkeit von den Finanzmärkten reduziert. Zudem solle eine globale Komplementärwährung zur Finanzierung des Wandels im Sinne der Sustainable Development Goals geschaffen werden, ent koppelt von den Finanzmärkten, was die Geldschöpfung durch die Banken unterlaufen und ziel-
„Es geht darum, dass wir einen individuellen und kollektiv vermittelten Bewusstseinsschwerpunkt entwickeln, der es erlaubt, die Widersprüche und Ambivalenzen, Ungerechtigkeiten und Externalitäten, die unser gegenwärtiges Wohlstandsmodell tagtäglich generiert, in einen größeren Gesamtzusammenhang einzubetten.“(Stefan Brunnhuber in , S. 122)
gerichtet nachhaltige Entwicklung anstoßen würde (S. 197ff). Dieser „komplementären Geldschöpfung“käme die Aufgabe zu, „die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen zu finanzieren, und zwar im Umfang von rund 5 Billionen Us-dollar pro Jahr“(S. 200f.).
Resümee: Das Buch überträgt wertvolle Erkenntnissen aus der Psychologie auf die Nachhaltigkeitsforschung – so werden mit Phänomenen wie „Dissoziation“(Abspaltung von verdrängten Inhalten) oder „Kollusion“(Bürger und Staat der reichen Gesellschaften verbünden sich im Sinne der Aufrechterhaltung des Status quo auf Kosten Dritter) Barrieren des Wandels aufgezeigt. Brunnhuber macht durchaus auch strukturelle Vorschläge, etwa plädiert er neben Komplementärwährungen auch für ein Grundeinkommen als Wachstumsdämpfer. An der Spitze seiner „Transformationspyramide“stehen aber „Lebensstilmodifikationen“wie veränderte Essgewohnheiten, angepasste Mobilität, regelmäßige Bewegung und Auszeiten (S. 248). „Intrinsische Formen der Transformation“werden höher geschätzt als „extrinsische“(S. 233). Offen bleibt freilich, wie der Autor sich eine Reglementierung der derzeitigen profitmaximierenden Wirtschaft, der Finanzmärkte oder multinationaler Konzerne vorstellt. Der Hinweis, dass es mit der Schuldzuschreibung an global operierende Unternehmen nicht getan sei, greift nämlich zu kurz.
Nachhaltigkeit: Wandel 62 Brunnhuber, Stefan: Die Kunst der Transformation. Wie wir lernen, die Welt zu verändern. Freiburg: Herder, 2016. 334 S., € 24,99 [D], 25,70 [A]
ISBN 978-3-451-60003-6
Plädoyer für mehr Naturreservate
Edward O. Wilson zählt zu den radikalsten Verfechtern eines konsequenten Naturschutzes. In „Die Hälfte der Erde“zeigt er einmal mehr auf, wie der Artenschwund voranschreitet und was damit unwiederbringlich verloren geht. Er kritisiert den Ansatz des „Anthropozän“, der davon ausgehe, sich den ändernden Umweltbedingungen anzupassen und auf bessere technologische Lösungen zu setzen. Wilson meint, dass große Ziele leichter erreichbar seien als mittelmäßige. Die bisherige Strategie von Umweltgruppen, den Schutz einzelner Reservate voranzubringen, sei keine wirkliche Lösung des Problems. Vielmehr fordert er das Eigenrecht der Natur ein und plädiert dafür, die Hälfte der Erdoberfläche dem Zugriff des Menschen zu entziehen. Welche Flächen ge schützt werden sollen, hat der Autor in einer internationalen Befragung unter Biologie-kolleginnen erhoben. Ein Ansatz, der wohl auch Kritik vertragen muss, geht es doch darum, ökologieverträgliche Wirt schaftsweisen für den gesamten Planeten zu entwickeln, die ein Miteinander von Mensch und Natur ermöglichen. Biodiversität
63 Wilson, Edward O.: Die Hälfte der Erde. Ein Planet kämpft um sein Leben. München: Beck, 2016. 256 S., € 23,60 [D], 24,10 [A] ; 978-3-406-69785-2
Handbuch für Grünes Geld
1990 erschien die erste Auflage des Handbuchs „Grünes Geld“. Ökologische Geldanlagen waren damals noch kaum bekannt. Heute sieht die Lage anders aus. Das aktuelle, in achter Auflage erschienene Handbuch listet eine Vielzahl an Möglichkeiten auf, wie Geld ökologisch angelegt werden kann. Vorgestellt werden ethische Banken, grü ne Aktien sowie Aktienindizes wie der Solaraktienindex PPVX, der den Erdölaktien mittlerweile den Rang abgelaufen haben soll, sowie Anlagen zur Al tersvorsoge und Ratingorganisationen, denen man laut den Herausgebern Max Deml und Holger Blisse trauen kann. Warnungen vor Unternehmen auf
„Graugrünen Liste“sollen vor Greenwashingaktivitäten warnen. Neben Investitionen in Ökofonds etwa im Bereich Wind und Solarenergie gibt es auch die Möglichkeit der Direkt-beteiligung an Projekten mit Nachhaltigkeitsanspruch, z. B. als Genossenschaftsmitglied, Beteiligter an einem Öko-wohnprojekt oder durch die Mitfinanzierung einer Solaranlage oder Öko-plantage als Ertragsquelle. Neben Organisationen, die Mikrokredite vergeben, werden auch die noch jungen Plattformen für Crowd-investments vorgestellt – ein mittlerweile über Österreich hinaus bekanntes Beispiel sind die „Waldviertler Werkstätten“von Heini Staudinger. Das Handbuch ist ein wertvolles Nachschlagewerk für alle, die sich für nachhaltiges und sinnstiftendes Investment interessieren. Den Verfassern – Max Deml ist seit 1991 Chefredakteur des Börsendienstes Öko-invest, Holger Blisse ist Wissenschaftler mit den Schwerpunkten Banken, Genossenschaften und Stiftungen – kann vertraut werden. Ökologisches bzw. ethisches Investment ist noch nicht die gesamte Lösung, aber zumindest ein Teil davon. Nachhaltigkeit: Geld
64 Deml, Max; Blisse, Holger: Grünes Geld. Handbuch für nachhaltige Geldanlagen. Wien: medianet, 2016. 370 S., € 19,20 [D], 19,80 [A] ISBN 978-3-902843-81-4