Natürliche Vorgaben
Wie sehr sind unsere Gespräche durch eine Universalgrammatik maßgeblich geprägt, unsere Art zu Leben von Klima und Wetter? Welche natürlichen Vorgaben gibt es wirklich? Oder ist gar nicht die Natur, sondern unser Verständnis davon, was „natürlich“bedeutet, die größte Hürde, die Gesellschaft zu gestalten? Stefan Wally stellt fünf Bücher vor, die das Thema von unterschiedlichen Gesichtspunkten her diskutieren.
Denken mit Bedeutung
„Was für Lebewesen sind wir?“fragt der amerikanische Linguist Noam Chomsky in seinem neuen Buch. Darin werden vier Texte vorgestellt, die dem Leser und der Leserin das Denken Chomskys näherbringen. Chomsky prägt seit Jahrzehnten den kritischen Diskurs in den USA mit. Seine Stimme hat Gewicht, seine Meinung wiegt schwer in politischen Debatten.
Das vorliegende Buch ist aber vor allem für all jene nützlich, die Chomskys sprachwissenschaftliches Wirken verstehen wollen. Im ersten Text „Was ist Sprache?“legt der Autor seine Überlegungen in einer aktualisierten Version vor. Der Text ist lesbar, wenn auch nicht einfach. Das Vorwort von Akeel Bilgrami hilft beim Verständnis, wenn man keine sprachwissenschaftliche Vorbildung hat.
Was ist nun Chomskys zentrale These? Chomsky beobachtet bei Sprachen, dass es eine Universalgrammatik zu geben scheint. Darunter versteht er große Prinzipien, die den Grammatiken aller Sprachen zugrunde liegen.
Er zeigt dies beispielhaft anhand des Satzes „Instinctively, eagles that fly swim.“Das Adverb „Instinctevly“bezieht sich auf das Verb „swim“. „Das Erstaunliche daran ist, dass die Beziehung zwischen den Elementen am Satzanfang, nämlich ‘instinctively’ und ‘can’, und dem fraglichen Verb über eine Distanz hinweg besteht und auf strukturellen Eigenschaften beruht, statt eine der nachbarschaftlichen Nähe zu sein, die lediglich auf den linearen Abstand basiert, letzeres eine wesentlich simplere Rechenoperation, die zudem für die Sprachverarbeitung optimal wäre.“(S. 50) Aber die Sprache mache von einer Eigenschaft der minimalen strukturellen Entfernung Gebrauch und verwendet nie die wesentlich einfachere Operation der minimalen linearen Distanz. Die Frage sei, warum das so ist –„und zwar nicht nur im Englischen, sondern in allen Sprachen – über eine weite Palette von Konstruktionen hinweg”. Offensichtlich seien am Erwerb und am Bauplan der Sprache wesentlich tiefer gehende kognitive Eigenschaften beteiligt.
Chomsky zieht zwei Grenzen, genauer gesagt spricht er von Schnittstellen. Diese sind die sensomotorische Schnittstelle für die Externalisierung und die konzeptuell-intentionale für geistige Prozesse. An der geistigen Schnittstelle wirken die tiefer liegenden kognitiven Eigenschaften als Denken. Wenn wir sprechen, ist dies lediglich die sensomotorische Artikulation dieses Denkens. Um klarzumachen, dass dies eine Veränderung der Perspektive bedeutet: Bei der Sprache handelt es sich nicht um Laute mit Bedeutung, sondern um Bedeutung mit Lauten. Dieses externalisierende Sprechen habe dann gar nicht so eine große Wichtigkeit: „Es ist auch der Erwähnung wert, dass von der Externalisierung selten Gebrauch gemacht wird. Der bei weitem größte Teil des Gebrauchs der Sprache wird nie externalisiert. Er ist eine Art von innerem Diader
„Wenn all dies generell richtig ist, gibt es gute Gründe, zu einer traditionellen Auffassung der Sprache als ‘Werkzeug des Denkens’ zurückzukehren und das Diktum von Aristoteles entsprechend zu revidieren ... “
(Noam Chomsky in , S. 55f.)
log, und das Wenige, das es zu diesem Thema an Forschung gibt (…) bestätigt das, was die Introspektion – zumindest meine – nahelegt: Das, was das Bewusstsein erreicht, sind verstreute Fragmente. Manchmal erscheinen vollständig geformte Ausdrücke ganz plötzlich intern, zu rasch, um durch die Sprechwerkzeuge artikuliert zu werden oder wohl auch um überhaupt erst Instruktionen an sie zu senden.“(S. 56) Sprache wird hier zu einem untergeordneten Prozess, dessen Eigenschaften eine Widerspiegelung des weitgehend oder vollständig unabhängigen kognitiven Systems sind. Chomsky gesteht aber auch ein, was das Problem dieser seiner Sicht ist: Viele dieser internen geistigen Prozesse sind für uns verschlossen und wir haben nur unzureichende Methoden, sie zu erforschen.
Chomskys Thesen sind nicht unumstritten unter Linguisten. Ihre Bedeutung ist aber über das Fach hinaus klar: Wenn unsere Sprechakte auf einer Universalgrammatik basieren, die unser Denken prägt, so ist unser gesellschaftlicher Austausch weniger durch gemeinsame Entwicklung der Kommunikation prägbar, sondern hängt stark von (biologisch) vorgegebenen Strukturen des Denkens ab, die nicht zur Diskussion stehen. Das gereicht dem Einzelnen zur Ehre, der Veränderbarkeit der Welt aber zum Nachteil.
Sprachwissenschaften 65 Chomsky, Noam: Was für Lebewesen sind wir. Berlin: Surhkamp, 2017. 249 S., € 26,00 [D], 26,80 [A] ISBN 978-3-518-58694-5
Wettergeschichten
Das Wetter macht Geschichte. Das weist auf 281 Seiten der Historiker und Journalist Ronald Gerste nach: Anhand von vielen Beispielen zeichnet er die Zusammenhänge zwischen klimatischen Veränderungen und gesellschaftlichen Entwicklungen nach.
Die Effekte des Wetters auf die Weltgeschichte waren natürlich vor allem über die Nahrungsmittelproduktion vermittelt. Aber auch mittelfristige Effekte auf militärische Operationen gaben der Geschichte oft einen Stoß in eine andere Richtung. Sandstürme, besonders kalte Winter, vereiste Flüsse bedeuteten mehr als einmal, dass Feldzüge möglich wurden oder scheiterten. Auch technische Errungenschaften und die aus ihnen folgenden Möglichkeiten haben einen Zusammenhang mit dem Wetter. Die berühmte steinerne Brücke bei Regensburg wurde in einer Wärmeperiode gebaut, als die Donau kaum Wasser führte.
Vor allem Vulkanausbrüche hatten immer wieder gravierende Auswirkungen. Die dabei ausgestoßenen Staubmassen verdunkelten immer wieder monatelang den Himmel. Der lange vor Christus ausgebrochene Vulkan Toba hatte verheerende Effekte, der Vulkanausbruch von 535 in Papua Neuguinea verdunkelte noch in Italien den Himmel und sorgte für schlechte Ernten.
Große Verschiebungen wie die mittelalterliche Wärmeperiode von 950/1000 bis 1300 ermöglichten bessere Ernten und damit die Bildung von Städten, weil die Nahrungsmittelproduktion dies unterstützte.
29 Beispiele wie diese führt Gerste auf, erzählt die Zusammenhänge und macht somit deutlich, dass man über das Wetter reden sollte. Vor allem wird klar, dass die klimatischen Veränderungen nicht nur parallele, klar vorhersehbare Veränderungen bringen. Sie können dazu führen, dass vorerst scheinbar unwichtige Nebeneffekte über Kausalketten große Folgen auslösen. Das ist wahrscheinlich die wichtigste Lehre aus der Befassung mit der Wettergeschichte.
Gerste selber systematisiert diese Erfahrungen nicht. Er lässt die Beispiele nebeneinander stehen und auf den Leser oder die Leserin wirken. Klimawandel, das zeigt die Geschichte, kann eine Vielzahl von Gründen haben, die meisten davon gehen nicht auf den Menschen zurück. Gerstes Perspektive auf den Klimawandel hat ihre Berechtigung und niemand bestreitet, dass Klimaveränderung viele Ursachen haben kann. Die Gefahr dieser Hinweise besteht allerdings darin, dass sie zu Phlegmatismus führen könnten, dass man die anpackbaren offensichtlichen Herausforderungen scheut. Gerste ist sensibel genug, um diese Gefahr zu umschiffen: In seinem Epilog geht er auf die Frage des aktuellen, durch Menschen verursachten Anteils am Klimawandel ein. „Natürlich ist der Autor dieser Zeilen davon überzeugt, dass global warming real und zumindest partiell anthropogen ist – überzeugt genug, um sich zu wünschen, dass die von Regierungen verkündeten Reduktionziele Realität und möglichst überboten werden mögen, dass klimafreundliche Technologien in allen Lebensbereichen einen Durchbruch erzielen und dass jeder Einzelne das in seinen Kräften Stehende tun möge, um diesen kleinen, zerbrechlichen und vollen Planeten zu bewahren.“(S. 281)
Klimawandel: Geschichte Gerste, Ronald D.: Wie das Wetter Geschichte macht. Katastrophen und Klimawandel von der
Antike bis heute. Stuttgart: Klett-cotta, 2015.
288 S., € 19,95 [D], 20,50 [A]
ISBN 978-3-608-94922-3
„Natürlich ist auch der Autor dieser Zeilen davon überzeugt, dass global warming real und zumindest partiell anthropogen ist - überzeugt genug, um sich zu wünschen, dass die von Regierungen verkündeten Reduktionsziele Realität und möglichst überboten werden mögen (...) und dass jeder Einzelne das in seinen Kräften Stehende tun möge, um diesen kleinen, zerbrechlichen und so vollen Planeten zu bewahren.” (Ronald D. Gerste in 66 , S. 280f.)
Klimaeffekte
Wie verändert sich unser Leben, wenn sich das Klima verändert? In seinem Buch „Die Welt aus den Angeln“schildert Philipp Blom kenntnisreich, wie sich Europa unter dem Druck einer „kleinen Eiszeit“in den Jahren 1570 bis 1700 veränderte. Die durchschnittliche Temperatur sank damals um zwei Grad und kehrte die Strömungen der Ozeane um, störte klimatische Kreisläufe und verursachte extreme Wetterereignisse. Frost im Winter und Dürre im Sommer führen auf der ganzen Welt zu Hunger und Not.
Blom bleibt aber nicht bei den direkten Auswirkungen des Klimawandels stehen. Er zeigt, wie die Menschen und ganze Gesellschaften darauf reagierten, sich neue Wege bahnten. Dabei ging es genauso um die Organisation des privaten Lebens wie um ein neues Denken, das den neuen Herausforderungen gerecht wurde.
Der Klimawandel traf auch die mittelalterliche Form des Wirtschaftens ins Mark. „Das soziale und wirtschaftliche System des feudalen Europa basierte ganz auf Landbesitz und lokaler Getreideproduktion. Dies war der zentrale, verwundbare Punkt. Als die Temperaturen weit genug abgesunken waren, um die Getreideproduktion oft und empfindlich zu stören, geriet die wirtschaftliche Grundlage und mit ihr die gesamte Ordnung Europas ins Wanken. Die Europäer waren gezwungen, Alternativen zu einer Lebensweise zu finden, die sich seit mehr als einem Jahrtausend kaum verändert hatte.“(S. 98) Blom beschreibt dann, wie dieser Druck neue Formen des Handels, unter anderem mit Amerika, und der Produktion hervorbrachten. Auch in der Landwirtschaft kam es zur Einführung neuer Techniken. Schließlich war eine neue Form des Denkens gefragt, die großen Fragen wurden nicht mehr theologisch beantwortet, die Aufklärung mit dem Imperativ der Vernunft brach sich ihren Weg.
„Wir können die adaptive Leistung bewundern, die europäische Gesellschaften auf evolutionäre Art, also ungeplant und ohne vorher definiertes Ziel vollbrachten: Sie schufen eine neue ökonomische Ordnung, den frühen Kapitalismus; eine bürgerliche Mittelschicht begann sich durchzusetzen; die kulturellen Ausdrücke des eigenen Lebensgefühls änderten sich; zusammen mit einer Öffentlichkeit wurden neue Denkmöglichkeiten geschaffen und verbreitet. Aus einer spätfeudalen Zeit entstanden in wenigen Jahrzehnten zumindest für urbane Europäer das Leben und Denken der frühen Moderne.“(S. 236)
Blom fragt die Epoche auch darauf ab, was sie uns zu unserem aktuellen, menschgemachten Klimawandel zu sagen hat. Wir seien die erste Generation der Menschheitsgeschichte, die eine relativ klare Konzeption davon hat, was ihr Erbe an die Zukunft sein wird: Wir wissen um den bevorstehenden Klimawandel, seinen Ursprung, und wissen, dass wir seine potentiell katastrophalen Auswirkungen zumindest mindern können. Doch die Parallele zur „kleinen Eiszeit“ist ernüchternd: „Wir reagieren auf den Klimawandel kaum effizienter als unsere Vorfahren, die ihn nicht verstanden: chaotisch, improvisierend, getrieben von immer häufigeren katastrophalen Ereignissen und immer kontrolliert von dem absoluten Nahziel, dass unsere Wirtschaft wachsen muss, dass unser eigener Wohlstand erhalten bleiben muss.“(S. 245) Wir seien uns dabei kaum bewusst, dass wir uns wie alle Organismen an die neue Umgebung anpassen müssen, und dass wir vor Transformationen stehen, die alle Bereiche unseres Denkens und Lebens betreffen werden. Unser Vorteil: Wir könnten diesen Wandel planend angehen.
Klimawandel: Geschichte 67 Blom, Philipp: Die Welt aus den Angeln. Eine Geschichte der Kleinen Eiszeit von 1570 bis 1700. München: Hanser, 2017. 302 S., € 24,00 [D], 24,70 [A] ISBN 978-3-446-25458-9
Dynamische Natur
Unsere Sehnsucht nach Übersichtlichkeit und Kon tinuität projizieren wir oft auf die Natur der nahen Umgebung: Der Flecken Erde, der noch genauso aussieht wie vor Jahrhunderten. Fred Pearce erlaubt uns keine romantische Schwärmerei. In seinem Buch „Die neuen Wilden“versucht er zu zeigen, dass auch die Natur sich immer verändern wird. Mehr noch: Diese Veränderungen bringen oft Gutes. Pearce geht es dabei aber nicht um die Menschen, die betonieren oder zumindest roden. Es geht ihm um „biologische Abenteurer“, importierte Tierarten, neue Pflanzen, die vermeintlich das ökologische Gleichgewicht ins Wanken bringen. Aber dieses Bild gibt die Wirklichkeit nicht richtig wieder, sagt Pearce.
Pearce hat für das Buch die Spuren von fremden Arten auf sechs Kontinenten verfolgt. Im ersten Teil des Buches berichtet Pearce über Gegenden, auf denen sich dramatische Entwicklungen vollzogen hatten, nachdem Menschen neue Arten in die Ökosysteme einführten. Ein Beispiel: Der botanische Garten in Bogor auf Java hatte unerwünschte Wasserhyazinthen einfach in den nächsten Fluss entsorgt. Dort breitete sich das Unkraut immer weiter aus, Flüsse und Seen wurden von der Pflanze be-
„Die alte Wildnis ist tot. Aber die neue Wildnis blüht und gedeiht, und das umso mehr, wenn wir ihr ihren Willen lassen. Sie ist in hybridisierenden Rhododendren zu finden, in seltenen Bie nen und Spinnen, die inmitten der Industriebrachen der Städte auftauchen, auf dem Green Moutain auf Ascension Island, in der Sperrzone von Tschernobyl, im Buschland des tropischen Afrika und in den nachwachsenden Regenwäldern Borneos ...” (Fred Pearce in , S. 295)
deckt, für die örtliche Fischereiwirtschaft bedeutet der Neuling ein massives Problem. Roden klappte nicht, das Vordringen der Pflanze schien unaufhaltbar. Doch plötzlich begannen sich die Hyazinthenteppiche zurückzubilden. Der Grund: Die Abwässer zweier großer Städte wurden nun besser ge reinigt in die Gewässer abgelassen. „Immer wieder stellte ich fest, dass sich angeblich bösartige Invasoren lediglich Ökosysteme zunutze machten, die bereits vom Menschen massiv gestört waren. Sie waren Opportunisten und zugleich Erneuerer der Natur, und sie übernahmen oft Aufgaben, die die heimischen Arten nicht bewältigen konnten.“(S. 25) Pearce kommt zu dem Ergebnis, dass die Dämonisierung einwandernder Pflanzenarten mehr über uns und unsere Angst vor Veränderungen aussagt als über sie und ihr Verhalten. Man müsse sich von der Vorstellung verabschieden, dass die Natur stabil sei oder einer Vervollkommnung zustrebe. Pearce redet einer neuen Verwilderung der Welt das Wort. Er meint allerdings, dass dies nicht bedeuten könne, dass man das Rad der Zeit zurückdrehen kann. „Diese neue Wildnis wird eine völlig andere sein als die alte.“(S. 20) Sie blühe und gedeihe, und das umso mehr, wenn wir ihr ihren Willen lassen. Pearce meint, sie sei in hybridisierenden Rhodondren zu finden, in seltenen Bienen und Spinnen, die inmitten von Industriebrachen der Städte auftauchen, auf dem Green Mountain auf Ascension Island, in der Sperrzone von Tschernobyl, im Buschland des tropischen Afrika und in den nachwachsenden Regenwäldern Borneos sowie an vie len anderen Orten. „Die Natur kehrt nie um, sie schreitet immer weiter voran. Fremde Spezies, die Vagabunden, sind in dieser ständigen Erneuerung die Pioniere und Siedler. Ihre Invasionen sind für uns vielleicht nicht immer angenehm, aber die Natur wird sich auf ihre eigene Weise zurückverwildern.“(S. 295) Ökosysteme
68 Pearce, Fred: Die neuen Wilden. Wie es mit fremden Tieren und Pflanzen gelingt, die Natur zu retten. München: Oekom, 2015. 330 S., € 22,95 [D], 23,60 [A] ISBN 978-3-86581-768-6
Ideologische „Natur“
Wenn wir über „Natur“und „Ökologie“reden, sind wir oftmals sehr ungenau. Das könnte Timothy Morton nicht passieren. In seinem philosophischen Buch „Ökologie ohne Natur: Eine neue Sicht der Umwelt“wirft er einen gewissenhaften Blick darauf, wie wir über Natur, Natürlichkeit und Ökologie denken und die Begriffe verwenden. Morton hat Englische Literatur studiert und unterrichtet an verschiedenen amerikanischen Universitäten, seit 2012 an der Ri ce University. Er kombiniert die Wissensbereiche Literaturwissenschaft, Ökologie und Philosophie. Er argumentiert, dass in einem ökologischen Stadium der menschlichen Gesellschaft der Begriff ‘Natur’ wird verkümmern müssen. Er beginnt mit dem Nacherzählen, wie der aktuelle Naturgedanke entstanden ist, und welchen Einfluss er auf Kunst und Kultur hatte. Morton kritisiert, dass man das, was gemeinhin Natur genannt wird, auf ein Piedestal gestellt hat und von Weitem bewundert, Natur wurde so zu einem transzendentalen Prinzip. Im Namen all dessen, was man an Natur schätze, untersucht er, wie Natur als transzendentale, einheitliche und unabhängige Kategorie entstehen konnte.
Morton meint, dass die Natur ein notorisch schlüpfriger Begriff geworden sei. In seiner Weigerung, irgendeine Konsistenz beizubehalten, war „Natur“Ideologien aller Art dienlich. (S. 26) Schlimmer noch: Konsistenz weist dagegen der Begriff „unnatürlich“auf. Wenn man sage, etwas sei unnatürlich, meint man, dass es keiner Norm entspricht, die so ‘normal’ wäre, dass sie in das Gefüge der Dinge eingebaut ist.
Morton unterscheidet die Substanz und die Essenz der Natur. Unterschiedliche Umweltvorstellungen ziehen unterschiedliche Gesellschaftsformen nach sich. Substanzialistische Vorstellungen einer greif baren, eindeutigen Natur, die zumindest in einem tatsächlich existierenden Phänomen zum Ausdruck kommt, erzeugen autoritäre Formen kollektiver Organisation. Vorstellungen einer Natur, die nicht als Bilder wiedergegeben werden können, die also essenzialistische sind, unterstützen dagegen ega litäre Formen.
„Die Natur als Idee ist nur allzu real und sie hat eine allzu reale Wirkung auf allzu reale Glaubensvorstellungen, Handlungsweisen und Entscheidungen in einer allzu realen Welt. Es stimmt, ich behaupte, es gäbe nichts dergleichen wie Natur, wenn wir unter Natur etwas Singuläres, Unabhängiges und Dau erhaftes verstehen. Aber es gibt verblendete Ideen und ideologische Fixierungen. Natur ist ein Brennpunkt, der uns zwingt bestimmte Haltungen einzunehmen. Und der gegenüber diesem faszinierenden Objekt eingenommenen Haltung wohnt Ideologie inne. Indem wir das Objekt auflösen, machen wir die ideologische Fixierung unwirksam.“(S. 34) So sieht denn Morton auch nichts Paradoxes darin im Namen der Ökologie auszurufen: „Nieder mit der Natur!” Ökophilosophie
Morton, Timothy : Ökologie ohne Natur. Eine neue Sicht der Umwelt. Berlin: Matthes u.seitz, 2016. 351 S., € 30,- [D], 30,90 [A] ; ISBN 978-3-95757-255-4
„Wenn Ökologie überhaupt etwas bedeutet, dann muss sie uns lehren, ohne Natur zu sein. Wenn wir Natur gegen unsere ideologischen Interessen in die vorderste Linie bringen, hört sie auf, eine Welt zu sein, in die wir eintauchen können.” (Timothy Morton in 69 , S. 311)