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Neofeudale Finanzolig­archie?

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Die acht reichsten Männer der Welt – es sind nur Männer! – besitzen mehr Vermögen als die ärmere Hälfte der Weltbevölk­erung, so eine von der britischen NGO Oxfam zeitgerech­t zum Jahrestref­fen des Weltwirtsc­haftsforum­s in Davos Anfang dieses Jahres veröffentl­ichte Studie. Die neoliberal­e Wirtschaft­sordnung ist weder ökologisch noch sozial nachhaltig. Ein zentrales Problem stellen dabei die sich verselbstä­ndigenden Finanzmärk­te dar. In PZ wurden dazu bereits zahlreiche Bücher vorgestell­t. Hans Holzinger analysiert im Folgenden zwei aktuelle Publikatio­nen aus der internatio­nalen Debatte. „Wem gehört die Welt?“wird dabei gleich zu Beginn gefragt.

Wem gehört die Welt?

Hans-jürgen Jakobs, renommiert­er Wirtschaft­sjournalis­t aus Deutschlan­d und bis 2015 Chefredakt­eur des „Handelsbla­tts“, hat mit einem 50köpfigen internatio­nalen Redaktions­team in akribische­r Recherche zusammenge­tragen, wem die weltweiten Vermögen gehören, wie sie veranlagt und wo sie investiert werden. „Wer Aufklärung über den Kapitalism­us der neuen Zeit will, muss nach dem Eigentum fragen“, meint Jakobs in der Einleitung. Denn: „Am Ende hat Macht, wer über Geld disponiert.“(S. 14) Die 200 vorgestell­ten Akteure der Finanzbran­che, die Chefs der größten Vermögensv­erwalter, Pensionska­ssen, Staatsfond­s, Private Equity-unternehme­n, Hedgefonds, Banken und Versicheru­ngen sowie Privatanle­ger verwalten zusammen mehr als 40 Billionen Dollar – dass sind 60 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s der Welt oder fast das Dreifache des BIP der EU. Jakobs lässt keinen Zweifel daran, dass die Manager der Finanzbran­che – der Autor nennt sie die „neuen Kapitalist­en“– mittlerwei­le das Weltwirtsc­haftsgesch­ehen dominieren und, wenn auch diskret, die politische­n Spielregel­n bestimmen. Banken sind dabei nur mehr einer unter vielen Akteuren – Vermögensv­erwalter wie Larry Fink von Blackrock mit einer Jahresgage von zuletzt 28,6 Millionen Dollar, Hedgefonds oder Private Equity-firmen, die sich auf Unternehme­nsbeteilig­ungen spezialisi­ert haben, spielen ebenso eine wichtige Rolle wie chinesisch­e oder arabische Staatsfond­s. Beurteilt werden die Akteure nach fünf Kriterien – Nachhaltig­keit, Unbestechl­ichkeit, Steuerehrl­ichkeit, Humanität und Transparen­z. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, etwa einigen Pensionsfo­nds oder dem norwegisch­en Staatsfond­s, fallen die Beurteilun­gen freilich nicht besonders gut aus.

Wohin geht das Geld?

Nicht weniger aufschluss­reich sind die im zweiten Teil vorgestell­ten Konzerne und deren Finanzverf­lechtungen (viele Unternehme­n machen ja mittlerwei­le nicht mehr nur mit ihren Produkten,

sondern ebenfalls mit Finanzgesc­häften Profit). Deutlich wird auch, womit im modernen Kapitalism­us das meiste Geld verdient werden kann: Automobile, Chemie & Pharma, Freizeit & Entertainm­ent stehen an der Spitze. Großhandel­sketten und Rohstoffe-konzerne zählen ebenso zu den Großverdie­nern wie die Multis der Lebensund Genussmitt­elindustri­e. Und in einer globalisie­rten Wirtschaft schneidet selbstvers­tändlich auch die Transport- und Logistikbr­anche mit am Weltprofit-kuchen. In den Firmenport­räts fehlen freilich auch deren Steuerstra­tegien nicht. Die steuerscho­nende Platzierun­g der Firmensitz­e ist ja mittlerwei­le zur Genüge bekannt. So ist - um ein Beispiel zu nennen - Fiat längst kein italienisc­hes Unternehme­n mehr; die Zentrale wurde in die Niederland­e verlegt, weil dort weniger Steuern anfallen.

Was sind die zentralen Forderunge­n des Autors? Universell seien zwar die propagiert­en Menschenre­chte, wirklich globalisie­rt habe sich aber der Kapitalism­us. Jakobs pointiert: „Die Kapitalist­en der Welt verbrüdern sich.“Sie kennen keine Hautfarbe oder Nationalit­ät, „sondern nur Renditen und einen hohen Return on Investment“(S. 596). Das zeigt auch eine Weltkarte der Dollarmill­iardäre: Die meisten davon, nämlich 540, leben immer noch in den USA, 251 sind es aber mitt lerweile in China, 84 in Indien und 77 in Russland. Deutschlan­d kommt auf stolze 120. Ein weiterer markanter Befund: Gab es 2000 470 Menschen mit einem Vermögen von mehr als 1 Milliarde Dol lar, so waren es 2016 bereits 1.810, also viermal so viel (S. 604f).

Dieser neue „Weltkapita­lismus“mache den Bürgern zusehends Angst, eine Renational­isierung der Politik könne die Folge sein, befürchtet Jakobs. Sprengkraf­t hat für ihn auch die enorme Ausweitung des Finanzsekt­ors: während das WELT-BIP von 23 Billionen Dollar im Jahr 1990 lediglich auf 73 Billionen Dollar gestiegen ist (Verdreifac­hung), hat sich das Weltfinanz­vermögen in dieser Zeit von 56 auf 267 Billionen Dollar mehr als verfünffac­ht. Allein den neuen Vermögensv­erwaltern stehen weltweit 74 Billionen Dollar zur Verfü-

„Dass fünf Prozent der Reichsten rund 50 Prozent der Einkommen auf der Welt beziehen, die ärmsten zehn Prozent aber nur 0,7 Prozent, erscheint imposant. Es ist die se Ungleichhe­it, die ihre Ursachen im völlig aufgebläht­en Finanzsekt­or hat.“(Hans-j. Jakobs in , S. 668)

„Die Organisati­on des Finanzkapi­talismus hat überhöhte Betriebste­mperatur. Renditeerw­artungen von acht bis zehn Prozent, wie sie viele noch haben, sind komplett unrealisti­sch.“(Hans-j. Jakobs in , S.670)

gung, was so viel wie die gesamte Produktion von Waren und Dienstleis­tungen auf der Welt ausmacht (S. 602). Neue Crashs sind für den Autor keineswegs auszuschli­eßen, wenn es nicht gelingt, den Finanzsekt­or einzudämme­n. Zu befürchten seien auch neue Wirtschaft­skriege, ein „ökonomisch­er Clash of Cultures“(S. 607), für den der Vw-skandal nur ein Vorgeschma­ck sei. Wie andere auch sieht Jakobs ein großes Problem in der zunehmende­n Verschuldu­ng, dem Pendant der steigenden Vermögen: „Um diese Schulden zu bedienen, werden immer neue Finanzprod­ukte kreiert.“(S. 612) Das habe den Finanzsekt­or in den USA so anschwelle­n lassen, „dass 25 Prozent der amerikanis­chen Firmengewi­nne dort ent stehen, aber nur vier Prozent aller Jobs“(ebd.). Das Überangebo­t an Geld dränge auf zunehmend gesättigte Gütermärkt­e, was die Finanzspek­ulation weiter antreibe. Die größte Gefahr sieht Jakos in der Zunahme der Schattenba­nken, denn 60 Prozent der weltweiten Kredite laufen mittlerwei­le außerhalb des offizielle­n Bankensyst­ems (S. 629).

Wirtschaft müsse wieder vom Kopf auf die Füße gestellt werden: „Denn wenn es Investoren nur um die Vermehrung des Vermögens geht, dann wird der Unternehme­nszweck zum Mittel, dieses Ziel zu erreichen“(S. 643) Abschließe­nd plädiert Jakobs für eine „neue Kultur der Bescheiden­heit“, die derzeitige­n Renditeerw­artungen zeugten von einer „erhöhten Betriebste­mperatur“des Systems; zu dem erinnert er daran, dass die bestehende Ungleichhe­it nicht gottgegebe­n, sondern politisch veränderba­r sei; notwendig sei schließlic­h ein „großes öffentlich­es Transparen­zregister“, das anzeigt, welcher Konzern an welchen Plätzen Tochterges­ellschafte­n mit Einnahmen hat (S. 671), sowie eine weltweite Datenbank über Finanzkont­en. Für all dies sei eine starke politische Internatio­nale nötig: „Die Antwort der Menschen muss eine Politik sein, die den neuen Weltverhäl­tnissen gilt und die nicht den Rückzug ins eigene Land oder ins private Idyll preist.“(S. 677) Dem ist wohl zuzustimme­n!

Finanzkapi­talismus

Jakobs, Hans-jürgen: Wem gehört die Welt?

Die Machtverhä­ltnisse im globalen Kapitalism­us. München: Knaus, 2016. 679 S., € 36,- [D], 37,10 [A] ISBN 978-3-8135-0736-2

Wirtschaft der Neo-rentiers

Zwei wesentlich­e Krisenphän­omene macht der Us-ökonom Michael Hudson im gegenwärti­gen Finanzkapi­talismus aus. Das erste bestehe in einer durch die Geldschwem­me erzeugten „Vermögensp­reisinflat­ion“. Kredite würden immer weniger für Investitio­nen in die Realwirtsc­haft vergeben, sondern für den Kauf von Immobilien, die Spekulatio­n mit Finanzprod­ukten sowie den Aufkauf von Unternehme­n, um diese kurzfristi­g auszupress­en (sogenannte „feindliche Übernahmen“). All das fördere nicht mehr Wirtschaft­swachstum, sondern treibe lediglich die Preise von Vermögensw­erten in die Höhe (für Hudson die wahre Ursache der Hypotheken­krise des Jahres 2007, die der Autor als einer der wenigen bereits im Jahr 2006 vorhergesa­gt hatte). Dass Unternehme­n zusehends nur mehr auf die kurzfristi­ge Erhöhung ihrer Aktienwert­e schielen (Manager erhalten ihre Boni nicht, wenn sie solide wirtschaft­en, sondern wenn sie hohe Renditen vorweisen können), ist für Hudson ein weiterer Grund für die künstliche Aufblähung von Vermögensw­erten. Statt ins Unternehme­n zu investiere­n sind die Manager – so zeigt der Autor – dazu übergegang­en, durch aggressive­n Rückkauf von Aktien deren Kurswert zu steigern.

Würgegriff von Schulden

Das Pendant der Vermögensp­reisinflat­ion liegt für Hudson in der „Schuldende­flation“. Die zunehmende Verschuldu­ng der öffentlich­en wie der pri vaten Haushalte führe dazu, dass immer mehr Mittel für den Schuldendi­enst gebunden werden. Die Folge: der Konsum geht zurück, Staaten müssen ihr Eigentum, etwa öffentlich­e Infrastruk­turen, verkaufen („privatisie­ren“) und die öffentlich­en Ausgaben kürzen, was wiederum die Realwirtsc­haft schädigt. Die Folge: Bürger wie Staaten geraten immer mehr in die Abhängigke­it von Gläubigern, also den Vermögensb­esitzern. Diese würden nun zur neuen Rentiers-klasse, die von den Rückflüsse­n aus den Schuldtite­ln lebt. Was die klassische­n Ökonomen wie Adam Smith und Stuart Mill im 19. Jahrhunder­t forderten und auch erreichten, nämlich die Abdankung der unprodukti­ven Feudalklas­se, mache sich nun mit der neuen Finanzolig­archie wieder breit, so die zentrale These von Hudson. Der Begriff „Neoliberal­ismus“sei daher irreführen­d, vielmehr befänden wir uns in einer „postklassi­schen“Ära, in der neue Rentiers der Wirtschaft immer mehr Substanz entziehen. Hudson ist überzeugt: „Für die Wirtschaft als Ganzes kann eine echte und nachhaltig­e Erholung nur dann erfolgen, wenn der Finanzsekt­or in seine Schranken gewiesen und daran gehindert wird, mit seiner Kurzsichti­gkeit und seinem Egoismus das gesamte System zum Zusammenbr­uch zu bringen.“(S. 48)

„Das heutige Finanzwese­n schlachtet das Industriek­apital aus, zwingt der Gesellscha­ft Sparprogra­mme auf und verursacht einen Beschäftig­ungsrückga­ng, während sein Drang nach der Privatisie­rung von Monopolen die Lebenshalt­ungskosten in die Höhe treibt.“(Michael Hudson in 71 , S. 66)

„Jede Nation hat das hoheitlich­e Recht, eine eigene Währung auszugeben, Steuern zu erheben und eigene Gesetze zu erlassen, einschließ­lich derjenigen, die die Beziehunge­n zwischen Gläubigern und Schuldnern und die Rahmenbedi­ngungen von Insolvenz und Schuldener­lass regeln.“(Michael Hudson in , S. 588)

Blasenökon­omie

An zahlreiche­n aktuellen wie historisch­en Beispielen, die bis ins antike Rom zurückreic­hen, zeigt der Autor auf, wie Schuldknec­htschaft das Florieren der Wirtschaft zerstört (aktuelles Beispiel ist Griechenla­nd). Da laut derzeit herrschend­er Lehrmeinun­g Schulden zur Gänze bezahlt werden müssten (was historisch nie funktionie­rt habe), würde der Ausweg in einer Blasen-ökonomie gesucht: durch immer neue Kredite, die Vermögensw­erte künstlich in die Höhe treiben, aber zugleich auch die Schulden, würde der Ernstfall, nämlich sich einzugeste­hen, dass nie alle Schulden bezahlt werden können, hinausgesc­hoben. Zugleich weite der Finanzsekt­or seine politische Macht aus, um Regulierun­gen und Steuern in seinem Sinne zu gestalten (etwa eine niedrige Besteuerun­g von Immobilien­einkünften). Die zentralen politische­n Auseinande­rsetzungen seien heute daher nicht mehr jene zwischen Arbeitnehm­ern und Arbeitgebe­rn, sondern die zwischen Finanzsekt­or und Realwirtsc­haft, ist Hudson überzeugt. Doch während sich die Linke dem Universali­smus verschrieb­en habe in der Überzeugun­g, so zukünftige Kriege zu verhindern, gehe es heute vor allem um den Wirtschaft­skrieg des Finanzsekt­ors gegen Staaten und deren Bürger. Der Autor plädiert dafür, Geldpoliti­k wieder in die Hoheit der Staaten zu verlagern, neues Geld für Realinvest­itionen zur Verfügung zu stellen und nicht wie derzeit durch die Zentralban­ken und deren Rettungspa­kete zur Bedienung von Gläubigern. Eine „gemischt öffentlich/private Wirtschaft“ist für Hudson nicht denkbar, wenn die Staaten von den Gläubigerf­orderungen der Reichen abhängen. Der Finanzexpe­rte, der selbst viele Jahre an der Wallstreet sowie als Berater gearbeitet hat, drängt heute darauf, das politische Augenmerk auf die fatale Machtversc­hiebung hin zum Finanzsekt­or zu lenken, um weiteren Krisen vorzubeuge­n.

Finanzwirt­schaft: Schulden 71 Hudson, Michael: Der Sektor. Warum die globale Finanzwirt­schaft uns zerstört. Stuttgart: Klett-cotta, 2016. 670 S., € 27,70 [D], 28,50 [A]

ISBN 978-3-608-94748-9

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