Geschichte(n), die die Zukunft erzählt
Der Blick in die Zukunft ist immer wieder riskant, voller Spannung und natürlich auch voller Widersprüche. Vor allem aber ist er reizvoll und meist auch erkenntnisreich. Stefan Wally hat einige aktuelle Publikationen aus dem Feld der Zukunftsforschung, die diesen Kriterien auf unterschiedliche Weise gerecht werden, unter die Lupe genommen und zentrale Befunde zusammengefasst.
Deutschlands Blick in die Zukunft
Die Zukunftsforschung hat ihre eigene Geschichte. Joachim Radkau hat sich diese für die Zeit nach 1945 in Deutschland genauer angesehen. Was die Leserin und den Leser erwartet: Ein umfangreicher Essay in dem sehr viel Material zu sehr verschiedenen Themen sortiert vorgestellt und kommentiert wird. Das hat den Vorteil, dass man an sehr spannende Wendungen in der Geschichte der Zukunftsforschung erinnert wird, dass Debatten, die heute noch geführt werden, zurückverfolgbar werden und dass etliche Quellen ergänzt werden, die bislang in wichtigen Werken fehlten.
Das Buch ist flüssig zu lesen, man hört Radkau zu, wie er aus einer Geschichte erzählt, in der er eine relevante Rolle spielte. Radkau (Jahrgang 1943) verfasste zu Beginn der 70er-jahre ein Standardwerk zum Aufstieg und zur Krise der deutschen Atomwirtschaft, war der Umweltbewegung immer verbunden und erhielt 2012 den Umweltmedienpreis der Deutschen Umwelt-hilfe.radkaus lange Erzählung über die „Prognosen, Visionen, Irrungen in Deutschland von 1945 bis heute“befasst sich in den ersten Teilen mit Prognosen zum Wiederaufbau und zur Stabilisierung der Ernährungslage nach 1945 und zum kalten Krieg („Die Russen kommen“). Im Ablauf der chronologisch geordneten Themen folgt danach die Auseinandersetzung über die Nutzung der Atomenergie und eine scheinbar drohende „Bildungskatastrophe“. Es geht immer wieder auch um Bemühungen, vor allem ab Mitte der 1960er-jahre, die Zukunftsforschung zu institutionalisieren. Ausreichend Platz nehmen die Debatten über Utopien (ge führt gerne mit Ernst Bloch) und möglichst exakte Pläne über den Verlauf der näheren Zukunft ein (man denke an die Wirtschaftspläne der deutschen Regierung der 1970er-jahre). Der Gegenwart nähert sich Radkau mit der Darstellung der Debatten über das deutsche Krisenempfinden der Jahrtausendwende, den Nachhaltigkeitsdiskurs sowie über Arbeit 4.0 an. Besonders interessant sind die Kapitel über den Zukunftsdiskurs in der DDR, weil dieser bislang weit weniger reflektiert ist als jener in Westdeutschland.
Es entsteht ein fast durchgehendes Bild des Scheiterns der Vorhersagen. Der Autor geht dabei sehr unterschiedlich streng mit den Autorinnen und Au toren ins Gericht. Am Ende jedenfalls bedeutet der Gesamtbefund für Radkau nicht, dass man die Beschäftigung mit der Zukunft aufzugeben habe.
„Brauchen wir überhaupt allzu konkrete Bilder von der Zukunft? Geht es nicht auch ohne? Reicht die Gegenwart nicht aus? Das klingt wie eine recht einfach zu beantwortende Frage - selbstverständlich brauchen wir ein Bild von der Zukunft (...). Doch wenn die Gegenwart dieses Bild so dominiert wie unsere, wenn wir uns in der Escher’schen Gedankenschleife hoffnungslos verrant haben, dann ist es vielleicht besser, sich für eine Weile von der Zukunft abzuwenden und auf das zu blicken, was jetzt geschieht, in diesem Moment, nicht ‘vor’, sondern ‘neben’ uns.” (Sascha Mamczak in 79 , S. 106f.)
„Eins ist vorweg sicher, nach all den Erfahrungen mit Fehlprognosen: Die perfekte Prognose gibt es nicht.“(S. 430) Radkau formuliert zehn Thesen am Ende des Buches, die den Kern seiner Erkenntnisse darstellen sollen. Demnach dürfe man die Offenheit großer Fragen nicht leugnen und dürfe keine Zukunftssicherheit vortäuschen. Damit verbunden müsse die Bereitschaft für Diskussion und Selbstüberprüfung – vor allem auch der Prämissen der Vorhersagen – sein. Immer ist die Verwurzelung der Entwürfe in der Gegenwart zu reflektieren und auch das Unerwartete zu (be)denken. Radkau betont die Notwendigkeit, gewünschte und wahrscheinliche Zukünfte nicht zu verwechseln. Erwartete Entwicklungen apokalyptisch zu überzeichnen sei gefährlich, weil es die Bereitschaft auf Botschaften zu hören langfristig reduziere – wenn sich die realen Veränderungen als im Vergleich zur Vorhersage weniger dramatisch herausstellen. Gleichzeitig müsse man in der Rezeption von Zukunftsvoraussagen sowohl Utopien als auch kata strophalen Szenarien Aufmerksamkeit schenken, denn immer wieder war aus ihnen viel zu lernen. Und als Handlungsanleitung bei Gefahrenszenarien schlägt Radkau vor, im Zweifelsfall „auf der sicheren Seite“zu bleiben.
Robert Jungk spielte in der Geschichte der Zukunftsforschung eine bedeutende Rolle. Radkau anerkennt dies, spricht von Jungk als dem populärsten deutschen Zukunfts-publizisten, der mit dem Stil der Reportage die Zukunft in der Gegenwart aufzuspüren versuchte. (S. 100) In dieser Beschreibung steckt aber auch die Kritik, die Radkau an Jungk übt. Immer wieder weist der Autor auf Wendungen in Jungks Denken hin, die er mal als „verwirrend“(S. 101) mal als Verkörperung „des Zickzack der Zukünfte“(S. 166) beschreibt. In diesen Passagen schwebt ein Anspruch mit, dem Radkau eigentlich selbst eine Abfuhr erteilt: Die Idee, dass Menschen, die sich mit der Zukunft auseinandersetzen, Jahre oder gar Jahrzehnte lang konsistente Aussagen treffen sollen. Gerade im Falle Jungks ist aber die Gebundenheit seiner Zukunftsaussagen ganz offensichtlich in der jeweiligen Zeit zu sehen, in den Diskursen, in denen er sich bewegte, den Erfahrungen die er machte. Die Wendungen sind schön dokumentierbar, da Jungk sich nach der Veröffentlichung umfangreicher Texte nicht jahrelang zurückzog, sondern permanent publizierte, um – so sein Anspruch – in den Lauf der Geschichte einzugreifen. Jungk reflektierte dies übrigens auch: Sowohl seine Einstellung zur Atomenergie als auch zur Zukunftsforschung änderte sich im Lauf seines Lebens und immer wieder schreibt er selbst über sein Verwerfen alter Ideen und das Aufgreifen neuer Überlegungen.
Radkaus Buch ist lesenswert, es ist ein wertvoller Beitrag zur Geschichte der Zukunftsforschung und seine abschließenden Thesen passen auch zum Kanon der heute sehr zurückhaltenden und selbstkritischen akademischen Zukunftsforschung. Dass in einigen Nebensätzen etwas zu schnell über Akteurinnen und Akteure geurteilt wird, soll niemanden abhalten, das Buch zur Hand zu nehmen.
Zukunftsforschung 78 Radkau, Joachim: Die Geschichte der Zukunft. Prognosen, Visionen, Irrungen in Deutschland von 1945 bis heute. München: Hanser, 2016. 544 S.,
€ 28,- [D], 28,80 [A] ; ISBN 978-3-446-25463-3
Zukunft befragt
Sascha Mamczak kann schreiben. Sein Büchlein „Die Zukunft - Eine Einführung“bringt der Leserin und dem Leser ein äußerst komplexes Thema wunderbar sortiert, Schritt für Schritt näher. Dabei ist das nicht einfach. Denn die Zukunft und das Denken und Schreiben über sie haben eine lange Geschichte. Und diese Geschichte hat keineswegs dazu geführt, dass heute alles klar wäre. So sind es auch Fragen, die das Terrain bereiten. Wollen wir wirklich wissen, was in der (vor allem unserer eigenen) Zukunft passiert? Ist es überhaupt denkbar, die Zukunft einigermaßen (oder ganz) präzise vorherzusagen? Und wenn nicht: Kommen wir wenigsten mit „Big Data“der Bestimmung der zukünftigen Realität immer näher?
Mamczak macht es sich nicht einfach und belässt es bei den Fragen. Er reflektiert den Begriff der Zukunft, unterscheidet zwischen Zukunft und zukünftigen Ereignissen. Er beobachtet, wie über Zukunft gesprochen wird: Ist die Zukunft etwas, das sich ereignet, das wir bewältigen müssen? Oder ist Zukunft etwas, das wir erzeugen, machen, zumindest auch ein Stück weit gestalten?
In dem Buch finden wir auch eine erste Übersicht über die Geschichte der Auseinandersetzung mit der Zukunft, erfahren viel über eingetroffene und nicht eingetroffene Vorhersagen, über die Entwicklung von Methoden und die sie hervorbringenden Paradigmen. Das Zukunftsdenken wird bis in die frühesten Kulturen zurückverfolgt, der Zusammenhang zwischen Religion und Zukunftsdenken werden reflektiert, Utopien eingeordnet. Abschließend sieht Mamczak nach, wie es um die Zukunft heute steht. Dabei stellt er fest, dass junge Leute sich heute kaum noch ein breites gesellschaftliches Zukunftsbild ausmalen. Gerade unter ihnen scheine eine Art „Zukunftsstress“vorzu-
herrschen: das bohrende Gefühl, ständig Weichen stellen zu müssen, um nicht den Anschluss an etwas zu verlieren, wovon man nur eine diffuse Vorstellung hat. (S. 106). Zukunftsdenken
79 Mamczak, Sascha: Die Zukunft. Eine Einführung. München: Heyne, 2014. 112 S., € 8,99 [D], 9,30 [A] ISBN 978-3-453-31595-2
Zukunftsperspektiven in Theorie und Praxis
Elmar Schüll ist eine der treibenden Kräfte im „Netzwerk Zukunftsforschung“. In diesem Netzwerk haben sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem deutschsprachigen Raum zusammengeschlossen, die um methodische Klarheit bei der Befassung mit der Zukunft ringen. Schüll leistet dazu seit Jahren wichtige Beiträge. Er bleibt aber nicht bei der Befassung mit der Methodik stehen, sondern widmet sich auch der Anwendung. In seiner Studie „Perspektiven und Herausforderungen der österreichischen Fachhochschulen“wird dies dokumentiert.
Nicht jeden werden die österreichischen Fachhochschulen als Thema interessieren. Warum der Band aber trotzdem auch für viele sehr lesenswert ist, liegt an der systematischen und umfassenden Entwicklung des methodischen Ansatzes der Studie. Schüll nimmt die Mühe auf sich, die Grenzen und Möglichkeiten der zukunftsbezogenen Forschung darzustellen, um die Relevanz und Aussagekraft der Ergebnisse in den richtigen Kontext zu setzen.
Schüll dekliniert auch die Einwände gegen das Vorherwissen herunter. Die eingeschränkten Kontrollmöglichkeiten bei Zukunftsvoraussagen, die hohe Komplexität in den Sozialwissenschaften, das Fehlen sozialwissenschaftlicher Gesetze, der Mensch als lernfähiger Voraussageverhinderer und die Effekte der Voraussagen selbst auf ihre Materialisierung werden u. a. angeführt. „Entscheidend für die wissenschaftliche Validität entsprechender Zukunftsaussagen ist dann nicht mehr, ob die vorausgesagten Ereignisse in einer zukünftigen Gegenwart wie beschrieben eintreffen, sondern wie gut sie in der Gegenwart argumentativ abgesichert sind.“(S. 55) Zukunftsaussagen haben deswegen grundsätzlich eine konditionale Struktur. Schüll erinnert an die Standards und Gütekriterien, die für Zukunftsforschung in Anschlag gebracht werden: Konsistenz (in sich widerspruchsfrei), interne Kohärenz (die Aussagen werden Wechselwirkungen gerecht), Adäquatheit der Systemgrenzen und externe Kohärenz (klare Definition des Gegenstandsbereichs und Abgrenzung auf die Systemumwelt) sowie Transparenz der Prämissen, Annahmen und Wertvorstellungen. Zukunftswissen ist aber auch bei Einhaltung dieser Standards im Prozess der Genese immer vorläufig, fragil und zeitgebunden. (S. 63) Im konkreten Fall entwickelt Schüll drei Szenarien für die Zukunft des Fachhochschulsektors in Österreich. Eines bezieht sich auf die Umsetzung der Idealvorstellung des Österreichischen Wissenschaftsrates, eines schreibt die gegenwärtige Entwicklung weiter und das dritte Szenario greift die Entwicklung auf, die laut einer Delphi-befragung mehrheitlich als wünschenswert eingestuft wurde.
Ein Buch, das für jeden, der Zukunftsforschung aktiv betreiben will, ein guter Bezugspunkt bei Fragen der Methodik darstellt und für jeden, der sich mit der Entwicklung der Wissenschaft bzw. der österreichischen Fachhochschullandschaft beschäftigt, eine spannende Lektüre ist.
Zukunftsforschung 80 Schüll, Elmar: Perspektiven und Herausforderungen der österreichischen Fachhochschulen. Eine Vorausschau. (Schriftenreihe zum Bildungsrecht und zur Bildungspolitik; 15). Wien: Verl. Österreich, 2016. 397 S., € 89,- [A] ; ISBN 978-3-7046-7586-6
Methodendiskurse
Über wissenschaftstheoretische und methodologische Problemlagen der Zukunftsforschung geht es auch im Band 5 der Reihe „Zukunft und Forschung“unter dem Titel „Empirische Prognoseverfahren in den Sozialwissenschaften“. In 13 Beiträgen werden verschiedene Aspekte der Prognostik diskutiert, empirische Beispiele der Prognoseerstellung gezeigt, aber auch die Geschichte der Prognostik und der Umgang der Politik mit Prognosen diskutiert. Gleich im Eingangskapitel spricht Justin Stagl auch ein Dilemma der Pro gnostik an: „Prognostiker streben nach Gründlichkeit und legen sich ungern fest, die Adressaten jedoch erwarten rasche und klare Orientierungen.“(S. 20).
Die Herausgeber betonen die heute erkennbare Vielfältigkeit in den methodischen Zugängen, die auch in diesem Sammelband offensichtlich wird. Die Zukunft der Zukunftsforschung sehen sie daher in der methodischen Transdisziplinarität. Mit diesem Band will man Grundlagenarbeit leisten: „Zum einen sollen Entwicklungen in diesem Methodenfeld aufgezeigt und aktuelle Ansätze zu Prognostik und Prognosemethodologie in den So zialwissenschaften dargestellt, systematisiert und
„Das zentrale Ergebnis der Diskussion zu den Möglichkeiten und Grenzen der wissenschaftlichen Vorausschau lautete, dass sich zukünftige Entwicklungen grundsätzlich nicht im Voraus wissen lassen - zumindest nicht, wenn das weithin verbreitete Verständnis von Wissen als verlässliches, empirisch validiertes Wissen angelegt wird. (...) Die Zukunft der österreichischen Fachhochschulen stellt sich als offen dar. Gerade deshalb ist seine zukünftige Entwicklung auch in hohem Maße gestaltbar.”
(Elmar Schüll in , S. 365)
in ihren Abläufen vergleichen werden. Aktuelle Studien sollen zur Bereicherung und Veranschaulichung beitragen. Erklärtes Ziel des Bandes ist es, den Prozess der Prognose in seiner meist transdisziplinären methodischen Konzeption und Einbettung aus einer methodologischen Perspektive darzustellen.“(S.10)
Zukunftsforschung: Methoden 81 Empirische Prognoseverfahren in den Sozialwissenschaften. Wissenschaftstheoretische und methodologische Problemlagen. Hrsg. v. Reinhard Bachleitner ... (Zukunft und Forschung; Bd. 5). Wiesbaden: Springer, 2016. 329 S., € 51,39 [D],
ISBN 978-3-658-11931-7
Szenario Management
Ebenfalls mit Methoden der Zukunftsforschung beschäftigt sich das Buch von Alexander Fink und Andreas Siebe über Szenario Management. Die Zielgruppe dieses Bandes sind vor allem Ent scheider in Organisationen, seien es Firmen oder andere Einrichtungen. Demzufolge wird das Thema auch gut lesbar eingeführt, anhand von Beispielen illustriert und kann als Handbuch durchgehen.
Die Autoren reflektieren wichtige Erfahrungen der Zukunftsforschung, einige Debatten über die Methodik, aber schwenken dann sehr schnell auf die konkrete Anwendung des Szenario-managements ein. Dabei fokussieren sie immer wieder auf die betriebswirtschaftliche Einsetzbarkeit. Wo entstehen Märkte, wie kann man mit ihnen umgehen, wie können Produkte in der Zukunft bestmöglich platziert werden?
Szenariotechnik 82 Fink, Alexander; Siebe, Andreas: Szenario Management. Von strategischem Vorausdenken zu zukunftsrobusten Entscheidungen. Frankfurt: Campus, 2016. 342 S.. € 64,- [D], 65,80 [A]
ISBN 978-3-593-50603-6
Zwischen Gesellschaft und Forschung keimt die Zukunft
Wie verändern kollektive Bedürfnisse die Zukunft Deutschlands? Wie werden diese durch Forschung und Innovationen befriedigt werden können? Und welche Auswirkungen wird das dann wiederum haben? Von 2012 bis 2014 lief die Erhebung der Studie Foresight-zyklus II und versuchte Antworten auf diese Fragen für die deutsche Regierung zu finden. Myriam Preiss und Magdalena Eder (Studentinnen des Masterstudiengangs „Zukunftsforschung” an der FU Berlin) haben die drei Ergebnisbände durchgearbeitet.
Insgesamt knapp 600 Seiten Forschungsberichterstattung – leichte Kost wiegt weniger. Dennoch oder gerade deshalb lohnt der Blick in die Zukunftsstudie Bmbf-foresight-zyklus II von Projektleiter Axel Zweck, Professor an der RWTH Aachen und Abteilungsleiter am Vdi-technologiezentrum, und seinem Team von Wissenschaftlern des VDI TZ und des Fraunhofer ISI. Es ist selten, dass die Ergebnisse von mehrjähriger Auftragszukunftsforschung so einfach und umfassend zugänglich sind wie im Fall ebendieser Voraussichtprozesse, die das deutsche BMBF (Bundesministerium für Bildung und Forschung) turnusmäßig an externe Dienstleister vergibt. Zudem sind gerade diese Erkenntnisse besonders spannend, ist es doch ihr Sinn „Orientierungswissen für strategische Entscheidungen zu generieren“(Bd. 1, S. 9) – und speziell Forschungspolitik darf als durchaus wichtig für ein Land wie Deutschland gelten. Zukunftsforschung wird hier primär durchgeführt, um den Akteuren des Ministeriums neue potentielle Schwerpunkte für ihren Zuständigkeitsbereich aufzuzeigen, die es dann zu beobachten, zu fördern und gegebenenfalls zu regulieren gilt. Der gesetzte Zeithorizont: 15 Jahre. Zweck und seine Kolleginnen schauen mit ihrer Arbeit also bis ins Jahr 2030 voraus und versuchen Antworten auf die Fragen zu finden: Welche heute schon identifizierbaren Bedarfe und Wünsche der Gesellschaft werden unser zukünftiges Leben prägen? Und welche Technologien und Innovationen haben das Potential, uns bei der Bewältigung neuer gesellschaftlicher Herausforderungen zu helfen? Die erste Frage wird in Band 1 „Gesellschaftliche Veränderungen 2030“behandelt, Band 2 „Forschungsund Technologieperspektiven 2030“beschäftigt sich mit der Beantwortung der zweiten und basiert zum Großteil auf den aktualisierten Er kenntnissen des vorangegangenen Foresight-zyklus I, der einen rein technischen Fokus hatte. In Band 3 „Geschichten aus der Zukunft“werden schließlich die Ergebnisse aus den beiden vorherigen Bänden miteinander verbunden.
Ein wenig sperrig zu lesen ist das Werk stellenweise, es schwankt zwischen einer klassisch wissenschaftlichen Veröffentlichung, die einiges an Vorwissen voraussetzt – das trifft besonders auf Band 1 und mehr noch auf Band 2 zu – und leicht lesbaren eher populärwissenschaftlich gehaltenen Abschnitten, wie fast der gesamte Band 3. Allen Bänden ist gemein, dass vor der Darstellung der Ergebnisse jeweils ein recht ausführlicher Methodenteil steht, der das Vorgehen skizziert. Hier gewähren die Autoren Einblick in ihr For-
schungsdesign; anschaulich erklärt und beispielhaft für moderne Zukunftsforschung wird etwa der ihr eingebettete Partizipationsanspruch erläutert. Dieser Gedanke stand wohl auch Pate für Band 3 der Publikation – ‚nur‘ 97 Seiten kurz und für ein breites Publikum bestens geeignet, um in die Materie einzusteigen. Hier wird eine Vielzahl von konkreten Zukunftsbildern für das Jahr 2030 in leicht lesbaren Kurzgeschichten entworfen – die se werden als ‚Innovationskeime‘ bezeichnet. Da zu gestellt sind jeweils Hintergrundinformationen zu sich ergebenden Implikationen. Naturgemäß spielen in jeder dieser Geschichten neben den fiktiven Hauptpersonen die Erkenntnisse aus der vorangegangenen Zukunftsforschung die Hauptrolle. Rentner Thomas beispielsweise ist Held der Geschichte „Datenintensive Governance – Umgang mit Massendaten 2030“. Er befindet sich auf dem Weg zu einer Bürgerversammlung zum Thema „Strategien gegen Fettleibigkeit […] optimieren – und zwar durch die Kombination von Gesundheits-, Einkommens- und Mobilitätsdaten sowie Informationen zu Freundschaftsnetzen und vorhersagender Verhaltensforschung“(Bd. 3, S. 51). Sehr dicht sind hier die Informationen gepackt: die neuen technischen Horizonte, die Innovationen im Bereich „Medizintechnik und Ehealth“eröffnen, stammen aus Band 2 (S. 62) und wurden kombiniert mit mehreren der insgesamt 60 in Band 1 beschriebenen Gesellschaftstrends, zum Beispiel „Neue Architekturen des Regierens: die Handlungsfähigkeit der Politik in der Postdemokratie“(S. 144).
Es ist bedauerlich, dass interessierte Leser diese Verbindung hinein in den ersten und zweiten Band selbst herstellen müssen, Bezugnahmen fehlen völlig. Noch störender aber sind die hölzernen Formulierungen der Geschichten selbst, sie inspirieren vielleicht Arbeiterinnen in Ministerien, aber sie regen nicht gerade zum Träumen an. Ein professionelles Lektorat hätte hier gut getan. Als letz ter Kritikpunkt sei noch erwähnt, dass die gesamte Publikation extrem zurückhaltend ist, wenn es da rum geht, konkrete Handlungsanweisungen oder auch nur Gewichtungen der Ergebnisse untereinander zu liefern beziehungsweise den Leserinnen eine gewisse Dringlichkeit zu vermitteln. So bleibt es jedem offen, eigene Schlüsse zu ziehen. Das mag seinen eigenen Reiz haben, dennoch fühlt man sich gelegentlich durch die schiere Masse an Information überfordert, etwas mehr Experteneinschätzung wäre wünschenswert gewesen. Trotz dieser Mankos ist die Publikation eine extrem spannende Lektüre, die aus vielen Blickwinkeln interessante Lichter auf mögliche Zukünfte Deutschlands wirft. Sie sei allen Bürgerinnen empfohlen, als Basis, um über die Zukunft zu sinnieren oder sie aktiv zu gestalten. Denn welche dieser Zukunftsbilder Realität werden, liegt – Demokratie sei Dank – in unser aller Hand.
Zukünfte: Deutschland Ergebnisbände 1-3 zur Suchphase von Bmbf-foresight Zyklus II. Zweck, Axel (u. a.)
Bd. 1 Gesellschaftliche Veränderungen 2030 (237 S.). Bd. 2 Forschungs- und Technologieperspektiven 2030 (281 S.). Bd. 3 Geschichten aus der Zukunft (79 S.). Düsseldorf: VDI TZ, 2015. Gratis.
ISSN 1436-5928