Die hohe Kunst der Beteiligung
Eine lebendige Demokratie benötigt das Engagement der betroffenen Bürgerinnen und Bürger. Doch Beteiligung sollte nicht aus dem Bauch heraus passieren, sie gehört präzise vorbereitet und geplant. Publikationen zu diesem Thema stellt Dagmar Baumgartner vor.
Eine vitale und lebendige Demokratie benötigt die Ideen, Meinungen und das Engagement der betroffenen Bürger und Bürgerinnen. Doch Beteiligung sollte nicht aus dem Bauch heraus passieren, sie gehört präzise vorbereitet und gut geplant, um einen nachhaltigen Erfolg für alle Beteiligten zu sichern. Hilfreiche und lesenswerte Publikationen zu diesem Thema stellt Dagmar Baumgartner vor.
Methodenhandbuch Bürgerbeteiligung
Kaum ein Beteiligungsprozess gleicht dem anderen, eine differenzierte Betrachtungsweise, individuelle Zielformulierung und Planung der benötigten Ressourcen sind unumgänglich. Ein gut vorbereitetes Klärungsgespräch zu Beginn des Auftrags „entscheidet zu einem Drittel über den Beteiligungserfolg“(S. 18).
Band 1 der fünfteiligen Reihe „Methodenhandbuch Bürgerbeteiligung“präsentiert zehn Beispiele für Erhebungsund Analysetechniken. Die genannten Erhebungstechniken sind bereits bekannte Methoden der Sozialwissenschaft, die Analysetechniken kennt man vorwiegend aus der Wirtschaftswissenschaft. So wird die Dokumentenanalyse für Beteiligungsverfahren in der Kommunalpolitik als Erhebungstechnik empfohlen. Hier sehen sich die Akteure mit einer großen Menge an schriftlichen Dokumenten wie Protokollen von Ausschuss-sitzungen, Beschlussvorlagen, Medienberichten etc. konfrontiert. Die Dokumentenanalyse soll helfen, die Ergebnisse aus den gewonnenen Daten den politisch Verantwortlichen nachvollziehbar zu präsentieren, um gezielte Handlungsstrategien abzuleiten.
Das Explorative Interview wird ebenso als Erhebungsmethode genannt. Diese Form der Befundung kann vertiefende Informationen über aktuelle Fragestellungen, Probleme, Konflikte oder Spannungsfelder generieren. Es geht vor allem darum, eine breite Palette an Meinungen, Erfahrungen und vor allem relevanten Themen zu erheben. Diese Form des Interviews ist zwar zeitintensiv, vermag jedoch in
die Tiefe zu gehen, um sich so an die Meinung und Position der Beteiligten heranzutasten. Eingesetzt werden Explorative Interviews u. a. im Rahmen von Stadtteilarbeit. Hier kann die Methode z. B. helfen, dem Teilnahmeverlust an der Stadtteilvereinsarbeit auf den Grund zu gehen, indem die Gewohnheiten, Bedürfnisse und Interessen von Betroffenen im Stadtteil erfragt werden.
Als weitere Erhebungstechnik am Beginn von Beteiligungsprozessen ist die Feldbeobachtung Gegenstand des Buches. Sie erlaubt unter anderem eine systematische und objektive Wahrnehmung sozialer Interaktion. „Beobachtungen sind in ihren verschiedenen Varianten seit den Anfängen systematischer Datenerhebung die wichtigsten Verfahren zur Wissens- und Erkenntnisgewinnung.“(S. 59) Es wird unterschieden zwischen der offenen und der verdeckten Beobachtung.
Um einem diffusen Beteiligungsprozess vorzubeugen, in dem die Mitwirkenden in verschiedene Richtungen steuern, wird zu Beginn ein Zielfindungsworkshop empfohlen. „Wie einzelne Personen, so können auch Gruppen, oder Gemeinschaften nur dann strukturiert handeln, wenn sie ein gemeinsames Ziel verfolgen.“(S. 91)
Unter dem Motto „Vorsorge ist besser als heilen“(S. 113) wird die Risikoanalyse als Analysetechnik für einen gelungenen Prozess empfohlen. Das Projektrisiko wird als Faktor aus der Einrittswahrscheinlichkeit und der erwarteten Auswirkung berechnet; präventive Maßnahmen können dementsprechend geplant werden.
Als Methode fehlen darf natürlich auch nicht die bekannte Swot-analyse, die dazu beiträgt, eine umsicherten
fassende und präzise Situationserhebung durchzuführen und im Anschluss daran Handlungsempfehlungen abzuleiten. „Die Vorteile der Swotanalyse liegen insbesondere in ihrer Einfachheit und der Besonderheit, dass sehr viele Aspekte und unterschiedliche Gesichtspunkte in die Betrachtung einfließen. Beschrieben und bewertet werden darüber hinaus noch die Ursache-wirkung-analyse, die Nutzwert- und die Stakeholder-analyse.
Der erste Band der Reihe „Bürgerbeteiligung“ist durchaus zu empfehlen und die Partizipationsperspektive in allen der empfohlenen Methoden ist durchaus interessant. Jede der insgesamt zehn Erhebungsund Analysetechniken wird ausführlich beschrieben, Beispiele werden genannt und die jeweiligen Ziele und Voraussetzungen beschrieben. Bedingungen einer profunden Vorbereitung und ein Vorschlag für einen erfolgreichen Ablauf werden geboten und weiterführende Literatur zum Thema bereitgestellt. Partizipation: Methoden
108 Methodenhandbuch Bürgerbeteiligung. Beteiligungsprozesse erfolgreich planen. Band 1. Hrsg. v. Peter Patze-diordiychuk ... München: oekom, 2017. 205 S., € 24,95 [D], 25,70 [A] ; ISBN 978-3-86581-833-1
Gelungene Bürgerbeteiligung.
Was benötigt ein gelungener Beteiligungsprozess, was sind die Erwartungen der Bürger und Bürgerinnen an die Politik und welche Herausforderungen erwarten uns? Christina Benighaus, Gisela Wachinger und Ortwin Renn versuchen diese brennenden Fragen, aufbauend auf wissenschaftlichen und praktischen Erfahrungen, zu beantworten. Das ist ihnen durchaus gelungen. Dieses Buch verbindet Theorie und Praxis und bietet praktische Anleitungen und konzeptionelle Hilfestellungen für alle, die Partizipationsprozesse initiieren, konzipieren und gestalten wollen. Neben einer theoretischen Einführung zu den unterschiedlichen Formen, Anwendungsbereichen, Verfahren, Methoden und deren Einsatzbereiche finden sich Praxisbeispiele. Das Werk schließt mit der Einführung in die verschiedenen Möglichkeiten der Evaluation von Partizipationsformaten und den aus den evaluierten Fallstudien gezogenen Lehren.
Das Buch deckt vieles ab, was man über eine faire und fundierte Bürgerinnenbeteiligung wissen sollte. Es liefert eine Definition von Beteiligung als Bereicherung des Planungsprozesses, wo „Personen außerhalb der politischen Mandatsträger oder der ihnen zugeordneten Behörden und Institutionen an der kollektiv wirksamen Willens- und Entscheidungsfindung aktiv mitwirken.“(S. 33) Es geht der Frage nach, warum mehr Bürgerinnenbeteiligung benötigt wird und wo die Defizite in der heutigen politischen Partizipationspraxis zu finden sind. Gerade „Stuttgart 21“hat einiges gelehrt, auch zum Thema Akzeptanz für Großprojekte. Akzeptanz kann demnach in drei Stufen eingeteilt werden: Toleranz von Planungsvorhaben, eine positive Einstellung zum Planungsgegenstand und schließlich das aktive Eintreten für Planungsvorhaben. Doch „Stuttgart 21“und andere Protestbewegungen zeigen uns vor allem eines: die repräsentative Demokratie stößt zusehends an ihre Grenzen. Die Proteste richten sich, so die Erfahrung, gegen die Erwartung, den gemeinschaftlichen Nutzen über die persönlichen Annehmlichkeiten zu stellen und sie sind als Kritik an der Intransparenz und Undurchsichtigkeit der jeweiligen Planungsverfahren zu verstehen. Die Autorinnen blicken auf die Rolle der Bürgerinnen und der Verantwortlichen der Politik, deren Erwartungen und die unterschiedliche Realität von formellen und informellen Verfahren. Was sind die Spielregeln und die Voraussetzungen für gelungene Beteiligung und wie kann ein inklusives Beteiligungsverfahren konzipiert und umgesetzt werden? Jedes Anliegen und jede Zielgruppe bedürfen unterschiedlicher Formate und Designs. Dafür gibt es zahlreiche Beispiele und Vorschläge, strukturiert aufbereitet nach Funktionen und Zielen. Gerade der Vorbereitung, dem Design und der Auswahl der Methoden sollte viel Aufmerksamkeit geschenkt werden, da verschiedene Aspekte in ein Verfahren einfließen, die in der Planungs- und Konzeptionsphase zu berücksichtigen sind. Jedes Vorhaben und jeder Prozess hat individuelle Zielgruppen und Akteurinnen, die unterschiedliche und individuelle Interessen verfolgen. Als Planungsmethode wird daher eine Ziel- und Kontextanalyse und darauf aufbauend die Festlegung des Verfahrensdesigns empfohlen. Dazu bietet der Band überzeugende Beispiele und Anregungen für eine gelingende Prozessgestaltung.
Nachdem im ersten Teil des Buches die theoretischen Grundlagen von Bürgerinnenbeteiligung thematisiert werden, widmet sich der zweite Teil den Fallbeispielen. Diese werden unterteilt in Vermittlungsund Wissens-, Reflexions-, Gestaltungs-, Handlungs- und Konfliktlösungsdiskurse. Die insgesamt 22 Beispiele reichen von einem Bürgerforum zur Planung eines Wohnheims für Flüchtlinge über ein partizipativ erstelltes Energiekonzept in Ludwigsburg bis hin zu zwei Partizipationsprojekten mit Kindern und Jugendlichen in Georgien in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ). Zu jedem Fallbeispiel
„In partizipativen Verfahren wird die Bürgerschaft zum Mitgestalter, zum Experten für Bürgerfragen, eingebunden in ein System der mitwirkenden Institutionen, bestehend aus Wirtschaft, Politik, Verwaltung und Nichtregierungsorganisationen
(NGOS). Sie bilden eine Netzstruktur, welche die Formen der kooperativen Politik und des Diskurses, also die gegenseitige Verständigung zwischen Akteuren, verknüpft.“
(Chr. Benighaus ... in 109 , S. 34)
findet man Informationen zu den Hintergründen, dem Ablauf, den verwendeten Methoden (von Fokusgruppen, Open Space bis Zukunftswerkstatt) und den Ergebnissen des jeweiligen Prozesses.
Unter dem Motto „Was hat sich bewährt?“(S. 299) widmet sich der dritte Teil der Evaluation von Formaten und Verfahren, deren Zielen, Funktionen und Wirkung sowie den geeigneten empirischen Methoden. Das vierte und letzte Kapitel zieht Bilanz und formuliert Empfehlungen für die Praxis. Zum Abschluss bieten die Autorinnen einen praxisorientierten Leitfaden für die Vorbereitung von Partizipationsverfahren und ein Fazit, das davor warnt, inszenierte und nicht ernstgemeinte Beteiligungsverfahren zuzulassen: „Genau das wollen wir nicht. Das bedeutet, lieber keine Beteiligung, als eine, die nur inszeniert ist. Verpflichtung zur Rückkoppelung und zur ernsthaften Prüfung aller Ergebnisse des Verfahrens gehört zu den zentralen Bedingungen für das Gelingen von Bürgerbeteiligung.“(S. 345) Allen, die sich mit Partizipation beschäftigen, ist dieses Buch ans Herz zu legen. Den Autorinnen ist hier ein großartiger und fundierter Wegweiser gelungen. Bürgerbeteiligung
109 Benighaus, Christina; Wachinger, Gisela; Renn, Ortwin: Bürgerbeteiligung. Konzepte und Lösungswege für die Praxis. Frankfurt/m.: Metzner, 2016. 351 S., € 49,95 [D], 51,50 [A] ; ISBN 978-3-8031-2749-5
Jugend.stadt.labor.
Die hohe Kunst erfolgreicher Beteiligungspolitik besteht darin, jene Menschen zu erreichen, die noch entfernt von zivilgesellschaftlichem Engagement und Politik sind. Bedürfnisorientierte und zielgruppenspezifische Gemeinwesenarbeit könnte den Zugang zu diesen Zielgruppen erleichtern. Gerade Jugendliche sind schwer für partizipative Prozese zu gewinnen, doch sie wollen bewegen, verändern und haben einen anderen Blick auf räumliche und städtische Realitäten. Entscheidungen, die in der Stadt- und Raumplanung getroffen werden, unterscheiden sich oft stark von den Vorstellungen junger Menschen. Wie Wünsche, Ideen und Forderungen von jungen Menschen nicht nur berücksichtigt, sondern proaktiv in einen partizipativen Prozess mit eingebunden werden können, zeigt die Publikation Jugend.stadt.labor des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR). Dieses „Manifest für offene Räume“bestätigt die Wichtigkeit des Do-it-yourself Ansatzes als Beitrag zur Selbstermächtigung. Jugend.stadt.labor ist ein Forschungsfeld im Programm Experimenteller Wohnungs- und Städtebau (Exwost), und diese Publikation ist das Ergebnis einer mehrjährigen Forschungsreihe. Der Fokus dieses Forschungsprojektes liegt auf der Bildung einer Plattform für junge Stadtentwicklung, die städteübergreifend genutzt werden kann. Verschiedene Ansätze vorangegangener Projekte werden hier zusammengeführt, wie etwa die Stadtvisionen von Young Energies, die Selbstorganisation und Raumaneignung aus Jugend belebt Leerstand, die Aktivierung durch Impulsprojekte aus dem Aktionsfonds und die Verknüpfung mit der Stadtplanung aus Jugend macht Stadt. Sieben Jahre lang hat das BBSR im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) das Gelingen von Jugendpartizipation untersucht. Vorgestellt werden in dieser Publikation insgesamt acht richtungsweisende Projekte, die in verschiedenen deutschen Städten durchgeführt wurden.
Das Engagement von Jugendlichen kann für eine nachhaltige Stadt- und Quartiersentwicklung genutzt werden, wenn Prozesse richtig konzipiert und begleitet und vor allem in ein funktionierendes Netzwerk implementiert werden. Unterschiedliche Modelle und Bottom-up Ansätze wurden im Rahmen der vorgestellten Projekte erprobt und umgesetzt, mit dem Ziel, eine vitale und facettenreiche Jugendbeteiligungskultur aufzubauen. Dabei wurden zum einen die Betroffenen selbst, zum anderen lokale Akteure, Verwaltung und Politik mit einbezogen. Entstanden ist dadurch in Summe eine stabile Projektplattform „in Verbindung mit dynamischen Impulsprojekten, die Ansprüche sowohl von Jugendlichen als auch von Verwaltungen berücksichtigt und so neue Schnittstellen für eine dauerhafte Zusammenarbeit im Sinne ko-produktiver Stadtentwicklung erzeugt.“(S. 7). Eine heterogene Struktur unterschiedlicher Akteurinnen aus Wirtschaft, Verwaltung, Politik und Sozialeinrichtungen fördert die soziale Integration aufgrund des Zusammentreffens unterschiedlicher sozialer Gruppen und Generationen. Gerade Städte, die von der Abwanderung junger Menschen besonders betroffen sind, können von derartigen Initiativen profitieren, da diese die Bindung an das gegenwärtige Lebensumfeld fördern. Der jugendliche Blick ist unumgänglich für die Vitalisierung städtischer Demokratie. Partizipation ermöglicht lokale Realitäten kennenzulernen und sie mitzugestalten. So sind im Rahmen von Jugend. Stadt.labor Demokratieprojekte gegen den Rechtsruck, die Erschließung neuer Räume für Kultur, Sport und Begegnung, die Implementierung von Repaircafés, partizipative Fahrradwerkstätten, Zwischennutzung von Leerständen und vieles mehr entstanden. Diese Publikation zeigt das große Potenzial und die schier unendliche Kreativität von jungen Menschen, die Gehör, Ressourcen und Anerkennung er-
„In den Jugend. Stadt.laboren werden Konzepte entwickelt, mit denen Branchen, Leerstände, Quartiere und Regionen angeeignet und für junge Menschen nutzbar gemacht werden. Dabei entstehen Räume, die ein bewusstes Miteinander fördern und eine Stärkung der Stadt, der Kommunen und der Region ermöglichen. Diese inhaltlich offenen Orte mit multifunktionaler Nutzung bieten Chancen für gesellschaftliche Erneuerungsprozesse – für viele Generationen und Weltanschauungen.“(Jugend.stadt.labor in 110 , S. 62)
halten. Sie benötigen in erster Linie Räume, über die sie selbstbestimmt verfügen können, ob für kulturelle und sportliche Zwecke oder lebensnahe, außerschulische Bildungsprozesse. Und gerade diese Möglichkeit zur Selbstbestimmung würde das Engagement der Jugendlichen erheblich fördern.
Die Publikation Jugend.stadt.labor bietet auf jeden Fall neue Anregungen und macht Mut und Lust für die Partizipationsarbeit mit Jugendlichen. Online verfügbar unter www.bbsr.bund.de/bbsr/ De/veroeffentlichungen/sonderveroeffentlichungen/2016/jugend-stadt-labor-dl.pdf
Jugend: Partizipation 110 Jugend.stadt.labor. Wie junge Menschen
Stadt gestalten. Hrsg. v. Bundesinstitut für Bau-,
Stadt- und Raumforschung im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung. Bonn: Urban
Catalyst Studio, 2016. 111 S.
ISBN 978-3-87994-178-0