Amerika verstehen
Mit der Wahl von Donald Trump zum Präsidenten haben die USA wohl eine folgenreiche politische Entscheidung getroffen. Es lohnt sicht also ein Blick auf die Hintergründe der amerikanischen Politik ebenso wie ein Blick darauf, ob und wie der neue Präsident agiert, ohne in die ausgiebig strapazierten Worthülsen zu verfallen. Gastrezensent Reinhard Geiger hat sich im Land der „begrenzten“Möglichkeiten umgesehen.
Amerika verstehen
Das im Titel dieses Buches formulierte Ansinnen ist in Zeiten wie diesen ein ambitioniertes Unterfangen. Selbst wenn man die USA „nicht nach der gerade amtierenden Regierung“beurteilt (S. 187): ein Klima, das Donald Trump zur Präsidentschaft verholfen hat, verschreckt selbst langjährige Fans seines Landes. Ronald D. Gerste versucht in dem aktuellen Taschenbuch den Wahlerfolg Trumps in einen weiteren Kontext zu platzieren: Um das Fazit des seit Jahren in den USA als Korrespondent tätigen Arztes und Historikers vorwegzunehmen: Europa sollte den USA „ein Partner und, wenn nötig, mahnender Freund sein“, damit Lincolns Vision und Mahnung nie Realität werde: „Amerika wird niemals von außen zerstört werden. Wenn wir versagen und unsere Freiheiten verlieren, dann nur [..], weil wir uns selbst zerstört haben“(S. 188).
Mosaiksteine zum Wahlergebnis sind für Gerste unter anderem die Desillusionierung bei der Beurteilung des Privatlebens von Politikern in einem zutiefst prüden Land, für die sich der 45. Präsident beim 42. – Bill Clinton – bedanken könne. Oder die Tatsache, dass 2016 die erste Wahl der Us-geschichte stattfand, „in der zwei mehrheitlich als unsympathisch oder wenig vertrauenswürdig eingestufte Persönlichkeiten um den Einzug ins Weiße Haus rangen“(S. 10). Trumps schillernde Biographie als Selbstdarsteller im TV und der Mangel an Sachkompetenz und politischer Erfahrung dürfte ihm eher genützt als geschadet haben angesichts von „Frustration und Wut gegen die etablierte Politikerkaste, die kaum jemand so überzeugend verkörperte wie die demokratische Kandidatin
Hillary Clinton“(S. 17).
Der Autor stellt klar, „es gibt nicht ein Amerika, glanzvoll und stark und voller Helden. Es gibt viele Amerikas, die sich in dem denkbar größten Kontrast gegenüberstehen“(S. 24). Der Autor beleuchtet den American Way als Weg eklatanter Widersprüche: „Ein hohes Freiheitsideal auf der einen Seite, auf der anderen Seite Einengungen durch Konventionen, die Allgegenwart von Vorurteilen und schließlich Gewaltbereitschaft und enthemmte Aggression“(S. 171). Diese Widersprüche blieben lange zugedeckt, der Protest dagegen macht sich unter Trump-wählern selbst nach der Wahl noch explosiv Luft.
Richard Rorty hatte in seinem Buch „Achieving Our Country” bereits 1997 prophezeit, dass die von den Eliten Vernachlässigten ihre eigene Marginalisierung irgendwann nicht mehr hinnähmen. Und daher „nach einem starken Mann Ausschau halten –, jemand der bereit ist, ihnen zu versprechen, dass nach seiner Wahl die selbstgefälligen Bürokraten, die verschlagenen Anwälte, die überbezahlten Investmentberater und die postmodernistischen Professoren nicht länger den Ton angeben“(S. 87). Auch was von einer Trump-regierung erwartet werden darf, hat der 2007 verstorbene linke Philosoph vorhergesehen: „dass die Fortschritte, die in den letzten vierzig Jahren von schwarzen und braunen Amerikanern und von Homosexuellen gemacht wurden, ausradiert werden. In zotige Witze verkleidete Verachtung von Frauen wird wieder in Mode kommen. Die ganze Wut, welche sich bei schlecht gebildeten Amerikanern darüber angesammelt hat, dass Universitätsabsolventen ihnen Manieren beizubringen versuchen, wird ein Ventil finden“(S. 87).
„Die Republikaner sind die konservative Partei, mit vielen sehr religiösen Wählern und mit einer besonders ausgeprägten Nähe zu Konzernen und Machtinteressen aus Wirtschaft und Hochfinanz. Letzteres gilt allerdings auch für zahlreiche demokratische Politiker.“
(Ronald D. Gerste in 111 , S. 102)
Die kulturelle Dominanz der USA führte seit Mitte des vorigen Jahrhunderts weltweit zu einer Amerikanisierung der Alltagskultur. Für wesentlich bedenklicher hält der Autor allerdings die Übernahme von hire-and-fire-methoden in der Arbeitswelt Europas und die Kommerzialisierung von Bereichen, in denen der Staat (zumindest nach europäischem Verständnis) eine Fürsorgepflicht besitzt: im Gesundheitswesen und bei der Bildung. Was „in weiten Teilen der Welt als ein Grundbedürfnis der Menschen, wenn nicht gar als Grundrecht betrachtet“wird, ist in den USA „ein Geschäft, in dem das Prinzip der Profitmaximierung gilt“(S. 161). Das betrifft die exorbitaten Medikamentenpreise, deren staatliche Regulierung in den USA als Eingriff in die uramerikanische Freiheit des Marktes ebenso undurchsetzbar erscheint wie eine allgemeine Krankenversicherungspflicht oder kostenloser Universitätsbesuch. Selbst unter „Obamacare“sind die Versicherungsprämien 2016 um durchschnittliche 22 Prozent gestiegen, Studiengebühren bewegen sich inzwischen bei 10.000 bis über 50.000 $ im Jahr. Diese Kosten explodieren seit Jahren, gegensteuernde Wahlkampfversprechen scheiterten immer wieder „an den existierenden Machtstrukturen und dem effektiven Lobbyismus aller, von hohen Beiträgen oder Gebühren Profitierenden in den Wandelhallen des Kapitols“(S. 162).
Dabei entscheidet sich laut Harry S. Truman jede Politik letztlich auf lokaler Ebene – „der Kongressabgeordnete und in geringerem Maße der Senator [wird] von den Gegebenheiten seines Heimatstaates und Anliegen seiner Wähler getrieben, die nicht auf einer Linie mit den Vorstellungen des Präsidenten liegen müssen“(S. 90). Mangels Listenwahlrecht und mächtiger Parteien sind die Mandatare vielmehr ihren Sponsoren und potenten Lobbies verpflichtet. Den 435 Mitgliedern des Repräsentantenhauses bleibt wegen einer nur zweijährigen Legislaturperiode kaum eine Verschnaufpause zwischen ihren teuren Wahlkämpfen. L. B. Johnson hatte 1964 eine (theoretisch) komfortable Zwei-drittel-mehrheit seiner Demokraten in beiden Häusern des Parlaments. Sein liberales Bürgerrechtsprogramm und den Kampf gegen Armut konnte er dennoch nur gegen den erbitterten Widerstand zahlreicher konservativer Parteifreunde durchbringen (S. 91).
Politiker mit Verbindungen zur Ölindustrie verhindern beispielsweise den Bau von Trassen für Hochgeschwindigkeitszüge und Straßenbahnen. „Oft ist [..] die Lobby der Ölindustrie nur zu deutlich spürbar. So haben etwa zahlreiche Gouverneure die von der Regierung Obama bereitgestellten Bundesmittel für den Eisenbahnbau einfach zurückgewiesen“(S. 152). Selbst die „wahrhaft amerikanische Art der Fortbewegung“im Auto leidet – trotz eines von Obama angeleierten Sanierungsprogramms – unter jahrzehntelanger Vernachlässigung der Infrastruktur: 7.700 Highway-brücken gelten als akut einsturzgefährdet, fast 59.000 als strukturell gefährdet. Eisenbahntunnel stammen teilweise noch aus der Zeit des Bürgerkriegs, die Stromleitungen sind alt und schlecht isoliert, (über)regionale Stromausfälle sind an der Tagesordnung.
Trump hat sich als der richtige Mann zur Sanierung einer verrotteten Infrastruktur dargestellt. Auf ihn wartet eine „gigantische Herausforderung.“Hier könnte der 45. Präsident in der Tat seinem Wahlkampfslogan entsprechend ,Amerika wieder groß machen´“(S. 159). USA
111 Gerste, Roland D.: Amerika verstehen. Geschichte, Politik und Kultur der USA. Stuttgart: Klett-cotta, 2017. 208 S., € 9,95 [D], 10,30 [A] ISBN 978-3-608-96167-6
„Die ganze Wut, welche sich bei schlecht gebildeten Amerikanern darüber angesammelt hat, dass Universitätsabsolventen ihnen Manieren beizubringen versuchen, wird ein Ventil finden.“(Richard Rorty in 111 , S. 87)
Leben mit Trump: Ein Weckruf
Als „Weckruf für Europa“will der „große Welterklärer“[so die gar nicht kokette Beschreibung des Autors lt. Klappentext] seinen Text über das „Leben mit Trump“verstanden wissen, damit „die Europäer aus ihren nationalistischen Albträumen erwachen und endlich zu der Solidarität finden, die sie als Einheit handlungsfähig macht“(S. 78). Das dünne Bändchen wirkt mit heißer Feder geschrieben, erschienen ist es kaum drei Wochen nach der Inauguration des 45. Präsidenten der USA.
Portisch hat den Weg vieler Us-präsidenten verfolgt, beginnend mit dem „mitreißenden Redner“John F. Kennedy (S. 7). Bis hin zu Barack Obama, eine „unerwartet positive Überraschung [..] nach dem Ende der Präsidentschaft von George W. Bush“(S. 19). Wie konnte auf den eleganten, eloquenten Redner ausgerechnet eine Figur wie Trump folgen? Obamas (Gesundheits-)politik war unentwegt Angriffsziel der Republikaner. Ihr wichtigster Vorsatz, „den Mann im Weißen Haus in keiner Frage gewinnen zu lassen“(S. 20). „Wie immer man es wendet, war das ein gar nicht so verdeckter Rassismus. Donald Trump nutzte dieses Vorurteil, [...] wie er auch so gut wie alle Vorurteile bestätigte und verwendete, um sich den Jubel seiner Anhänger zu sichern. […] Trump hielt sich an keine ihn in irgendeiner Weise einschränkenden ethischen Grundsätze“(S. 20).
Für Political Correctness habe er „keine Zeit“,
„Manches deutet darauf hin, dass es Trump eher um eine Art der Weltaufteilung in Einflusszonen geht als um ein gemeinsames Wirken für die Lösung aktueller Probleme“(Hugo Portisch in 112 , S. 41).
behauptet Trump. Der Bruch politischer Tabus und ungeschriebener Regeln – zum ersten Mal seit den 1950er-jahren wird ein Militär Verteidigungsminister (S. 35); ein anderer General leitet den Heimatschutz, obwohl er nach seinem Ausscheiden aus der Marine noch drei Jahre ein politisches Funktionsverbot einhalten müsste (S. 36) – Skrupellosigkeit, jeglicher Mangel an Anstand, die permanente Verquickung persönlicher kommerzieller und politischer Interessen sowie Nepotismus – Schwiegersohn Jared Kushner (S. 28) und Tochter Ivanka als Berater im Weißen Haus – wurden zu Trumps Markenzeichen. Portisch kritisiert die Auswahl seiner Minister und Berater (Sicherheitsberater Mike Flynn ist wegen des Verdachts einer Zusammenarbeit mit Russland während des Wahlkampfs inzwischen Geschichte) und zitiert „Statistikforscher“, die das Gesamtvermögen seiner Kabinettsmitglieder mit 14 Milliarden Us-dollar berechnet haben, „das ist 30-mal so viel Vermögen als [sic!] es den Mitgliedern der zweiten Regierung George W. Bushs zugeschrieben wurde. […] Der Gegensatz zwischen denen, die er da zu vertreten versprach, und denen, die er dann in seine Regierung berief, könnte kaum größer sein“(S. 37).
Wird Trump über den Tisch gezogen?
Eine der grundlegenden Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs der USA, wonach Großkonzerne und Organisationen wie die Waffenlobby unkontrolliert und unbeschränkt Spenden an Politiker auszahlen können [Citizens United v. Federal Election Commission von 2010; Anm.] und die eminent wichtige Rolle des Supreme Courts kommen nur kurz zur Sprache – insbesondere die Möglichkeit für den 45. Präsidenten, die Us-politik weit über jede Amtszeit hinaus zu prägen. Am Ende seiner (ersten) Amtszeit 2020 wären drei von neun Höchstrichtern über 82 Jahre alt, zwei davon wurden vom liberalen Bill Clinton ernannt.
Die weithin bekannte Eitelkeit des Mannes mit den „undurchsichtigen Absichten“(S. 25) sieht Portisch als dessen größtes Handicap. Der Versuch, weltpolitische Entscheidungen im Stil seiner „Kunst des Deals“(der Titel des ersten Buches, das unter seinem Namen erschien) mit Putin auszuhandeln, „könnte befürchten lassen, dass Trump, der Ungeduldige, der Schnell-entscheider, der Alleswisser, über den Tisch gezogen wird“(S. 23).
Europa müsse daher „aufpassen“und ehest tätig werden, damit nicht „über die Köpfe der Europäer entschieden werde“. Anlass für Portisch, auf Drängen seines Verlegers „schnell, jetzt“darüber zu schreiben (S. 24). Und zu fordern: „Statt mit Bangen abzuwarten, was sich Trump einfallen lassen wird, sollte Europa seine Probleme rasch selber zu lösen versuchen“(S. 42) – neben Stichworten wie „Flüchtlingskrise“, „Wirtschafts- und Finanzschwäche Italiens, Solidaritätsverweigerung der post-kommunistischen Staaten, re-nationalistische Bewegungen in Deutschland, Holland und Frankreich und vielleicht, nach der nächsten Wahl, auch in Österreich“, erwähnt Portisch den Ukraine-konflikt. Die EU sollte „selbst einen Vorschlag zur Beilegung der Krise in der Ukraine vorlegen“: keine Eu-vollmitgliedschaft, aber „eine Art Freihandelsvertrag“; die „ausdrückliche Zusicherung der ukrainischen Regierung, nicht die Mitgliedschaft in der NATO anzustreben“(S. 43); für die russische Minderheit in der Ostukraine könnte ein Autonomiestatut wie für Südtirol ausgehandelt werden. Derartige Vorschläge sollten nicht Trumps Verhandlungen mit Vladimir Putin konkurrenzieren, sondern, „wenn möglich, sogar als Vorschlag für Donald Trump und dessen Gespräche mit Putin“(S. 45) dienen. Auch um eine Rolle bei der Lösung des Konflikts in Syrien solle sich Europa bemühen, um Angela Merkel die „bis jetzt so schwer zu tragende[...] Bürde des Flüchtlingsproblems“(S. 48) zu erleichtern.
Ein „deutsches Europa“stellt für Portisch offenbar ein wesentlich geringeres Problem dar, als für viele andere politische Beobachter und Politiker in- und außerhalb unseres Nachbarlandes. Er wirft [Ex-] Bundespräsident Gauck vor, dieser habe Putin durch seine Weigerung, die Olympischen Spiele 2014 in Sotchi zu besuchen, brüskiert. Portisch spekuliert , diese Kränkung könnte Putin zum militärischen Vorgehen gegen die Ukraine ermutigt haben (S. 53). Ob sich die EU – selbst unter „kräftiger Führung“(S. 49) – angesichts derart irrationaler Persönlichkeiten an der Spitze der Großmächte behaupten und „so schnell wie möglich eigene Ideen beitragen“(S. 24) kann, das bleibt wohl nur zu hoffen. Ebenso, wenn sich das gespannte Verhältnis der USA - China auf einen Handelskrieg zuspitzen sollte. Die von Portisch geforderte gemeinsame EU Sicherheitsund Verteidigungspolitik mit gemeinsamer Armee und gemeinsamem Kommando (S. 77) wird selbst bei bestem Willen aller Beteiligten kaum rechtzeitig in vier (oder acht) Jahren Trumpscher Amtszeit zustande kommen, falls zwischenzeitlich „höchstwahrscheinlich die gesamte Weltordnung, so wie sie sich in den letzten 70 Jahren entwickelt hat, aus den Angeln gehoben wird“(S. 76). USA
112 Portisch, Hugo: Leben mit Trump. Ein Weckruf. Wals b. Salzburg: Ecowin, 2017. 80 S., € 20,- [D/A]
ISBN 978-3-7110-0127-6
„Was kann, was muss geschehen, um den Zusammenhalt der Europäischen Union zu festigen in Anbetracht von Flüchtlingskrise, Ukraine-konflikt, Wirtschafts- und Finanzschwäche Italiens, Solidaritätsverweigerung der postkommunistischen Staaten, re-nationalistischen Bewegungen in Deutschland, Holland und Frankreich und vielleicht nach der nächsten Wahl, auch in Österreich? Dafür bedarf es einer überzeugenden Initiative mutiger europäischer Politiker. Statt mit Bangen abzuwarten, was sich Trump einfallen lassen wird, sollte Europa seine Probleme rasch selbst zu lösen versuchen.” (Hugo Portisch in 112 , S. 43)
Der Präsident im Visier
Die Wahrheit über den 45. Präsidenten der USA verspricht uns die Trump-biographie von Michael D‘antonio. Rund ein Drittel der Rezensenten – der deutschen wie der Originalausgabe „Never Enough: Donald Trump and the Pursuit of Success“, von September 2015 – ist mit dieser Wahrheit nicht einverstanden. Die Bewertungen beim größten Versandbuchhändler der Welt zeigen es deutlich. Vielleicht auch, weil „die Leute, die am wenigsten vom Geschäftsleben verstehen, ihn am meisten bewundern, und die Leute, die am meisten davon verstehen, ihn am wenigsten bewundern“(S. 399).
Immobilien-showman Trump
Die Anhänger „alternativer Fakten“hat der Pulitzerpreis-gewinner D’antonio nicht bekehrt, wahrscheinlich mit der Publicity (ungewollt) sogar die Wahlchancen jenes Mannes verbessert, der „den vielleicht bizarrsten Präsidentschaftswahlkampf führte, den Amerika jemals erlebt hat“(S. 11). Besonders in Europa wurde „der größte Showman der amerikanischen Immobilienwirtschaft“(S. 389) – bis zum Morgen nach der Wahl – „eher wie eine Figur aus einer Hollywood-farce denn als legitimer Kandidat“(S. 13) betrachtet; allenfalls als „einer der größten Stars in der Geschichte des Reality-tv […], ein Mann, der kosmetisch aufpoliert und kunstvoll toupiert [...] bereitwillig alles sagte und tat, was notwendig war, um Aufmerksamkeit zu erregen“(S. 375). „Niemals genug“trifft es recht gut, das vorläufige Resümee über das Leben eines „streitsüchtigen, tyrannisch und körperlich aggressiven kleinen Jungen“(S. 21), der sich nach eigenen Worten in 70 Lebensjahren charakterlich nicht verändert hat, wie er nach der Wahl mehrfach betonte. Er „blieb seinem Motto treu, alles immer ,zehnfach zurückzuzahlen´, wenn er sich angegriffen fühlte“(S. 407). „Vielleicht ist nichts in der Natur unersättlicher als der Hunger dieses Mannes nach Reichtum, Macht und Ruhm.“(S. 29). Dies versetzt ihn in die Lage, selbst beißenden Spott und geschäftliche Rückschläge wegzustecken. Beim jährlichen Korrespondenten-dinner des Weißen Hauses 2011 wurde er von Präsident Obama – „von dem er insgesamt ziemlich angewidert ist“(S. 472) – und dem Comedian Seth Meyers coram publico regelrecht gedemütigt. Vielleicht hat das in ihm den Ehrgeiz geweckt, für 2016 mit seiner Bewerbung um das Präsidentenamt ernst zu machen?
Ab 1988 hatte Trump mehrmals Ambitionen für die Präsidentschaft oder den Posten des Gouverneurs von New York durchklingen lassen, gelegentlich sogar Ansätze einer Kampagne vorbereitet, bis 2016 jedoch keinerlei politisches Amt bekleidet. Frühere Bewerbungen galten vielmehr als Publicity Stunts für seine diversen Unternehmungen. Auch sie haben dazu beigetragen, „dass dieser erstaunliche Mann, der zugleich so bewundert und verabscheut wird, die bekannteste Wirtschaftspersönlichkeit unserer Tage“(S.44) wurde. In manchen politischen Kommentaren ließ er anfangs sogar Sympathien für „liberale“Positionen erklingen: höhere Grenzsteuersätze für Reiche, Entkriminalisierung des Drogenkonsums und von Abtreibungen. Im September 1987, kurz vor der Veröffentlichung seines ersten Buches, schaltete Trump um 90.000 $ Anzeigen in der New York Times, dem Boston Globe und der Washington Post. So wie auch nach seiner Wahl zum Us-präsidenten ließ er das amerikanische Volk wissen, dass die USA „aufhören sollten, für die Verteidigung von Ländern aufzukommen, die es sich leisten können, sich selbst zu verteidigen“(S. 277). Neben Japan erwähnt er explizit Saudi-arabien. Mit diesem treuen Alliierten der USA verbinden ihn wirtschaftliche Kontakte: Trump verkaufte 1989 in Geldnöten eine Mehrheitsbeteiligung am symbolträchtigen New Yorker Plaza Hotel an den saudischen Prinzen Alwaleed Bin Talal. Seine erste Auslandsreise als Präsident führte ihn dorthin, ganz im Gegensatz zu früheren diplomatischen Gepflogenheiten, die Kanada oder Mexiko als erste Destination vorsahen.
„Ich kann mit den gebildetsten Kunstkennern in New York zusammensitzen und verstehe mich prächtig mit ihnen. Wenn ich will, kann ich sie überzeugen, dass ich genauso viel über etwas weiß wie sie, aber ich weiß nichts.“(Michael D’antonio in 113 ,S. 291)
„Das Schöne an mir”
Michael D‘antonio nimmt uns in seinem Buch mit auf eine Reise in eine Welt, welche die Intrigen, Ränke, Vetternwirtschaft und gelegentliche Skandale in der heimischen Politik wie Sandkastenspiele zwischen Kindergärtlern erscheinen lassen, in der Figuren wie Udo Proksch oder Jörg Haider allenfalls als Randnotiz vorgekommen wären. Es wimmelt von halbseidenen Immobilienhaien, verschlagenen Juristen, findigen Verteidigern, korrupten Politikern (in New York praktisch ausschließlich Funktionäre der demokratischen Partei), mafiösen Gewerkschaftern, steuer-optimierenden Investoren, honorigen Hoteliers, marktschreierischen Medien-tycoons, bestechlichen Beamten, glamourösen Schauspielerinnen, weltlichem Erfolg nicht abgeneigten Kirchenmännern, gierigen Klatschjournalisten, Pr-geilen Celebrities und anderen Figuren wie aus F. Scott Fitzgeralds The Great Gatsby oder Tom Wolfes Fegefeuer der Eitelkeiten.
„Was sagt es über ihn aus, dass er, gemessen an den beiden Maßstäben, die er am meisten schätzt – Geld und Ruhm –, so unglaublich erfolgreich ist? Und was sagt das eigentlich über uns selber aus?“(Michael D’antonio in 113 , S. 476)
Sollte schmieriger Charme einmal nicht den gewünschten Erfolg zeigen, werden andere Saiten aufgezogen: „In seiner gesamten Karriere hat Trump so häufig Journalisten angedroht, sie zu verklagen, dass jeder Reporter, dem er nicht mit so etwas droht, sich vernachlässigt fühlen muss“(S. 10). Zur Einschüchterung werden gelegentlich „fadenscheinige und überflüssige“(S. 261) Klagen eingereicht, die dem Gegner enorme (Anwalts-)kosten verursachen – selbst im Fall einer Prozessniederlage Trumps – und daher meist mit der Entlassung missliebiger Personen wie des Wall Street Analysten Marvin Roffman führen. Für Reporter und Chefredakteure, die es mit der Wahrheit weniger genau nahmen, ist er jedoch „immer ein Garant für höhere Auflagen“(S. 401) – auch während des Wahlkampfs! Gleichzeitig hat kaum jemand „in einem solchen Ausmaß von Klatschgeschichten über Prominente profitiert wie Donald Trump“(S. 473).
In einem Interview mit Wayne Barret vom Blatt Village Voice erklärt Trump seine Motivation: „Ich würde nie einen Deal nur um des Profits willen machen. Er muss seinen eigenen Nervenkitzel haben. Sein eigenes Flair“. Ein anderer Bauunternehmer aus Manhattan drückt es ein wenig anders aus: „Trump schloss nie einen Deal ab, wenn nicht noch etwas anderes – eine Art moralischer Diebstahl – damit verbunden war. Er gibt sich nicht allein mit einem Profit zufrieden. Er muss bekommen. Sonst hat die Sache keinen Reiz“. (S. 228). Wobei er jeweils erfolgreich „die Gutgläubigkeit ausnutzte, die die meisten Menschen, selbst erfahrene Geschäftsleute, bei ihren Begegnungen mit potentiellen Geschäftspartner mitbringen“(S. 249). Gegenüber Time wird Trump 1989 mit der (unwidersprochenen) Aussage zitiert, er besitze die Überzeugungsgabe eines Heiratsschwindlers „Ich kann mit den gebildetsten Kunstkennern in New York zusammensitzen und verstehe mich prächtig mit ihnen. Wenn ich will, kann ich sie überzeugen, dass ich genauso viel über etwas weiß wie sie, aber ich weiß nichts“(S. 291). Wie kein anderer hat Trump es geschafft, „seine Prominenz zu Geld zu machen […]. Obwohl ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung ihn für einen Witzbold, wenn nicht gar für eine Gefahr hält […]. Was sagt es über ihn aus, dass er, gemessen an den beiden Maßstäben, die er am meisten schätzt – Geld und Ruhm –, so unglaublich erfolgreich ist? Und was sagt das eigentlich über uns selber aus“(S. 476). USA
113 D’antonio, Michael: Die Wahrheit über Donald Trump. Berlin: Econ, 2016. 544 S.,
€ 24,00 [D], 24,70 [A] ; ISBN 978-3-430-20221-3
„In seiner gesamten Karriere hat Trump so häufig Journalisten angedroht, sie zu verklagen, dass jeder Reporter, dem er nicht mit so etwas droht, sich vernachlässigt fühlen muss.“(Michael D’antonio in 113 , S. 10)