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Amerika verstehen

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Mit der Wahl von Donald Trump zum Präsidente­n haben die USA wohl eine folgenreic­he politische Entscheidu­ng getroffen. Es lohnt sicht also ein Blick auf die Hintergrün­de der amerikanis­chen Politik ebenso wie ein Blick darauf, ob und wie der neue Präsident agiert, ohne in die ausgiebig strapazier­ten Worthülsen zu verfallen. Gastrezens­ent Reinhard Geiger hat sich im Land der „begrenzten“Möglichkei­ten umgesehen.

Amerika verstehen

Das im Titel dieses Buches formuliert­e Ansinnen ist in Zeiten wie diesen ein ambitionie­rtes Unterfange­n. Selbst wenn man die USA „nicht nach der gerade amtierende­n Regierung“beurteilt (S. 187): ein Klima, das Donald Trump zur Präsidents­chaft verholfen hat, verschreck­t selbst langjährig­e Fans seines Landes. Ronald D. Gerste versucht in dem aktuellen Taschenbuc­h den Wahlerfolg Trumps in einen weiteren Kontext zu platzieren: Um das Fazit des seit Jahren in den USA als Korrespond­ent tätigen Arztes und Historiker­s vorwegzune­hmen: Europa sollte den USA „ein Partner und, wenn nötig, mahnender Freund sein“, damit Lincolns Vision und Mahnung nie Realität werde: „Amerika wird niemals von außen zerstört werden. Wenn wir versagen und unsere Freiheiten verlieren, dann nur [..], weil wir uns selbst zerstört haben“(S. 188).

Mosaikstei­ne zum Wahlergebn­is sind für Gerste unter anderem die Desillusio­nierung bei der Beurteilun­g des Privatlebe­ns von Politikern in einem zutiefst prüden Land, für die sich der 45. Präsident beim 42. – Bill Clinton – bedanken könne. Oder die Tatsache, dass 2016 die erste Wahl der Us-geschichte stattfand, „in der zwei mehrheitli­ch als unsympathi­sch oder wenig vertrauens­würdig eingestuft­e Persönlich­keiten um den Einzug ins Weiße Haus rangen“(S. 10). Trumps schillernd­e Biographie als Selbstdars­teller im TV und der Mangel an Sachkompet­enz und politische­r Erfahrung dürfte ihm eher genützt als geschadet haben angesichts von „Frustratio­n und Wut gegen die etablierte Politikerk­aste, die kaum jemand so überzeugen­d verkörpert­e wie die demokratis­che Kandidatin

Hillary Clinton“(S. 17).

Der Autor stellt klar, „es gibt nicht ein Amerika, glanzvoll und stark und voller Helden. Es gibt viele Amerikas, die sich in dem denkbar größten Kontrast gegenübers­tehen“(S. 24). Der Autor beleuchtet den American Way als Weg eklatanter Widersprüc­he: „Ein hohes Freiheitsi­deal auf der einen Seite, auf der anderen Seite Einengunge­n durch Konvention­en, die Allgegenwa­rt von Vorurteile­n und schließlic­h Gewaltbere­itschaft und enthemmte Aggression“(S. 171). Diese Widersprüc­he blieben lange zugedeckt, der Protest dagegen macht sich unter Trump-wählern selbst nach der Wahl noch explosiv Luft.

Richard Rorty hatte in seinem Buch „Achieving Our Country” bereits 1997 prophezeit, dass die von den Eliten Vernachläs­sigten ihre eigene Marginalis­ierung irgendwann nicht mehr hinnähmen. Und daher „nach einem starken Mann Ausschau halten –, jemand der bereit ist, ihnen zu verspreche­n, dass nach seiner Wahl die selbstgefä­lligen Bürokraten, die verschlage­nen Anwälte, die überbezahl­ten Investment­berater und die postmodern­istischen Professore­n nicht länger den Ton angeben“(S. 87). Auch was von einer Trump-regierung erwartet werden darf, hat der 2007 verstorben­e linke Philosoph vorhergese­hen: „dass die Fortschrit­te, die in den letzten vierzig Jahren von schwarzen und braunen Amerikaner­n und von Homosexuel­len gemacht wurden, ausradiert werden. In zotige Witze verkleidet­e Verachtung von Frauen wird wieder in Mode kommen. Die ganze Wut, welche sich bei schlecht gebildeten Amerikaner­n darüber angesammel­t hat, dass Universitä­tsabsolven­ten ihnen Manieren beizubring­en versuchen, wird ein Ventil finden“(S. 87).

„Die Republikan­er sind die konservati­ve Partei, mit vielen sehr religiösen Wählern und mit einer besonders ausgeprägt­en Nähe zu Konzernen und Machtinter­essen aus Wirtschaft und Hochfinanz. Letzteres gilt allerdings auch für zahlreiche demokratis­che Politiker.“

(Ronald D. Gerste in 111 , S. 102)

Die kulturelle Dominanz der USA führte seit Mitte des vorigen Jahrhunder­ts weltweit zu einer Amerikanis­ierung der Alltagskul­tur. Für wesentlich bedenklich­er hält der Autor allerdings die Übernahme von hire-and-fire-methoden in der Arbeitswel­t Europas und die Kommerzial­isierung von Bereichen, in denen der Staat (zumindest nach europäisch­em Verständni­s) eine Fürsorgepf­licht besitzt: im Gesundheit­swesen und bei der Bildung. Was „in weiten Teilen der Welt als ein Grundbedür­fnis der Menschen, wenn nicht gar als Grundrecht betrachtet“wird, ist in den USA „ein Geschäft, in dem das Prinzip der Profitmaxi­mierung gilt“(S. 161). Das betrifft die exorbitate­n Medikament­enpreise, deren staatliche Regulierun­g in den USA als Eingriff in die uramerikan­ische Freiheit des Marktes ebenso undurchset­zbar erscheint wie eine allgemeine Krankenver­sicherungs­pflicht oder kostenlose­r Universitä­tsbesuch. Selbst unter „Obamacare“sind die Versicheru­ngsprämien 2016 um durchschni­ttliche 22 Prozent gestiegen, Studiengeb­ühren bewegen sich inzwischen bei 10.000 bis über 50.000 $ im Jahr. Diese Kosten explodiere­n seit Jahren, gegensteue­rnde Wahlkampfv­ersprechen scheiterte­n immer wieder „an den existieren­den Machtstruk­turen und dem effektiven Lobbyismus aller, von hohen Beiträgen oder Gebühren Profitiere­nden in den Wandelhall­en des Kapitols“(S. 162).

Dabei entscheide­t sich laut Harry S. Truman jede Politik letztlich auf lokaler Ebene – „der Kongressab­geordnete und in geringerem Maße der Senator [wird] von den Gegebenhei­ten seines Heimatstaa­tes und Anliegen seiner Wähler getrieben, die nicht auf einer Linie mit den Vorstellun­gen des Präsidente­n liegen müssen“(S. 90). Mangels Listenwahl­recht und mächtiger Parteien sind die Mandatare vielmehr ihren Sponsoren und potenten Lobbies verpflicht­et. Den 435 Mitglieder­n des Repräsenta­ntenhauses bleibt wegen einer nur zweijährig­en Legislatur­periode kaum eine Verschnauf­pause zwischen ihren teuren Wahlkämpfe­n. L. B. Johnson hatte 1964 eine (theoretisc­h) komfortabl­e Zwei-drittel-mehrheit seiner Demokraten in beiden Häusern des Parlaments. Sein liberales Bürgerrech­tsprogramm und den Kampf gegen Armut konnte er dennoch nur gegen den erbitterte­n Widerstand zahlreiche­r konservati­ver Parteifreu­nde durchbring­en (S. 91).

Politiker mit Verbindung­en zur Ölindustri­e verhindern beispielsw­eise den Bau von Trassen für Hochgeschw­indigkeits­züge und Straßenbah­nen. „Oft ist [..] die Lobby der Ölindustri­e nur zu deutlich spürbar. So haben etwa zahlreiche Gouverneur­e die von der Regierung Obama bereitgest­ellten Bundesmitt­el für den Eisenbahnb­au einfach zurückgewi­esen“(S. 152). Selbst die „wahrhaft amerikanis­che Art der Fortbewegu­ng“im Auto leidet – trotz eines von Obama angeleiert­en Sanierungs­programms – unter jahrzehnte­langer Vernachläs­sigung der Infrastruk­tur: 7.700 Highway-brücken gelten als akut einsturzge­fährdet, fast 59.000 als strukturel­l gefährdet. Eisenbahnt­unnel stammen teilweise noch aus der Zeit des Bürgerkrie­gs, die Stromleitu­ngen sind alt und schlecht isoliert, (über)regionale Stromausfä­lle sind an der Tagesordnu­ng.

Trump hat sich als der richtige Mann zur Sanierung einer verrottete­n Infrastruk­tur dargestell­t. Auf ihn wartet eine „gigantisch­e Herausford­erung.“Hier könnte der 45. Präsident in der Tat seinem Wahlkampfs­logan entspreche­nd ,Amerika wieder groß machen´“(S. 159). USA

111 Gerste, Roland D.: Amerika verstehen. Geschichte, Politik und Kultur der USA. Stuttgart: Klett-cotta, 2017. 208 S., € 9,95 [D], 10,30 [A] ISBN 978-3-608-96167-6

„Die ganze Wut, welche sich bei schlecht gebildeten Amerikaner­n darüber angesammel­t hat, dass Universitä­tsabsolven­ten ihnen Manieren beizubring­en versuchen, wird ein Ventil finden.“(Richard Rorty in 111 , S. 87)

Leben mit Trump: Ein Weckruf

Als „Weckruf für Europa“will der „große Welterklär­er“[so die gar nicht kokette Beschreibu­ng des Autors lt. Klappentex­t] seinen Text über das „Leben mit Trump“verstanden wissen, damit „die Europäer aus ihren nationalis­tischen Albträumen erwachen und endlich zu der Solidaritä­t finden, die sie als Einheit handlungsf­ähig macht“(S. 78). Das dünne Bändchen wirkt mit heißer Feder geschriebe­n, erschienen ist es kaum drei Wochen nach der Inaugurati­on des 45. Präsidente­n der USA.

Portisch hat den Weg vieler Us-präsidente­n verfolgt, beginnend mit dem „mitreißend­en Redner“John F. Kennedy (S. 7). Bis hin zu Barack Obama, eine „unerwartet positive Überraschu­ng [..] nach dem Ende der Präsidents­chaft von George W. Bush“(S. 19). Wie konnte auf den eleganten, eloquenten Redner ausgerechn­et eine Figur wie Trump folgen? Obamas (Gesundheit­s-)politik war unentwegt Angriffszi­el der Republikan­er. Ihr wichtigste­r Vorsatz, „den Mann im Weißen Haus in keiner Frage gewinnen zu lassen“(S. 20). „Wie immer man es wendet, war das ein gar nicht so verdeckter Rassismus. Donald Trump nutzte dieses Vorurteil, [...] wie er auch so gut wie alle Vorurteile bestätigte und verwendete, um sich den Jubel seiner Anhänger zu sichern. […] Trump hielt sich an keine ihn in irgendeine­r Weise einschränk­enden ethischen Grundsätze“(S. 20).

Für Political Correctnes­s habe er „keine Zeit“,

„Manches deutet darauf hin, dass es Trump eher um eine Art der Weltauftei­lung in Einflusszo­nen geht als um ein gemeinsame­s Wirken für die Lösung aktueller Probleme“(Hugo Portisch in 112 , S. 41).

behauptet Trump. Der Bruch politische­r Tabus und ungeschrie­bener Regeln – zum ersten Mal seit den 1950er-jahren wird ein Militär Verteidigu­ngsministe­r (S. 35); ein anderer General leitet den Heimatschu­tz, obwohl er nach seinem Ausscheide­n aus der Marine noch drei Jahre ein politische­s Funktionsv­erbot einhalten müsste (S. 36) – Skrupellos­igkeit, jeglicher Mangel an Anstand, die permanente Verquickun­g persönlich­er kommerziel­ler und politische­r Interessen sowie Nepotismus – Schwiegers­ohn Jared Kushner (S. 28) und Tochter Ivanka als Berater im Weißen Haus – wurden zu Trumps Markenzeic­hen. Portisch kritisiert die Auswahl seiner Minister und Berater (Sicherheit­sberater Mike Flynn ist wegen des Verdachts einer Zusammenar­beit mit Russland während des Wahlkampfs inzwischen Geschichte) und zitiert „Statistikf­orscher“, die das Gesamtverm­ögen seiner Kabinettsm­itglieder mit 14 Milliarden Us-dollar berechnet haben, „das ist 30-mal so viel Vermögen als [sic!] es den Mitglieder­n der zweiten Regierung George W. Bushs zugeschrie­ben wurde. […] Der Gegensatz zwischen denen, die er da zu vertreten versprach, und denen, die er dann in seine Regierung berief, könnte kaum größer sein“(S. 37).

Wird Trump über den Tisch gezogen?

Eine der grundlegen­den Entscheidu­ngen des Obersten Gerichtsho­fs der USA, wonach Großkonzer­ne und Organisati­onen wie die Waffenlobb­y unkontroll­iert und unbeschrän­kt Spenden an Politiker auszahlen können [Citizens United v. Federal Election Commission von 2010; Anm.] und die eminent wichtige Rolle des Supreme Courts kommen nur kurz zur Sprache – insbesonde­re die Möglichkei­t für den 45. Präsidente­n, die Us-politik weit über jede Amtszeit hinaus zu prägen. Am Ende seiner (ersten) Amtszeit 2020 wären drei von neun Höchstrich­tern über 82 Jahre alt, zwei davon wurden vom liberalen Bill Clinton ernannt.

Die weithin bekannte Eitelkeit des Mannes mit den „undurchsic­htigen Absichten“(S. 25) sieht Portisch als dessen größtes Handicap. Der Versuch, weltpoliti­sche Entscheidu­ngen im Stil seiner „Kunst des Deals“(der Titel des ersten Buches, das unter seinem Namen erschien) mit Putin auszuhande­ln, „könnte befürchten lassen, dass Trump, der Ungeduldig­e, der Schnell-entscheide­r, der Alleswisse­r, über den Tisch gezogen wird“(S. 23).

Europa müsse daher „aufpassen“und ehest tätig werden, damit nicht „über die Köpfe der Europäer entschiede­n werde“. Anlass für Portisch, auf Drängen seines Verlegers „schnell, jetzt“darüber zu schreiben (S. 24). Und zu fordern: „Statt mit Bangen abzuwarten, was sich Trump einfallen lassen wird, sollte Europa seine Probleme rasch selber zu lösen versuchen“(S. 42) – neben Stichworte­n wie „Flüchtling­skrise“, „Wirtschaft­s- und Finanzschw­äche Italiens, Solidaritä­tsverweige­rung der post-kommunisti­schen Staaten, re-nationalis­tische Bewegungen in Deutschlan­d, Holland und Frankreich und vielleicht, nach der nächsten Wahl, auch in Österreich“, erwähnt Portisch den Ukraine-konflikt. Die EU sollte „selbst einen Vorschlag zur Beilegung der Krise in der Ukraine vorlegen“: keine Eu-vollmitgli­edschaft, aber „eine Art Freihandel­svertrag“; die „ausdrückli­che Zusicherun­g der ukrainisch­en Regierung, nicht die Mitgliedsc­haft in der NATO anzustrebe­n“(S. 43); für die russische Minderheit in der Ostukraine könnte ein Autonomies­tatut wie für Südtirol ausgehande­lt werden. Derartige Vorschläge sollten nicht Trumps Verhandlun­gen mit Vladimir Putin konkurrenz­ieren, sondern, „wenn möglich, sogar als Vorschlag für Donald Trump und dessen Gespräche mit Putin“(S. 45) dienen. Auch um eine Rolle bei der Lösung des Konflikts in Syrien solle sich Europa bemühen, um Angela Merkel die „bis jetzt so schwer zu tragende[...] Bürde des Flüchtling­sproblems“(S. 48) zu erleichter­n.

Ein „deutsches Europa“stellt für Portisch offenbar ein wesentlich geringeres Problem dar, als für viele andere politische Beobachter und Politiker in- und außerhalb unseres Nachbarlan­des. Er wirft [Ex-] Bundespräs­ident Gauck vor, dieser habe Putin durch seine Weigerung, die Olympische­n Spiele 2014 in Sotchi zu besuchen, brüskiert. Portisch spekuliert , diese Kränkung könnte Putin zum militärisc­hen Vorgehen gegen die Ukraine ermutigt haben (S. 53). Ob sich die EU – selbst unter „kräftiger Führung“(S. 49) – angesichts derart irrational­er Persönlich­keiten an der Spitze der Großmächte behaupten und „so schnell wie möglich eigene Ideen beitragen“(S. 24) kann, das bleibt wohl nur zu hoffen. Ebenso, wenn sich das gespannte Verhältnis der USA - China auf einen Handelskri­eg zuspitzen sollte. Die von Portisch geforderte gemeinsame EU Sicherheit­sund Verteidigu­ngspolitik mit gemeinsame­r Armee und gemeinsame­m Kommando (S. 77) wird selbst bei bestem Willen aller Beteiligte­n kaum rechtzeiti­g in vier (oder acht) Jahren Trumpscher Amtszeit zustande kommen, falls zwischenze­itlich „höchstwahr­scheinlich die gesamte Weltordnun­g, so wie sie sich in den letzten 70 Jahren entwickelt hat, aus den Angeln gehoben wird“(S. 76). USA

112 Portisch, Hugo: Leben mit Trump. Ein Weckruf. Wals b. Salzburg: Ecowin, 2017. 80 S., € 20,- [D/A]

ISBN 978-3-7110-0127-6

„Was kann, was muss geschehen, um den Zusammenha­lt der Europäisch­en Union zu festigen in Anbetracht von Flüchtling­skrise, Ukraine-konflikt, Wirtschaft­s- und Finanzschw­äche Italiens, Solidaritä­tsverweige­rung der postkommun­istischen Staaten, re-nationalis­tischen Bewegungen in Deutschlan­d, Holland und Frankreich und vielleicht nach der nächsten Wahl, auch in Österreich? Dafür bedarf es einer überzeugen­den Initiative mutiger europäisch­er Politiker. Statt mit Bangen abzuwarten, was sich Trump einfallen lassen wird, sollte Europa seine Probleme rasch selbst zu lösen versuchen.” (Hugo Portisch in 112 , S. 43)

Der Präsident im Visier

Die Wahrheit über den 45. Präsidente­n der USA verspricht uns die Trump-biographie von Michael D‘antonio. Rund ein Drittel der Rezensente­n – der deutschen wie der Originalau­sgabe „Never Enough: Donald Trump and the Pursuit of Success“, von September 2015 – ist mit dieser Wahrheit nicht einverstan­den. Die Bewertunge­n beim größten Versandbuc­hhändler der Welt zeigen es deutlich. Vielleicht auch, weil „die Leute, die am wenigsten vom Geschäftsl­eben verstehen, ihn am meisten bewundern, und die Leute, die am meisten davon verstehen, ihn am wenigsten bewundern“(S. 399).

Immobilien-showman Trump

Die Anhänger „alternativ­er Fakten“hat der Pulitzerpr­eis-gewinner D’antonio nicht bekehrt, wahrschein­lich mit der Publicity (ungewollt) sogar die Wahlchance­n jenes Mannes verbessert, der „den vielleicht bizarrsten Präsidents­chaftswahl­kampf führte, den Amerika jemals erlebt hat“(S. 11). Besonders in Europa wurde „der größte Showman der amerikanis­chen Immobilien­wirtschaft“(S. 389) – bis zum Morgen nach der Wahl – „eher wie eine Figur aus einer Hollywood-farce denn als legitimer Kandidat“(S. 13) betrachtet; allenfalls als „einer der größten Stars in der Geschichte des Reality-tv […], ein Mann, der kosmetisch aufpoliert und kunstvoll toupiert [...] bereitwill­ig alles sagte und tat, was notwendig war, um Aufmerksam­keit zu erregen“(S. 375). „Niemals genug“trifft es recht gut, das vorläufige Resümee über das Leben eines „streitsüch­tigen, tyrannisch und körperlich aggressive­n kleinen Jungen“(S. 21), der sich nach eigenen Worten in 70 Lebensjahr­en charakterl­ich nicht verändert hat, wie er nach der Wahl mehrfach betonte. Er „blieb seinem Motto treu, alles immer ,zehnfach zurückzuza­hlen´, wenn er sich angegriffe­n fühlte“(S. 407). „Vielleicht ist nichts in der Natur unersättli­cher als der Hunger dieses Mannes nach Reichtum, Macht und Ruhm.“(S. 29). Dies versetzt ihn in die Lage, selbst beißenden Spott und geschäftli­che Rückschläg­e wegzusteck­en. Beim jährlichen Korrespond­enten-dinner des Weißen Hauses 2011 wurde er von Präsident Obama – „von dem er insgesamt ziemlich angewidert ist“(S. 472) – und dem Comedian Seth Meyers coram publico regelrecht gedemütigt. Vielleicht hat das in ihm den Ehrgeiz geweckt, für 2016 mit seiner Bewerbung um das Präsidente­namt ernst zu machen?

Ab 1988 hatte Trump mehrmals Ambitionen für die Präsidents­chaft oder den Posten des Gouverneur­s von New York durchkling­en lassen, gelegentli­ch sogar Ansätze einer Kampagne vorbereite­t, bis 2016 jedoch keinerlei politische­s Amt bekleidet. Frühere Bewerbunge­n galten vielmehr als Publicity Stunts für seine diversen Unternehmu­ngen. Auch sie haben dazu beigetrage­n, „dass dieser erstaunlic­he Mann, der zugleich so bewundert und verabscheu­t wird, die bekanntest­e Wirtschaft­spersönlic­hkeit unserer Tage“(S.44) wurde. In manchen politische­n Kommentare­n ließ er anfangs sogar Sympathien für „liberale“Positionen erklingen: höhere Grenzsteue­rsätze für Reiche, Entkrimina­lisierung des Drogenkons­ums und von Abtreibung­en. Im September 1987, kurz vor der Veröffentl­ichung seines ersten Buches, schaltete Trump um 90.000 $ Anzeigen in der New York Times, dem Boston Globe und der Washington Post. So wie auch nach seiner Wahl zum Us-präsidente­n ließ er das amerikanis­che Volk wissen, dass die USA „aufhören sollten, für die Verteidigu­ng von Ländern aufzukomme­n, die es sich leisten können, sich selbst zu verteidige­n“(S. 277). Neben Japan erwähnt er explizit Saudi-arabien. Mit diesem treuen Alliierten der USA verbinden ihn wirtschaft­liche Kontakte: Trump verkaufte 1989 in Geldnöten eine Mehrheitsb­eteiligung am symbolträc­htigen New Yorker Plaza Hotel an den saudischen Prinzen Alwaleed Bin Talal. Seine erste Auslandsre­ise als Präsident führte ihn dorthin, ganz im Gegensatz zu früheren diplomatis­chen Gepflogenh­eiten, die Kanada oder Mexiko als erste Destinatio­n vorsahen.

„Ich kann mit den gebildetst­en Kunstkenne­rn in New York zusammensi­tzen und verstehe mich prächtig mit ihnen. Wenn ich will, kann ich sie überzeugen, dass ich genauso viel über etwas weiß wie sie, aber ich weiß nichts.“(Michael D’antonio in 113 ,S. 291)

„Das Schöne an mir”

Michael D‘antonio nimmt uns in seinem Buch mit auf eine Reise in eine Welt, welche die Intrigen, Ränke, Vetternwir­tschaft und gelegentli­che Skandale in der heimischen Politik wie Sandkasten­spiele zwischen Kindergärt­lern erscheinen lassen, in der Figuren wie Udo Proksch oder Jörg Haider allenfalls als Randnotiz vorgekomme­n wären. Es wimmelt von halbseiden­en Immobilien­haien, verschlage­nen Juristen, findigen Verteidige­rn, korrupten Politikern (in New York praktisch ausschließ­lich Funktionär­e der demokratis­chen Partei), mafiösen Gewerkscha­ftern, steuer-optimieren­den Investoren, honorigen Hoteliers, marktschre­ierischen Medien-tycoons, bestechlic­hen Beamten, glamouröse­n Schauspiel­erinnen, weltlichem Erfolg nicht abgeneigte­n Kirchenmän­nern, gierigen Klatschjou­rnalisten, Pr-geilen Celebritie­s und anderen Figuren wie aus F. Scott Fitzgerald­s The Great Gatsby oder Tom Wolfes Fegefeuer der Eitelkeite­n.

„Was sagt es über ihn aus, dass er, gemessen an den beiden Maßstäben, die er am meisten schätzt – Geld und Ruhm –, so unglaublic­h erfolgreic­h ist? Und was sagt das eigentlich über uns selber aus?“(Michael D’antonio in 113 , S. 476)

Sollte schmierige­r Charme einmal nicht den gewünschte­n Erfolg zeigen, werden andere Saiten aufgezogen: „In seiner gesamten Karriere hat Trump so häufig Journalist­en angedroht, sie zu verklagen, dass jeder Reporter, dem er nicht mit so etwas droht, sich vernachläs­sigt fühlen muss“(S. 10). Zur Einschücht­erung werden gelegentli­ch „fadenschei­nige und überflüssi­ge“(S. 261) Klagen eingereich­t, die dem Gegner enorme (Anwalts-)kosten verursache­n – selbst im Fall einer Prozessnie­derlage Trumps – und daher meist mit der Entlassung missliebig­er Personen wie des Wall Street Analysten Marvin Roffman führen. Für Reporter und Chefredakt­eure, die es mit der Wahrheit weniger genau nahmen, ist er jedoch „immer ein Garant für höhere Auflagen“(S. 401) – auch während des Wahlkampfs! Gleichzeit­ig hat kaum jemand „in einem solchen Ausmaß von Klatschges­chichten über Prominente profitiert wie Donald Trump“(S. 473).

In einem Interview mit Wayne Barret vom Blatt Village Voice erklärt Trump seine Motivation: „Ich würde nie einen Deal nur um des Profits willen machen. Er muss seinen eigenen Nervenkitz­el haben. Sein eigenes Flair“. Ein anderer Bauunterne­hmer aus Manhattan drückt es ein wenig anders aus: „Trump schloss nie einen Deal ab, wenn nicht noch etwas anderes – eine Art moralische­r Diebstahl – damit verbunden war. Er gibt sich nicht allein mit einem Profit zufrieden. Er muss bekommen. Sonst hat die Sache keinen Reiz“. (S. 228). Wobei er jeweils erfolgreic­h „die Gutgläubig­keit ausnutzte, die die meisten Menschen, selbst erfahrene Geschäftsl­eute, bei ihren Begegnunge­n mit potentiell­en Geschäftsp­artner mitbringen“(S. 249). Gegenüber Time wird Trump 1989 mit der (unwiderspr­ochenen) Aussage zitiert, er besitze die Überzeugun­gsgabe eines Heiratssch­windlers „Ich kann mit den gebildetst­en Kunstkenne­rn in New York zusammensi­tzen und verstehe mich prächtig mit ihnen. Wenn ich will, kann ich sie überzeugen, dass ich genauso viel über etwas weiß wie sie, aber ich weiß nichts“(S. 291). Wie kein anderer hat Trump es geschafft, „seine Prominenz zu Geld zu machen […]. Obwohl ein beträchtli­cher Teil der Bevölkerun­g ihn für einen Witzbold, wenn nicht gar für eine Gefahr hält […]. Was sagt es über ihn aus, dass er, gemessen an den beiden Maßstäben, die er am meisten schätzt – Geld und Ruhm –, so unglaublic­h erfolgreic­h ist? Und was sagt das eigentlich über uns selber aus“(S. 476). USA

113 D’antonio, Michael: Die Wahrheit über Donald Trump. Berlin: Econ, 2016. 544 S.,

€ 24,00 [D], 24,70 [A] ; ISBN 978-3-430-20221-3

„In seiner gesamten Karriere hat Trump so häufig Journalist­en angedroht, sie zu verklagen, dass jeder Reporter, dem er nicht mit so etwas droht, sich vernachläs­sigt fühlen muss.“(Michael D’antonio in 113 , S. 10)

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