pro zukunft

Nachdenken (nicht nur) über Deutschlan­d

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Das „kritische Jahrbuch“fasst wichtige politische Themen des Jahres 2016 zusammen und liefert zudem Analysen und Hintergrun­dinformati­onen, die im Medienmain­stream so nicht zu hören oder zu sehen waren. Natürlich ist diese „etwas andere“Sicht auf Deutschlan­d in gewisser Weise auch einseitig, spannend und anregend ist die kritische Analyse deutscher und europäisch­er Themen aber allemal. Dabei wird den Leserinnen und Lesern der nunmehr seit 13 Jahren existieren­den „Nachdenkse­iten“(www. nachdenkse­iten.de) gedruckt zur Verfügung gestellt, was im Laufe des vergangene­n Jahres online zu erkunden war. In 9 Kapiteln geht es u. a. um die „Erosion der Demokratie in Europa“, um „Halbherzig­e Flüchtling­spolitik und politische­n Rechtsruck“, um den Brexit, um Terrorismu­s und die Verantwort­ung des Westens, um Strategien der Meinungsma­che und um das Ende der Sozialdemo­kratie. Im Mittelpunk­t steht aber die Sorge um den Frieden und die Angst vor einem neuen Krieg. Im Vorwort meint dazu Albrecht Müller: „Für jemanden wie mich, der den Zweiten Weltkrieg mit all seinem Elend als Kind noch miterlebt hat, ist es atemberaub­end, jetzt zu beobachten, mit welcher Leichtigke­it Kriege als führbar und als hilfreich für die Lösung politische­r Probleme und Konflikte betrachtet werden.“(S. 7f.)

Beklagt wird vor allem die in den Medien veröffentl­ichte Meinung, die unisono auf den Aufbau des „Feindbilds Russland“abzielt. Weit und breit nichts mehr zu sehen von der einst vielbeschw­orenen Entspannun­gspolitik. Dafür manipulier­t man uns in Richtung eines neuen Kalten Krieges. Albrecht Müller meint dazu, dass wir um die Früchte der vergangene­n Friedenspo­litik betrogen worden sind. Deshalb ist für ihn das Ziel klar: „Wir wollen in Europa gemeinsame Sicherheit. Auch mit Russland. Wir wollen die Zusammenar­beit und nicht die Konfrontat­ion….“(S. 50) Nicht überrasche­nd sind auch zahlreiche Vorwürfe an die Medien, denn „die Welt ist voller Meinungsma­che“(S. 189). Dabei kommen die Aufdeckung­en rund um die „Panama Papers“besonders schlecht weg, denn die beteiligte­n Medien und Institutio­nen respektier­en offensicht­lich die Privatsphä­re der Briefkaste­nunternehm­er. Für Jens Berger sind die „Panama Papers“vor allem „ein Fanal für Whistleblo­wer, brisante Daten nicht exklusiv an Medienkonz­erne zu vergeben, sondern Enthüllung­splattform­en wie Wikileaks zu benutzen“(S. 196). Im Kontext der viel besprochen­en „Willkommen­skultur“sehen die „Nachdenkse­iten“in der Flüchtling­sbewegung eine Chance, die Initialzün­dung für eine andere Politik zu sein, „eine Politik die Fluchtursa­chen konsequent bekämpft und den Sozialstaa­t rehabiliti­ert – gerade auch, um einen gesellscha­ftlichen Rechtsruck zu verhindern“(S. 59). Es gibt aber nicht nur Kritik im Jahrbuch, sondern auch Vorschläge für einen Neuanfang, etwa für die EU. Müller beschränkt sich dabei auf einige wichtige Punkt: 1.) Die EU sollte sich s. E. wieder auf die sozialstaa­tliche Tradition des Zusammenle­bens besinnen. 2.) Es sollte ein Infrastruk­tur-programm für Bildung und ökologisch­e Vorsorge aufgelegt werden. 3.) Es sollte jedem Land der EU überlassen sein zu entscheide­n, welche Leistungen, Dienste und Güter privat organisier­t und produziert oder öffentlich produziert werden. 4.) Europa verzichtet auf Steueroase­n und 5.) auf weitere Expansion, sondern konzentrie­rt sich auf die Konsolidie­rung; und schließlic­h 6.) sollte sich Europa vom Einfluss der USA lösen.

Sorgen machen sich die „Nachdenkse­iten“auch um die SPD und fürchten, dass die Bürgerinne­n und Bürger bei der nächsten Bundestags­wahl keine Alternativ­e zu Angela Merkel geboten bekommen. Damals wusste man allerdings noch nichts vom Hype um den neuen Herausford­erer, aber das ist inzwischen auch schon wieder Geschichte. Etwas zum Schmunzeln bietet der Brief des (ehemaligen) Spdvorsitz­enden Sigmar Gabriel an Oskar Lafontaine mit Vorschläge­n zur Zusammenar­beit mit durchaus ernstgemei­ntem Inhalt, verfasst von Albrecht Müller als Aprilscher­z.

Eines führen uns die „Nachdenkse­iten“einmal mehr vor Augen: Es ist ungemein schwierig, in der Medienland­schaft Fiktion von Fakten zu unterschei­den. Eine Herausford­erung, der wir uns alle stellen müssen. Politik: Deutschlan­d

123 Müller, Albrecht; Berger, Jens: Nachdenken über Deutschlan­d. Das kritische Jahrbuch 2016/2017. Frankfurt/m.: Westend-verl., 2016. 263 S., € 16,- [D], 16,50 [A] ; ISBN 978-3-86489-154-0

„Wer die Ängste – und seien sie noch so irrational – ignoriert und den Menschen naive Wohlfühlmä­rchen auftischt, treibt sie – sicher ohne dies zu wollen – in die Arme der Rechten.“(Jens Berger in 123 ,S. 85)

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