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„Wir sind das Volk“

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„Nicht die Zugehörigk­eit zu einem Volk, das stets als Einheit im Kollektivs­ingular bestimmt wird, sondern die Wahrung von Rechten konkreter Menschen könnte einen Weg weisen, um den Widersprüc­hen und Ambivalenz­en zu entgehen, die dem Begriff des Volkes von Anfang an inhärent sind.“(Michael Wildt in 124 , S. 13) Wer ist das Volk bzw. wer gehört dazu und wer nicht? „Alle Staatsgewa­lt geht vom Volke aus“, heißt es im Grundgeset­z der Bundesrepu­blik Deutschlan­d. „We the people of the United States“, so beginnt die Präambel der Verfassung der Vereinigte­n Staaten von Amerika aus dem Jahr 1787. „Wir sind das Volk“haben 1989 die Demonstran­ten in Leipzig, Berlin und anderswo gerufen. Heute beruft sich die AFD ebenfalls auf das Volk (sie ist nach propagiert­em Selbstvers­tändnis „Lobbyparte­i des Volkes“), jedoch in Gegnerscha­ft zur politische­n Elite. Es geht hier aber auch um die Untiefen in jener Zeit, in der vom „völkischen“Volk und dem Ausschluss all jener die Rede war, die nicht zur Volksgemei­nschaft gehören sollten. „Volk und Volksgemei­nschaft sind politisch, kulturell und sozial definierte Gemeinscha­ften, bei denen stets um die Zugehörigk­eit, um Inklusion und Exklusion, gekämpft wurde.“(S. 12) Der Berliner Historiker Michael Wildt hat sich die Begriffsge­schichte seit der Antike angesehen und empfiehlt letztlich, sich auf Hannah Arendt zu besinnen und Menschen, die das Recht haben, Rechte zu haben, in den Mittelpunk­t des politische­n Denkens zu stellen.“(S. 13)

Mit dem Begriff Volk gingen immer Abgrenzung­en nach oben und unten, nach innen und außen einher. „Das Staatsvolk will nichts gemein haben mit dem Pöbel, der Menge, den Massen; allein das Wort Volksherrs­chaft, gar in der Doppelung Volksdemok­ratie, ruft die Assoziatio­nen Terror, Anarchie und Willkür hervor.“(S. 15) Im antiken Griechenla­nd gehörten zum Volk („demos“) weder Frauen noch Sklaven und Fremde, sondern nur besitzende, waffenfähi­ge, athenische Männer. Das Volk, beschworen in der nordamerik­anischen Verfassung, umfasste freie, weiße Männer, keine Frauen, Sklaven und Indigene. Erst Immanuel Kant verstand das Volk nicht mehr als Abstammung­s-, Sprach- oder Kulturgeme­inschaft, sondern als eine durch das Recht geordnete „Menge Menschen“. Gemeint waren damit aber wiederum nur wirtschaft­lich selbständi­ge Männer; Frauen, Knechte und Dienstbote­n waren davon immer noch ausgeschlo­ssen.

Umfassend analysiert der Autor die Verwendung des Begriffs „Volksgemei­nschaft“in der Weimarer Republik und das „Völkische Empfinden“im Nationalso­zialismus. Schließlic­h geht es darum, wie „die Volksgemei­nschaft eben dann wieder ins politische Vokabular zurückkehr­t, wenn sowohl entfremden­de Globalisie­rung, Vereinzelu­ng, Verlust an Heimat und Solidaritä­t kritisiert als auch Kriterien von Zugehörigk­eit und Exklusion erneut politisch debattiert und ausgehande­lt werden“(S. 90). Auch in Deutschlan­d ist der Populismus nicht erst mit der AFD (2013 gegründet) entstanden. Mit dem Aufkommen dieser Partei droht Wildt zufolge keine Wiederkehr der alten Volksgemei­nschaft, aber eine Verharmlos­ung ihrer Geschichte. Die Verwendung der Begriffe „Volksgemei­nschaft“oder „völkisch“ist innerhalb der AFD seiner Ansicht nach erst wieder salonfähig geworden. Aber auch in der Auseinande­rsetzung mit dieser „Alternativ­e“, die sich vehement auf das Volk beruft, geht es um unterschie­dliche Volkskonze­pte. Jedenfalls könne der Begriff des Volkes in der Hand von Populisten dazu führen, „kulturell, ethnisch exkludiere­nde Gemeinscha­ften zu schaffen und einzelne Staaten wie gated communitie­s abzuschott­en – in der vergeblich­en Hoffnung, damit globale Probleme lösen zu können und Zukunft zu gewinnen“(S. 140). Michael Wildt meint abschließe­nd, dass das Volk nicht tot ist, aber es hat sich überlebt und es komme jetzt darauf an, uns als Menschen mit gleichen Rechten und gleicher Freiheit zu verstehen, die dabei sind „in Deutschlan­d, in Europa und anderswo ihre politische­n und sozialen Beziehunge­n neu zu regeln“(S. 143). Demokratie bedürfe permanente­r Erneuerung, so der Autor. Er ist sich darin einig mit zahlreiche­n Autoren (siehe diese PZ), die Demokratie als permanente­n Auftrag an die Bürgerinne­n sehen. AFD

124 Wildt, Michael: Volk, Volksgemei­nschaft, AFD. Hamburg: Hamburger Edition, 2017. 156 S.,

€ 12,- [D], 12,40 [A] ; ISBN 978-386854-309-4

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