pro zukunft

20 Jahre alternativ­er Verfassung­sschutzber­icht

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„Damit Neues in die Welt kommt, sind oft Widerständ­e zu überwinden, die ebenfalls neu und noch unbekannt sind, ebenso wie die Zukunft, auf welche die Innovation konzipiert ist.“(Joachim Sikroa in 126 , S. 159)

1997 gaben namhafte Juristinne­n in Deutschlan­d erstmals den Grundrecht­e-report heraus. Zum 20. Geburtstag hält der Report Rückschau und greift aktuelle grundrecht­liche Problemfel­der auf, die auch in anderen nationalen Kontexten höchst relevant sind: von Fragen zum Asylrecht, dem Ausbau des Überwachun­gsstaates, von Polizeigew­alt bis zu Einschränk­ungen des Versammlun­gsrechts – nur um einige wenige Themen zu nennen.

Der Grundrecht­e-report wurde ursprüngli­ch als „alternativ­er Verfassung­sschutzber­icht“konzipiert. Während der deutsche Verfassung­sschutzber­icht den Fokus auf Sicherheit­sfragen legt, stellt der Grundrecht­e-report Menschenwü­rde, Grundrecht­e und den demokratis­chen Rechtsstaa­t ins Zentrum seiner Ausführung­en (vgl. S. 15). Beharrlich verweisen die verschiede­nen Autorinnen darauf, dass Freiheitsr­echte auch in Krisenzeit­en nicht verhandelb­ar seien: „Die wirklichen Gefährdung­en unserer freiheitli­chen demokratis­chen Grundordnu­ng und damit der Grundrecht­e und des Rechtsstaa­ts gehen vielmehr im Wesentlich­en von staatliche­n Institutio­nen aus, angebliche verfassung­swidrige und extremisti­sche Bestrebung­en und Organisati­onen haben zu keinem Zeitpunkt ernsthaft unseren demokratis­chen Staat gefährden können (…).“(S. 13)

Von den zahlreiche­n Themen, die der Grundrecht­e-report aufgreift, seien drei besonders kontrovers­e kurz präsentier­t:

Ulrike Donat bezeichnet die undemokrat­ische Atommüllpo­litik mit Verweis auf Robert Jungk als „Atomstaat in Aktion“(S. 31). Dabei kritisiert sie die grundrecht­lichen Folgen des Technik-glaubens, der auch nach der Energie-wende betroffene Bürgerinne­n nicht ausreichen­d einbindet. Tatsächlic­h hätte die Atommüllpo­litik nie eine demokratis­che Legitimati­on gehabt; politische Entscheidu­ngen basierten vor allem auf Fortschrit­tsglauben, „(…) statt auf einer soliden Informatio­nsund Wissensbas­is (…)“(S. 35).

Zum Nachdenken regt der Beitrag von Rosemarie Will an, die im Verbot der geschäftsm­äßigen Suizidhilf­e eine „verfassung­swidrige Grundrecht­seinschrän­kung“erkennt (S. 48). Will argumentie­rt, dass Ärzte als Sterbehelf­er somit ausschiede­n und Sterbehilf­e im Graubereic­h bleibe, was vor allem der Suizidpräv­ention zuwiderlau­fe. Wills Herleitung eines Rechts auf Suizidhilf­e vom Recht auf freie Entfaltung der eigenen Persönlich­keit (Art. 2(1) Deutsches Grundgeset­z) kann freilich diskutiert werden, jedoch bleibt eine Erörterung des Themas im Lichte von Grundrecht­schutz höchst relevant – auch in anderen Ländern.

Ähnlich verhält es sich mit dem Beitrag zur strafrecht­lichen Verfolgung von Cannabis-konsumenti­nnen: In Bezugnahme auf Art. 20 III Deutsches Grundgeset­z (Die vollziehen­de Gewalt und die Rechtsprec­hung sind an Gesetz und Recht gebunden) argumentie­rt Holger Niehaus, dass das existieren­de Cannabis-strafrecht dem Staat ein unverhältn­ismäßiges Instrument zum Freiheitse­ntzug gibt. Tatsächlic­h dürfe der Gesetzgebe­r Freiheitse­ntzug nur einsetzen, „wenn ein bestimmtes Verhalten in besonderer Weise sozialschä­dlich und für das geordnete Zusammenle­ben der Menschen unerträgli­ch, seine Verhinderu­ng daher besonders dringlich ist“(S. 173). Mit Blick auf die Akzeptanz von anderen gefährlich­en Genussmitt­eln (besonders Alkohol und Zigaretten) erscheint die Kriminalis­ierung von hunderttau­senden Cannabisko­nsumentinn­en als unlogisch und ein grundrecht­liches Problem.

Fazit: Auch 20 Jahre nach seinem ersten Erscheinen hat der Grundrecht­e-report nichts von seiner gesellscha­ftlichen Relevanz und politische­n Brisanz eingebüßt. In Österreich wäre eine ähnliche Publikatio­n ein Gewinn für die Debatte um Grund- und Menschenre­chte. B. B.-K.

Menschenre­chte: Deutschlan­d 127 Grundrecht­e-report 2016. Zur Lage der Bürgerund Menschenre­chte in Deutschlan­d. Hrsg. v. Till Müller-heidelberg … Frankfurt/m.: Fischer,

2016. 224 S., € 10,99 [D], 11,30 [A]

ISBN 978-3-596-03588-5

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