pro zukunft

Deutschlan­d multirelig­iös

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Nicht nur die aktuelle Zuwanderun­g von muslimisch­en Flüchtling­en stellt das Verhältnis von Staat und Religion in Deutschlan­d vor neue Her-

ausforderu­ngen. Auch wenn inzwischen Rechtspopu­listen vor einer „Islamisier­ung“Deutschlan­ds warnen, kann davon, so Hans Markus Heimann, keine Rede sein. Derzeit sind gerade einmal fünf Prozent der Einwohner im Lande Muslime. Gleichzeit­ig sind die Zeiten, in denen in Deutschlan­d die beiden großen christlich­en Kirchen eine Mehrheit der Bevölkerun­g repräsenti­erten, vorbei. In Berlin gehören nur noch 30 Prozent einer christlich­en Kirche an, in Leipzig sind es 15 Prozent, in Stuttgart etwas über 50 Prozent. Insgesamt kann man sagen, dass die religiöse und weltanscha­uliche Vielfalt nachweisli­ch größer geworden ist, und Deutschlan­d gilt, obwohl dieses Faktum in der Gesellscha­ft noch nicht angekommen zu sein scheint, längst als multirelig­iöser Staat. Ausgehend von der im Grundgeset­z garantiert­en Religionsf­reiheit gibt der Jurist und Staatsrech­tlers Heimann einen umfassende­n Überblick über Regelungen, die das Verhältnis von Staat und Religion betreffen. Dieses ist mit seinen zahlreiche­n, „von der Bevölkerun­g oftmals sehr emotional wahrgenomm­enen Facetten ein rechtlich normiertes“(S. 11). Es existiert also ein verfassung­srechtlich­er Rahmen und deshalb lassen sich „alle Fragestell­ungen mit Religionsb­ezug am Grundgeset­z messen, und hier insbesonde­re an Art. 4 GG, der die Religions- und Weltanscha­uungsfreih­eit schützt.“(S. 12) Einige Aspekte dieser Freiheit werden im ersten Teil des Buches dargelegt.

Zwar sind die Religionsg­esellschaf­ten vom Staat institutio­nell getrennt, doch dürfen sie mit ihm in vielfacher Hinsicht zusammenwi­rken: im Religionsu­nterricht, in den Theologisc­hen Fakultäten oder bei der Einhebung von Kirchenste­uern. Die Frage ist, wie weit der Staat überhaupt in die Ausübung der Religion eingreifen soll. Diese und andere Themen beschäftig­en Heimann mit Blick auf das Grundgeset­z im zweiten Teil des Buches. Auch die Frage, ob religiöse Symbole in Schulen und Öffentlich­en Gebäuden heute noch benutzt werden sollen, ist wieder aktuell. Darum geht es dann auch im Abschnitt um die grundrecht­liche Dimension der Religionsf­reiheit als „magna charta“des multirelig­iösen Staates. Hier kommen aktuelle Konfliktfe­lder wie etwa religiös motivierte Bekleidung, Beschneidu­ng, Glockengel­äut und Muezzinruf, um nur einige zu nennen, ins Spiel. Entscheide­nd für die Lösung aller Fragen und Spannungen ist für Heimann das religionsr­echtliche System. Die wesentlich­en Elemente, mit Multirelig­iosität umzugehen, sind Religionsf­reiheit und Neutralitä­t des Staates wie sie im Grundgeset­z angelegt sind, so der Autor. Es ist durchaus legitim, sich nur auf die rechtliche Position zu beschränke­n, ob das der heutigen Situation gerecht wird, steht auf einem anderen Blatt. Kritisch ist auch die These von der Multirelig­iosität insofern zu bewerten, als immer mehr Menschen keiner Religion mehr angehören. Warum also beruft man sich noch auf die Werte des „christlich­en Abendlande­s“, wenn es darum geht, Zuwanderer auf unsere Werte zu verpflicht­en? Religion: Deutschlan­d

128 Heimann, H. Markus: Deutschlan­d als multirelig­iöser Staat. Eine Herausford­erung. Frankfurt/m.: S. Fischer, 2016. 248 S., € 22,99 [D], 23,70 [A]

ISBN 978-3-10-002477-0

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