Beteiligung am gelingenden Wandel
Es gibt viele Formen der Beteiligung: die Teilnahme an einer Demonstration, einem Bürgerinnendialog, dem Boykott bestimmter Konsumwaren, dem Verfassen eines Leserbriefes, der Abgabe unserer Stimme an der Wahlurne, Slow Travelling, der Mitgliedschaft bei e
Beteiligung als Qualitätsmerkmal von Demokratie
Angelika Vetter und Uwe Remer-bollow, Sozialwissenschaftlerinnen an der Universität Stuttgart, fragen nach dem Stellenwert von Beteiligung und ihrer Bedeutung für eine vitale Demokratie. Sie thematisieren unter anderem die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen und empirische Fakten zu den verschiedenen Formen und Möglichkeiten der Beteiligung und ihre jeweilige strukturelle Einbettung. Die Autorinnen vermitteln mit diesem Lehrbuch demokratietheoretisches Grundlagenwissen und liefern aktuelle Ergebnisse aus der Partizipationsforschung.
Beteiligung definieren die Autorinnen als eine Form bürgerschaftlichen Engagements, welches sich in politische und soziale Beteiligung unterteilen lässt: von der demokratischen Wahl, Bürgerentscheid, dem Boykott bestimmter Konsumgüter bis hin zu Urban Gardening-projekten. Partizipation auf subnationaler Ebene könnte eine Antwort auf die gesellschaftlichen und demokratiepolitischen Folgen von Postmodernität und Globalisierung sein, denn sie wird als „Möglichkeit gesehen, trotz der zunehmenden Individualisierungs- und Differenzierungsprozesse weiterhin zu gemeinsamen Problemlösungen zu gelangen“(S. 4). Betrachtet man Partizipation also aus der europäischen oder sogar globalen Perspektive, so zeigt sich ihr hoher Stellenwert: Mehr Beteiligung könnte „Einflussverluste der Bürgerinnen und Bürger auf politische Entscheidungen höherer Systemebenen kompensieren und ihnen ein Mindestmaß an Kontrollmöglichkeiten gegenüber der Politik sichern“(S. 4). Die frühzeitige Einbeziehung von Bürgerinnen dient demnach der Vorbeugung postdemokratischer Zustände
und der Schaffung von Akzeptanz und Legitimität für bestimmte Entscheidungen mit dem Ziel der „Anerkennung des repräsentativ-demokratischen Ordnungsmodells als solches“(S. 5).
Teil 1 des Buches vermittelt Grundlagenwissen zur Demokratietheorie und beschäftigt sich in Folge mit dem Stellenwert von Beteiligung in der Demokratie jenseits demokratischer Wahlen. Die Autorinnen gehen der Frage nach, „welche Merkmale aus der Sicht der Politikwissenschaft die Qualität einer Demokratie bestimmen“(S. 15). Ein einheitliches Demokratiemodell würde es nicht geben; vielmehr unterschieden sich die Demokratien innerhalb Europas maßgeblich in ihrer Qualität. Beteiligung und Demokratie befinden sich in einem reziproken Verhältnis und der Stellenwert von Bürgerbeteiligung könnte ein Kriterium sein, um die Qualität von Demokratien zu beurteilen. Partizipationsforschung steht im Zentrum des zweiten Teils, in dem diverse Formen von Beteiligung betrachtet, analysiert und strukturell zugeordnet werden. Unterschieden wird etwa zwischen Beteiligung im Vorfeld politischer Entscheidungen und Beteiligung als politischer Wahl. Auf der ersten Ebene zu veroten sei etwa Soziales Engagement, welches „für den Zusammenhalt der Gesellschaft und damit auch für das politische System“(S. 101) wichtig ist, jedoch mit einer Distanz zur Politik stattfindet. Näher an der etablierter Politik angesiedelt sind hingegen die mitgestaltenden und kooperativen Formen der Bürgerbeteiligung, die von der jeweiligen Verwaltung, vorwiegend auf lokaler Ebene, organisiert werden. Diese Ebene der Partizipation ist informell; Bürgerinnen können hier Vorschläge machen und Ideen einbringen, dazu zählen dialogorientierte Formate wie z. B. Bürgerversammlungen, Zukunftswerkstätten, Planungszellen oder Run-
de Tische. Der Bürgerinnenprotest ist eine unkonventionelle Beteiligungsform und hat in den letzten Jahren – die Autorinnen beziehen sich auf Zahlen aus Deutschland – wieder zugenommen. Demonstrationen würden einen „etablierten legitimen Ausdruck politischer Anliegen darstellen, und weniger Ausdruck eines antistaatlichen Radikalismus“(S. 166).
Teil drei des Buches beschäftigt sich mit Beteiligungsformen, bei denen Bürgerinnen unmittelbar in Entscheidungen mit einbezogen werden. So stellen Wahlen „das zentrale Kennzeichen repräsentativer Demokratien“(S. 171) dar und sind auch das Hauptthema des dritten Teiles. Hier wird auf Ursachen und Auswirkungen des Nichtwählens besonderes Augenmerk gelegt. Das Konzept der direkten Demokratie als Ergänzung zur repräsentativen Demokratie wird in diesem Kontext ebenfalls thematisiert. Direktdemokratische Beteiligungsformen sollten – so die Empfehlung – weiter diskutiert werden, jedoch „sollten in jedem Fall die Licht- und Schattenseiten entsprechender Reformen bedacht werden“(S. 278), da sie die Struktur des politischen Prozesses verändern würden.
Zum Abschluss diskutieren die Autorinnen die Beteiligungsqualität in Zeiten der Europäisierung und die damit verbundene Abnahme des Einflusses durch den/die Bürgerin auf politische Entscheidungen. Hier bedürfe es neuer Modelle der Implementierung auf nationalstaatlicher Ebene. Zur Diskussion etwa steht die Möglichkeit der Integration dialogorientierter Beteiligungsformate in das bestehende repräsentative Demokratiemodell. Denn das Ziel sollte sein, das „Handeln der Repräsentanten (Agenten) in eine möglichst große Übereinstimmung mit den Interessen der Repräsentierten (Prinzipal)“(S. 305) zu bringen.
Ein fundiertes und umfangreiches Lehrbuch für alle, die sich zum Thema Partizipation informieren möchten. Bürgerbeteiligung: Demokratie
130 Vetter, Angelika ; Remer-bollow, Uwe: Bürger und Beteiligung in der Demokratie. Eine Einführung. Wiesbaden: Springer, 2017. 331 S., € 29,99 [D], 30,83 [A] ; ISBN 978-3-658-13721-2
Wie wollen wir leben?
Barbara Nothegger erzählt mit „Sieben Stock Dorf“die Geschichte eines alternativen Wohnprojekts in Wien aus persönlicher Erfahrung; sie bietet damit eine Fülle kritischer und brauchbarer Informationen. Großgeworden ist die Autorin in einem oberösterreichischen Dorf und in einem elterlichen Betrieb. Trotz der wenigen Zeit, die ihre Eltern für sie hatten, erfuhr sie als Kind Freiheit und gleichzeitig Geborgenheit durch die Dorfgemeinschaft. Als ihr erstes Kind unterwegs war, träumte sie von diesem dörflichen Leben mit Spiel- und Freizeitmöglichkeiten, abseits vom städtischen Verkehr. Die urbane Altbauwohnung im Zentrum Wiens war von nun an nicht mehr der ideale Lebensort, doch den Plan aufs Land zu ziehen, gaben sie und ihr Partner bald auf. Zufällig erfuhr die Wirtschaftsund Immobilienjournalistin von einem geplanten Wohnprojekt am Gelände des aufgelassenen Wiener Nordbahnhofes. Dieses Projekt würde – so stellte sie fest – ihren Vorstellungen entsprechen: ein bewusstes Leben im Kollektiv, nachhaltig, ökologisch und ressourcenschonend, mit viel Platz für Kinder. Seit 2013 lebt sie nun mit ihrer Familie im „Wohnprojekt Wien“im zweiten Bezirk, das ein Vorzeigeprojekt für kooperatives Wohnen im deutschsprachigen Raum darstellt.
Das mehrfach preisgekrönte Wohnprojekt wurde unter der Federführung eines Architekten geplant, der die rund 100 Bewohner und Bewohnerinnen von Anfang an in die Planung mit einbezogen hat. Die Wohnungen stehen im Eigentum des „Vereins für nachhaltiges Leben“, dem alle Mieterinnen angehören. Auf diese Weise will man garantieren, dass die Wohnungen dauerhaft fern vom freien Immobilienmarkt gehalten werden. Die Quadratmeterpreise sind moderat, dafür muss ein Haushalt jeweils 11 Stunden pro Monat für das kollektive Zusammenleben beitragen, was die Betriebskosten deutlich verringert. Die Wohnungen selbst sind nicht groß, doch den Bedürfnissen der Bewohnerinnen angepasst. Es gibt zahlreiche Gemeinschaftsräume und -flächen, ein Carsharingsystem und gemeinsam nutzbare Lastenräder. Bereits in der Planungsphase war die Gemeinschaft soziokratisch organisiert, daher gibt es auch klare Zuständigkeiten. Entscheidungen werden meist nicht in der Gesamtgruppe, sondern in speziellen Arbeitskreisen besprochen, die Leiterinnen der jeweiligen Arbeitskreise bringen das Besprochene in den Leitungskreis, wo die Entscheidungen letztendlich getroffen werden.
„Sieben Stock Dorf“bietet viel Hintergrundinformation über die Entstehung des Wohnprojektes Wien. Die Autorin stellt Vergleiche zu anderen, ähnlichen Wohnprojekten her, beschreibt die Schwierigkeiten, die es in der Planungs-, Bau und ersten Wohnphase gegeben hat, und zwar in planerischer, technischer, finanzieller und zwischenmenschlicher Hinsicht. Sie schildert unterhaltsam und humorvoll ihre Euphorie, aber auch persönliche Herausforderungen, ihre Zweifel und Ängste. Nothegger romantisiert nicht, sie hebt Vor- und Nachteile her-
„Während die aktuelle Diskussion über Bürgerbeteiligung vorwiegend Beteiligungsmodi diskutiert, die dem partizipativen Demokratiemodell zugerechnet werden können, machen diese Überlegung deutlich, dass die Diskussion um die mit dem repräsentativen Demokratiemodell korresponierenden Beteiligungsmodi nicht vernachlässigt werden darf.“
(A. Vetter u. U. Remmer-bollow in 130 ,S. 308)
vor, thematisiert das Risiko einer „ökologischen Diktatur“und die Sonnen- und Schattenseiten des Wohnprojektes als „kuscheligem Rückzugsort der Mittelschicht“(S. 153). Auch zu anderen Wohnprojekten hat sie recherchiert und liefert somit einen guten Einblick und sympathischen Wegweiser in die Welt alternativer Wohnformen. Sehr lesenswert! Wohnexperimente
131 Nothegger, Barbara: Sieben Stock Dorf. Wohnexperimente für eine bessere Zukunft. Wien: Residenz-verl., 2017. 175 S., € 19,- [D, A]
ISBN 9783701734092
Zukunftsalmanach 2017/18
58 Geschichten des Gelingens über engagierte Menschen, die den Wandel nicht auf der Wohnzimmercouch herbeisehnen, sondern ihn aktiv vorantreiben. Individuell betrachtet sind es keine Mega-projekte, doch die Summe all dieser Geschichten ist wesentlich und ihre Kreativität hinterlässt überwiegend ein Gefühl des Staunens. Der Zukunftsalmanach will inspirieren und Nachahmer gewinnen.
Die Stiftung für Zukunftsfähigkeit FUTURZWEI präsentiert mit ihrem dritten Zukunftsalmanach Mut machende und motivierende Projekte aus der ganzen Welt. Der Fokus des Bandes liegt auf dem Thema Stadt. Vorgestellt werden bereits umgesetzte Projekte des gelingenden Wandels aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Da FUTURZWEI mit dem Goethe-institut das internationale Projekt FUTURPERFECT initiiert hat, werden in dieser Ausgabe erstmals auch Projekte anderer Länder vorgestellt, dabei verlassen wir den europäischen Kontinent und begeben uns nach Ägypten, Australien, Nord- und Südamerika und nach China. Vor den Vorhang geholt werden Initiativen gegen die zunehmende Gentrifizierung, die Zunahme des Individualverkehrs und gegen eine Stadtplanung abseits von Partizipation und Nachhaltigkeit. Im Mittelpunkt dieser Geschichten des Gelingens stehen Mensch und Natur. Alternative Wirtschafts- und Wohnmodelle, Urban Gardening und Slow Travelling-initiativen aus nah und fern. Trotz zunehmender Digitalisierung würden die Menschen analoge Wesen bleiben, die in einem Austausch mit Naturressourcen existieren, so Harald Welzer, Mitherausgeber des Zukunftsalmanachs 2017/18. Die 58 Geschichten für einen gelingenden Wandel liefern den Beweis. Zivilgesellschaftliches Engagement benötigt die passenden Rahmenbedingungen, eine demokratisch-liberale Gesellschaftsstruktur ist Voraussetzung für friedliches Engagement. „Freiheit ist der Ausgangspunkt für jedes Engagement“(S. 14). Damit unsere gesellschaftlichen und sozialen Strukturen, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Freiheit in der gegenwärtigen Form zumindest erhalten werden können, braucht es eine neue Form des wirtschaftlichen Handelns, so Welzer.
Stadtentwicklung: Projekte 132 FUTURZWEI Zukunftsalmanach 2017/18. Geschichten vom guten Umgang mit der Welt. Hrsg. v. Dana Giesecke ... Frankfurt/m.: Fischer, 2016. 496 S., € 16,99 [D], 17,50 [A] ; ISBN 978-3-596-03693-6
Nachhaltige Kommunalpolitik
Das urbane Flächenwachstum und der Ausstoß giftiger Abgase bedürfen dringend einer Begrenzung, um unsere natürlichen Lebensgrundlagen zu bewahren. Hier sind die Stadt- und Raumplanung und die politische Ebene gefordert, den Weg für progressive und nachhaltige Konzepte zu bereiten. Die Bevölkerung unter dem Aspekt der Mobilität, Bedürfnisvielfalt und generationenübergreifender Lebensqualität mit einzubeziehen, erscheint hier unumgänglich.
Johannes Meyer, emeritierter Professor für Städtebau an der Universität Wuppertal, beschäftigt sich mit entspechenden Städteplanungskonzepten und bietet mit seiner jüngsten Veröffentlichung interessante Lösungsansätze, Konzepte und Hintergrundinformation für eine nachhaltige Stadt- und Verkehrsplanung. Eine Planung ohne Nichteinbeziehung der Bürgerinnen ist per Gesetz kaum möglich und wenn doch, dann folgen meist Proteste. Zumindest die betroffenen Grundeigentümer haben die Möglichkeit, an Bauleitplänen mitzuwirken. Sie sind in einem relativ frühen Stadium über Umfang, Ziel und Zweck des Bauvorhabens zu informieren. Als Instrument der Beteiligung wird gerne die Bürgeranhörung eingesetzt, in der Bürgerinnen zuerst informiert werden und dann die Möglichkeit für Fragen und Kritik gegeben ist, so Meyer. Bedenken und Wünsche können im weiteren Planungsverlauf berücksichtigt werden, müssen sie aber nicht: „ein Recht auf Berücksichtigung ihrer Eingaben haben die Bürger ebenso wenig wie die am Verfahren beteiligten Behörden“(S. 63). Die gesamte Planung und Durchführung wird von Seiten der Gemeinden meist den Bauträgern überlassen, Bürger und Bürgerinnen würde zwar Gelegenheit gegeben Stellung zu beziehen, in der Praxis wären jedoch meist die Fristen dafür zu knapp. Ursprünglich war die Beteiligung der Öffentlichkeit an der Erstellung von Bauleitplänen als Gelegenheit für die Bürgerinnenschaft gedacht, sich zu beteiligen und Eigenin-
„Das Leben ist zu kurz, um schnell zu reisen. Doch lange genug, um riesige ökologische Fußabdrücke zu hinterlassen.” (FUTURZWEI in 132 , S. 156)
teressen vorzubringen. Die Realität zeige jedoch, dass Partizipation mehr in Form massenhafter Bürgerproteste, z. B. gegen Landschaftszerstörung stattfindet, so der Autor. Mitwirkungsrechte der Öffentlichkeit in der Bauplanung wurden in Deutschland in den 1990er Jahren eingeschränkt, Gesetze machen es der Bevölkerung zunehmend schwerer, sich an Planungsprozessen zu beteiligen, die öffentlichen Auslegungen finden oftmals relativ kurzfristig statt, sodass eine professionelle Stellungnahme seitens der Bürgerinneninitiativen fast unmöglich sei. Bedingt durch die Durchsetzung der Energiewende würden Bürgerproteste in Zukunft aufgrund vieler zusätzlicher Hochspannungsleitungen und Wasserkraftwerke nicht ab-, sondern eher zunehmen, ist Meyer überzeugt.
Stadtentwicklung: Nachhaltigkeit 133 Meyer, Johannes : Nachhaltige Kommunalpolitik ist möglich. Zur Durchsetzung einer nachhaltigen Stadt- und Verkehrsplanung. München: oekomverl., 2017. 134 S., € 22,95 [D], 23,60 [A]
ISBN 978-3-96006-002-4