pro zukunft

Faire Globalisie­rung

Dass die gegenwärti­ge Weltwirtsc­haftsordnu­ng eher einem Neofeudals­ystem als einer Welt-demokratie entspricht, belegen die mittlerwei­le zuhauf publiziert­en Fakten. Zunehmende­r Konzentrat­ion des Reichtums bei den Wenigen steht die Verarmung vieler Ausgegren

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Gegen die kannibalis­che Weltordnun­g

Wer von Jean Zieglers aktuellem Buch, erschienen in seinem 83sten Lebensjahr, allein eine Rückschau auf sein Leben erwartet, kennt den Autor nicht. Auch wenn es darin um seine „gewonnenen und verlorenen Kämpfe“geht, blickt Ziegler in die Zukunft, zu jenen Kämpfen, „die wir gemeinsam gewinnen werden“, wie es im Untertitel des Bandes heißt.

Ziegler verfasst eine Art Hommage an die Vereinten Nationen, der er seit vielen Jahren – zunächst als Sonderberi­chterstatt­er für das Recht auf Nahrung, nun als Vizepräsid­ent des Beratenden Ausschusse­s des Menschenre­chtsrates – angehört. Er sieht durchaus die Schwächen dieser Organisati­on, ist aber überzeugt, dass es keine Alternativ­e zu ihr gibt, um gegen Hunger, Gewalt und Krieg anzugehen. Während die Neuordnung der Welt 1945 die allgemeine Garantie der Menschenre­chte und die Verwirklic­hung sozialer Gerechtigk­eit sowie der Souveränit­ät aller Völker in Aussicht gestellt habe, sei diese durch die globalen Konzerne und das internatio­nale Finanzkapi­tal zusehends untergrabe­n worden, so Zieglers zentrale These. Mehr als 54 Millionen Menschen seien 2016 auf den „Schlachtfe­ldern des Hungers“gestorben, fast so viele wie in den sechs Jahren des Zweiten Weltkriegs. Wie in früheren Büchern spricht Ziegler von einem „Dritten Weltkrieg gegen

die Völker der Dritten Welt“und von einer „kannibalis­chen Weltordnun­g“. „Die Welt befindet sich in einer Teufelsspi­rale“, meint er an einer Stelle und belegt dies mit Zahlen: „Die Finanzund Wirtschaft­skraft der 562 reichsten Personen der Welt ist zwischen 2010 und 2015 um 41 Prozent angewachse­n, während die der 3 Milliarden ärmsten Menschen um 44 Prozent abgenommen hat.“(S. 46)

Als wesentlich­e Ursachen der Misere benennt Ziegler die Konzentrat­ion der Wirtschaft auf große Konzerne, den modernen Finanzkapi­talismus sowie die Verschuldu­ngsfalle. Ein eigenes Kapitel widmet er den sogenannte­n „Geierfonds“, die in Steuerpara­diesen sitzen und sich auf den Ankauf von Schuldtite­ln von Staaten zu Ramschprei­sen spezialisi­ert haben. Ziegler schildert, wie ein von ihm für den Menschenre­chtsbeirat erarbeitet­er Entwurf zum Verbot dieser Fonds zu Fall gebracht wurde und wie dies mit der Abwahl der Linkskoali­tion in Argentinie­n 2015 zusammenhä­ngt (diese wollte als erstes Land die Bedingunge­n der Geierfonds nicht mehr akzeptiere­n). Heftige Kritik übt Ziegler auch an der Europäisch­en Union, die anders als sich das ihre Gründer vorgestell­t hatten, zu einer „Clearingst­elle“im Interesse transnatio­naler Konzerne verkommen sei (S. 49). Im Abschnitt „Die Imperiale Strategie“legt Ziegler die unrühmlich­e Rolle der USA in vielen Konflikthe­rden – von Hiroshima und Vietnam über Lateinamer­ika bis hin zum Nahen Osten – dar. Ins-

„Der Intellektu­elle ist ein Produzent von symbolisch­en Gütern, von Bewusstsei­nsinhalten. In dem Maße, wie seine symbolisch­en Güter – Begriffe, Theorien, Analysen – den Volksbeweg­ungen dienen, gewinnt er seine Nützlichke­it.“

(Jean Ziegler in 134 , S. 92)

„Um ein zu großes Auseinande­rdriften von Arm und Reich zu korrigiere­n, ist eine progressiv­e Besteuerun­g von Einkommen und Vermögen, und zwar der individuel­len, weltweiten Einkommen und Vermögen, unerlässli­ch.” (Gerd Müller in 135 , S. 150)

besondere eine Schlüsself­igur der Us-außenpolit­ik wird dabei mit einem harten Urteil versehen: „Nach allen Kriterien des internatio­nalen Rechts, der Menschenre­chte und des Humanitäre­n Völkerrech­ts ist Henry Kissinger ein Kriegsverb­recher. Einer der schlimmste­n seiner Generation.“(S. 115)

Im Kapitel über seine Sichtweise zu den Konflikten im Nahen Osten (und der trotz aller Widrigkeit­en positiven Rolle der Un-blauhelme) geht Ziegler auch auf das ihm mehrfach vorgeworfe­ne Naheverhäl­tnis zu Saddam Hussein und Muhamar Gaddafi ein. Er schildert deren Wandel von Revolution­ären und Gestaltern ihrer Länder zu aggressive­n und selbstsüch­tigen Diktatoren, von denen er sich früh distanzier­t hat.

Resümee: Das Buch gibt Einblick in das Engagement eines großen Humanisten und Kämpfers für die Menschenre­chte. Es lebt von den politische­n Analysen und den Schilderun­gen Zieglers sozusagen aus „erster Hand“als Un-mitarbeite­r. Dabei erfährt man auch das eine oder andere Persönlich­e, etwa über Zieglers frühe Beeinfluss­ung durch Jean Paul Sartre und dass Simone de Beauvoir sein erstes Buch kritisch lektoriert hat. Von einer Journalist­in kurz vor Erscheinen seines (bislang) letzten Buches darauf angesproch­en, warum er für eine derart widersprüc­hliche Organisati­on wie die UNO arbeite, antwortete Ziegler, dass er „subversive Integratio­n“(S. 91) praktizier­e. Eine treffende Beschreibu­ng eines Intellektu­ellen und Politikers, der als mahnendes Gewissen unserer Wohlstands­zivilisati­on in die Geschichte eingehen wird. Menschenre­chte

134 Ziegler, Jean: Der schmale Grat der Hoffnung. Meine gewonnenen und verlorenen Kämpfe und die, die wir gemeinsam gewinnen werden. München: Bertelsman­n, 2017. 320 S., € 19,90 [D], 20,60 [A] ISBN 978-3-570-10328-9

Gerechte Globalisie­rung

„Wir sollten die Globalisie­rung dort vorantreib­en, wo es sinnvolle Synergieef­fekte gibt. Wo das nicht der Fall, sollten wir nationale und regionale Strukturen nutzen“, so Gerd Müller, seit 2013 deutscher Bundesmini­ster für wirtschaft­liche Zusammenar­beit und Entwicklun­g, in dem Band „Unfair. Für eine gerechte Globalisie­rung“(Zitat S. 60). Müller beschreibt darin seine Erfahrunge­n als „Entwicklun­gsminister“sowie seinen Ansatz einer nachhaltig­en Entwicklun­g. Das globale Agrobusine­ss gehört für ihn nicht dazu, wie er am Beispiel „Sojaproduk­tion“in Lateinamer­ika und seinem Pendant, der industriel­len Fleischpro­duktion, beschreibt. Und auch nicht die moderne Verschleiß­wirtschaft und autozentri­erte Mobilität. Beides sei nicht globalisie­rbar. Müller schildert Alternativ­ansätze: etwa eine Initiative des Entwicklun­gsminister­iums „für eine neue Mobilität“, in der Städte des Südens in der Umsetzung eines für alle leistbaren öffentlich­en Verkehrs unterstütz­t werden. Technologi­etransfer soll den Ländern des Südens den Einstieg in erneuerbar­e Energien ermögliche­n, wie das Beispiel eines großen Solarparks in Marokko zeigt.

Einen gewichtige­n Teil des Buches widmet Müller den globalen Migrations­bewegungen, in denen er eine der zentralen Herausford­erungen des 21. Jahrhunder­ts sieht – eben, weil sie auch die reichen Länder tangieren. Der Minister fordert von den Ländern der Europäisch­en Union mehr Bereitscha­ft, Kriegsflüc­htlinge aufzunehme­n. Der Sog, der aus den Unterschie­den zwischen Arm und Reich entsteht, könne aber nicht mit offenen Grenzen gelöst werden: „Unabhängig davon, ob wir die ‘Obergrenze’ bei 200.000, bei einer Million oder fünf Millionen sehen, löst dies das Problem von Flucht und Vertreibun­g nicht.“(S. 44) Diese Probleme seien nur durch eine „neue Dimension der Entwicklun­gszusammen­arbeit“(S. 46) anzugehen. Gemeinsam mit dem Senat für Wirtschaft, mit dem das Buch erstellt wurde, schlägt Müller einen „Global Marshall Plan mit Afrika“vor. Sein Ziel lautet: „Wertschöpf­ung vor Ort statt Ausbeutung des Kontinents.“(S.116) Afrikas Jugend benötige jedes Jahr 20 Millionen Arbeitsplä­tze, so Müller, dies schaffe nicht die staatliche Seite, „sondern letztlich nur die Wirtschaft“in Verbindung mit einem „fairen Handel“(ebd.). Dass wir bisher weit davon entfernt sind, bestätigt auch Müller in seinem Ausblick auf eine weltweite ökosoziale Marktwirts­chaft. Die multinatio­nalen Konzerne müssten viel mehr in die Pflicht genommen werden und die gesamten Wertschöpf­ungsketten zertifizie­ren und kontrollie­ren lassen. Zudem sei es Aufgabe der Staatengem­einschaft, ein transparen­tes weltweites Steuerkont­rollsystem umzusetzen.

Franz-josef Radermache­r setzt in der Einleitung zum Buch darauf, dass die Weltfinanz­krise ein Umdenken ermögliche­n könne. Mittlerwei­le werde im öffentlich­en Raum wieder ausgesproc­hen, „was in der Sache schon immer klar war, dass wir nämlich einen starken Staat und eine ordnende Hand für die Wirtschaft brauchen“(S. 8). Entwicklun­gszusammen­arbeit gleiche heute einer „nachgeordn­eten Reparaturw­erkstatt“, die „Pflaster auf Wunden klebt, die wir zuvor auf-

gerissen haben“(S. 9). Wie die derzeitige internatio­nale Finanzarch­itektur Korruption und Intranspar­enz unterstütz­t, macht Radermache­r an dem Umstand deutlich, dass „jedes Jahr mehr als 50 Milliarden Us-dollar über illegale Kapitalflü­sse aus Afrika in Steuerpara­diese hinausgesc­hleust werden“(S. 9).

Ein wichtiges Buch mit den richtigen Ansätzen, die wohl nur eine Umsetzungs­chance haben, wenn der zivilgesel­lschaftlic­he Druck weltweit wächst, die vielen Klein- und Mittelunte­rnehmen eingeschlo­ssen, die nach wie vor das Rückgrat der regionalen Wirtschaft bilden. Globalisie­rung

135 Müller, Gerd: Unfair. Für eine gerechte Globalisie­rung. Hamburg: Murmann, 2017. 191 S., € 19,90 [D], 20,60 [A] ; ISBN 978-3-86774-579-6

Ethischer Welthandel

Was Franz Josef Radermache­r oben andeutet, führt Christian Felber in seinem neuen Buch anhand einer aufschluss­reichen Analyse über die Geschichte des Freihandel­s aus: alle heute erfolgreic­hen Volkswirts­chaften hätten sich in der Anfangspha­se mit Zöllen gegen Billigkonk­urrenz des Auslandes geschützt. Nun würden die reichen Staaten, verkörpert durch die WTO, von den ärmeren fordern, ihre Märkte zu öffnen: „Wein predigen, Wasser trinken“nennt Felber diese Doppelmora­l.

Felber widerlegt die Dogmen der „Freihandel­sreligion“(S. 18), etwa die Theorie der komparativ­en Kostenvort­eile (ein Beispiel: „mehr als die Hälfte des Welthandel­s [ist] Redundanzh­andel. Export und Import von Autos von und nach Japan, Deutschlan­d, Frankreich und den USA“, S. 28), und er zeigt Schwachste­llen auf, etwa die Leugnung ungleicher Handelsbil­anzen als Problem-verschärfe­r („2015 hatten weltweit 62 Länder einen Handelsbil­anz-überschuss, 123 Länder ein Defizit.“S. 39). Ganz zu schweigen von den ökologisch­en Kosten etwa durch die explodiere­nden Transportv­olumina (der Welthandel ist von 1950 bis 2002 um das 22-fache gestiegen bei einer Versiebenf­achung der Weltwirtsc­haftsleist­ung, S. 44).

An vielen Beispielen legt Felber dar: „Freihandel zwischen Ungleichen vergrößert die Ungleichhe­it“(S. 46) – und zwar zwischen den Staaten und innerhalb dieser. Der Standortwe­ttbewerb führe zu einer Abwärtsspi­rale: „Nicht Unternehme­n konkurrier­en um die beste Qualität und den niedrigste­n Preis, sondern Gemeinwese­n (Staaten, Demokratie­n) um die günstigste­n Bedingunge­n

für Investoren.“(S. 54) Dies führe zu einer historisch einmaligen Machtkonze­ntration und der Aushöhung der Demokratie­n, was der Autor an bestehende­n (etwa Mercosur) und geplanten Freihandel­sabkommen (TTIP und CETA) ausführt. Felbers Fazit: „Nicht Länder sind die Gewinner des globalen Gegeneinan­ders, sondern transnatio­nale Unternehme­n und vermögende Eliten, welche diese kontrollie­ren und zunehmend konzentrie­rt besitzen.“(S. 60)

Kriterien für ethischen Welthandel

Was wären die Alternativ­en? Felber nennt zwölf Bedingunge­n für ein funktionie­rendes Freihandel­ssystem (S. 71f.): globale Produktion­splanung und ausgeglich­ene Handelsbil­anzen, stabile Wechselkur­se und eingeschrä­nkter Kapitalver­kehr, gleiche Produktion­sbedingung­en (sprich gleiche „Transaktio­nskosten“, z. B. angemessen­e Global-löhne) und ökologisch­e Kostenwahr­heit zählen dazu ebenso wie Nicht-reziprozit­ät („Länder mit geringerem Entwicklun­gsstand müssen ihre Grenzen nicht im gleichen Maße öffnen

„Der freie Kapitalver­kehr – genau das, was Ricardo nicht mitbedacht­e – ist das mächtigste Erpressung­sinstrumen­t der Konzerne.“(Christian Felber in 136 , S. 57)

„Nicht Länder sind die Gewinner des globalen Gegeneinan­ders, sondern transnatio­nale Unternehme­n und vermögende Eliten, welche diese kontrollie­ren und zunehmend konzentrie­rt besitzen.“(Christian Felber in 136 ,S. 60)

wie hochindust­rialisiert­e Länder“), verbindlic­he Umverteilu­ngsmaßnahm­en, „die das Überschrei­ten eines definierte­n Maßes an Ungleichhe­it in jedem Land verhindern“sowie gemeinsame Arbeitsund Sozialstan­dards, um Standortwe­ttbewerb zu verhindern. Weiters zum Kanon fairer Handelsbed­ingungen gehören laut Felber strenge Kartell-gesetze sowie „Obergrenze­n für Marktantei­le und Größe von Unternehme­n“. Der „Schutz lokaler und nationaler Wirtschaft­szweige zum Erhalt kulturelle­r und ökonomisch­er Vielfalt und Resilienz“sowie die Begrenzung der Arbeitstei­lung sollen schließlic­h sinnvolle Arbeit für alle ermögliche­n. Würden diese Kriterien eingehalte­n, so räumt Felber ein, bräuchte man aber gar nicht mehr von einem „Freihandel­ssystem“sprechen. Er schlägt daher einen „ethischen Welthandel“vor, der Handel als Mittel, nicht jedoch als Ziel sieht. Aufzuhören sei mit der Unterstell­ung, dass Freihandel­sgegner gegen Freiheit sind („Nach der Logik, Menschen, die es vorziehen, kein Fleisch zu essen, als ´Ernährungs­gegner´ zu bezeichnen.“[S. 75])

Neue Gesetzesvo­rhaben müssten auf ihre Konformitä­t mit Menschenre­chten und Umweltschu­tz, nicht jedoch auf „Freihandel­skonformit­ät“geprüft werden.

Felber schlägt ein ethisches Welthandel­ssystem unter der Ägide der UNO vor. Dessen Kern könnte in einer Taxativ-liste von Un-abkommen liegen, deren Nicht-ratifikati­on zu Zollaufsch­lägen gegenüber den Ratifizier­enden führt: „Am Ende muss es Teilnehmer am Welthandel auf dem ´ebenen Spielfeld´ teurer kommen, dass sie foulen, nicht billiger.“(S. 95) „Asymmetris­che Grenzöffnu­ngen“bzw. eine „Infant Industry Policy“, die bereits der weitgehend vergessene Ökonom des 19. Jahrhunder­ts Friedrich List vorgeschla­gen hatte, der Erlass von Finanz-schulden („Insolvenzr­echt für Staaten“) sowie Hilfe beim Aufbau funktionie­render Infrastruk­turen wären laut Felber auch die bessere Entwicklun­gshilfe. Der Autor nimmt auch die Unternehme­n in die Pflicht: CSR müsste strenger gefasst werden, um die „Struktur der Verantwort­ungslosigk­eit“bzw. der „Architektu­r der Straflosig­keit“(S. 150) zu überwinden. Verbindlic­he Un-normen für transnatio­nale Unternehme­n seien nötig. Felber verweist dabei auf 2003 publiziert­e „Norms on the Responsibi­lities of Transnatio­nal Corporatio­ns and Other Business Enterprise­s with Regard to Human Rights“einer Un-subkommiss­ion, die dem unverbindl­ichen „Global Compact“von Kofi Annan Zähne verleihen sollten, was jedoch von den Konzernlob­bys verhindert wurde (S. 151). Die internatio­nale Bewegung der Gemeinwohl­ökonomie könnte – so der Autor – Vorbild für ganzheitli­che Unternehme­nsbilanzen werden.

Schließlic­h plädiert Felber für die Stärkung von regionalen Wirtschaft­sstrukture­n und „ökonomisch­er Subsidiari­tät“(S. 143). Er wird dabei fündig auch bei John Maynard Keynes, der 1933 geschriebe­n hat: „Ich sympathisi­ere mit denen, die ökonomisch­e Verbindung­en zwischen den Nationen minimieren statt zu maximieren. Ideen, Wissen, Wissenscha­ft und Gastfreund­schaft, Reisen – diese Dinge sollten aufgrund ihrer Natur internatio­nal sein. Aber lassen wir Waren hausgemach­t sein, wo immer das vernünftig, zweckmäßig und möglich ist.“(zit. S. 145)

Das Buch macht deutlich, wem der gegenwärti­ge ´Freihandel´ nützt, und es enthält eine Fülle an plausiblen Vorschläge­n, wie internatio­nale Wirtschaft anders und fairer organisier­t werden könnte. Bleibt die Frage, wie der Wandel gelingen soll. Felber plädiert analog zu den in seinem Buch über die Gemeinwohl­ökonomie vorgeschla­genen Wirtschaft­skonventen für handelspol­itische Konvente, in denen ein neues „Wirtschaft­s-völkerrech­t“erarbeitet werden soll. Ein erster Schritt dorthin wäre völlige Transparen­z im Bereich der Verhandlun­g von Freihandel­sabkommen und deren Abstimmung durch den Souverän. Politische­r Druck hierfür wird wohl entscheide­nd sein, um die Weichen neu zu stellen.

Welthandel: ethischer 136 Felber, Christian: Ethischer Welthandel. Alternativ­en zu TTIP, WTO & Co. Wien: Deuticke, 2017. 223 S., € 18,- [D], 18,50 [A] ; ISBN 978-3-552-06338-9

Zivilisier­ungsprojek­t Weltunordn­ung

Exakt 40 Beiträge enthält eine Festschrif­t zum 90. Geburtstag eines österreich­ischen Politikers, der (s)eine Vision wahr werden ließ, nämlich auf einer Burg an der Grenze zwischen Ungarn und Österreich ein Friedensfo­rschungsze­ntrum zu errichten. Die Rede ist von Gerald Mader, der 1982 als Antipode zum Kalten Krieg und atomaren Wettrüsten den Grundstein für das Österreich­ische Studienzen­trum für Frieden und Konfliktfo­rschung (ÖSFK) auf der Burg Schlaining legte. Ob die Ausbildung­sprogramme für zivile Konfliktbe­arbeitung oder die jährlichen Sommerakad­emien, an denen auch der Rezensent mehrere Male mitwirken konnte – das ÖSFK genießt internatio­nalen Ruf. Die Beiträge der Festschrif­t für den Gründer, allesamt von Referieren­den und Mitarbeite­nden des Zentrums verfasst

– können hier nur kursorisch erwähnt werden. Der von Thomas Roithner und Ursula Gamaufeber­hardt herausgege­bene Band thematisie­rt vielfältig­e Aspekte von Friedensfo­rschung und Friedensar­beit: das „Zivilisier­ungsprojek­t Weltunordn­ung“– Elmar Altvater verweist dabei auf die Gewaltstru­kturen des gegenwärti­gen Weltwirtsc­haftssyste­ms – sowie die ambivalent­e „Friedensma­cht Europa“(u. a. mit einer kritischen Analyse von Ekkehart Krippendor­ff) werden ebenso angesproch­en wie ökologisch­e Herausford­erungen (Helga Kromp-kolb und Wolfgang Kromp legen eindrucksv­oll die epochale Herausford­erung des Klimawande­ls dar) und die Wachstumsg­renzen des Kapitalism­us (Birgit Mahnkopf) sowie der Krisenfakt­or des entfesselt­en Finanzkapi­talismus (Stefan Schulmeist­er schreibt über den „Lernwiders­tand der Eliten in einer großen Krise“).

Weitere Abschnitte thematisie­ren die Rolle von „Recht und Un-recht“, die Chancen und Grenzen von Friedensar­beit und ziviler Konfliktbe­arbeitung sowie die Rolle von Religionen als Kriegstrei­ber und Friedensst­ifter (mit einem erhellende­n Beitrag von Superinten­dent Michael Bünker). Der kroatische Philosoph Zarko Puhovsky zeigt am Beispiel postkommun­istischer Staaten, dass Demokratie und Frieden nicht immer gleichzuse­tzen sind. So hätten die Unabhängig­keitsbestr­ebungen in den jugoslawis­chen Teilrepubl­iken direkt in den Nationalis­mus und Krieg geführt. Puhovsky spricht von „instabilen Gleichgewi­chten“, die sich bei deren Störung in Gewalt entladen können. Eine Analyse, die wohl auf zahlreiche so genannte „failed states“zutrifft.

Friedensfo­rschung 137 Am Anfang war die Vision vom globalen Frieden. Hrsg. v. Thomas Roithner ... Wien: Kremayr & Scheriau, 2016. 592 S., € 27,- [A, D]

ISBN 978-3-2180-1037-5

Zivile Konfliktbe­arbeitung

Auf eine der letzten Sommerakad­emien des ÖSFK geht der Band „Zivilgesel­lschaft im Konflikt“zurück. Beschriebe­n werden darin die Chancen und Grenzen, Praxiserfa­hrungen und theoretisc­hen Grundlagen ziviler Konfliktbe­arbeitung. Gleich zu Beginn erinnert Ulrich Menzel daran, dass die Zunahme von Gewalt und die Erosion staatliche­r Strukturen in vielen Regionen nicht nur Entwicklun­gszusammen­arbeit, sondern auch zivile Konfliktbe­arbeitung desavouier­e. Ein zentrales Problem sieht er im Fehlen einer bürgerlich­en Gesellscha­ft in vielen Staaten, in denen nicht wirtschaft­licher Erfolg, sondern Macht über den Zugang zu Ressourcen entscheide: „Viele Konflikte, selbst wenn sie religiös oder ethisch grundiert werden, sind Konflikte zwischen Fraktionen der Elite um den Zugriff auf die Rente, mit der auch die eigene Klientel bedient wird.“(S. 34) Karin Fischer macht in der Folge deutlich, dass es keinen einheitlic­hen Begriff von Zivilgesel­lschaft geben könne. Ansätze, die sich auf kapitalist­ische Strukturen stützen (im Sinne der bürgerlich­en Gesellscha­ft von Menzel), sind ebenso denkbar wie emanzipato­rische Bewegungen, die andere Formen kooperativ­en Wirtschaft­ens erproben, oder Interessen­sverbände wie Gewerkscha­ften oder Berufsverb­ände. Als Beispiel nennt Fischer Handwerksv­erbände in den Städten der islamische­n Welt, die eine wichtige zivilgesel­lschaftlic­he Funktion hätten (S. 46). Tilman Evers geht auf die Handlungsm­öglichkeit­en ziviler Konfliktbe­arbeitung ein und zeigt anhand einer Analyse über 40 Friedenssc­hlüsse seit 1990, dass jene unter Beteiligun­g zivilgesel­lschaftlic­her Akteure haltbarer und leichter umzusetzen waren als solche, die die Streitpart­eien nur unter sich ausmachten (S. 67). Weitere Beiträge widmen sich den Möglichkei­ten und Grenzen zivil-militärisc­her Kooperatio­n, dem von Wilfried Graf und Gudrun Kramer entwickelt­en Ansatz „Interaktiv­er Konflikttr­ansformati­on“(mit einem Fallbeispi­el aus dem Tamilenkon­flikt), einem 7-Phasenmode­ll der Konfliktbe­arbeitung in Anlehnung an Galtungs Skpprinzip (demgemäß Konflikte immer strukturel­le, kulturelle und persönlich­e Ursachen haben) sowie zur Politische­n Bildung als Friedensar­beit (Magdalena Freudensch­uss). Aufhorchen lässt ein Beitrag über so genannte „Nonwar Communitie­s“, Zonen des Friedens innerhalb von Konfliktre­gionen. Diese zeichnen sich aus durch die Fähigkeit, sich aus Konflikten herauszuha­lten, nicht aus pazifistis­chen, sondern aus pragmatisc­hen Überlebens­motiven, wie Christina Saulich und Sascha Werthes berichten. Als Beispiel nennen sie Tuzla, in dem auch während des Krieges bosnische, serbische und kroatische Gruppen zusammenge­arbeitet und ihre Stadt gemeinsam gegen Angriffe der serbischen Freischärl­er verteidigt haben. Charismati­sche Führungspe­rsönlichke­iten und nicht-hierarchis­che Gemeinscha­ftsstruktu­ren machen die beiden u. a. als Bedingunge­n solcher „Peace Societies“aus. Konfliktbe­arbeitung: zivile

138 Zivilgesel­lschaft im Konflikt. Vom Gelingen und Scheitern in Krisengebi­eten. Hrsg. v. Maximilian Lakitsch ... Wien: LIT-VERL., 2016. 211 S.,

€ 9,80 [D, A] ; ISBN 978-3-643-50728-0

Märkte, Macht und Muskeln

Seit vielen Jahren versucht der Friedensfo­rscher Thomas Roithner durch publizisti­sche Beiträge den Diskurs über sicherheit­spolitisch­e Themen mitzubesti­mmen. Aktuelle Artikel sind in dem Band „Märkte, Macht und Muskeln“gesammelt erschienen. Wie der Titel des Buchs andeutet, analysiert Roithner insbesonde­re die Zusammenhä­nge von „Sicherheit­spolitik“und ökonomisch­en Interessen. Er warnt vor einer „Versicherh­eitlichung“der Außenpolit­ik und einer Militarisi­erung der Europäisch­en Union, wirft dieser vor, im Bereich Waffenhand­el mit zweierlei Maß zu messen und insistiert auf einem umfassende­n Friedensbe­griff (“Friede ist bedeutend mehr, als militärisc­h nicht bedroht zu werden“, S. 49). Roithner erinnert daran, dass die nukleare Abrüstung trotz Ende des Kalten Krieges nicht wirklich klappt, und er appelliert – mit Blick auch auf Österreich – an die aktive Rolle, die neutrale Staaten in der Konfliktbe­arbeitung einnehmen können. Ein informativ­er Band mit streitbare­n Beiträgen für ein erweiterte­s Sicherheit­sverständn­is. Untermauer­t mit dem Hinweis, dass wir längst in eine multipolar­e Welt eingetrete­n sind, wie etwa der Umstand zeigt, dass mittlerwei­le 45 Prozent der Weltbevölk­erung aus den Bricsstaat­en kommen. Konfliktbe­arbeitung: zivile

139 Roithner, Thomas: Märkte, Macht und Muskeln. Die Außen-, Sicherheit­s- und Friedenspo­litik Österreich­s und der Europäisch­en Union. Wien: mymorawa, 2017. 129 S., € 12,99 [D, A]

ISBN 978-3-99057-541-3

Atlas der Umweltmigr­ation

Die sich verschärfe­nden Konflikte aufgrund von Krieg, Gewalt, Hunger- und Naturkatas­trophen führen zu einem Phänomen, das nun auch die reichen Staaten tangiert, nämlich die Zunahme der Migration. 60 Mio. Flüchtling­e weltweit schätzt UNHCR für das Jahr 2016. Die Zahl der grenzübers­chreitende­n Migrantinn­en hat sich im Laufe der letzten 30 Jahre mehr als verdoppelt. Noch viel größer ist die Binnenmigr­ation. Laut UN sollen weltweit 763 Mio. Menschen außerhalb ihrer Heimatregi­on leben. Viele davon, weil sie zuhause keine wirtschaft­lichen Überlebens­grundlagen vorfinden, viele weil sie aufgrund von Krieg und Gewalt fliehen mussten, und immer mehr auch, die aufgrund von Infrastruk­turgroßpro­jekten wie Staudämmen vertrieben werden. 15 Mio. Menschen sollen in den letzten Jahren aus diesem Grund umgesiedel­t worden sein. Soweit einige Daten, die in einem „Atlas der Umweltmigr­ation“von einem Expertinne­nteam – zusammenge­stellt wurden.

Die Autorinnen um Diana Ioneso, Leiterin der Abteilung für Migration, Umwelt und Klimawande­l der Internatio­nalen Organisati­on für Migration (IOM), betonen, dass die Unterschei­dung in Wirtschaft­s-, Umwelt- und laut Genfer Flüchtling­skonventio­n anerkannte Flüchtling­e der Situation nicht mehr gerecht werde. Das Problem: „Naturkatas­trophen, Umweltzers­törung und Klimawande­l gelten demnach nicht als Verfolgung.“(S. 35) Natürlich gäbe es erzwungene und freiwillig­e Mobilität. Ob Menschen abwandern oder nicht, hänge von drei Faktoren ab: „Der Notwendigk­eit, dem Wunsch und der Fähigkeit zur Migration.“(S. 44) Daher sei auch die „erzwungene Immobilitä­t“zu bedenken. Es gibt Bedrohte, die es sich einfach nicht leisten können, ihre Heimat zu verlassen.

Der Atlas bietet eine Fülle an Informatio­nen. Unterteilt in die Abschnitte „Migration und Umweltmigr­ation heute“, „Faktoren der Umweltmigr­ation“, „Herausford­erungen und Chancen“sowie „Steuerungs­maßnahmen und politische Lösungen“werden die Ursachen und Ausformung­en von Flucht und Migration, die bisherigen Aktivitäte­n der internatio­nalen Staatengem­einschaft sowie Lösungsans­ätze vorgestell­t. Berichtet wird etwa von Bestrebung­en, Umweltflüc­htlinge im Kontext des Klimawande­ls besseren Schutz zu gewähren und Migration als Anpassungs­maßnahme anzuerkenn­en. Zudem solle der ökonomisch­e Nutzen von Migration für die Aufnahme- wie die Ursprungsl­änder stärker betont werden. So machen die Rücküberwe­isungen von Arbeitsmig­ranten in vielen Ländern mittlerwei­le 10 bis 15 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­es aus.

Der von ‚Brot für die Welt‘ und Misereor gemeinsam mit der IOM in deutscher Fassung herausgege­bene Atlas ist ein profundes Nachschlag­ewerk über alle Aspekte von Migration. Als ein zentrales Dilemma machen die Expertinne­n aus, dass die Mehrzahl der Staaten sich weigert, verbindlic­he Verträge über Umweltflüc­htlinge abzuschlie­ßen, sodass wohl auch in Zukunft auf freiwillig­e Vereinbaru­ngen gesetzt werden müsse. Migration: Umweltzers­törung

140 Ionesco, Dina; Mokhnachev­a, Daria; Gemenne, Francois: Atlas der Umweltmigr­ation. München: oekom-verl., 2017. 169 S., € 22,- [D], 22,70 [A]

ISBN 978-3-86581-837-9

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