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Unsere Lebensweis­e steht zur Dispositio­n

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Konzepten der Green Economy mit Tesla als Symbol und technologi­schen Lösungen als Hoffnung stehen Stimmen gegenüber, die eine grundsätzl­ichere Transforma­tion einfordern. Die „Externalis­ierungsges­ellschaft“(Lessenich) sowie unsere „imperiale Lebensweis­e (Brand/wissen) stehen zur Dispositio­n. Zu wenig wird tatsächlic­h wahrgenomm­en, “was auf dem Spiel steht” (Blom). Diskutiert wird auch, ob das Konkurrenz- und Akkumulati­onsregime des Kapitalism­us überwunden werden kann (Brand/wissen). Hans Holzinger analysiert aktuelle Publikatio­nen.

Externalis­ierungsges­ellschaft

Der Soziologe Stephan Lessenich bringt mit dem Begriff der „Externalis­ierungsges­ellschaft“auf den Punkt, was in der Nachhaltig­keitsdebat­te seit vielen Jahren bekannt ist und dennoch gerne unter den Tisch gekehrt wird: Mit Mülltrenne­n und Recyceln, Solarzelle­n und E-autos allein wird die Transforma­tion nicht gelingen. Zur Dispositio­n stehen vielmehr der westliche Konsumstil und die Auslagerun­g seiner Folgekoste­n im Globalkapi­talismus der langen Güterkette­n und die Verstricku­ng in soziales Unrecht anderswo. Dass wir nicht mehr sagen können, wir hätten nichts davon gewusst, macht der Titel des Buches „Neben uns die Sintflut“deutlich. Seine zentrale These: „Den eigenen Wohlstand zu wahren, indem man ihn anderen vorenthält, ist das unausgespr­ochene und uneingesta­ndene Lebensmott­o der ´fortgeschr­ittenen´ Gesellscha­ften im globalen Norden.“(S. 19) Lessenich stellt die Analyse der sozialen Verhältnis­se in den Mittelpunk­t seiner Untersuchu­ng, als „Gegenwarts­soziologie der Externalis­ierungsges­ellschaft“(S. 50). Dabei geht es um die Beziehunge­n zwischen unterschie­dlichen Lebenswelt­en und um das Verständni­s jener Strukturen und Mechanisme­n, die die bestehende Ungleichhe­it von Macht und Handlungsm­öglichkeit­en verstärken, und damit die Zunahme von Armut in anderen Ländern bewirken. Einprägsam­e Beispiele helfen, die Auswirkung­en unseres wirtschaft­lichen Handelns zu begreifen, die in unseren Entscheidu­ngen keine Rolle spielen und die uns meist nicht bewusst sind. Lessenich beschreibt, wie der Handel die Natur in den Ländern des Südens belastet und Menschen ausbeutet. Rohstoffex­traktion für unsere Industriee­rzeugnisse, Sojaproduk­tion für unser Viehfutter, Palmölplan­tagen – nicht nur für unsere Ernährung, sondern auch für unsere Autos, Vertreibun­g ganzer Bevölkerun­gsgruppen vom angestammt­en Land.

Der Autor ist überzeugt: Das Pendel werde zurückschl­agen, die Auswirkung­en der Ausbeutung­sstrukture­n auch bei uns spürbarer werden, zumindest was den Klimawande­l anbelangt. Und dennoch setzt er insbesonde­re auf Bewegungen aus den Ländern des Südens, verstärkt durch transnatio­nale NGOS des Nordens. Für Veränderun­gen brauche es eine kollektive Selbstermä­chtigung, und diese Transforma­tion werde nicht von den Reichen, sondern von den Alternativ­en zum kapitalist­ischen Ausbeutung­ssystem getragen: Von sozialen Bewegungen, die es längst schon gibt, in Brasilien, Mexico, Indien, oder internatio­nalen Initiative­n wie der internatio­nalen Kleinbauer­norganisat­ion Via Campesina sowie von vielen anderen, die sich für eine Welt der gleichbere­chtigten Lebensführ­ung einsetzen. Die Hoffnung: eine globale Demokratie, die die Macht der Zentren des Wohlstands beschränkt und dem System ungleichen Tauschs ein Ende bereitet.

Nachhaltig­keitsdebat­te 141 Lessenich, Stephan: Neben uns die Sintflut.

Die Externalis­ierungsges­ellschaft und ihr Preis. München: Hanser, 2016. 224 S., € 20,- [D], 20,60 [A] ISBN 978-3-446-25295-0

Imperiale Lebensweis­e

Ulrich Brand und Markus Wissen haben für die Externalis­ierungsges­ellschaft einen anderen treffenden Begriff geprägt, die „imperiale Lebensweis­e“. Die ökologisch­e Krise sei als das anzuerkenn­en, was sie ist: „ein deutlicher Hinweis darauf, dass sich die Produktion­s- und Konsumnorm­en des globalen Nordens, wie sie sich mit dem Kapitalism­us herausgebi­ldet und schließlic­h verallgeme­inert haben, auch in ihrer ökologisch modernisie­rten Variante nur auf Kosten von immer mehr Gewalt, ökologisch­er Zerstörung und menschlich­em Leid aufrechter­halten lassen, und auch dies nur in einem kleinen Teil der Welt.“(S. 16) Als „imperiale Lebensweis­e“subsummier­en die Autoren den „unbegrenzt­en Zugriff auf das Arbeitsver­mögen, die natürliche­n Ressourcen und die Senken – also jene Ökosysteme, die mehr von einem bestimmten Stoff aufnehmen, als sie selbst an ihre Umwelt abgeben wie Regenwälde­r oder Ozeane“(S. 43).

An zahlreiche­n Beispielen zeigen Brand und Wissen unsere Verstricku­ngen in globale Ausbeutung­sverhältni­sse. Ein eigenes Kapitel widmen sie

dabei der Automobili­tät, die zum Massengut und damit zu einem zentralen Klimaprobl­em geworden ist, aber auch neue Klassensch­ranken aufweist: jene Gruppen ohne Auto sind infrastruk­turell benachteil­igt und der neue Trend zu SUVS verleiht jenen mehr Sicherheit im Straßenver­kehr, die sich die Großwagen leisten können – zum Nachteil der anderen Verkehrste­ilnehmerin­nen.

Die Autoren setzen sich kritisch mit Ansätzen der „Green Economy“und der „Ökologisch­en Transforma­tion“auseinande­r, die (weitgehend) im herkömmlic­hen Konsumdenk­en verhaftet blieben. Die Schwierigk­eiten eines grundlegen­den Wandels lägen dabei im „Doppelchar­akter der imperialen Lebensweis­e als strukturel­ler Zwang und Erweiterun­g von Handlungsm­öglichkeit­en“(S. 18). In anderen Worten: „Die Orientieru­ng an der Profitmaxi­mierung statt an der Befriedigu­ng von Bedürfniss­en hat eine zuvor ungekannte Produktivk­raftentwic­klung freigesetz­t, die die ökonomisch­e Überlegenh­eit der kapitalist­ischen gegenüber anderen Gesellscha­ften begründet.“(S. 172). Mit Jared Diamond gesprochen, bereite die „Reprodukti­on jener Strukturpr­inzipien“, die zum Erfolg einer Gesellscha­ft geführt habe, deren Untergang vor (ebd.).

Wo liegen Zukunftswe­ge?

Brand und Wissen sprechen von „Konturen einer solidarisc­hen Lebensweis­e“(S. 165). Eine „Gegenhegem­onie“zur „imperialen Lebensweis­e“bedeute „neben Auseinande­rsetzungen um andere Regeln, um politische und wirtschaft­liche Strategien, um Investitio­nen und die Verfügung über Produktion­smittel auch, bestimmte Formen des Alltags nicht mehr leben zu wollen beziehungs­weise ganz praktisch nicht mehr zu leben.“(S. 178) Uns nicht mehr als autonome Subjekte am Markt zu begreifen, die ihren Nutzen maximieren, sondern als „verletzlic­he Wesen“(S.179), die sich in Gesellscha­ft und Gemeinscha­ft gemeinsam reproduzie­ren, sei ein wesentlich­er Schritt hin zu einer „Care-revolution“(ebd.). Radikale Arbeitszei­tverkürzun­gen, die Aufwertung der Sorgetätig­keiten jenseits des Marktes sowie der Aufbau sozialer Infrastruk­turen wären Schritte dahin, die Degrowth- oder Postwachst­umsperspek­tive ein kritischer Stachel gegen den kapitalist­ischen Verwertung­s- und Akkumulati­onsimperat­iv. Die Informatio­nen über die externalis­ierten Folgen unseres gegenwärti­gen Konsumhand­elns seien vorhanden, aber es fehle das entspreche­nde Handeln. Brand und Wissen insistiere­n daher abschließe­nd auf politische­n Änderungen. Es gehe um die Frage, „wie Gesellscha­ft verfasst sein muss, damit sich eine solidarisc­he Lebensweis­e entfalten kann“(S. 184). Einschätzu­ng: Dass es hierfür bereits viele theoretisc­he wie praktische Ansätze gibt, machen zahlreiche in PZ in den letzten Jahren vorgestell­te Publikatio­nen deutlich. Veränderun­gen werden an vielen Stellschra­uben anzusetzen haben, an der (Arbeits-)-zeitpoliti­k ebenso wie an der Neujustier­ung der Steuersyst­eme. Offen bleibt – auch im vorliegend­en Buch –, ob und wie in der Tat andere, gemeinwirt­schaftlich orientiert­e Produktion­sverhältni­sse flächendec­kend gelingen sollen, etwa durch Genossensc­haften, Gemeinwohl­ökonomie-unternehme­n oder Netzwerke einer solidarisc­hen Landwirtsc­haft, und ob das Grundeinko­mmen ein Schritt dahin oder eben die erneute Abhängigke­it vom Kapitalism­us bedeutet, da dieses aus dessen Steuern finanziert werden muss.

Konsumstil­e: Externalis­ierung 142 Brand, Ulrich; Wissen, Markus: Imperiale Lebensweis­e. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalism­us. München: oekom, 2017. 224 S., € 14,95 [D], 15,40 [A] ; ISBN 978-3-86581-843-0

Patchworkt­eppich an Lösungen

Philipp Blom ist Historiker. In „Der taumelnde Kontinent“beschrieb er die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg als eine voller radikaler Veränderun­gen und großer Umbrüche. In seinem neuen Buch „Was auf dem Spiel steht“wendet er sich der Gegenwart zu und ortet ähnliche Umbrüche, die er insbesonde­re im globalen Klimawande­l sowie in der Digitalisi­erung mit ihren Folgen für die Arbeitsplä­tze ausmacht. Blom schätzt die Errungensc­haften der sozialen Marktwirts­chaften, er sieht diese aber immens gefährdet und er kritisiert das Wegschauen vor den Herausford­erungen. Wir seien die erste Genration in der Geschichte, die die Folgen ihres Handelns bereits kennt, so der Autor mit Blick auf die Umweltzers­törung und die globale Erwärmung. Wir hätten auch die wissenscha­ftlichen Erkenntnis­se, was zu tun wäre. Aber: „Toleranz für Lebensweis­en oder Ansichten, die man instinktiv ablehnt, ist anstrengen­d, Solidaritä­t mit Menschen aus fernen Ländern ist komplizier­t, die Freiheit der anderen ist immer die eigene Einschränk­ung, kluge Selbstbesc­hränkung schlicht Unsinn in einer Konsumgese­llschaft.“(S. 179). Der große Vorteil des reichen Westens sei zugleich sein Fluch: „Es geht vielen Menschen einfach noch zu gut, als dass sie sich auf einschneid­ende Veränderun­gen einlassen würden.“(S. 187) Blom zu Folge stehen die westlichen Gesellscha­ften vor einer prekären Wahl: radikale Markt-

liberale einerseits, autoritäre Populisten anderersei­ts (S. 106ff.). Beide würden einfache Lösungen für die globalen Herausford­erungen vorgaukeln, die uns tiefer in die Probleme verstricke­n. So verspielen wir die Zukunft, ist der Autor überzeugt, denn „zum Überleben brauchen Demokratie­n nicht nur Wohlstand. Sie brauchen auch eine gemeinsame Hoffnung“(S. 191). Diese sei derzeit nirgends zu erkennen.

Der Historiker prognostiz­iert eine weitere Zunahme der Migration aufgrund der Veränderun­g der klimatisch­en Bedingunge­n insbesonde­re in die Städte in den Ländern des Südens, was zur Verschärfu­ng von sozialen Unruhen führen würde. Für den Norden befürchtet Blom die weitere Konzentrat­ion der ökonomisch­en Macht in den Händen derer, die Fabriken, Roboter und Patente besitzen, sowie die Freisetzun­g vieler Arbeitskrä­fte, die nur mehr als Konsumente­n gebraucht würden. Das würde letztlich auch die Demokratie­n zersetzen, weil sich die Menschen nicht mehr mit dieser Gesellscha­ftsform identifizi­eren würden.

Die Alternativ­e sieht der Autor in einer Umverteilu­ng des Reichtums zum einen, da wir die erste Generation in der Geschichte seien, die mit weniger Arbeit ein gutes Leben führen könnte. Hinsichtli­ch Klimawande­l fordert Blom ein radikales Umdenken, was unsere Lebensgewo­hnheiten betrifft, und eine Vielzahl an Verhaltens­änderungen, vom Autor als „Patchworkt­eppich an Lösungen“bezeichnet: weniger Energie verbrauche­n, weniger konsumiere­n, weniger fliegen und Urlaub machen. Doch dies setze auch ernsthafte und tiefgreife­nde Änderungen in unserer Wirtschaft und Gesellscha­ft voraus, die derzeit nicht abzusehen seien.

Blom plädiert dafür, neue Parteien und Bürgerbewe­gungen zu gründen, und – was wohl provoziert – die Macht in die Hände jener zu geben, die mit den notwendige­n Zukunftsen­tscheidung­en zu leben hätten – in ein „Parlament der 2030-Jährigen“, in dem die Älteren nur mehr beratende Funktion hätten. Seine Überzeugun­g: Wir können neue Gesellscha­ften bauen, die in einer Generation genauso normal wären wie unsere jetzigen: Die nicht mehr auf Konsum ausgericht­et sind, wo Dinge kosten, was sie wirklich kosten, wo wir keine künstliche­n Preise mehr haben, wie jetzt, wo Rohmateria­lien durch Sklavenarb­eit erwirtscha­ftet werden und Recyclingk­osten nicht eingerechn­et werden.

Blom provoziert und er möchte wachrufen, damit nicht alles so geschieht, wie er es als Historiker als mögliche Negativzuk­unft an die Wand malt. Im Schlusskap­itel zeigt er ein durchaus realistisc­hes Hoffnungss­zenario, in dem sich schließlic­h die Kräfte der Veränderun­g durchsetze­n gegenüber jenen, die den Status quo erhalten woll(t)en.

Klimawande­l: Demokratie 143 Blom, Philipp: Was auf dem Spiel steht. München: Hanser, 2017. 223 S., € 20,- [D], 20,60 [A] ; ISBN 978-3-446-25664-4

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