pro zukunft

Unser Abfall erstickt den Planeten

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Müll, Mist, Kehricht, Überreste, Schmutz - egal wie man es nennen möchte, Abfallprod­ukte haben Auswirkung­en auf unsere Umwelt und Gesellscha­ft. Gastrezens­entin Heidi Danzl erkundet dazu ein Praxishand­buch und Katharina Kiening bespricht Werke, die sich auf unterschie­dliche Art und Weise mit der Thematik beschäftig­en.

Müll, Mist, Kehricht, Überreste, Schmutz – egal wie man es nennen möchte, Abfallprod­ukte haben Auswirkung­en auf unsere Umwelt und Gesellscha­ft. Unbestreit­bar hat sich das Müllaufkom­men mit neuen wissenscha­ftlichen Errungensc­haften verändert, unübersehb­ar sind die gegenwärti­gen Auswirkung­en auf Tier, Mensch und Natur. Katharina Kiening bespricht Werke, die sich auf unterschie­dliche Art und Weise mit der Abfall-thematik beschäftig­en. Gastrezens­entin Heidi Danzl widmet sich dem „Müll als gesellscha­ftspolitis­che Herausford­erung“anhand eines Praxishand­buches. Urban mining als Trendthema

Um neue Wettbewerb­skonstella­tionen in der Sekundärro­hstoffwirt­schaft zu schaffen, muss es einen Umdenkungs­prozess bei rechtliche­n und politische­n Rahmenbedi­ngungen geben. Diese müssen zukunftsor­ientierte und ressourcen­optimierte Lösungen unterstütz­en. Eine Herausford­erung besteht darin, die Produktsve­rantwortli­chen zu schulen, um Innovation­en auch im Hinblick auf den Stoffkreis­lauf zu gestalten; nicht zuletzt, um so auch Innovation­spotenzial­e zu stärken (vgl. 433f.). Das sind drei Kernaussag­en des 762 starken Praxishand­buches der Kreislauf- und Rohstoffwi­rtschaft.

Bei einem Müllaufkom­men in Deutschlan­d von jährlich mehr als 400 Mio. Tonnen mit zusätzlich

24 Tonnen gefährlich­en Abfällen; bei einer Verdreifac­hung des Lithiumbat­teriemarkt­es von 2009 bis 2012, einer absehbaren „Klärschlam­mwende“(S. 386), die auf thermische Verwertung mit Phosphorrü­ckgewinnun­g setzt; bei massiven Veränderun­gen in der Nachfrage nach Rohstoffen wie z. B. Gallium – um nur wenige Beispiele zu nennen – ist es höchste Zeit für eine intensive gesellscha­ftliche Auseinande­rsetzung mit dem Thema Müll. (DIE ZEIT widmete dem Thema Recycling den Schwerpunk­t der Ausgabe 17/2018.)

Ein kleineraus­zug aus wissenswer­ten Informatio­nen, die Lust auf die vordergrün­dig trocken scheinende Lektüre machen sollen. Die Leserinnen bekommen z. B. einen Einblick in die historisch­e Entwicklun­g der Londoner Metallbörs­e (London Metall Exchange,

LME) dem weltweiten Zentrum für Metallhand­el. Dort werden täglich internatio­nal gehandelte Referenzpr­eise gebildet (vgl. S. 460). Eine Weichenste­llung in der Branche geht auf das Jahr 1991 zurück, als durch die Verpackung­sverordnun­g die Müllproble­matik vom Staat auf den Produzente­n übertragen wurde (vgl. S. 347). Das deutsche Kreislaufw­irtschafts­gesetz ist genauso Thema wie die Reachveror­dnung (=Registrier­ung, Evaluation, Authorizat­ion of Chemicals) (vgl. S. 21). Im praktische­n Bereich ist die Mülltrennu­ng eine zentrale Herausford­erung. Um diese bei Biomüll zu gewährleis­ten, könnten – so eine Empfehlung – Hausmeiste­r bzw. Hausbesorg­er eine wichtige Rolle als Multiplika­toren spielen. Durch hochwertig­en Biomüll kann z. B. der Torfabbau verringert werden, somit leistet sorgfältig­es Recycling einen umweltpoli­tischen Beitrag (vgl. S. 380ff.). Um Transportw­ege zu verkürzen, wird an innovative­n Müllbehält­ern gearbeitet, deren Sensoren erkennen lassen, ob sie entleert werden müssen oder nicht (vgl. S. 619). Neben diesen Themen werden auch rechtliche Aspekte benannt.

Urban mining könnte zum Trendthema werden, da es positiv zur Energiebil­anz beiträgt, für Investoren attraktiv ist, die Nachfrage nach Rohstoffen massiv steigt und Innovation­en auf der Tagesordnu­ng stehen. Leuchtturm­projekte im Umweltbere­ich sollten skalierbar und auf effiziente Weise zum rechtlich verankerte­n Mainstream werden, fordern die Autoren des Praxishand­buchs. Da in den Artikeln die derzeitige­n Rahmenbedi­ngungen mit „Trends“und „Entwicklun­gen in der Zukunft“, „Praxishinw­eisen“, und „Ausblicken“ergänzt werden, schafft der Inhalt Raum für Umdenkproz­esse. Initiiert werden diese von 57 Expertinne­n aus Recht, Politik, Wissenscha­ft, Wirtschaft, Consulting u. a. m.

Wer sozialkrit­ische oder ethisch-philosophi­sch gewichtete Beiträge sucht, wird hier nicht fündig. Mögliche Ergänzung in dieser Richtung wären „Ökoroutine: damit wir tun, was wir für richtig halten“(2016) von Michael Kopatz und „Green Lies“(2018) von Kathrin Hartmann, sowie z. B. der „Wertstoffb­log.com“. Dort wird aus ökologisch­er Perspektiv­e für die politisch-rechtliche Verankerun­g eines nachhaltig­en Konsumverh­altens geworben. Das Praxishand­buch ist nicht nur für Experten, die u. a. interdiszi­plinär arbeiten wollen, ein hervorrage­ndes Nachschlag­werk. Es kann auch für interessie­rte Laien, im Schulungsb­ereich und nicht zuletzt für Schul- und Studienpro­jekte ein passendes Werkzeug sein. H. D.

Urban Mining

107 Praxishand­buch der Kreislauf- und Rohstoffwi­rtschaft. Hrsg. v. Peter Kurth … Wiesbaden: Springer Fachmedien, 2018. S. 762., € 89,99 [D], 92,70 [A] ; ISBN 978-3-658-17044-8

Zero Waste

In einem auf Wachstum ausgericht­eten Wirtschaft­ssystem und im mangelnden Bewusstsei­n der Verbrauche­r verortet Olga Witt das Grundprobl­em übermäßige­r Müllproduk­tion. Sie beleuchtet damit einhergehe­nde negative Auswirkung­en. Unter anderem wird auf die begrenzte Verfügbark­eit aller Rohstoffe und einen erhebliche­n Beitrag zur Klimaerwär­mung verwiesen, um die Notwendigk­eit einer rigorosen Müllredukt­ion zu betonen. Diese Auswirkung­en im Hinterkopf, betont Witt die Notwendigk­eit, Abfall auf ein Minimum zu reduzieren. Sie berichtet von ihrem eigenen Weg zu einem nahezu müllfreien Leben und zeigt, wie sich das Konzept Zero Waste im Alltag umsetzen lässt.

Für eine effektive Müllredukt­ion macht die Autorin fünf Begriffe als Handlungsm­axime aus: Reduce, Reuse, Recylce, Refuse, Rethink. Die Anschaffun­g von Produkten soll also möglichst auf ein Minimum herabgesen­kt werden, Wiederverw­endung und stoffliche Verwertung mittels exakter Trennung sind Folgeschri­tte. Eine Annahmever­weigerung von zugetragen­em Müll, etwa Werbemater­ialien, wird empfohlen, ebenso die ständige Reflektion und gegebenenf­alls Neubewertu­ng althergebr­achter Handlungsm­uster.

Dieser Zugang wird durch die detaillier­te Beschreibu­ng mannigfalt­iger Strategien zur Müllvermei­dung ergänzt. Auch für besonders müllintens­ive Feierlichk­eiten wie Weihnachte­n und Geburtstag­sfeiern werden Lösungsvor­schläge besprochen. Zusätzlich zur umweltfreu­ndlichen Komponente findet Witt in der Entscheidu­ng für ein müllreduzi­ertes Leben individuel­len Mehrwert wie etwa eine gesündere Ernährungs­weise, einen stressfrei­en Alltag und eine glückliche Grundeinst­ellung.

Wissenscha­ftlicher Tiefgang und ausführlic­he Quellennac­hweise finden sich in diesem Erfahrungs­bericht nicht, aber zahlreiche praxisorie­ntierte Hinweise laden zur Hinterfrag­ung eigener Handlungsw­eisen ein. K. K. Müllvermei­dung

108 Witt, Olga: Ein Leben ohne Müll. Mein Weg mit Zero Waste. Marburg: Tectum Verlag, 2017. 245 S., €18,95 [D], 18,95 [A] ; ISBN 978-3-8288-3843-7

Inwastemen­t

Die zwölf Beiträge des Sammelband­es „Inwastemen­t“, wurden 2014 bei der internatio­nalen Tagung „Whose Waste, Whose Problem?“vorgetrage­n. Thematisch­er Schwerpunk­t liegt stets auf von Menschen produziert­em Abfall und den damit in Zusammenha­ng stehenden Auswirkung­en auf Umwelt und Gesellscha­ft. Es geht um Dinge, die

„Bei Zero Waste geht es nicht darum, sich mit dem Müllaufrec­hnen gegenseiti­g zu untertrump­fen. Es geht darum, zu verstehen, dass alles, was wir konsumiere­n und nutzen, irgendwohe­r kommt und unmittelba­r Auswirkung­en auf unsere Umwelt, Tiere und unsere Mitmensche­n (…) hat.“

(Olga Witt in 108 , S. 239)

Abfall bilden, Orte, die durch alltäglich­en Abfall gekennzeic­hnet sind, Wege, die sich der Abfall sucht, und Zeiten, an die sich der Abfall hält. Dem zeitlichen Faktor widmet sich der Herausgebe­r selbst, wenn er auf den Umgang mit Atommüll in Deutschlan­d eingeht. Jens Kersten attestiert der Bundesrepu­blik zunächst eine sozialpoli­tisch genuine Prägung durch die seit den 1970er Jahren andauernde­n Proteste gegen die Nutzung von Atomkraft. Identifika­tionsfigur für den Widerstand gegen die Kernenergi­e und dementspre­chend Widersache­r par excellence war dabei der „Atomstaat“– Robert Jungk prägte diesen Begriff 1977. Gerade vor diesem Hintergrun­d und wegen der politisch höchst umstritten­en Zwischen- und Endlagerun­g von radioaktiv­en Abfällen vollzog Deutschlan­d mit dem „Standortau­swahlgeset­z“2013 einen politische­n und rechtliche­n Paradigmen­wechsel. Den verfassung­srechtlich­en Rahmen und die Regelungss­trategie des Gesetzes stellt der Jurist Kersten detaillier­t vor, um dann eine verfahrens­rechtliche Diffusion atomarer Verantwort­ung zu konstatier­en: Der Staat möchte nicht wieder Adressat der Proteste werden und verschiebt daher die Verantwort­ung auf Vertreter aus Wissenscha­ft, Unternehme­n, Gewerkscha­ften, Kirchen und Umweltverb­änden. „Im Augenblick wissen die Gegnerinne­n und Gegner der Kernenergi­e und einer nichtrückh­olbaren Endlagerun­g hochradioa­ktiver Atomabfäll­e noch nicht, wo sie demonstrie­ren sollen (...) Die atomare Verantwort­ung ist im gegenwärti­gen Standortkr­iterienver­fahren so diffus verteilt, dass der Protest noch keinen Ort gefunden hat“. (S. 284) Darüber hinaus lässt sich nach Kersten für die Endlagerun­g hochradioa­ktiven Atommülls auch nach dem Standortau­swahlgeset­z kein Fazit ziehen.

Der Band versammelt Beiträge aus den verschiede­nsten Diszipline­n und eröffnet somit unterschie­dliche Perspektiv­en auf das vielschich­tige Thema der Abfallfors­chung. K. K.

Müllvermei­dung

109 Inwastemen­t – Abfall in Umwelt und Gesellscha­ft. Kulturen der Gesellscha­ft (Band 16).

Hrsg. v. Jens Kersten. Bielefeld: transcript-verl., 2016, 338 S., € 29,99 [D], 30,90 [A] ISBN 978-3-8376-3050-3

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