Landkarten der Zukunft
Wie sieht die Welt in fünf, zehn oder gar 20 Jahren aus? Um das herauszufinden bedient sich die Zukunftsforschung verschiedener Methoden. Was uns erwartet hat Alfred Auer für Sie herausgefunden.
Wie sieht die Welt in fünf, zehn oder gar 20 Jahren aus. Das erkunden Zukunftsforscherinnen mittels Szenariotechnik für Deutschland und mittels Interviews für die CIA in den USA. Geschichten, die zum Wandel anstiften sollen, sind nachzulesen im Jubiläumsband der Zeitschrift „politische ökologie“. Was uns erwartet und was es an nachhaltigen Projekten bereits gibt, hat Alfred Auer für Sie herausgefunden. Deutschland neu denken
Viele verstehen Zukunft als eine Verlängerung der Gegenwart, als ein „Weiter so wie bisher“. Was dabei fehlt, sind Bilder möglicher und lebenswerter Zukünfte. Die grundsätzliche Frage lautet: wie wollen wir künftig leben und arbeiten? Deshalb haben Zukunftsforscher wie Klaus Burmeister, Alexander Fink, Beate Schulz-montag und Karlheinz Steinmüller die Initiative „Deutschland 2030 - eine Landkarte für die Zukunft“gegründet und damit erste Grundlagen für einen umfassenden Zukunftsdiskurs erarbeitet. In einem mehrstufigen Prozess wurden acht mögliche Zukünfte für Deutschland herausdestilliert. Die Ergebnisse dieses unter Beteiligung von Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft stattfindenden Prozesses liegen auf dem Tisch.
Zentrale Zukunftsthemen sind Alternativen der Arbeitsgesellschaft (experimentelle Gestaltungsprojekte
für neue Arbeitsmärkte), eine Mobilitätswende mit postfossilen Antrieben (nachhaltige und vernetzte Mobilität), ein klares Regelwerk für die Digitalisierung (innovative Umsetzungsformen für eine zukunftsoffene Gesellschaft) und eine Abkehr davon, Wachstum als einzigen Gradmesser für Wohlstand zu begreifen.
Der Blick auf Details zeigt vier Grundszenarien: 1) „Spurtreue Beschleunigung“beschreibt eine Zukunft im globalen Gleichschritt, in der kaum Raum für Nachhaltigkeit und gesellschaftliche Solidarität bleibt. Innerhalb dieses Szenarios werden wiederum drei Varianten („Abstiegs-“, „Spaltungs-“und „Wohlfühlszenario“) entwickelt. Das „Abstiegsszenario“sieht Deutschland als Verlierer der digitalen Transformation; es geht mit massiven Wohlstandsverlusten einher. Im „Spaltungsszenario“kommt es trotz wirtschaftlicher Erfolge zu Einschränkungen politischer Spielräume vor allem aufgrund der Macht globaler Konzerne. Im „Wohlden
fühlszenario“wird eine Neuauflage des Wirtschaftswunders beschrieben, d. h. der ungebremste Konsum geht auf Kosten von Umwelt und Gesundheit. 2) Im Szenario „Neue Horizonte“, favorisiert von den Autorinnen, bleibt Deutschland ein global orientiertes und offenes Land, setzt sich aber stärker für Nachhaltigkeit und gemeinschaftliche Werte ein. Auch hier werden drei (Sub-)szenarien herausgearbeitet. Zum einen ergeben sich mehr Spielräume für die Zivilgesellschaft, zum anderen wird die Zuwanderung als Chance begriffen; zudem kommt es zu einer Renaissance des sich in der Politik organisierenden Gemeinwesens. 3) Das Szenario „Abkopplung“beschreibt „eine Zukunft, in der Gemeinwohl und Nachhaltigkeit in einer deglobalisierten und entschleunigten Welt umgesetzt werden“(S. 82). Dieses „Verzichts-szenario“ist geprägt von der Abkehr vom Wachstumsparadigma, von der Entkopplung von Arbeit und Einkommen sowie von der hyperdynamischen Weltwirtschaft. 4) Das Szenario „Alte Grenzen“beschreibt schließlich eine rückwärtsgewandte Welt, in der sich Menschen, Länder und Regionen immer mehr zurückziehen. „Wir erkennen heute viele Signale, die offenbar in diese Richtung weisen: Das ‚America First‘ eines Us-präsidenten Donald Trump, den Brexit oder die national-populistischen Bewegungen in Europa.“(S. 89)
Die Autorinnen sind weit davon entfernt, einem Masterplan oder einer Gesamtstrategie das Wort zu reden. „Unser Vorschlag ist der Eintritt in einen kontinuierlichen Zukunftsdiskurs als Grundlage für eine gemeinsame Gestaltung der Zukunft.“(S. 9) Das ist spannend, lesenswert und anregend gelungen. In den einzelnen Szenarien finden sich viele Ideen dafür, wie Deutschland im Kontext Europas künftig aussehen könnte.
Zukunft: Deutschland
110 Deutschland neu Denken. Acht Szenarien für unsere Zukunft. Burmeister, Klaus … (Mitarb.). München: oekom, 2018. 246 S., € 24,- [D], 24,70 [A]
ISBN 978-3-96238-018-2
2035
Wie die Welt der kommenden fünf bis 20 Jahre aussehen wird, fragt sich das National Intelligence Council (NIC), der Think Tank der amerikanischen Geheimdienste des CIA für mittel- und langfristiges strategisches Denken. Das NIC hat deshalb eine „Karte der Zukunft“erstellt und dabei Szenarien sowie die wichtigsten Trends und deren Implikationen erarbeitet. Dazu wurden über 250 unabhängige Spezialisten weltweit, darunter Ökonomen, Strategen und Geheimdienstler, um ihre Einschätzungen gefragt. In der Studie wurde Raum gelassen für einen gesonderten Blick auf die nächsten fünf Jahre als einen Zeithorizont, der für die Us-regierung von besonderer Relevanz ist. Erklärtes Ziel des NIC ist es, die Politik bestmöglich über das gegenwärtige und zukünftige Weltgeschehen zu informieren. Dieser Umstand entbehrt angesichts des aktuellen Treibens im Weißen Haus nicht einer gewissen Komik. Ungeachtet dessen findet die ins Deutsche übertragene Publikation diesseits des Atlantik eventuell ein breiteres und aufgeschlosseneres Publikum.
Vorweg: in Fragen der Theorie – Anmerkungen zum methodischen Vorgehen finden auf nur zwei Seiten Platz – wurde dabei bei weitem nicht so präzise vorgegangen bzw. offengelegt wie bei den deutschen Kolleginnen. Deshalb bleibt vieles vage und oberflächlich. Themen wie z. B. Digitalisierung, globaler Einfluss der Us-außenpolitik, eine nachhaltige Fortschrittsund Wachstumsdiskussion werden weitgehend ausgespart.
Drei Szenarien für die fernere Zukunft beschreiben, wie Trends und wichtige Entscheidungen ineinandergreifen und so jeweils unterschiedliche Pfade in die Zukunft bahnen könnten. Das „Insel-szenario“geht von einer Restrukturierung der Weltwirtschaft aus, die zu längeren Perioden langsamen Wachstums führt – „eine Herausforderung sowohl für die traditionellen Modelle ökonomischen Wohlstands als auch für die Annahme, dass die Globalisierung immer weiter zunehmen wird“(S. 16). Das „Orbitsszenario“entwirft ein Bild, in dem die großen Mächte in Konkurrenz zueinander stehen, sich ihre je eigenen Einflusssphären suchen und bestrebt sind, die innenpolitische Lage zu stabilisieren (Stichworte sind: Rückgang globaler Kooperation, Zunahme von Nationalismus, Wandel der Konfliktmuster). Schließlich zeigt das „Communities-szenario“, wie steigende Erwartungen der Bürger bei gleichzeitigem Schwinden der Spielräume des Staates Räume öffnen, „in denen lokale Regierungen und private Akteure unsere hergebrachten Vorstellungen darüber infrage stellen können, was es bedeutet zu regieren“(S. 17).
Hervorgehoben wird, dass alle identifizierten Trends mit einer nie da gewesenen Geschwindigkeit ineinandergreifen und das Wesen von Macht verändern werden. Megatrends wie Klimawandel, Migration, Sicherheitsprobleme und Entwicklungen am Arbeitsmarkt existieren eben nicht unabhängig voneinander, sondern bedingen einander. Bereits im Untertitel („Das Paradox des Fortschritts”) wird darauf hingewiesen, dass die globalen Trends, die eine düstere und krisenhafte Zukunft erwarten lassen, zugleich auch Chancen einer positiven Entwicklung bieten. Abgesehen von derart allgemeinen Einschät-
„Gesellschaftlich relevante Entscheidungen werden zunehmend in den Chefetagen transnational agierender Konzerne getroffen.“(K. Burmeister u. a. in 110 , S. 47)
„Für uns liegt eine der großen Stärken des verwendeten Szenarioansatzes darin, dass sich aus den vielen Schlüsselfaktoren am Ende einige wenige Kernfragen herausarbeiten lassen, die sich zudem grafisch als Hauptachsen in der Zukunftslandkarte zeigen.“
(K. Burmeister u. a. in 110 , S. 34f.)
„Ob die nächsten fünf oder 20 Jahre erfreulicher - oder unerfreulicher - ausfallen werden, wird von Drei Entscheidungen abhängen: Wie werden Individuen, Gruppen und Regierungen ihre Erwartungen aneinander neu verhandeln (...). In welchem Maß werden Großmächte, aber auch Individuen (...) neue Strukturen (...) für internationale Kooperation und Wettbewerb schaffen? In welchem Maß bereiten sich Regierungen, Gruppen und Individuen auf komplexe globale Fragen wie Klimawandel und transformative Technologien vor?” (Die Welt im Jahr 2035 in 111 , S. 15f.)
zungen enthält der Bericht neben genannten Trends bis 2035 keine neuen Entwicklungen: erwartet werden anhaltend starke Migrationsbewegungen, ein Ansteigen der Weltbevölkerung, die gleichzeitig älter und urbaner wird; Frauen drängen zunehmend in die Arbeitswelt, der Klimawandel wird vermehrt extreme Wetterereignisse zur Folge haben und nicht zuletzt werden die Herausforderungen an die Regierenden komplexer.
Für die nächsten fünf Jahre wird ein systematischer Überblick über alle Weltregionen geliefert. „Fortgesetzte Instabilität und wichtige Anpassungen in den Bereichen Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt werden weltweit die nächsten fünf Jahre prägen“, heißt es etwa (S. 134) Zu Gewalt neigende Massenbewegungen, strukturelle Veränderungen in der Weltwirtschaft und Unzufriedenheit werden populistische und nationalistische Trends verstärken. Was die ökonomischen Belastungen anbelangt, gilt China als größter Risikofaktor. Geopolitisch werden die zunehmende Instabilität des internationalen Systems und wachsende Ambitionen von China und Russland betont. „Die Welt im Jahr 2035“macht zunächst neugierig. Näher betrachtet, ist die Publikation jedoch eine sonderbare Mischung willkürlicher Befunde, chaotischer Ängste und von Us-amerikanischem Zweckoptimismus. Zukunft: USA
111 Die Welt im Jahr 2035 gesehen von der CIA und dem National Intelligence Council. Das Paradox des Fortschritts. München: C.H. Beck, 2018. 318 S., € 14,95 [D], 15,40 [A] ; ISBN 978-3-406-71446-7
Geht doch!
Entgegen dem landläufigen Eindruck vom schlechten Zustand der Welt und der weitverbreiteten Krisenstimmung zum Trotz passiert jede Menge Gutes. Immer mehr Menschen beginnen, anders zu leben. „Wie alle Pioniere haben sie den Mut, ausgetretene Denk- und Handlungspfade zu verlassen, unliebsame Wahrheiten auszusprechen und unorthodoxe Lösungswege zu beschreiten“, schreibt Anke Oxenfarth im Editorial dieses Jubiläumsbandes anlässlich des 30. Geburtstages der Zeitschrift „politische ökologie“. „Geschichten, die zum Wandel anstiften“, so der Untertitel, versammelt 30 spannende, zukunftsweisende Projekte gelebter ökologischer Verantwortung. Beigesteuert allesamt von Autorinnen der „pö“, wie die Publikation unter Kennerinnen bezeichnet wird, können diese Projekte stellvertretend für viele andere auf der Welt genannt werden, aber auch zur Nachahmung anregen. Einige ausgewählte Artikel seien exemplarisch genannt. Claudia Kemferts Beitrag „Die Energiewende ist ein Friedensprojekt“geht davon aus, dass uns Energiekrise undklimawandel dauerhaft begleiten werden. Sich beiden intensiv zu widmen sei daher ein Auftrag im Sinne globaler Gerechtigkeit. Sie berichtet vom Unternehmen Mobisol aus Berlin, das Solaranlagen in Afrika auf der Basis kleiner, handlicher Batterien verkauft. „Durch die Einführung von mobilen Solarzellen konnte [Mobisol] seit 2010 bereits 400.000 Menschen in Ruanda, Tansania und Kenia mit Strom versorgen.“(S. 72) Ein anderes Anliegen verfolgt Ute Scheub. Sie will die grassierende Politikverdrossenheit durch „Direkte Demokratie, Volksabstimmungen, Partizipation und Gestaltungsmacht für Bürgerschaften, vom kleinsten Dorf aufwärts bis in die EU“retten (S. 35). Die Publizistin fordert neben der Einführung von Losverfahren und die Einrichtung von Bürgerräten die zivilgesellschaftlichen Organisationen auf, viel lauter als bisher neue Mitmachformen einzufordern.
Angela und Karlheinz Steinmüller erfreuen uns mit einer Tagebuchnotiz aus dem Jahr 2047 mit Hinweisen auf einen Infodienst namens „pö-nibel“, der mit Nachhaltigkeitstipps punktet. Klaus Burmeister wiederum beschäftigt sich mit dem notwendigen Übergang in eine postfossile und intermodale Mobilität. Im Beitrag von Jürgen Maier geht es um Neunkirchen im Hunsrück, wo von den 17 Nachhaltigen Entwicklungszielen bereits fünf umgesetzt wurden, noch bevor die Vereinten Nationen 2015 die Nachhaltigen Entwicklungsziele (Sustainable Development Goals, SDGS) ins Leben riefen. Das Dorf bringt die Energiewende voran und forciert regionale Kreisläufe. Torsten Schäfer infomiert über „Die grünen Seiten der Transformation“und hält fest, dass die Zahl umweltjournalistischer Projekte steigt und immer mehr Medienschaffende in sozial-ökologischen Bezügen denken. „Zunehmend sind auch grüne Online-portale wie Utopia.de, Klimaretter.info oder Wiwogreen.“(S. 63) Das „Netzwerk Weitblick“setzt sich seit 2015 für Nachhaltigkeit im Journalismus ein. Schließlich formuliert Harald Welzer ein gesellschaftspolitisches Programm für die kommenden 30 Jahre, das von einem neuen Realismus getragen ist. Wir brauchen eine Kultur des Weniger, ist er überzeugt. „Nachhaltigkeit und permanent steigender materieller Lebensstandard schließen sich aus.“(S. 150) Dem ist kaum etwas hinzuzufügen. Wir brauchen eine Politisierung des Nachhaltigkeits-, Klima- und Ökologiediskurses. Vorausdenken
112 Geht doch! Geschichten, die zum Wandel anstiften. Hrsg. v. oekom e.v.- Verein für ökologische Kommunikation. München: oekom, 2017, 153 S., € 17,95 [D], 18,50 [A] ; ISBN 978-3-96006-020-8