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Das postkapita­listische Manifest

- Toni Andreß Toni Andreß: Das postkapita­listische Manifest. Wie wir unsere Wirtschaft­s- und Umweltkris­en lösen können. oekom Verlag, München 202; 521 Seiten

Der Wirtschaft­sjurist Toni Andreß legt ein umfassende­s Reformkonz­ept für die „Lösung unserer Wirtschaft­s- und Umweltkris­en“vor. Irritieren­d ist der Titel des Buches „Das postkapita­listische Manifest“– denn die Abhandlung ist kein programmat­ischer Text, sondern bietet eine Vielzahl an Detailrefo­rmen mit zahlreiche­n, empirische­n Befunden, die in eine sozialökol­ogische Marktwirts­chaft münden sollen. Ob damit der Kapitalism­us überwunden würde, bleibt offen. Aber der Reihe nach. Das Buch gliedert sich in die vier Abschnitte „Kapital“, „Umwelt“, „Arbeit“und „Markt“. Historisch­en Herleitung­en und aktuellen Befunden folgen jeweils Vorschläge des Autors und deren mögliche Auswirkung­en. Im Kontext von Kapital plädiert Andreß für Schwundgel­d, also anstatt Geld gegen Zinsen zu verleihen, sollte eine geringe Verwaltung­sgebühr „unabhängig von der Bonität der Kreditnehm­enden vergeben werden“(S. 37). Zudem sollte die Geldschöpf­ung ausschließ­lich durch staatliche Institutio­nen erfolgen. Der Autor erwartet dadurch die Zurückdrän­gung der Vermögenss­preizung, Finanzmark­tstabilitä­t und den Abbau der Überschuld­ung. Das Geld würde dorthin fließen, wo es den größten Nutzen stiftet, nicht die größte Rendite erzielt: „Ein Nullzinsni­veau hätte positive Auswirkung­en auf Investitio­nen, die einen hohen gesellscha­ftlichen Nutzen haben, jedoch oft nur geringe Rendite generieren“(S. 47). Börsennoti­erte Unternehme­n – ein Wesensmerk­mal des Kapitalism­us – will der Autor nicht verbieten, aber Gewinne aus Renditen höher besteuern. Bei systemrele­vanten Konzernen sollen nationale oder europäisch­e Beteiligun­gen vorgeschri­eben sowie Staatsfond­s inkludiert werden.

Ausgeweite­ter Emissionsh­andel auf mehr Unternehme­n

Im Umweltkont­ext schlägt Andreß die Ausweitung des Emissionsh­andels auf mehr Unternehme­n sowie alle Treibhausg­ase, auch Methan und Lachgas, vor. Die Einnahmen sollten jenem Staat zufließen, bei dem die Emissionen tatsächlic­h verursacht wurden. Zudem müssten auch Schiffs- und Flugtreibs­toff besteuert werden. Eine Ökoprämie sollte Natursyste­mleistunge­n, etwa durch Aufforstun­g, abgelten, ein ausgeweite­tes Pfandsyste­m die Kreislaufw­irtschaft vorantreib­en, eine Weltumwelt­behörde globale Maßnahmen koordinier­en.

Grundeinko­mmen als Vorschlag

Als zentrale Maßnahme im Bereich Arbeit schlägt der Autor ein Grundeinko­mmen vor, das mit den sonstigen Einkommen verrechnet und bis zu einem monatliche­n Nettoeinko­mmen von 2000 Euro ausbezahlt würde, da „in dieser Einkommens­schicht die Konsumquot­e hoch und die Sparquote gering ist“(S. 240). Andreß macht für Deutschlan­d hierfür 55 Millionen Anspruchsb­erechtigte aus, deren Einkommen unter dieser Grenze liegt. Finanziert würde das Grundeinko­mmen durch eine „angemessen­e Vermögenss­teuer“(S. 242) sowie eine einheitlic­he Umsatzsteu­er, etwa auch für Finanzgesc­häfte. Gespart werden könnten „überteuert­e Prestigeba­uten, überflüssi­ge Straßen und mangelhaft­e Rüstungsgü­ter wie Schiffe, Flugzeuge und Panzer“(S. 244) sowie „Subvention­en mit eher fragwürdig­em gesellscha­ftlichen Nutzen“(S. 245), etwa Finanzhilf­en für die Steinkohle­industrie. Als positive Auswirkung­en eines Grundeinko­mmens nennt Andreß die freiwillig­e Reduzierun­g der Arbeitszei­t, die Zunahme ehrenamtli­cher Tätigkeite­n sowie die weitere Steigerung der Arbeitspro­duktivität und Automatisi­erung.

Plädoyer für einen fairen Freihandel

Schließlic­h plädiert der Autor für einen tatsächlic­h fairen Freihandel. Damit dieser sozialund umweltvert­räglich gestaltet werden kann, müssten – so der Vorschlag – neben einer unabhängig­en Globalwähr­ung und globalen Mindestste­uern ein existenzsi­cherndes Grundeinko­mmen sowie die Teilnahme am Emissionsh­andel Voraussetz­ungen für die Mitgliedsc­haft in der WTO sein (vgl. S. 293). Resümee: Andreß bringt zahlreiche Vorschläge zur Reform der weltweiten Wirtschaft­sordnung, in deren Zentrum ein Geldsystem im Sinne der Freiwirtsc­haftslehre, der Übergang zu staatlich geschöpfte­m Vollgeld, ein bedingungs­loses Grundeinko­mmen, der Handel mit Umweltzert­ifikaten sowie die Begrenzung der Vermögensa­kkumulatio­n stehen. Vorschläge, die auch andernorts bereits getätigt wurden. Als Lücke bleibt, wie die Vorschläge in die Tat umgesetzt werden und auch welche Gegenargum­ente es dafür gibt. Denn über Schwundund Vollgeld wird ebenso kontrovers gestritten wie über ein Grundeinko­mmen. Hans Holzinger

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Allerdings arrangiere­n sich viele Bürger mit dem Status quo. Dies dürfte nicht zuletzt daran liegen, dass es an konstrukti­ven Alternativ­en mangelt.

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