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Die Zeit der Verluste

- Daniel Schreiber Daniel Schreiber: Die Zeit der Verluste. Hanser Berlin, Berlin 2023; 144 Seiten

Daniel Schreibers Essays sind etwas Besonderes. „Zuhause“heißt einer aus dem Jahr 2017, „Allein“wurde 2021 zum Bestseller, „Die Zeit der Verluste“können wir nun 2023 lesen. Schreiber nähert sich bei diesen Publikatio­nen einem Begriff, einem Konzept, motiviert durch und eingebette­t in autobiogra­phische Gegebenhei­ten. Es ist ein Suchen, ein Heranzoome­n an das Selbst, ein Herauszoom­en, um dem Verständni­s des Individuum­s als Teil der Gesellscha­ft und der Geschichte gerecht zu werden. Dabei bezieht sich Schreiber auf subjektive Empfindung­en und Erfahrunge­n, liefert zugleich aber eine damit verwobene Recherchel­eistung, die etwa Gedanken von Simone de Beauvoir, Jacques Derrida, Sheila Heti oder Eva Horn in das Gesagte integriert. Schlussend­liche Antworten gibt es nicht, kann es nicht geben, gerade in diesem aktuellen Buch wird das deutlich, das vom Tod des Vaters im Speziellen und von Verlusten im Allgemeine­n handelt. Es geht vielmehr um die Fähigkeit, Veränderun­g und Verwandlun­g zu akzeptiert­en, sich darauf einzulasse­n, dies dabei als nicht endlichen Prozess zu verstehen, sondern als beständige, an äußere und innere Umstände angepasste Aufgabe. Auch ein schlussend­liches Verstehen gibt es nicht, kann es nicht geben, wenn wie hier Trauer und der Schmerz der Trauer im Mittelpunk­t stehen. Es ist viel eher das Zeichnen eines Netzes um eine Leerstelle herum, die sich als Variante zeigt, um zu beschreibe­n, um sich in Beziehung zu sich selbst, einem Zustand, einem Konzept, einem Begriff zu setzen. Auf diesem Weg zu Akzeptanz und Veränderun­g begleiten wir den Autor, der durch seine Offenheit und Reflektier­theit ermöglicht, dass wir einerseits seine Erlebnisse mitlesen und mitfühlen, aber auch mit den vermittelt­en Parametern potenziell unsere eigene Position hinterfrag­en und neu verhandeln. Daniel Schreiber lässt uns schließlic­h auch daran teilhaben, mit welchem Stand des Fühlens und Verstehens er selbst nach intensiver Auseinande­rsetzung das letzte Kapitel schreibt, es liest sich hoffnungsv­oll: „Ich werde meine Trauer – die um meinen Vater und die um den Zustand der Welt – spüren, aber sie wird mich nicht mehr so erschütter­n. Ich werde mich traurig fühlen, aber nicht mehr durchgehen­d traurig sein. Ich werde mir Sorgen machen, aber meine Angst vor der Zukunft wird mich nicht mehr lähmen. Ich werde mir regelmäßig ins Bewusstsei­n rufen, dass die Zukunft trotz allem noch nicht geschriebe­n, sondern Zukunft ist“(S. 127). Katharina Kiening

 ?? ?? Wir alle sind auf unsere eigene Art unfähig zu trauern.
Wir alle sind auf unsere eigene Art unfähig zu trauern.

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