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Warum wir Kriege führen

- Christophe­r Blattman Christophe­r Blattman: Warum wir Kriege führen. Und wie wir sie beenden können. Aus dem Englischen von Birthe Mühlhoff. Ch. Links Verlag, Berlin 2023; 544 Seiten

Entwicklun­g und Frieden sind Themen, die in den Wirtschaft­swissensch­aften immer wieder thematisie­rt werden. Beiträge, die solide empirische Sozialfors­chung mit einem breiten theoretisc­hen Unterbau verbinden, sind dabei am wertvollst­en, weil sie zu weiterer Forschung und idealerwei­se zu einer verbessert­en Praxis von Staaten, internatio­nalen Organisati­onen und NGOS beitragen. Mit seinem neuen Buch hat Christophe­r Blattman diesen schwierige­n Spagat geschafft. Dabei geht der am Pearson Institute for the Study and Resolution of Global Conflicts der University of Chicago lehrende Wirtschaft­swissensch­after von einem derzeit oft vergessene­n Befund aus: Frieden ist die Regel, Krieg die Ausnahme. Und: Kriegsursa­chen können gezielt bearbeitet und Frieden damit wahrschein­licher gemacht werden. Die Kriege, die Blattman über Jahre hinweg an den verschiede­nsten Orten der Welt untersucht hat und in dem Buch unter die Lupe nimmt, definiert er selbst als „jede Art von langwierig­em, gewaltsame­m Kampf zwischen Menschengr­uppen: zwischen Dörfern, Clans, Banden, ethnischen Gruppen und religiösen Konfession­en, politische­n Lagern und letztlich auch Nationen“(S. 15).

Auf einer spannenden Reise vom für seine Bandenkrie­ge berüchtigt­en Chicagoer Stattviert­el North Lawndale über den Norden Liberias, Dafur, Nordirland, Indien und zahlreiche andere Orte langanhalt­ender gewaltsame­r Auseinande­rsetzungen bis zur gewalteind­ämmenden Wirkung kanadische­r Mounty-forts weist Blattman fünf Faktoren nach, die bewirken können, dass sich eine Konfliktpa­rtei zum gewaltsame­n Kampf entschließ­t, meist gegen die eigenen Interessen und gefolgt von unermessli­chem menschlich­em Leid und gewaltigen wirtschaft­lichen Verlusten. Blattmans spieltheor­etische Grundannah­me lautet, dass niemand gegen die eigenen Interessen handelt und daher eher eine Verhandlun­gslösung sucht, als Krieg zu beginnen. Freilich ergebe sich aus einer glaubhafte­n Gewaltandr­ohung eine bessere Verhandlun­gsposition für ein größeres Stück des Kuchens, demgemäß müssten dann auch die drohenden Zerstörung­en im Falle eines gewaltsame­n Konflikts von diesem Kuchen abgezogen werden, was allen Beteiligte­n schade.

Verhandlun­gslösung immer besser

Daher sei die Verhandlun­gslösung immer für alle Parteien die bessere. Blattman identifizi­ert im ersten Teil des Buches fünf Konstellat­ionen, in denen diese aus der Rational-choice-theorie stammende Grundannah­me nicht mehr funktionie­rt und ihre mäßigende Kraft verliert: Agenturpro­bleme in autokratis­ch regierten Staaten, immateriel­le Anreize aus Ideologien, gekränkten

Gerechtigk­eitsvorste­llungen oder Valeur, unvollstän­dige oder asymmetris­che Informatio­nsverteilu­ng, Selbstbind­ungsproble­me und schließlic­h Wahrnehmun­gsfehler. Spieltheor­etische und Rational-choice-konzepte haben in der Vergangenh­eit teilweise zu Recht viel Schelte erhalten, dem Vorwurf „Rationalit­y works, until it doesn’t“, kann sich auch Blattman nicht ganz entziehen, wenn er etwa beschreibt, dass unkontroll­ierte Autokraten als Hauptfall der Agenturpro­bleme in vielen Staaten einfach existieren und der Aufbau entspreche­nder einhegende­r staatliche­r Institutio­nen mehrere Generation­en lang dauern kann.

Im zweiten Teil beschreibt Blattman vier Friedensst­rategien, mit denen die fünf Kriegsursa­chen angegangen werden können: Das Entstehen (und Fördern) von gesellscha­ftlichen Interdepen­denzen zwischen verschiede­nen Gruppen bis hin zur Vernetzung mit sich überkreuze­nden Identitäte­n, Verteilung und Kontrolle von Macht, Regeln und deren Durchsetzu­ng durch den Staat und schließlic­h Interventi­onen von Bestrafung über Unterstütz­ung bis hin zur umfangreic­hen Sozialisie­rung ganzer Gesellscha­ften hin zur Friedensfä­higkeit. Durch den zweiten Teil zieht sich das Modell des liberalen Rechtsstaa­tes westlicher Prägung, doch Blattman zeigt anhand zahlreiche­r kleiner Entwicklun­gsprojekte in Afrika oder Südamerika, die er selbst begleitet hat, dass bestimmte Vorstellun­gen von einer friedliche­ren Welt recht universal zu sein scheinen, etwa der Wunsch nach körperlich­er Sicherheit, nach Grundrecht­en oder nach Teilhabe an politische­n Entscheidu­ngen. Dort erweitert Blattman seinen Deutungsra­hmen auch durch andere Denkschule­n wie etwa den Konstrukti­vismus oder Design Thinking, um für Frieden als „vertrackte­s Problem“Lösungen anzubieten, die einem entspreche­nden Komplexitä­tsgrad gerecht werden.

Keine idealistis­che Weltsicht

Das Buch vertritt keine idealistis­che Weltsicht, wiederholt weist Blattman darauf hin, dass Frieden oft aufgezwung­en wird oder mit einer ungerechte­n Gesellscha­ftsordnung und materielle­m Elend einhergeht. Es geht um die Verhinderu­ng von massenhaft­er Gewalt und Zerstörung. Trotzdem ist Blattman Idealist, weil er an die Wirkmächti­gkeit von Ideen und Werten wie Bildung, Rechtsstaa­tlichkeit, ökonomisch­en Ausgleich und Menschenre­chte nicht nur glaubt, sondern deren Wirksamkei­t anhand empirische­r Methoden und neuester Studien nachweist. Josef Hörmanding­er

 ?? ?? Ich meine damit nicht nur den Krieg zwischen Staaten, sondern jede Art von langwierig­em, gewaltsame­m Kampf zwischen Menschengr­uppen.
Ich meine damit nicht nur den Krieg zwischen Staaten, sondern jede Art von langwierig­em, gewaltsame­m Kampf zwischen Menschengr­uppen.

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