Warum wir Kriege führen
Entwicklung und Frieden sind Themen, die in den Wirtschaftswissenschaften immer wieder thematisiert werden. Beiträge, die solide empirische Sozialforschung mit einem breiten theoretischen Unterbau verbinden, sind dabei am wertvollsten, weil sie zu weiterer Forschung und idealerweise zu einer verbesserten Praxis von Staaten, internationalen Organisationen und NGOS beitragen. Mit seinem neuen Buch hat Christopher Blattman diesen schwierigen Spagat geschafft. Dabei geht der am Pearson Institute for the Study and Resolution of Global Conflicts der University of Chicago lehrende Wirtschaftswissenschafter von einem derzeit oft vergessenen Befund aus: Frieden ist die Regel, Krieg die Ausnahme. Und: Kriegsursachen können gezielt bearbeitet und Frieden damit wahrscheinlicher gemacht werden. Die Kriege, die Blattman über Jahre hinweg an den verschiedensten Orten der Welt untersucht hat und in dem Buch unter die Lupe nimmt, definiert er selbst als „jede Art von langwierigem, gewaltsamem Kampf zwischen Menschengruppen: zwischen Dörfern, Clans, Banden, ethnischen Gruppen und religiösen Konfessionen, politischen Lagern und letztlich auch Nationen“(S. 15).
Auf einer spannenden Reise vom für seine Bandenkriege berüchtigten Chicagoer Stattviertel North Lawndale über den Norden Liberias, Dafur, Nordirland, Indien und zahlreiche andere Orte langanhaltender gewaltsamer Auseinandersetzungen bis zur gewalteindämmenden Wirkung kanadischer Mounty-forts weist Blattman fünf Faktoren nach, die bewirken können, dass sich eine Konfliktpartei zum gewaltsamen Kampf entschließt, meist gegen die eigenen Interessen und gefolgt von unermesslichem menschlichem Leid und gewaltigen wirtschaftlichen Verlusten. Blattmans spieltheoretische Grundannahme lautet, dass niemand gegen die eigenen Interessen handelt und daher eher eine Verhandlungslösung sucht, als Krieg zu beginnen. Freilich ergebe sich aus einer glaubhaften Gewaltandrohung eine bessere Verhandlungsposition für ein größeres Stück des Kuchens, demgemäß müssten dann auch die drohenden Zerstörungen im Falle eines gewaltsamen Konflikts von diesem Kuchen abgezogen werden, was allen Beteiligten schade.
Verhandlungslösung immer besser
Daher sei die Verhandlungslösung immer für alle Parteien die bessere. Blattman identifiziert im ersten Teil des Buches fünf Konstellationen, in denen diese aus der Rational-choice-theorie stammende Grundannahme nicht mehr funktioniert und ihre mäßigende Kraft verliert: Agenturprobleme in autokratisch regierten Staaten, immaterielle Anreize aus Ideologien, gekränkten
Gerechtigkeitsvorstellungen oder Valeur, unvollständige oder asymmetrische Informationsverteilung, Selbstbindungsprobleme und schließlich Wahrnehmungsfehler. Spieltheoretische und Rational-choice-konzepte haben in der Vergangenheit teilweise zu Recht viel Schelte erhalten, dem Vorwurf „Rationality works, until it doesn’t“, kann sich auch Blattman nicht ganz entziehen, wenn er etwa beschreibt, dass unkontrollierte Autokraten als Hauptfall der Agenturprobleme in vielen Staaten einfach existieren und der Aufbau entsprechender einhegender staatlicher Institutionen mehrere Generationen lang dauern kann.
Im zweiten Teil beschreibt Blattman vier Friedensstrategien, mit denen die fünf Kriegsursachen angegangen werden können: Das Entstehen (und Fördern) von gesellschaftlichen Interdependenzen zwischen verschiedenen Gruppen bis hin zur Vernetzung mit sich überkreuzenden Identitäten, Verteilung und Kontrolle von Macht, Regeln und deren Durchsetzung durch den Staat und schließlich Interventionen von Bestrafung über Unterstützung bis hin zur umfangreichen Sozialisierung ganzer Gesellschaften hin zur Friedensfähigkeit. Durch den zweiten Teil zieht sich das Modell des liberalen Rechtsstaates westlicher Prägung, doch Blattman zeigt anhand zahlreicher kleiner Entwicklungsprojekte in Afrika oder Südamerika, die er selbst begleitet hat, dass bestimmte Vorstellungen von einer friedlicheren Welt recht universal zu sein scheinen, etwa der Wunsch nach körperlicher Sicherheit, nach Grundrechten oder nach Teilhabe an politischen Entscheidungen. Dort erweitert Blattman seinen Deutungsrahmen auch durch andere Denkschulen wie etwa den Konstruktivismus oder Design Thinking, um für Frieden als „vertracktes Problem“Lösungen anzubieten, die einem entsprechenden Komplexitätsgrad gerecht werden.
Keine idealistische Weltsicht
Das Buch vertritt keine idealistische Weltsicht, wiederholt weist Blattman darauf hin, dass Frieden oft aufgezwungen wird oder mit einer ungerechten Gesellschaftsordnung und materiellem Elend einhergeht. Es geht um die Verhinderung von massenhafter Gewalt und Zerstörung. Trotzdem ist Blattman Idealist, weil er an die Wirkmächtigkeit von Ideen und Werten wie Bildung, Rechtsstaatlichkeit, ökonomischen Ausgleich und Menschenrechte nicht nur glaubt, sondern deren Wirksamkeit anhand empirischer Methoden und neuester Studien nachweist. Josef Hörmandinger