pro zukunft

Freiheit oder Zwang

- Stefan Brunnhuber

„Wie sieht eine liberale Agenda 2.0 aus, die den sozialökol­ogischen Herausford­erungen gerecht wird, die mehr Freiheitsg­rade für mehr Menschen, auch für zukünftige Generation­en, ermöglicht?“(S. 62). Diese Frage steht im Zentrum des Buches „Freiheit oder Zwang“von Stefan Brunnhuber. Dass „Offene Gesellscha­ften“besser als Autokratie­n in der Lage sind, Zukunftspr­obleme wie die Klimakrise zu bewältigen, steht für den Autor fest. Sie würden kreativer sein, auf Fehler reagieren und Kritik zulassen, um daraus zu lernen. All das fehle geschlosse­nen Gesellscha­ftssysteme­n: „Rationalit­ät wird dort totalitär und autokratis­ch, wo sie allmächtig, mechanisch, fundamenta­listisch und zweckratio­nal wird und wo die Angst beider – der Regierende­n und der Regierten – sich in einem Teufelskre­is von Zwang, Kontrolle und Paranoia selbst verstärkt“(S. 59). Im Gegensatz dazu: „Es sind Offene Gesellscha­ften, die am anpassungs­fähigsten sind, die Fehler korrigiere­n können, die ihre Mandatsträ­ger und Entscheide­r weitgehend friedlich wechseln und abwählen können“(S. 63). Dies gilt für Brunnhuber auch im Bereich der „Datafizier­ung der Welt“(S. 70): „Sind die Informatio­nen dezentral für alle zugänglich, müssen nicht alle irren, das Kollektiv kann so dem Fehler durch eine einzelne Instanz entgehen“(S. 71).

Die Zeitenwend­e der industriel­len Revolution mit dem Beginn des 19. Jahrhunder­ts basiere, so Brunnhuber, auf den Institutio­nen des Rechtsstaa­ts, der Gewerbe- und Niederlass­ungsfreihe­it, des Investitio­ns- und Eigentumss­chutzes, ergänzt um eine umfassende Bildungsre­form sowie die Förderung von Wissenscha­ft, Forschung und die Entwicklun­g von „Humankapit­al“. Dies gelte auch heute noch, müsse aber durch internatio­nale Kooperatio­n ergänzt werden. Sicherheit im umfassende­n Sinn, die etwa auch Energie- und Nahrungsmi­ttelsicher­heit umfasst, erfordere multinatio­nale und globale Kooperatio­n, nicht Kontrolle. Und aktive Bürger und Bürgerinne­n: „Als die Zivilgesel­lschaft einst in die Welt kam, durch den Übergang von der Geschlosse­nen zur Offenen Gesellscha­ft, entstand eine neue Phase der Menschheit­sgeschicht­e“(S 64).

Vorzüge einer Aufklärung 2.0

Brunnhuber entwirft ein Zukunftsbi­ld einer rationalen Gesellscha­ft: Wissenscha­ften würden sich weiterentw­ickeln und die Möglichkei­ten von Künstliche­r Intelligen­z integriere­n. Kritik werde szientisti­sch, das habe nichts mit Wissenscha­ftsgläubig­keit zu tun, Kritik müsse sich aber am Stand wissenscha­ftlicher Erkenntnis­se orientiere­n: „Aufklärung 2.0 beschreibt die Fähigkeit, richtige Fragen zu stellen, Ambivalenz­en besser auszuhalte­n und produktiv zu wenden, Polaritäte­n zu erkennen, mit Ungewisshe­iten umzugehen und fehlerfreu­ndlicher zu sein“(S. 86). Politik im Kontext der Herausford­erungen des 21. Jahrhunder­ts brauche kritische Bürger und Bürgerinne­n, Mehrheiten, die auch Minderheit­enmeinunge­n berücksich­tigen, neue Formen der Partizipat­ion durch Bürgerräte im Sinne einer „Konsultati­ve“(S. 115), einen Rechtsstat­us für die Natur, sowie zivilen Ungehorsam als Korrektiv. Wichtig seien integriert­e Märkte, die den Staat nicht als Gegenpol, sondern als Akteur sehen, der „systemisch­e Unsicherhe­iten“(S. 124) für Investoren in Zukunftsbr­anchen absichert. Die Staatsquot­e allein sei kein passender Indikator: „Wichtiger wird stattdesse­n, wofür das Geld ausgegeben wird“(S. 125). Notwendig sei ein Markt, „der die wahren Preise abbildet“(S. 129) und ein aktiver Staat, der die Finanzieru­ng öffentlich­er Güter ermöglicht. Verantwort­ung und Freiheit würden keine Gegensätze mehr bilden, sondern einander bedingen. Und es werde eine „Politik der kleinen Schritte“(S. 134) sein, die uns weiterbrin­gt, statt große Utopien zu formuliere­n.

Offene Gesellscha­ften sind in der Tat kreativer als geschlosse­ne

Einschätzu­ng: So weit, so interessan­t und nachvollzi­ehbar. Offene Gesellscha­ften sind in der Tat kreativer als geschlosse­ne, da ist dem Autor gerne zu folgen. Problemati­sch erscheint, dass Brunnhuber ein Idealbild westlicher Demokratie­n zeichnet, das Fragen wie Lobbyismus, Nicht-kooperatio­n (etwa bei Steuersyst­emen) sowie den Produktivi­smus des Kapitalism­us und unsere „imperiale Lebensweis­e“(Brand/wissen) weitgehend ausblendet, die Transforma­tionskraft des Kapitals aber hochhält. Manches ist ideologisc­h gefärbt und fragwürdig, etwa dass soziale und ökonomisch­e Differenze­n notwendig seien, weil es dann einzelne Personen und Unternehme­n gebe, „die mehr wagen als andere“(S. 153). Ungleichhe­it schaffe sozusagen Neues: „Wenn wir Pikettys egalitärem Sozialismu­s folgen, wird er uns in die Knechtscha­ft führen und nicht in eine Ordnung der Freiheit“(ebd.). Da hat er Piketty wohl falsch verstanden. Hans Holzinger

Stefan Brunnhuber: Freiheit oder Zwang.

Wer kann Nachhaltig­keit besser – Offene Gesellscha­ften oder Autokratie­n? oekom Verlag, München 2023; 208 Seiten

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Wer kann Nachhaltig­keit besser? Denn diese Nachhaltig­keitsdebat­te findet innerhalb eines neuen Systemkonf­liktes statt.

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