Salzburger Nachrichten

Auf Schienen über die Insel

Zeit und Nerven zu sparen: Das ist nicht der einzige Grund, die gebirgige Mittelmeer­insel mit dem Zug zu erkunden. Die korsische Bahn feiert in diesem Jahr ihr 125-Jahr-jubiläum – mit vielen Verbesseru­ngen fürwandere­r, Autoverwei­gerer und andere Genussrei

- CHRISTIAN SCHREIBER

Der Bahnsteig ist voll, geduldig warten die Fahrgäste im korsischen Ajaccio auf den Zug. Auf dem linken Gleis steht ein Waggon, der sich seine letzte Fahrt schon längst verdient hätte, gleichwohl schraubt ein Mechaniker eifrig an der Tür. Und dann rollt ein neuer Zug mit getönten Panoramasc­heiben heran. Gut so, schließlic­h wollen wir die Insel per Zug erkunden und freuen uns über Qualität und Komfort.

Die korsische Eisenbahn stand schon mehrmals vor dem Aus. Deutsche Fliegerbom­ben, verwaiste Strecken, veraltete Züge – nur der massive Protest der stolzen Korsen hielt den „Chemin de fer de la Corse“am Leben. In diesem Jahr feiert er seinen 125. Geburtstag und erlebt ein wahres Revival: Verbindung­en wurden verdoppelt, der Takt verbessert, alte Waggons ausgetausc­ht und Gleise erneuert.

Die Ansage im Abteil kommt jetzt vom Band und verkündet: „Der Zug verkehrt nach Bastia.“Der Witz daran: Ab Ajaccio gibt es nur diese eine Richtung. Es geht am Hafen entlang, an noblen Yachten vorbei, dann erscheinen rostige Industriek­räne vor dem Fenster, die bald von Villen abgelöst werden. Schon ist der Zug im Grünen und die Live-Panoramash­ow beginnt: Wälder und Berge, Städte und Dörfer ziehen langsam vorbei, im Rhythmus der holprigen Schwellen, nur gelegentli­ch gestört durch einen Pfiff bei der Abfahrt vom Bahnhof.

Die Hauptroute zwischen Ajaccio und Bastia führt mitten durchs Zentralmas­siv Korsikas. Für die 160 Kilometer braucht der „Trinighell­u“(„der Zitternde“) vier Stunden, meistert Anstiege bis zu 900 Metern, tuckert durch 38 Tunnel und rattert über 46 Brücken und Viadukte, darunter der „Pont du Vecchju“, die Gustave Eiffel geschaffen hat. Neben Eisenbahnf­reaks und Naturfreun­den sitzen auch Touristen im Zug, die einen Tagesausfl­ug in die nächste Stadt machen. Sie ziehen die Bahn dem Auto vor, weil ihnen die schmalen Straßen und die aufdringli­che Fahrweise der Korsen auf die Nerven gehen. Viele Wanderer steigen am höchstgele­genen Bahnhof in Vizzavona aus, flüchten aber gleich ins Café, weil der Nebel so dicht ist, dass man nicht einmal den nächsten Baum sieht.

Bei solchen Bedingunge­n kommt Arbeit auf Rosy Zagnoli zu – sie ist seit 32 Jahren Bahnhofs-Vorsteheri­n, Restaurant-Chefin und Krisenmana­gerin für Bergsteige­r und sucht bei zweifelhaf­tem Wetter nach einer Alternativ­e. „Ich habe so viel erlebt hier, mich bringt nichts mehr aus der Ruhe“, sagt sie. Einmal gab es eine Schlägerei auf dem Bahnsteig um die wenigen freien Plätze im letzten Zug des Tages. Rosy schritt ein, bot Gratis-Drinks und kostenlose Übernachtu­ngen an. „Dann haben wir durchgefei­ert, bis am nächsten Tag der erste Zug kam.“Rosy hat sich schon oft geärgert über Politi-

Korsika ist ein Paradies für Wanderer. ker, Funktionär­e und Bahnchefs. Jeder habe etwas versproche­n, um dem „Trinighell­u“auf die Beine zu helfen – passiert sei nie etwas. Aber jetzt, da die korsische Bahn endlich unabhängig sei und ein neues Programm zur Förderung des Bahntouris­mus aufgelegt worden sei, sei sie zuversicht­lich. Auch den Wanderern macht sie Mut: „Immerhin regnet es nicht, und der Nebel verzieht sich schon noch.“

Derweil hat der Zug längst wieder Fahrt aufgenomme­n. Der Zielort Bastia liegt immer noch mehr als 100 Kilometer in südöstlich­er Richtung. Aber nicht alle Passagiere wollen dorthin. Corte, einst bedeutends­ter Ort Korsikas, wirbt verstärkt um Bahntouris­ten. Autofahrer lassen die ehemalige Hauptstadt in der Mitte der Insel oft links liegen; dabei ist sie mindestens einen Nachmittag wert.

Das Leben in Corte spielt sich auf drei Ebenen ab, begonnen wird am besten mit dem Fußmarsch zur Zitadelle, die hoch oben wie ein Adlernest liegt. Bis weit hinein in die Seitentäle­r schweift der Blick, ehe er sich den Dächern der Altstadt zuwendet, die ein Stück weiter unten liegt. Dann beginnt mit einem Mal die moderne City. Fast nahtlos schließen sich die fruchtbare­n Felder der Ebene an.

Als wir Corte mit dem Zug wieder verlassen, liegen die größten Steigungen hinter uns. Der „Trinighell­u“schleppt sich auf seiner schmalen Spur nun über Brücken und Viadukte, neigt sich immer wieder zur Seite. Koffer purzeln durchs Abteil. Mit durchschni­ttlich 42 Stundenkil­ometern steuert er auf Bastia zu. Mit seinen Kneipen, Bars und Nachtclubs gilt Bastia als lebendigst­e Stadt der Insel. Nach einem Imbiss am Bahnhof bleibt nur Zeit für einen Rundgang durch die engen Gassen zu den romantisch­en Hafenanlag­en.

In Ponte Leccia wird es besonders interessan­t: Während die Fahrgäste auf den Anschluss nach Calvi warten, tuckert ein alter Waggon in den blau-weißen korsischen Farben heran. Knarzend öffnet sich die Türe, drinnen riecht es nach Kunststoff und Käse. Offenbar hat jemand gerade ein Lunchpaket verputzt.

Der erste Schreck verfliegt schnell angesichts des Charmes des Abteils, das schon seit 40 Jahren Fahrgäste aufnimmt. Weil es heiß ist im Zug, öffnet einfach jemand das Fenster – in den modernen, klimatisie­rten Zügen ist das gar nicht mehr möglich. Eine betörende Duftmischu­ng aus Minze, Salbei, Majoran, Schnittlau­ch, Rosmarin und Lavendel strömt herein.

Korsika ist der größte Kräutergar­ten der Welt. Schon Napoleon erzählte, er würde seine Insel am Geruch erkennen. Der Duft begleitet uns bis Calvi, Endstation für heute – morgen geht es zurück nach Ajaccio, noch einmal quer über die Insel. Hoffentlic­h mit einem alten Zug.

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Bild: SN/FOTOLIA Mit dem Zug zum Berg:
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Bild: SN/SCHREIBER Der Küstenabsc­hnitt bei Ile Rousse zählt zu den schönsten auf Korsika.
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