Kroatien wird Nummer 28 im Europa-klub
Beitritt. Der Countdown zum Eu-beitritt des Adriastaates läuft. Doch in der Bevölkerung will keine Euphorie aufkommen.
ZAGREB (SN, n-ost). „Das einzig Gute ist, dass man vielleicht leichter Arbeit findet. Sonst sehen wir keine Änderung durch die EU.“Die 18-jährige Petra spricht für sich und ihre Freundin Blanka. Die Schule haben sie gerade abgeschlossen. Die Zagreber Maturantinnen wollen auf die Uni. Über die EU wissen sie wenig. Außerhalb Kroatiens studieren kommt nur infrage, „wenn auch andere aus der Clique gehen“. Wenn sie Kroatien verlassen wollte, würde sie nach Österreich gehen, sagt Petra. „Nein, Frankreich“, entgegnet Blanka.
Kroatien tritt am 1. Juli der Europäischen Union bei. Medien zählen auf ihren Titelblättern die Tage bis zum Beitritt, EU-relevante Themen sind stärker präsent. Nach Ansicht vieler wird Kroatien vorläufig das letzte Land sein, das der erweiterungs- und wirtschaftsmüden EU beitritt. Obwohl Kroatien von der Europäischen Kommission grünes Licht bekam, hagelt es Kritik an der Beitrittsfähigkeit. Vor allem die Wirtschaft mit 360.000 Arbeitslosen, der Auslandsverschuldung von 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und das vierte Rezessionsjahr in Folge bereiten Unbehagen.
Unbehaglich ist auch Frau Dorijana zumute. Gerade hat ihre Kundin, die sich von ihr Sardellen für fünf Kuna (knapp 0,70 Euro) abwiegen ließ, gesagt: „Die EU bringt Regeln. Es ist gut, wenn sich alle an Regeln halten.“Die Verkäuferin in der Fischhalle am Markt in Rovinj stimmt zu, ist aber nicht ganz überzeugt: „Ich habe 15 Jahre lang in der Schweiz gelebt und dort wurde ein Beitritt immer abgelehnt. Das sagt viel“, so die 48-Jährige. Mit der Schweiz hat das verschuldete Kroatien jedoch höchstens die Kredite in Schweizer Franken gemein. Das lässt die Fischhändlerin nicht gelten: „Wir sind von den Eliten bestohlen worden. Würden wir nur die Hälfte davon zurückbekommen, wären wir schuldenfrei.“
Die Arbeitslosigkeit in Kroatien beträgt 15,9 Prozent, bei der Jugendarbeitslosigkeit wird Kroatien mit 43 Prozent in der EU den dritten Platz belegen. Obwohl eine Studie ergab, dass weniger kroatische Jugendliche ins Ausland wollen als in den 90er-Jahren: Die Realität hinterlässt einen anderen Eindruck. Ein Stimmungsbild zeichnet die FacebookGruppe „Junge Leute, verlassen wir Kroatien“, die fast 59.000 Anhänger hat. Tonino Picula, Ex-Außenminister und ab 1. Juli EU-Parlamentarier in Brüssel, sagt: „Jun- ge Menschen werden tendenziell schlechter leben als ihre Eltern. Das ist seit dem Zweiten Weltkrieg nicht passiert. Die EU bietet keine Garantie, dass sich das wieder ändert. Das schürt Widerstand.“Investitionen in Bildung seien der Ausweg, meint Picula.
Investoren machen unterdessen oft einen weiten Bogen um Kroatien. Mit Problemen der Wirtschaft ist Roman Rauch, Delegierter derWirtschaftskammer Österreich in Zagreb, täglich konfrontiert: „Es heißt nicht, dass nichts weitergegangen ist. Aber dort, wo die Probleme bestanden haben, vor allem auf lokaler Ebene – da gibt es sie weiterhin“, sagt er. Heißt im Klartext: Korruption bleibt ein Übel, auch wenn Rauch das so nicht formulieren würde.
Mit dem Rücktritt von Premier Ivo Sanader 2009 begann erst der Kampf gegen die Korruption. Das erste prominente Opfer war auch gleich der konservative Politiker selbst: Im November 2012 wurde Sanader zu zehn Jahren Haft verurteilt. Er war es allerdings auch, der Kroatien auf EU-Kurs brachte. Es war seine Regierung, die den wegen Kriegsverbrechen gesuchten Ex-General Ante Gotovina an das Tribunal in Den Haag auslieferte und damit 2005 die Beitrittsgespräche ermöglichte.
Wegen der weit verbreiteten Korruption und der langsamen Verwaltung musste das 4,5 Millionen Einwohner zählende Land Vergleichen mit Rumänien und Bulgarien standhalten und die bislang längsten Beitrittsverhandlungen hinter sich bringen. Das Bild Kroatiens ist angeschlagen, was auch Premier Zoran Milanovic, dessen Mitte-links-Regierung in Kroatien seit eineinhalb Jahren am Ruder ist, weiß. „In der EU werden wir sehr um unser Ansehen kämpfen müssen, das in den vergangenen Jahren schwer beschädigt wurde“, sagte er in einer Regierungssitzung im Juni. Man werde in der Welt leider als korruptes und rückständiges Land wahrgenommen.
Die Mehrheit der Kroaten befürwortet nach wie vor grundsätzlich den Beitritt. Laut Umfrage im sind 61 Prozent dafür. Die Hälfte der Befragten fürchtet jedoch hö- here Preise und fast genauso viele wollen kein Fest zum Beitritt, wie es am 30. Juni in Zagreb geplant ist – und zu dem auch Deutschlands Kanzlerin AngelaMerkel kommen soll. Kroatiens Außenministerin Vesna Pusic meint: „Die Kroaten haben ein realistisches Bild von der EU.“
Hoffnung macht der Tourismus, der nach Einschätzung von Experten einen Aufschwung erfahren wird. Potenziell könnte das Land auch von den EU-Fonds profitieren, doch die bisher geringe Abschöpfungsquote von Fonds dürfte sich fortsetzen.
In der zweiten Jahreshälfte 2013 stehen zwar 655 Millionen Euro bereit. Doch Kroatien muss auch 240 Millionen ins EU-Budget einzahlen. Wenn die Befürchtungen eintreten, dass das Land nur etwa 300 Millionen Euro abschöpfen kann, schrammt es knapp am Attribut „Nettozahler“vorbei.