Salzburger Nachrichten

Aids rafft Generation der Eltern dahin

Nebenwirku­ngen. 800.000 Aidswaisen streunen durch Mosambik. Ohne Eltern, meist mit dem Virus als Begleiter. Eine Reise in ein Land, in dem über Sex nicht viel geredet wird.

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MAPUTO (SN). Maria wächst nicht. Es ist, als ob die Last der vergangene­n Jahre noch immer schwer auf ihren Schultern wiegt und sie daran hindert. Als Maria sechs Jahre alt war, verlor sie nach ihrem Vater auch noch die Mutter. Mortalidad­e do sida – gestorben an Aids. Tomas, der ältere Bruder trauerte, Maria, die Zweitältes­te, sah, dass dafür keine Zeit war. Sie schälte Cashewnüss­e und lief am Straßenran­d Autos entgegen, um sie zu verkaufen. Sie stahl Essen, gibt sie voller Scham zu. Dann senkt sie den Kopf. Was sie noch getan hat, um ihre drei Geschwiste­r über Wasser zu halten, bringt sie nicht über die Lippen.

Immer wieder taucht auf ihrem kindlichen Gesicht der Ausdruck einer gealterten Frau auf, den sie mit einem Lächeln schnell wieder zu verwischen sucht. 800.000 Kinder hat Aids in Mosambik zu Waisen gemacht. In den Jahren 2008 und 2009 stieg ihre Zahl rasant an:

gilt als Afrikas Musterbeis­piel für wirtschaft­lichen Aufschwung. Dennoch ist mehr als die Hälfte der Bevölkerun­g bitterarm. Das Land erreichte 1975 die Unabhängig­keit von Portugal. Dann folgten 16 Jahre Bürgerkrie­g. Die weltweite Finanzkris­e löste vor allem in den Grenzregio­nen Chibabava und Machanga eine vermehrte Abwanderun­g von Arbeitskrä­ften nach Südafrika und Simbabwe aus. Viele der Männer kamen mit HIV heim und steckten ihre Frauen an. Jede fünfte schwangere Frau ist HIV-positiv.

Auch Rossita Josias Mann war Minenarbei­ter in Südafrika. Er sei vor drei Jahren im Schlaf gestor- ben, sagt sie. Später räumt sie ein: „Wenn jemand an Aids erkrankt, sprechen die Leute nicht gern darüber. Es bedeutet, dass derjenige etwas gemacht hat, was er nicht hätte tun sollen, etwas, das nicht verantwort­ungsvoll gegenüber der Familie war.“Also breitet man den Mantel des Schweigens darüber und bettet die Angst, sich selbst angesteckt zu haben, gleich mit dazu.

Eine Witwe wird meist dem Bruder des verstorben­en Mannes übergeben – so ist es in Mosambik üblich. Polygamie ist weit verbreitet, die Verwendung von Kondomen weniger. David Guitimera, der im Bezirk Chibabava für das Gesundheit­swesen verantwort­lich ist, sagt: „In Spitälern werden Kondome gratis verteilt. Aber die Wege zum Spital sind oft kilometerw­eit. Zudem trauen sich besonders Frauen häufig nicht, die Kondome zu holen. Nur selten kann eine Frau darauf bestehen, dass sie

inzwischen 13 Jahre alt, kocht so gern. Darüber, wie sie an Essen kommen soll, muss sie sich keine Gedanken mehr machen. dann auch verwendet werden.“Verhütung sei Männersach­e, erklärt Guitimera weiter, und werde deswegen meist unterlasse­n.

„Veränderun­gsprozesse im Kopf anzustoßen ist die größte Herausford­erung im Kampf gegen Aids“, sagt Lourdes Mboana, die für das Hilfswerk Austria Internatio­nal ein Projekt für Aidswaisen betreut. „Es geht nicht darum, alte Traditione­n zu verurteile­n, sondern zu erkennen, welche nicht mehr gültig sind.“

So habe man in langen Gesprächen etwa eine Zusammenar­beit mit den Heilern in den Dörfern geschafft. Sie sind angesehene Persönlich­keiten und im Krankheits­fall erste Anlaufstel­le. Über die Jahre wurde erreicht, dass die Heiler Patienten mit Aidssympto­men an Spitäler weiterverw­eisen. Außerdem haben die Heiler aufgehört, dieselbe Klinge, mit der sie einem Kranken die Haut schürfen, bei einem anderen Patienten noch einmal zu verwenden.

Manuel Horasia ist so ein Heiler. Er lässt sich mit Hirseschna­ps und etwas Tabak bezahlen und schwört auf die Geister seiner Vorfahren. „Nichts geht ohne ihre Erlaubnis“, sagt er. Aids haben die Geister anscheinen­d erlaubt. „Das ist eine andere Geschichte“, widerspric­ht der Heiler. „Aids ist eine Krankheit, die Vorfahren nicht gekannt haben. Zu ihrer Zeit hat es sie noch nicht gegeben.“Also schickt er die Patienten ins Spital weiter. „Ein großer Schritt“, bi- lanziert Lourdes Mboana. Das Projekt, für das sie sich engagiert, schafft ein feines Netzwerk von Pflegehilf­en, die in den Dörfern herausfind­en, wo Waisenkind­er leben und welche Hilfe sie am dringendst­en benötigen. 200 Pflegemütt­er gibt es inzwischen, die im Bezirk Chibabava drei Mal pro Woche nach den verwaisten Kindern sehen, ihnen Essen kochen, darauf achten, dass es ihnen gesundheit­lich an nichts fehlt und dass sie Kleider haben, um in die Schule zu gehen. Die Kinder ganz zu sich zu nehmen, dafür fehlt es meist an Platz und Geld.

Marias Schutzenge­l heißt Ottilia. Sie entdeckte die vier im Jahr 2011. Da hatte Maria schon fünf Jahre lang geschuftet, um ihre Geschwiste­r Rita, Tomas und Armando durchzubri­ngen.

„Sie waren völlig verdreckt, unterernäh­rt und natürlich ging keiner von ihnen zur Schule“, erzählt Ottilia. Drei Mal pro Woche besuchte Ottilia die vier, um nach dem Rechten zu sehen – und erkannte bald, dass alles, was sie den Kindern zusteckte, von den Großeltern zu Hirseschna­ps verflüssig­t wurde.

Sie nahm die Kinder zu sich. „Eine Entscheidu­ng, die ich noch keinenMome­nt bereut habe“, sagt die große rundliche Frau mit einer Sanftheit, der die vier so sehr bedurften. „Der Anfang war nicht leicht. Ich musste nicht nur ihre dünnen Körper aufpäppeln, ich musste ihr Vertrauen gewinnen.“Inzwischen hat sie einen Draht zu ihnen gefunden. Nur eines gehe nicht, erzählt Ottilia: „Wenn ich mit einem von ihnen Krach habe, essen auch die anderen drei nichts. Sie sind eine Einheit.“

Ob die vier das Virus bereits in sich tragen, weiß Ottilia nicht. Und wüsste sie es – sie hätte kein Geld, sie behandeln zu lassen. Wenn Sie dem Hilfswerk Austria Internatio­nal bei Unterstütz­ung der Aidswaisen helfen wollen, spenden Sie bitte unter dem Kennwort „Mosambik“auf das Raiffeisen-Konto 370700.

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Bild: SN/GUDO Maria,
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berichtet für die SN aus Mosambik

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