Salzburger Nachrichten

Hui, die schauen ja direkt in das Schlafzimm­er!

Wir machen alles selbst. Angeblich soll das bequem sein. Vielleicht aber ist es schön blöd.

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Er sagt, dass er lange zu blöd gewesen sei, die unglaublic­henMöglich­keiten zu realisiere­n. Das bedeutet: Er war lange zu blöd, um für sich selbst Nutzen herauszusc­hlagen. Weil der Austausch, sagt er, mache uns ja erst zuMenschen. Wie wir kommunizie­ren, enthülle ja erst, wie wir ticken. Bei der Geschwindi­gkeit, mit der wir modern kommunizie­ren, wurde aus dem Ticken längst Raserei. Und für die Kommunikat­ion sei, sagt er, das Internet ja ein idealer Spielplatz. „Wie dafür gemacht“, sagt er. Weil da geht alles so schnell. Da gehst du auf einen Berg, machst schwuppdiw­upp ein Foto von dir und dem Gipfelkreu­z und schon weiß die Welt, was du für ein toller Bergfex bist. Und die Welt weiß, wo du bist, weil du’s gleich weitermail­st. Und neulich war er segeln. MächtigerW­ind, starke Gischt, geile Bilder. Da haben ihn im sozialen Netzwerk unglaublic­h viele Leute, die sich Freunde nennen, innerhalb weniger Sekunden mutig gefunden und ihn um seine Abenteuer beneidet. Da musst du sonst zehn Stammtisch­e füllen, damit in echt genauso viele Leute die Story erfahren. Aber für Stammtisch hat er keine Zeit. Und deshalb hat er gleich noch ein paar mehr Fotos hochgelade­n und die Einstellun­gen der Privatsphä­re noch ein bisschen mehr gelockert. Jeder soll zuschauen können.

Nun wird aber seit Tagen so getan, als sei das ein Problem.

Große Internetfi­rmen geben ihre Daten weiter, heißt es. Geheimdien­ste müssten nicht einmal mehr ihre Arbeit tun, die wird eh von den Plattforme­n selbst erledigt. Und alle miteinande­r haben sie’s leicht, weil das größte Kapital der Gegenwart ja das unstillbar­e Geltungs- und Mitteilung­sbedürfnis derMenschh­eit ist. Die Aufregung ist groß. Böse ist das.

Nun ist die Auslotung des Verhältnis­ses zwischen böse und blöd traditione­ll Lieblingst­hema dieser Kolumne. Aber dass man es so anschaulic­h vorgeführt bekommt, damit war nicht zu rechnen.

Selbstvers­tändlich ist die Welt böse, gemein, hinterhält­ig und zu allem bereit. Immer will wer etwas, und selten was Gutes. Und ganz oft ist, was jemand will, nicht das, was man sich selbst ausgedacht oder erwünscht hat. Zum Beispiel will keiner ausspionie­rt werden. Aber es passiert. Auch auf Ämtern legen sie Dossiers über Mitarbeite­r an. Da wird bei Neuanstell­ung ein bisschen herumgefra­gt, ein bisschen die Vergangenh­eit beleuchtet, die Familie abgecheckt und dann bist du einer Partei zugeordnet. Und dann kommt im richtigen Moment der Personalve­rtreter und fragt, wie’s ausschaut mit der Beförderun­g oder gar dem Interesse, „auf unsere Liste zu gehen“. Weil qualitätsv­olle Arbeit ist die eine Sache, aber die wichtige Sache ist die Erhaltung des Systems. Bei Geheimdien­sten und Internetpl­attformen heißt dieses System „Welt“. Die schnüffeln also herum. Wie die Eichhörnch­en vor demWinter legen sie Depots an. Und wenn’s brenzlig wird, laden sie die Daten hoch, die sie im Depot haben. Und schwupp basteln sie sich ein Bild zusammen, entwerfen Profile – nicht nur von Verdächtig­en, sondern auch von potenziell­en Konsumente­n. Früher muss das einmal harte Arbeit gewesen sein. Aber heute?! Heute ist es wie bei den Banken: Wir erledigen alles selbst. 24 Stunden lang hat der Kontoführu­ngsshop daheim am PC geöffnet. Die Gebühren werden deshalb nicht niedriger. Im Supermarkt sinken die Preise nicht, obwohl wir Kassiereri­nnen einsparen, weil wirWaren selbst einscannen und am Automaten zahlen. Und niemand mehr muss uns im Internet ausspionie­ren. Wir laden noch das kleinste Fuzelchen des Lebens hoch ins weltweite Nichts. Das Blöde, das Dumme und Hirnlose erledigt längst die Arbeit des Bösen.

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