Einlesen ins neue Eu-mitglied
Kroatien. Als Literaturland ist das ab Montag jüngste Eu-mitglied mindestens so aufregend wie als Urlaubsland.
Am Anfang war der Krieg. Er prägt den jungen Staat und seine Literatur bis in die Gegenwart. In diesem Krieg emigrierte die heute berühmteste kroatische Autorin – Dubravka Ugresic, deren Essaybände die Exilerfahrung reflektieren und in fast alle europäischen Sprachen übersetzt wurden. Romane wie „Das Museum der bedingungslosen Kapitulation“oder „Das Ministerium der Schmerzen“machten sie weltberühmt. In beiden sammelt die SuhrkampAutorin Geschichten von Flucht und Erinnerung, einmal mit dem Brennpunkt Berlin, das zweite Mal von Amsterdam aus. Die leicht zu lesenden Romane voller Erinnerungsdetails und Reflexionen sind nicht nur ein Fenster, durch das man Kroatien und seine Exilszene verstehen kann; ihre Situationen und Geschichten graben sich ein und führen ein Eigenleben.
Um den Krieg geht es auch in dem Debütroman „Hotel nirgendwo“, das der Zsolnay Verlag im Vorjahr herausgebracht hat. Seine Autorin Ivana Bodrozic ist 32 Jahre alt, 1982 in Vukovar geboren. Ihr autobiografischer Roman verteidigt die Erinnerungen eines Kindes, dessen Vater nicht davon abzubringen war, Vukovar zu verteidigen und der ohne jede Nachricht oder Todeserklärung verschollen ist. Langsam tastet sich die Tochter an die Vorstellung seines Sterbens heran, aber sie weiß: „So sehr ich mich auch anstrenge, ich werde es mir nie, nie vorstellen können. Und ich werde mir Mühe geben. Ich werde mir ein Leben lang Mühe geben. So wahr ich hier stehe. Amen.“
Ivana Bodrozic hebt das Schicksal der Kinder der Toten und Vermissten im KroatienKrieg auf die Bühne des europä- ischen Romans. Sie verlässt sich nicht auf die Wucht ihres autobiografischen Stoffes, sondern weiß ihn zu gestalten und lässt Sätze aufeinanderklatschen, damit es knirscht zwischen der großen Tragik und dem kleinen alltäglichen Leben, das weitergehen muss.
So heißt es nach der offiziellen Anerkennung des Vaters als Verteidiger von Vukovar: „Das Problem war, dass wir dafür kein Geld bekamen. Das gab es nur, wenn einer nicht mehr lebt, wenn er umgekommen war, Papa aber war lediglich nicht mehr auffindbar. Mama und ich gingen ein Eis essen.“
Der Roman besteht aus Mikroszenen, die das Fragmentarische, das Transitorische dieses Flücht- lingslebens abbilden. Übersetzt ist das Buch vonMarica Bodrozic, einer gebürtigen Kroatin, die 1983 als Zehnjährige nach Deutschland kam. Ihre jetzt bei Luchterhand erscheinenden Romane sowie die im Otto Müller Verlag publizierten Gedichtbände sind auf Deutsch geschrieben und umkreisen oft auch ihr Herkunftsland. Zwischen Dubravka Ugresic und Ivana Bodrozic, zwischen denen ein Altersunterschied von 32 Jahren liegt, gibt es einige kroatische Autoren, die ins Deutsche übersetzt wurden. 2011 erschien im Grazer Leykam Verlag der Roman „Unser Mann vor Ort“von Robert Perisic, einem der bedeutendsten kroatischen Schriftsteller der mit- tleren Generation. Wie schon der Titel signalisiert, spielt die Handlung zur Zeit des Irak-Kriegs und ist aus der Perspektive eines Journalisten der neuen Generation erzählt. Desillusionierung, Medienmacht, Aufeinanderprallen von ländlichem und urbanem Leben – Szenen und Themen wechseln rasch, eine komplexe Ironie rückt viele Facetten Kroatiens am Beginn des dritten Jahrtausends in den Blick und stellt gelegentlich bittere Diagnosen, wenn etwa der Erzähler über seine Eltern sagt: „So war es, der Krieg hatte sie arm gemacht, der Kapitalismus rechtlos, und die Kultur hatte ihnen die letzten Hoffnungen genommen.“Auch diese auf fünf Tage zusammengedrängte Romanhandlung lässt keinen behaglich distanzierten Blick auf Kroatien zu, sondern rückt unabweisbar auch die medialen und politischen Mechanismen anderer Länder in den Blick.
Von Zoran Feric hat der FolioVerlag bereits fünf Bücher auf Deutsch herausgebracht. Im Vorjahr erschien „Das Alter kam am 23. Mai gegen 11 Uhr“, ein Roman über eine lebensbestimmende Liebe und ihr Scheitern, der im Jahr 2011 spielt. Maturantinnen und Maturanten des Schuljahres 1950/61 treffen sich nach 50 Jahren in Opatija zu einer Schiffsreise. Aus dieser Konstellation entwickeln sich nicht nur Lebenspanoramen; in der Distanz der alt gewordenen Klasse zu den Selbstverständlichkeiten des heutigen Lebens kommt eine zeitdiagnostische Kraft zum Vorschein. Feric ist ein großer mitteleuropäischer Roman gelungen, der einen ebenso mit der Vergangenheit Tito-Jugoslawiens und dem heutigen Kroatien konfrontiert wie mit sich selbst und eigenen Erfahrungen von Liebe und Erinnerung. Und der Krieg ist, wie auch bei Robert Perisic, nur mehr als dunkler Streifen im Hintergrund präsent.
Nicht zu übersehen sind Diagnosen der Schriftstellerin und Journalistin Slavenka Drakulic. Auch der aus Sarajevo stammende, aber seit 1993 in Zagreb lebende Miljenko Jergovi prägt das Bild der kroatischen Literatur.
Wie sich das Land nicht nur in der eigenen, sondern in der Weltliteratur spiegelt, kann man in den Bänden über Zagreb, Dubrovnik, Istrien, Slawonien oder die Kvarner Bucht aus der Serie „Europa erlesen“des Wieser Verlags lesen. Dabei stellt sich heraus: Kroatien ist als Literaturland mindestens ebenso vielfältig und aufregend wie als Urlaubsland.