„Es sind Fehler passiert“
Justizskandal. Wer hätte sehen müssen, dass ein geistig beeinträchtigter 14-Jähriger nicht ins Gefängnis gehört? In Salzburg gab es bereits einen ähnlichen Fall.
WIEN (SN). Die Lehrer im Gefängnis sollen es gesehen haben. Die Experten des Wiener Jugendgerichtshofs ebenfalls. Und auch die Zelleninsassen. – Mit jenem 14-Jährigen, der in der Justizanstalt Wien-Josefstadt vergewaltigt wurde, war bereits vor dieser Tat etwas „nicht in Ordnung“. Was nicht in Ordnung war, haben die SN exklusiv berichtet: Der Bub ist geistig nicht auf dem Entwicklungsstand eines 14-Jährigen. Experten sprechen eher von der geistigen Reife eines Zehnjährigen. Einem IQ von 70. Somit hätte er laut Jugendgerichtsgesetz nie in Haft genommen werden dürfen.
Dies räumte auch Justizministerin Beatrix Karl (ÖVP) am Freitag in einer eilig einberufenen Pressekonferenz ein. „Es sind Fehler passiert.“Strafrechts-Sektionschef Christian Pilnacek kam zu einem ähnlichen Schluss: „Es bleibt die berechtigte Frage, ob eine so lange U-Haft hätte verhängt werden müssen.“
Offen bleibt auch: Warum schickt eine Richterin einen geistig zurückgebliebenen Buben wieder in jene Haft, in der er vergewaltigt wurde? – Die Richterin soll von der Vergewaltigung gewusst haben. Warum wird er nicht in eine Wohngemeinschaft gebracht? Bei der Pressekonferenz wurde auf die Verantwortung der Gerichte und der Staatsanwaltschaft verwiesen. Die reagierten naturgemäß wenig erfreut. Der grüne Justizsprecher Albert Steinhauser: „Nachdem Karl tagelang Missstände im Jugendstrafvollzug schönreden wollte, versucht sie jetzt, der unabhängigen Gerichtsbarkeit die Verantwortung umzuhängen.“Im Justizministerium arbeitet man an einem Bericht über den genauen Hergang und die Zusammenhänge.
Dabei war der Fall dieses 14Jährigen nicht der erste dieser Art. Erst Anfang Mai stand in Salzburg ein 14-jähriger Pongauer wegen rund 25 Straftaten vor Gericht. Auch er unterdurchschnittlich intelligent. Er wurde enthaftet und auf richterliche Weisung in eine spezielle JugendhilfeEinrichtung in Bayern gebracht.
In Wien war dies offenbar nicht möglich. Experten räumen ein, dass es schlicht an Alternativen zur Haft fehle. Und wohl auch am Informationsfluss. Denn mehrere unabhängige Stellen haben die geistige Beeinträchtigung des Buben gesehen. DasWissen drang trotzdem nicht – noch vor Verhängung der U-Haft – an die zuständigen Stellen. Die Justizministerin will deswegen eine „Taskforce Jugend-U-Haft“einrichten. Vertreter aus Kriminalpolizei, Richter, Staatsanwälte, der Jugendgerichtshilfe und dem Bewährungshilfeverein „Neustart“sollen beteiligt sein. Am Ende soll ein Konzept stehen, wie enger zusammengearbeitet werden kann.
Doch noch mehr verbindet die Fälle im Pongau und in Wien. Die schwierigen familiären Verhältnisse der Buben. Bereits vor seiner Haft war der Wiener in einer Wohngruppe der MA 11 unterge- bracht. Bei der Untersuchung der Jugendgerichtshilfe, die schließlich seine verzögerte Reife belegen sollte, war auch seine leibliche Mutter anwesend. „Die Mutter konnte kaum den Lebenslauf ihres Buben wiedergeben“, sagt eine Mitarbeiterin.
Für die Justizwachebeamten sind diese Umstände Alltag. „Zu uns kommen 16-Jährige, denen eine richtige Körperhygiene von Grund auf beigebracht werden muss“, sagt Traktleiter Rudi Svoboda. Und immer öfter auch Jugendliche, die Psychopharmaka benötigen, die psychisch auffällig sind. Der Erlass von Justizministerin Karl, dass in Jugendabteilungen nur mehr zwei Insassen in eine Zelle dürfen, erscheint da, wie ein Tropfen auf den heißen Stein. Siehe auch Seite 26.