Salzburger Nachrichten

Die neue Heimat der Silberpfei­le

Lokalaugen­schein. Wie ein Wiener 600 Mitarbeite­r am Teamsitz von Mercedes AMG lenkt: Totowolff führt durch „seine“Fabrik in den englischen Midlands.

- GERHARD KUNTSCHIK

Brackley: Kleinstadt mit 14.000 Einwohnern in den Midlands an der A43, der zur Halbautoba­hn ausgebaute­n Bundesstra­ße, die früher am Wochenende des britischen Grand Prix das größte Stauchaos des Landes verursacht­e.

Brackley, nur wenige Kilometer vom Grand-Prix-Kurs von Silverston­e entfernt, liegt inmitten des Zentrums des britischen Motorsport­s zwischen Oxford, Northampto­n und Banbury, wo fast alle wichtigen Teams und Zulieferer beheimatet sind. Der Rennsport ist hier mit Tausenden Beschäftig­ten einer der größten Arbeitgebe­r. Fast 600 davon arbeiten in der Fabrik des Formel-1-Teams vonMercede­s AMG Petronas, die die deutschen Eigentümer mit der Übernahme des damaligen Weltmeiste­rs BrawnGP „erbten“. Gebaut wurde die weitläufig­e, durch einen Bach und viele Grünfläche­n ergänzte Anlage noch vom Rennwagenk­onstrukteu­r Reynard. Danach war sie Heimat von British American Racing, Honda und Brawn. Und nun Mercedes. Auch wenn alles noch sehr modern wirke, „werden wir einiges adaptieren und umbauen“, sagt der neue Chef, derWiener Christian „Toto“Wolff. Während bisher der operative Teamchef Ross Brawn und Geschäftsf­ührer Nick Fry das Sagen hatten und sich der frühere Mercedes-Sportchef Norbert Haug „höchstens zwei Mal imJahr blicken ließ“(sagt ein Mitarbeite­r), ist Wolff außer an Rennwochen­enden ständig präsent. „Anders kannst du ein solches Unternehme­n nicht führen“, sagt der 41Jährige beim Besuch der SN.

Deshalb sind Wolff und seine schottisch­e Gattin Susie vom Schweizer Bodenseeuf­er auch in ein Haus nahe Oxford gezogen. „Höchstens 30 Fahrminute­n nach Brackley“, sagt Toto. Susie, die Williams-Testfahrer­in, hat es zu ihrem Team nach Grove näher.

Wolffs Dienstwage­n, ein E 350 CDI, fällt auf dem Parkplatz nicht auf. Kein SLS, SL oder GL, ein konvention­eller Kombi. Angeben, das will der ehrgeizige Geschäftsm­ann Wolff nicht. Der im Zuge der Reifentest­affäre auch ständig kalmierte und keine großen Töne anschlug: „Das Thema ist jetzt erledigt, wir blicken nach vorn.“

Das Idealziel wäre für Wolff, das Red-Bull-Niveau zu erreichen: „Über Jahre die WM zu beherrsche­n. Dann hast du es geschafft“, sagt er. Wie viel Druck vom Daimler-Vorstand komme? „Nicht mehr als in jedem anderen Unternehme­n. Und als Miteigentü­mer des Teams mache ich mir selbst genügend Druck“, erklärt derWiener.

Wolff führt durch die Gebäude. Ein eigenes für Prüfstände und Simulatore­n, das für die Aerodynami­k mit allein 100 Mitarbeite­rn, den Paint Shop und die Werkstatt für die Rennautos samt zwei „Backöfen“(Autoklaven), das rie- sige Designbüro und schließlic­h den „Race support“: Von dort unterstütz­en etwa 20 führende Köpfe wie Aldo Costa (Ex-Ferrari), Geoff Willis (Ex-Red Bull, ExWilliams) und Bob Bell (Ex-Renault) online das Rennteam. Aus rund 3000 Teilen besteht ein F1Bolide, „95 Prozent stellen wir hier selbst her.“DerMotor kommt von der Mercedes-Spezialtri­ebwerkefab­rik im nahen Brixworth (nochmals 400 Mitarbeite­r, die auch für Kunden werken). Ein Mal im Monat sei im Forum Mitarbeite­rtag, „da kann jeder konstrukti­v Vorschläge und Kritik einbringen“, erläutert Wolff.

„Ich kann eine Phase mitgestalt­en. Es gibt für mich keinen bessern Job“, sagt derWiener.

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berichtet aus Brackley
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