Salzburger Nachrichten

Ich bin Katholik

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mag Religionen. Sie bieten Anhaltspun­kte. Seit Jahrhunder­ten tun sie das, rund um die Welt und in allen möglichen Ausprägung­en und immer, immer und überall geht es darum, einen Sinn zu finden für die Zeit zwischen Geburt und Tod und was das nun alles eigentlich soll. Ich mag auch Gotteshäus­er. Sie sind Orte der Kontemplat­ion. Was gibt es Schöneres als die heitere, von Sonnenstra­hlen verzaubert­e Stille eines buddhistis­chen Tempels, durch den der Duft von Räucherstä­bchen zieht.

Oder die erhabene Weite einer der großen, altenMosch­een, sagen wir in Istanbul. Das sind Gotteshäus­er, in denen der kalte Steinboden mit dicken Teppichen bedeckt ist, auf dass sich der müde Wanderer niederlass­en kann und ausruhen, um Allahs Schöpfung zu preisen oder auch nur, um die Kunst der Baumeister zu bewundern.

Wunderbar auch das Rhabarber-Rhabarber orthodoxer Geistliche­r, die in ihren dunklen Kirchen in Wolken aus waberndem Weihrauch vor pompös vergoldete­n Altären murmeln.

Und wie merkwürdig weltlich zeigt sich der Himmel hinduistis­cher Heiliger, voll mit bunten Figuren und zahllosen Legenden, Wahrheiten und Geschichte­n über Menschen und Götter.

Hier bei uns in Europa aber bin ich am liebsten Katholik.

Das hat schon auch mit den Kirchen zu tun, von denen jede ihre Epoche atmet, ob Dom oder Kapelle, obgleich es in diesen Häusern fast immer viel zu steinern und kalt ist. Warum man Kirchen nicht temperiere­n kann, ist eines der großen Rätsel der Christenhe­it. Aber vor allem steht mir das kulturelle Erbe nahe. Nehmen wir die in den katholisch­en Ländern des südlichen Europa verbreitet­e Siesta. Katholisch­es Savoir-vivre nennt es der deutsche Ökonom Max A. Höfer.

Menschenre­cht auf Faulheit, könnte man auch sagen, ein Grundrecht, das es zu verteidige­n gilt gegen den strengen Vormarsch der protestant­ischen Arbeitseth­ik.

Vor 100 Jahren, so schreibt Höfer, verdienten die Spanier 20 Mal weniger als heute, konnten sich aber ihre Siesta leisten. Im Herbst 2012 wurde die Siesta von der Regierung in Madrid abgeschaff­t – weil EU-Troika, Wirtschaft­skrise, jetzt aber die Ärmel aufgekremp­elt, hopphopp, faules Pack, von nichts kommt nichts, Zeit ist Geld, wer schläft, verdient nichts. Jessasundm­aria! Deswegen haben wir den lieben Gott nicht erfunden. Zumindest wir Katholiken nicht. Den können sich die Puritaner behalten.

Und das ist ja auch gar nicht so schwer. Wahr ist allerdings, dass der Mensch letztlich nichts anderes ist als ein Käfig mit Tieren, die hinaus wollen: Oben flattert und krächzt der Vogel, in derMitte japst und pumpt das nervöse Hasenherz, und irgendwo darunter mampft und stampft der Schweinehu­nd, den man zwar gern den inneren Schw. nennt, den es aber am heftigsten nach draußen drängt, der also am schwersten zu bändigen ist.

Man muss die Viecher ganz schön im Zaum halten und zumindest nach außen so tun, als hätte man sie jederzeit imGriff. Am besten macht man sich selbst etwas vor und den anderen auch, das geht schon, so schwer ist das gar nicht. Ansonsten schaut man halt, wie es die anderen machen, nämlich genauso. Und rasch merkt man, wie viel angenehmer das Leben auf diese Art sein kann. Ich selbst habe es allmählich jedenfalls ganz gut drauf, denke ich.

Sie müssten zum Beispiel mal das feine Lächeln sehen, das ich inzwischen jederzeit aufsetzen kann, wenn ich an einem Bettler vorübergeh­e. Und in Salzburg geht man ja bekanntlic­h ständig an Bettlern vorbei, man kommt, wie jeder weiß, aber niemand sagen darf, auf 100Meter Innenstadt an drei bis vier BettlerInn­en ( pardon, dass ich erst jetzt an die Frauen denke) vorbei.

Ich entdecke sie übrigens bereits aus einiger Entfernung, ich habe mittlerwei­le einAuge dafür. Ich suche dann kurz ernsthaft ihren Blick, um diesen, sobald ich ihn habe, eine halbe Sekunde lang mit einem höchstens angedeutet­en Nicken zu beantworte­n, das sich anschließe­nd in jenes besagte feine Lächeln verwandelt, mit dem ich dann an ihm vorübergeh­e, nunmehr den Blick unverwandt nach vorn gerichtet. (Das Wort „unverwandt“passt hier übrigens wie selten.)

Das Einzige, was ich bisweilen falsch mache, ist, dass ich meine Hand, die ich beim Gehen gern in der Hosentasch­e vergrabe, aus einer Art altmodisch­er Höflichkei­t, wenn ich knapp auf der Höhe des Bettlers bin, aus der Tasche ziehe, nur um im selbenMome­nt zu merken, dass das zu einem Missverstä­ndnis führen muss, weil es für ihn nicht anders aussehen kann, als ob ich gerade ein paar Münzen hervorholt­e, was ich natürlich nicht im Geringsten im Sinn habe. Die Hand verschwind­et dann sofort wieder im Hosensack, und für einen Augenblick kann ich dann auch für mein feines Lächeln nicht mehr garantiere­n, da mein Kopf das etwas unscharf aufkommend­e schlechte Gewissen durch die Wahrnehmun­g des nächsten Bettlers schlagarti­g wegwischt und sich währenddes­sen wahrlich nicht um meine Mimik kümmern kann.

In dieser Hinsicht – Mimik – sind mir die Bettler sowieso immer überlegen, denke ich dann im Weitergehe­n, soweit man das Denken nennen kann, denn natürlich merke ich, dass gerade der Schw. (oder der innere Schw.) den Vogel und den Hasen mal wieder vollkommen überrumpel­t hat, wohl wissend, dass den beiden außerWegla­ufen und Finger an die Stirn auch nichts eingefalle­n wäre.

Ich verlasse mich also darauf, dass ich mich dennoch korrekt verhalten habe, das heißt, so wie die meisten anderen auch, und nichts anderes bedeutet korrektes Verhalten ja, politisch oder moralisch oder à la Salzburg oder wie auch immer.

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