Noten ab der dritten Klasse
Noten. Volksschulen können bald autonom entscheiden, ob sie in der ersten und zweiten Klasse auf Noten verzichten. Was das bringt? Eine Mutter und eine Lehrerin berichten.
WIEN (SN). Ein Schulversuch, der ins Regelschulwesen übergeht: Ab Herbst können Volksschulen laut Unterrichtsressort autonom darüber entscheiden, ob sie an ihrer Schule in der ersten und zweiten Klasse auf Noten verzichten. Was das bringt? Die SN fragten nach.
WIEN (SN). Der Große: Einer, der immer ein bisschen angeschubst werden muss, damit etwas weitergeht. Der Kleine: Einer, der sich mühelos im Schulsystem zurechtfindet und seit dem ersten Tag alles mit großer Sorgfalt erledigt. Ob der Große vielleicht trotzdem alles Einser im Zeugnis gehabt hätte? Oder doch nur der Kleine? Elfriede H. weiß es nicht. Denn ihre Buben wurden – der Kleine wird es immer noch – alternativ beurteilt. Im Halbjahr und zum Schulschluss gibt es also keine Noten, sondern eine verbale Beurteilung durch die Lehrerin.
„Ich finde das gut“, sagt H., „denn es nimmt nicht nur ein bisschen Leistungsdruck heraus, es sagt im Grunde auch wesentlich mehr über die Stärken und Schwächen eines Kindes aus als Noten.“Etwa, ob es selbstständig arbeiten kann, kreativ ist, sich in der Klasse durchsetzt. Alternativ beurteilt wird freilich nur in der ersten und zweiten Klasse. Ab der dritten Klasse ist dann alles wieder beim Alten: Noten von eins bis fünf.
Was bisher unter dem Titel Schulversuch lief, soll bis zum Sommer ins Regelschulwesen übergehen. Eine entsprechende Gesetzesänderung hat Unterrichtsministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) am Dienstag angekündigt. Ab Herbst wird es also reichen, wenn das aus Eltern und Lehrern bestehende Klassenbzw. Schulforum dafür stimmt, die Ziffernbeurteilung durch verbale Beschreibungen, verbindliche Elternaussprachen, Leistungsvorlagen oder Lernzielkataloge zu ersetzen. Der Großteil der heimischen Volksschulen hat bereits Erfahrung mit der alternativen Beurteilung: Seit dem Jahr 2000 haben rund 2800 Schulversuche dazu an den rund 3100 Volksschulstandorten Österreichs stattgefunden.
Ines Haselsberger, Volksschullehrerin in Mils bei Hall in Tirol, war skeptisch, als sie mit der alternativen Beurteilung vor neun Jahren an ihrer Schule begonnen hat. „Jetzt bin ich eine absolute Verfechterin.“Warum? „Weil grad Kinder, die sich am Anfang mit dem Einstieg in die Schule schwerer tun, davon profitieren und noch ein bisschen Zeit haben“, sagt sie. Als Lehrerin könne sie auch wesentlich besser auf die einzelnen Kinder und ihre Bedürfnisse eingehen. Und alle hät- ten weniger Stress: die Kinder, die Lehrer und die Eltern. Zudem sei die Rückmeldung an Eltern und Kind wesentlich differenzierter: Statt eine Note in jedem Fach zu vergeben, werden bei der alternativen Beurteilung in jedem Fach gleich mehrere Kriterien beurteilt: Kann das Kind sich verständlich ausdrücken? Zusammenhängend erzählen? Bewusst zuhören? Seinen Wortschatz anwenden? Die Grundrechnungsarten? Textaufgaben in Rechnen lösen? Hinzu kommen Beurteilungen zum Verhalten des Kindes: Zeigt es Arbeitseifer? Kann es sich konzentrieren? Seine Schulsachen in Ordnung halten? Sich an Klassenregeln halten? Ist das Kind hilfsbereit und tolerant? Hält es guten und freundlichen Kontakt zu seinen Mitschülern? 70 Kriterien und mehr werden bewertet. Dinge, für die in normalen Zeugnissen kein Platz ist. „Die Eltern waren am Anfang meist ganz überrascht, wie intensiv wir uns mit den Kindern auseinandersetzen“, sagt Haselsberger.
Schlechte Auswirkungen auf die Leistung der Kinder hat die verbale Beurteilung ihrer Erfahrung nach keine. Das haben auch Bildungsstudien vielfach belegt.
Und das bestätigt auch Elfriede H.: „Ein Volksschulkind wird ja nicht schlechter oder besser in der Schule, nur weil es eine Note im Zeugnis stehen hat.“Als Elternteil wisse man auch ohne Noten, wo das eigene Kind stehe – und ob es ein bisschen angeschubst werden muss oder eben nicht.