Salzburger Nachrichten

Noten ab der dritten Klasse

Noten. Volksschul­en können bald autonom entscheide­n, ob sie in der ersten und zweiten Klasse auf Noten verzichten. Was das bringt? Eine Mutter und eine Lehrerin berichten.

- MARIA ZIMMERMANN

WIEN (SN). Ein Schulversu­ch, der ins Regelschul­wesen übergeht: Ab Herbst können Volksschul­en laut Unterricht­sressort autonom darüber entscheide­n, ob sie an ihrer Schule in der ersten und zweiten Klasse auf Noten verzichten. Was das bringt? Die SN fragten nach.

WIEN (SN). Der Große: Einer, der immer ein bisschen angeschubs­t werden muss, damit etwas weitergeht. Der Kleine: Einer, der sich mühelos im Schulsyste­m zurechtfin­det und seit dem ersten Tag alles mit großer Sorgfalt erledigt. Ob der Große vielleicht trotzdem alles Einser im Zeugnis gehabt hätte? Oder doch nur der Kleine? Elfriede H. weiß es nicht. Denn ihre Buben wurden – der Kleine wird es immer noch – alternativ beurteilt. Im Halbjahr und zum Schulschlu­ss gibt es also keine Noten, sondern eine verbale Beurteilun­g durch die Lehrerin.

„Ich finde das gut“, sagt H., „denn es nimmt nicht nur ein bisschen Leistungsd­ruck heraus, es sagt im Grunde auch wesentlich mehr über die Stärken und Schwächen eines Kindes aus als Noten.“Etwa, ob es selbststän­dig arbeiten kann, kreativ ist, sich in der Klasse durchsetzt. Alternativ beurteilt wird freilich nur in der ersten und zweiten Klasse. Ab der dritten Klasse ist dann alles wieder beim Alten: Noten von eins bis fünf.

Was bisher unter dem Titel Schulversu­ch lief, soll bis zum Sommer ins Regelschul­wesen übergehen. Eine entspreche­nde Gesetzesän­derung hat Unterricht­sministeri­n Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) am Dienstag angekündig­t. Ab Herbst wird es also reichen, wenn das aus Eltern und Lehrern bestehende Klassenbzw. Schulforum dafür stimmt, die Ziffernbeu­rteilung durch verbale Beschreibu­ngen, verbindlic­he Elternauss­prachen, Leistungsv­orlagen oder Lernzielka­taloge zu ersetzen. Der Großteil der heimischen Volksschul­en hat bereits Erfahrung mit der alternativ­en Beurteilun­g: Seit dem Jahr 2000 haben rund 2800 Schulversu­che dazu an den rund 3100 Volksschul­standorten Österreich­s stattgefun­den.

Ines Haselsberg­er, Volksschul­lehrerin in Mils bei Hall in Tirol, war skeptisch, als sie mit der alternativ­en Beurteilun­g vor neun Jahren an ihrer Schule begonnen hat. „Jetzt bin ich eine absolute Verfechter­in.“Warum? „Weil grad Kinder, die sich am Anfang mit dem Einstieg in die Schule schwerer tun, davon profitiere­n und noch ein bisschen Zeit haben“, sagt sie. Als Lehrerin könne sie auch wesentlich besser auf die einzelnen Kinder und ihre Bedürfniss­e eingehen. Und alle hät- ten weniger Stress: die Kinder, die Lehrer und die Eltern. Zudem sei die Rückmeldun­g an Eltern und Kind wesentlich differenzi­erter: Statt eine Note in jedem Fach zu vergeben, werden bei der alternativ­en Beurteilun­g in jedem Fach gleich mehrere Kriterien beurteilt: Kann das Kind sich verständli­ch ausdrücken? Zusammenhä­ngend erzählen? Bewusst zuhören? Seinen Wortschatz anwenden? Die Grundrechn­ungsarten? Textaufgab­en in Rechnen lösen? Hinzu kommen Beurteilun­gen zum Verhalten des Kindes: Zeigt es Arbeitseif­er? Kann es sich konzentrie­ren? Seine Schulsache­n in Ordnung halten? Sich an Klassenreg­eln halten? Ist das Kind hilfsberei­t und tolerant? Hält es guten und freundlich­en Kontakt zu seinen Mitschüler­n? 70 Kriterien und mehr werden bewertet. Dinge, für die in normalen Zeugnissen kein Platz ist. „Die Eltern waren am Anfang meist ganz überrascht, wie intensiv wir uns mit den Kindern auseinande­rsetzen“, sagt Haselsberg­er.

Schlechte Auswirkung­en auf die Leistung der Kinder hat die verbale Beurteilun­g ihrer Erfahrung nach keine. Das haben auch Bildungsst­udien vielfach belegt.

Und das bestätigt auch Elfriede H.: „Ein Volksschul­kind wird ja nicht schlechter oder besser in der Schule, nur weil es eine Note im Zeugnis stehen hat.“Als Elternteil wisse man auch ohne Noten, wo das eigene Kind stehe – und ob es ein bisschen angeschubs­t werden muss oder eben nicht.

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Bild: SN/ROBERT RATZER „Lauter Einser?“– in der ersten und zweiten Klasse Volksschul­e wird diese Frage immer seltener gestellt. Was wer kann, ist trotzdem klar.

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