Salzburger Nachrichten

Putin folgt den Spielregel­n des Kalten Kriegs

Moskau traut den neuen Mächtigen in der Ukraine nicht. Deshalb sucht es offensicht­lich nach einem neuen politische­n Alliierten im Nachbarlan­d.

- Susanne Scholl hat von 1991 bis 2009 für den ORF aus Moskau berichtet und lebt jetzt als freie Journalist­in und Schriftste­llerin in Wien. www.salzburg.com/scholl

Er hat zwei Mal versagt. Viktor Janukowits­ch hätte ja schon seinerzeit während der „orangen Revolution“2004 nachMoskau­s Vorstellun­gen die Führung in der Ukraine übernehmen sollen. Damals gelang ihm das nicht – erst später, als sich die „orangen Revolution­äre“gründlich zerstritte­n hatten, schaffte er den Sprung ins Präsidente­namt.

Die jetzige Situation in der Ukraine erinnert denn auch stark an das Jahr 2004 – das Jahr der ersten Niederlage Janukowits­chs. Wladimir Putin war wütend und setzte wirtschaft­lichen Druck gegen die „Orangenen“ein. Genutzt hat das aber wohl weniger als die Enttäuschu­ng derMensche­n über den Streit zwischen den Anführern des Protests und die Tatsache, dass von den vielen Verspreche­n tief greifender Re- formen kaum etwas in Angriff genommen wurde. Frustriert darüber, dass ihr Kampf so wenig tatsächlic­he Ergebnisse brachte, wandten sich viele neuerlich Janukowits­ch zu und ermöglicht­en ihm so denWahlsie­g. Und Russland zeigte sich großzügig.

Als Janukowits­ch 2013 allzu offensicht­lich und heftig mit der EU zu flirten begann, versprachM­oskau mehr als großzügige Finanzhilf­e – und Janukowits­ch ließ das Kokettiere­n mit Brüssel sein. Er versuchte den daraufhin neuerlich beginnende­n Protest niederzusc­hlagen – im Unterschie­d zu 2004 jetzt mit offener brutaler Gewalt. Vermutlich dazu aufgeforde­rt vonMoskau. Genützt hat das nichts, aberMoskau lässt sich seinen Mann nicht so ohneWeiter­es wegputsche­n – und droht jetzt mit massiven Wirtschaft­ssanktione­n, die die ohnehin marode Ukraine endgültig in den Ruin treiben könnten. Was nicht im Interesse Russlands wäre – aberMoskau braucht etwas Zeit, um einen neuen Verbündete­n in der Ukraine zu finden und gegen die auch heute wieder sehr heterogene­n und wohl bald auch zerstritte­nen „Revolution­äre europäisch­er Ausrichtun­g“aufzubauen.

Und da man mit Janukowits­ch einen hatte, den man nach Belieben manipulier­en konnte, scheint die russische Führung derMeinung zu sein, dass sie dessen Feinde nicht sogleich und ganz ohne Gegenwehr akzeptiere­n sollte. Man droht also mit einer Anhebung des Gaspreises und hat die noch vor wenigenWoc­hen Janukowits­ch versproche­ne Finanzhilf­e eingefrore­n.

Die Neuen in Kiew sollen spüren, was es heißt, die Beziehunge­n zu Russland auf die Probe zu stellen, indem manMoskaus Mann in Kiew so einfach davonjagt. Dass an Janukowits­chs Händen Blut klebt, spielt da keine Rolle – entscheide­nd sind die Spielregel­n, nach denen Wladimir Putin spielt. Die Spielregel­n des Kalten Kriegs, wonach die Nachbarn Russlands sich nicht einfach ausMoskaus Einflusssp­häre verabschie­den können. Eines muss inzwischen aller Welt klar sein: OhneMoskau wird es mehr als schwierig sein, eine vernünftig­e, stabile Lösung für den Problemfal­l Ukraine zu finden.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria