„Sohn, du wirst abgehört“
Politischer Wirbel. Der türkische Ministerpräsident Erdogan ist bereits angeschlagen, nun bringen ihn angebliche Telefonmitschnitte über eine Verstrickung in Korruption in neue Bedrängnis.
Das ist nichts als ein dreckiges Komplott. Recep Tayyip Erdogan, Premier
ISTANBUL (SN, dpa). Die Echtheit der Telefonmitschnitte ist ungewiss, nach den Worten des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan handelt es sich um Fälschungen. Dennoch sorgen die mehr als zehnminütigen Aufnahmen von fünf Telefonaten, die am Montagabend im Internet veröffentlicht wurden, für gewaltige Unruhe in Ankara.
Die Opposition fordert Erdogans Rücktritt. Angeblich soll auf den Bändern zu hören sein, wie der Regierungschef seinen Sohn Bilal anweist, gewaltige Geldbestände aus dem Haus zu schaffen – und zwar am Tag von Großrazzien, bei denen am 17. Dezember Söhne von drei Ministern unter Korruptionsverdacht festgenommen wurden.
Auch regierungskritische Medien wollten sich nicht darauf festlegen, ob es sich tatsächlich um Erdogans Stimme handelt. Der Popularität des YouTube-Clips tat das keinen Abbruch – bis Dienstagnachmittag wurde er rund zwei Millionen Mal angeklickt.
Internetnutzer hörten darauf eine ältere Stimme, die angeblich Premier Erdogan gehören soll, und sie sagt: „Bringe alles weg, was in deinem Haus ist.“Der jüngere Gesprächspartner – angeblich Bilal Erdogan – sagt in einem späteren Telefonat am selben Tag, 30 Millionen Euro hätten noch nicht „aufgelöst“werden können. „Soll etwas Geld bei dir verbleiben?“
In einem fünften und letzten Telefonat warnt die ältere Stimme: „Sohn, du wirst abgehört.“
Seit Wochen tauchen im Internet angebliche Mitschnitte von Telefonaten Erdogans auf. Unter anderem soll er Druck auf einen Manager einer Mediengruppe ausgeübt und die Berichterstattung im TV-Sender Habertürk beeinflusst haben. Zumindest ein solches Telefonat – bei dem der Manager aufgefordert wird, Aussagen eines Oppositionspolitikers aus dem Laufband des Senders zu nehmen – gestand Erdogan überraschend selbst ein. Er sagte allerdings zu seiner Rechtfertigung, bei den Oppositionsaussagen habe es sich um „Beleidigungen“gehandelt.
Kurz vor den jüngsten Telefonmitschnitten hatten am Montag Berichte in regierungstreuen Zeitungen für Aufsehen gesorgt, wonach Erdogan, zahlreiche seiner Vertrauten und selbst der Chef des Geheimdienstes MIT, Hakan Fidan, jahrelang abgehört worden sein sollen. Unter dem Vorwand angeblicher Terrorermittlungen seien Tausende Anschlüsse angezapft worden, schreiben die Zeitungen „Star“und „Yeni Safak“– was der laut den Berichten zuständige Staatsanwalt umgehend bestritt.
Ministerpräsident Erdogan sieht sich selbst als Verschwörungsopfer eines „parallelen Staates“, hinter dem seiner Ansicht nach der in den USA lebende Prediger Fethullah Gülen steckt. Dessen Anhänger, so Erdogans Lesart, haben Justiz und Polizei unterwandert – und wollen mit allen Mitteln die Regierung stürzen.
Die Proteste rund um Baupläne in Istanbuls Gezi-Park im Sommer 2013 sieht er dabei ebenso als Teil der Verschwörung wie die Korruptionsermittlungen, die im vorigen Dezember zu den Festnahmen führten und in deren Zusammenhang auch Bilal Erdogans Name fiel.
Auch die jüngsten Telefonmitschnitte nannte der Regierungschef folgerichtig ein „dreckiges Komplott“.
Während der Druck auf die Regierung wächst, verschlechtert sich die wirtschaftliche Lage in der Türkei – ausgerechnet vor den Kommunalwahlen am 30. März, die als Stimmungstest für Erdogans islamisch-konservative Partei AKP gesehen werden.