Der Sonne entgegen strahlen
Wohlklang. In das erste Blinzeln der Sonne reckt sich Beck in eine frischeWelt und komponiert ein Meisterwerk.
SALZBURG (SN). Das erste Blinzeln der Sonne garantiert das Große nicht. Wie aufregende Harmonien am Liedanfang, ist dieses Blinzeln bloß ein Versprechen – auf Wohlklang und Heilung, wenn’s ganz gut geht. Und – etwas kleinmütiger gehofft – wenigstens eine Chance, dass die täglichen Verletzungen weniger werden und der Schmerz der alten nachlässt. In so einem Blinzeln wacht der Songschreiber und Sänger Beck auf.
Lang dämmerte er. Jedenfalls war länger wenig zu hören von ihm, der vor 20 Jahren dieser Typ war, der keinen Ausweg sah, und also keine andere Wahl hat, als einfach durch Zeiten und Stile zu stolpern. „I’m loser baby, so why don’t you kill me“, sang er in das Jahr hinein, in dem sich ein anderer Auswegloser der Generation X, Kurt Cobain, erschoss.
Beck, mit Nachnamen Hanson, jetzt 43 Jahre alt, mischt Pop und Folk, uferlosen Hip-Hop und klassisches Songwriting verschmilzt er – und er lässt all das antreten gegen allerlei Hintergrund- und Störgeräusche. Als postmoderner Haudegen geriet ihm die wilde Mischung zu großer Kunst. Und dann gelang nichts mehr, konnte er nicht mehr weiter.
Nun geht es wieder. Sein neues Album „Morning Phase“– es erscheint am Freitag – blinzelt in eine aufgeregte Welt: als Versprechen, keinesfalls als Garantie. Deshalb umfließt einen in diesen 13 Songs auch keine ungehemmte Wärme. Die Emotionalität drängelt nicht nach vorn. Sie sucht sich ihren Weg aus steifen, erkalteten Gliedern. Ein bisschen so, als öffne man nach einer sternenklaren Nacht den Reißverschluss am Zelt, das in den Ginsterbüschen an einer felsigen Küste steht. Ein wenig Tau perlt. In diesen Tropfen spiegelt sich, wie in Becks neuen Songs, schon die Vielfalt des Tages. Da ist sie aber noch nicht. Sie ist vor allem eine Hoffnung.
„Morning Phase“ist zweifelsohne ein Comeback. Das letzte hörbare, eigene Album Becks liegt sechs Jahre zurück. Seither arbeitete er mit anderen, schrieb ihnen große Lieder, produzierte mit ihnen feine Alben. Allein für sich selbst brachte er nichts zusammen – auch wegen eines Rückenleidens, das ihn hinderte, Gitarre zu spielen. Höhepunkt der Klanglosigkeit war 2012 ein „Album“mit dem Titel „Song Reader“. Es war eine Sammelbox mit Notenblättern von neuen Liedern. Die Stille und die lange Zeit und das Suchen tragen nun aber Früchte.
Den abgefuckten Loser-Typ und den hemmungslosen Stilmixer lässt Beck in der endenden Nacht zurück. Er entdeckt die Gelassenheit. Langsam geht er’s an. Auf Groove verzichtet er. Für Schwung taugt die „Morning Phase“, dieser Moment, wenn die Sonne über den Horizont spechtelt, nicht. Es ist die richtige Stunde, um in Zeilen – etwa in solchen: „I’m so tired of being alone“– zu kriechen, als schlüpfe man im Zelt noch schnell einmal in den Schlafsack. Die Nacht also soll in einem sanften, vielversprechenden Morgen zu Ende gehen. So erheben sich im kurzen Instrumental „Cycle“zu Beginn des Albums Streicher, legen eine samtene Atmosphäre. Da wird auch klar, worauf sich Beck innerhalb seines eigenenWerks bezieht, wo er Anleihen nimmt. „Sea Change“, Becks viel gelobtes Album von 2002, war die Vorlage. Damals verarbeitete er das Scheitern der Beziehung zu Schauspielerin Winona Ryder. Da legte er Streicher satt auf den Schmerz und doch blieb in jeder Phrase alles bitter.
Diese Bitterkeit ist verschwunden. Streicher dürfen sich hymnisch, ja bombastisch erheben – etwa im Song „Wave“, der das Gravitationszentrum ist. Für „Country Down“greift Beck zu sehnsüchtigen, bestens ausgetesteten Country- und Western-Anleihen, jazz-folkt bei „Heart Is a Drum“und nimmt auch Pianoakkorde zu Hilfe. Verhandelt werden ähnliche Thema wie auf „Sea Change“: Verlassensein, Einsamkeit, Nachdenklichkeit im Zeichen derMelancholie. Doch es fällt auf, dass Beck sich nicht mehr als Verwunderter und Verletzter gibt. Er weiß mit Schmerz und Verlust umzugehen. Weise formuliert er und eindringlich. Mit jedem Song, dramatisch raffiniert gereiht, breitet sich Wohlklang aus. Der sollte aber keinesfalls mit Bequemlichkeit verwechselt werden! Beck hat es sich nicht gemütlich gemacht. Er hat bloß Ort, Zeit und große Songs gefunden, einer zerfurchten, unübersichtlichen Welt, die rattert, klingelt und rast, etwas entgegenzuhalten, das einen Schimmer von Hoffnung besitzt: ein blinzelndes Versprechen, bevor die Sonne arg brennt.