Salzburger Nachrichten

„Wir kopieren unsere Eltern“

Erziehung. Streit mit dem Ehemann, Krach mit der Freundin: Der Grund für solche Konflikte ist oft in der Kindheit zu suchen.

- THOMAS HÖDLMOSER

SALZBURG (SN). Die Wiener Paartherap­euten Sabine und Roland Bösel haben ihre Erfahrunge­n aus Generation­en-Workshops und die Erlebnisse aus ihrer eigenen Beziehung in einem Buch verarbeite­t: „Warum haben Eltern keinen Beipackzet­tel?“(Verlag Kremayr & Scheriau/Orac). Im SN-Gespräch erklären sie, wie Eltern das Verhalten der Kinder im Alltag und in Beziehunge­n prägen, wie man „Affären“meistert und warum die Jugend rebelliere­n soll. SN: Ihre zentrale These lautet: Unser Elternhaus hinterläss­t Spuren und prägt unser Verhalten im Alltag und in Beziehunge­n. Inwiefern? Roland Bösel: Das erste Paar, das wir beobachten, sind unsere eigenen Eltern. Oft kopieren wir deren Verhalten – auch wenn wir sagen: Wir werden nie werden wie Vater oderMutter.

SN: Warum machen wir das? Roland Bösel: Es gibt einen biologisch­en Grund: die Spiegelneu­ronen. Wenn Sie sich am Kopf kratzen und ein Kind beobachtet das, wird das Kind im Gehirn eine Repräsenta­nz anlegen und eher in diese Bewegung kommen als Kinder, die das nicht gesehen haben.

Der emotionale Grund ist: Wir bleiben immer Sohn oder Tochter. Der kleine Roland in mir lebt weiter und will noch immer einen Bezug zum Vater herstellen. Ich bin zu meiner Frau Sabine genau so wie mein Vater zu Mutter. Weil Vater mein Vorbild ist und ich ihm zeigen will: „Schau, Papa, ich bin so wie du. Sag mir, dass du mich lieb hast.“ SN: Sie versuchen, Beziehungs­probleme zu lösen, indem Sie die Spuren Ihrer Klienten bis ins Elternhaus zurückverf­olgen. Was macht Sie bei dieser Methode so sicher? Roland Bösel: Weil wir das in unserer Praxis seit über 20 Jahren machen und wir selbst seit 37 Jah- ren Beziehungs­training machen. Beziehung ist permanente­s Lernen. Wenn man stehen bleibt und nicht bereit ist, weiter zu lernen, wird es problemati­sch. Meine Frau und ich haben uns mit 17 kennengele­rnt und viele Höhen und Tiefen erlebt, auch mit Affären. Gott sei Dank liegt das alles zurück. Die bedingungs­lose Liebe unter zwei Erwachsene­n gibt es ja nicht. Die bedingungs­lose Liebe gibt es nur zum eigenen Kind. SN: Ewige Liebe gibt es nicht? Oper und Literatur lehren uns seit Jahrhunder­ten das Gegenteil. Roland Bösel: Ich glaube das nicht. Die Oper, der Roman enden oft dort, wo die zwei zueinander­finden. Dort fängt im Leben die Auseinande­rsetzung aber erst richtig an. SN: Kann nicht der Grund für Beziehungs­krisen sein, dass man irgendwann zur Erkenntnis kommt, dass man den falschen Partner hat? Sabine Bösel: Ich würde mir wieder einen aussuchen, der dazu neigt, ein Workaholic zu sein. Ich verliebe mich immer in die gleichen Typen, weil ich gewisse Sachen in mir herumtrage, weil wir in meiner Familie Leistungsd­ruck hatten, weil wir über Leistung definiert wurden. SN: Soll man also, wenn es kriselt, einfach die Rolle der Eltern analysiere­n und alles ist wieder paletti? Roland Bösel: Wenn es kriselt, ist es wichtig, ehrlich hinzuschau­en. Wir nennen das den Theaterbli­ck, wie von außen, im Publikum sit- SN: Frau Bösel, Sie schreiben, Sie hätten immer das Gefühl gehabt, Ihre Mutter glücklich machen zu müssen, weil sie sonst vielleicht ausgezogen wäre aus dem Elternhaus. Inwiefern wirkt das nach? Sabine Bösel: Ich beobachte meinen Mann: Geht es ihm eh gut? Das nervt natürlich, mich und auch ihn, wenn ich ihn dauernd frage. Ich reagiere sofort, wenn er schief dreinschau­t, und glaube, ich muss sofort aktiv werden.

SN: Und Sie kennen den Grund. Sabine Bösel: Ja. Wenn es mir bewusst ist, ist es ja fein. Aber im Alltag, wenn man im Stress ist, passiert das trotzdem wahnsinnig schnell. Manchmal, wenn ich ganz zerknirsch­t bin, beschäftig­e ich mich tagelang mit meinen Schuldgefü­hlen. SN: Sie sagen, Beziehungs­konflikte würden mit Erlebnisse­n in der Kindheit zusammenhä­ngen und mit dem, was die Eltern vorgelebt haben. Ist es nicht ein bisschen einfach, den Eltern die Schuld für Beziehungs­probleme zu geben? Roland Bösel: Sie sagen es. Das Um und Auf einer Beziehung ist ja zend, auf die Bühne zu schauen, und sich zu fragen: Was tu ich selbst, dass es so schwierig ist? Das Problem ist selten der andere, auch ich bin es nicht. Es ist die Mischkulan­z, der Paartanz. SN: Sie haben also permanent Schuldgefü­hle? Sabine Bösel: Ja. die Bewussthei­t. Wenn ich weiß, dass ich meinen Vater kopiere, kann ich mein Verhalten ja neu ausrichten und sagen: Was hat das mit meiner Beziehung zu tun? SN: Was heißt das alles für Eltern von heute? Wie müssen sie sich ihren eigenen Kindern gegenüber verhalten? Roland Bösel: So gut wie möglich authentisc­h. Nicht dauernd die Angst haben, was man alles falsch macht. Sonst wird man ja wie ein Computer. Wenn ich weiß, aus meiner Familie kommt viel Depression, dann kann ich auch sagen: Diese Schwermut kenne ich sehr gut. Ich war zum Beispiel vor Kurzem schwermüti­g und hab meiner Tochter diesen Grant umgehängt. Da ist es dann wichtig, dass man dem Kind erklärt, wo das herkommt. Sabine Bösel: Die Kinder sollen jedenfalls nicht reingezoge­n werden, wenn ich einen Kampf mit meinem Mann habe. SN: Gibt es ein Rezept für die perfekten Eltern? Sabine Bösel: Die perfekten Eltern gibt’s halt nicht. Ich hätte mir gewünscht, dass Mutter mal gesagt hätte: „Du, ich hatte schlechte Laune. Du kannst nichts dafür.“Dann hätte ich heute wahrschein­lich weniger Schuldgefü­hle. Wichtig ist Ehrlichkei­t den Kindern gegenüber. SN: In Ihrem Buch schreiben Sie, das Rebelliere­n von Jugendlich­en sei ein „wesentlich­er Impuls für Wachstum“. Wie kommen Sie darauf? Roland Bösel: Meine Frau und ich zum Beispiel sind fleißige Arbeiter. Eine Reaktion des Kindes kann sein: Nein, ich finde den Müßiggang auch wichtig. Ich will in dieser Leistungsg­esellschaf­t nicht mittun. Diese Rebellion hat einen gesunden Aspekt, weil die Kinder oft den Fokus auf das legen, was in der Familie bisher unbeleucht­et blieb. Allerdings schütten die Jugendlich­en oft das Kind mit dem Bade aus und gehen ins Gegenteil. Da sind sie aber dann auch nicht frei, wenn sie sagen: „Geld ist pfui und ich darf keinen Erfolg haben.“Da schneide ich womöglich den Ast ab, auf dem ich sitze. SN: Welche Probleme können selbst Paartherap­euten wie Sie heute nicht lösen? Sabine Bösel: Manche unserer Klienten schaffen es, zusammenzu­bleiben, manche trennen sich. Ich finde, das mit dem Trennen ist oft eine Frage des Timings. Manchmal hält es der Partner nicht aus, so lange zu warten, bis der andere sein Verhalten ändert und es wieder passt.

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Bild: SN/VISION IMAGES - FOTOLIA Der Sohn sieht imVater das große Vorbild – und übernimmt oft auch dessen Verhaltens­weisen.
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Bild: SN/LIEWEHR Sabine und Roland Bösel.
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„Warum haben Eltern keinen Beipackzet­tel“ist im Verlag Kremayr & Scheriau/Orac erschienen.

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