Die „Verschweizerung“Europas
Im Jahr 2010 startete die Schweizerische Volkspartei (SVP) im Tessin eine rassistische Kampagne mit dem Slogan „Bala i Ratt“(Rattentanz). Mit T-Shirts in italienischen und europäischen Farben nagen grenzgängerische Ratten auf Plakaten am Schweizer Käse. 70 Prozent der Tessiner haben damals für dieses rabiate Gemisch aus Habgier und ethnischer Aggression gestimmt. Die aktuelle Volksabstimmung gegen „Masseneinwanderung“(worunter auch nachbarliche EU-Bürger gemeint sind!) hat also durchaus Tradition, da muss man gar nicht an die unselige „Das Boot ist voll“-Kampagne in den Kriegsjahren erinnern, als jüdische Flüchtlinge von Schweizer Gendarmen direkt der Gestapo übergeben wurden. Die Schweiz ist allerdings nur ein Indikator für eine alarmierende Tendenz, die in weiten Teilen Europas zu beobachten ist: Der Nationalismus hat sich als ernst zu nehmender politischer Faktor zurückgemeldet. Der Vorstellung, dass alles besser würde, gäbe es nur nicht „die Fremden“, die als Störenfriede und Sündenböcke dienen (in der Schweiz u. a. verantwortlich für überfüllte Züge und hohe Mieten), ist mit rationalen Argumenten oft nur schwer zu begegnen. Jedoch ist es das absolut falsche Rezept, gegenüber der primitiv-rabiaten Xenophobie der Blochers, Wilders, Straches oder Le Pens mit vorauseilendem Gehorsam zu antworten, wie es leider fallweise geschieht. Doch wo sind jene Verantwortlichen, die jenseits von billigem Populismus den Mut und die Überzeugung vermitteln können, dass Zukunftslösungen nicht in nationalen Egoismen (was hat man aus den Katastrophen des 20. Jahrhunderts gelernt?), sondern, bei allem Vorbehalt für manche Fehlentwicklungen, nur in gelebter europäischer Solidarität bestehen können? Die Schweizer Volksabstimmung ist ein gutes Lehrstück, wie direkte Demokratie für dafür völlig ungeeignete Themen missbraucht werden kann und Politiker dann Entscheidungen exekutieren müssen, die sie für falsch, schädlich oder unverantwortlich halten. So gesehen kann die Schweiz kein Vorbild sein, würden doch auch in Österreich die Wähler die Folgen ihres Votums nicht immer abwägen. Erhard Sandner, 5081 Anif