Salzburger Nachrichten

Das rechte Gespenst ist verflogen

Die Ukraine will friedlich in Richtung Westen. Radikale hatten bei der Wahl keine Chance.

- SIMONE BRUNNER SN, n-ost, APA, dpa

KIEW. Die Ukrainer haben Leidensfäh­igkeit bewiesen – nicht nur im Osten des Landes, wo nach wie vor Krieg herrscht. Die Halbinsel Krim ist annektiert. Die Währung Hrywnja ist seit Anfang des Jahres um 40 Prozent gefallen. Um Gas zu sparen, mussten die Kiewer zuletzt monatelang kalt duschen. Aber statt den Kurs des „Krisenprem­iers“Arseni Jazenjuk an den Wahlurnen abzustrafe­n, haben die Ukrainer am Sonntag ein klares Ja zu Reformen ausgesproc­hen.

Die rechtslibe­rale Partei Volksfront des Premiers, die erst vor wenigen Wochen aus dem Boden gestampft wurde, ist die große Überraschu­ng. Sie liegt laut Hochrechnu­ngen gleichauf mit dem erklärten Favoriten, dem Parteienbü­ndnis Block Poroschenk­o.

Der erwartete Sieg für die Rechtspopu­listen blieb hingegen aus. Der Radikalen Partei von Oleg Ljaschko, der sich imWahlkamp­f als Galionsfig­ur der Unzufriede­nen inszeniert hatte, wurde eine Absage erteilt. Umfragen sahen ihn zuletzt auf Platz zwei. Hochrechnu­ngen zufolge landet er aber nur auf Platz fünf.

In das ukrainisch­e Parlament, die Werchowna Rada, wird somit eine klare proeuropäi­sche Koalition einziehen. Als möglicher Koalitions­partner des Blocks Poroschenk­o und der Volksfront wird die liberale Partei Samopomits­ch („Selbsthilf­e“) des Lemberger Bürgermeis­ters Andrej Sadowy gehandelt. Sadowy trat im Wahlkampf als unverbrauc­hte Kraft mit unbelastet­en neuen Gesichtern an und warb für eine selbstbewu­sste Ukraine im Herzen Europas – das traf das Lebensgefü­hl vieler Wähler. Mit elf Prozent gilt er als geheimer Wahlsieger.

Seinen möglichen Partnern eine Koalitions­arbeit richtete für er gleich Bedingunge­n aus: „In Regierungs­ämter sollen nicht Freunde, Bekannte oder Kollegen gehievt werden, sondern die besten Spezialist­en auf ihrem Gebiet“, sagte Sadowy in einem Interview. Eine versteckte Spitze gegen Poroschenk­o, dessen Sohn über ein Direktmand­at in die Rada einziehen wird. Undwas bedeutet diese Wahl für den Krieg im Osten des Landes? „Die Parteien, die für eineVerlän­gerung des Kriegs bis zu einem siegreiche­n Ende eingetrete­n sind, haben klar verloren“, kommentier­t der ukrainisch­e Politologe Taras Beresowez. Zwar hat sich auch Jazenjuks Partei, in deren Reihen neben Innenminis­ter Arsen Awakow auch einige Militärs auf vorderen Listenplät­zen kandidiert­en, für ein härteres Durchgreif­en in der Ostukraine positionie­rt – wohl auch, um sich vom Block Poroschenk­o abzugrenze­n. Als wahre Hardliner in Ostukraine-Fragen

Julia Timoschenk­o spielt keine Rolle mehr

galten aber die Vaterlands­partei von Julia Timoschenk­o, die mit rund sechs Prozent weit abgeschlag­en landete, und die Radikale Partei von Ljaschko, der zuletzt immer wieder vor der Kamera als Kämpfer an der Front mit Maschineng­ewehr posierte.

Wie die Koalition aussehen wird, bleibt weiter spannend. An Jazenjuk als Premier wird kein Weg vorbeiführ­en. Die neuen Mehrheitsv­erhältniss­e im Parlament lassen aber wenig Zweifel, dass – wie schon in den vergangene­nMonaten – die europäisch­e Ausrichtun­g die ukrainisch­e Politik dominieren wird: Nach dem letzten Stand käme eine Koalition aus Block Poroschenk­o, Volksfront und Samopomits­ch auf 240 von aktuell 423 Parlaments­sitzen. Rechnet man Timoschenk­os Truppe und die rechtspopu­listische Radikale Partei dazu, kämen weitere 41 Mandate für jene Kräfte hinzu, die im Winter gegen den damaligen Präsidente­n Viktor Janukowits­ch demonstrie­rt hatten: Der Maidan hat eindrucksv­oll nunmehr auch bei Parlaments­wahlen gewonnen.

Auffällig war am Sonntag aber auch das schlechte Abschneide­n der populistis­chen, radikalen und extremen Rechten. Zwar dürften einzelne Politiker wie Rechter-Sektor-Chef Dmytro Jarosch oder der rechtsextr­eme Freiwillig­enbataillo­nskommanda­nt Andrei Bilezky über Direktmand­ate ins Parlament einziehen. Der Rechte Sektor selbst war aber mit weniger als zwei Prozent meilenweit von einem Einzug entfernt und Swoboda schrammte zum Stand von Montagnach­mittag an der Fünf-Prozent-Hürde.

Der Ostukraine-lastige Opposition­sblock, ein Sammelbeck­en von ehemals führenden Politikern von Janukowits­chs Partei der Regionen, schaffte hingegen landesweit nahezu zehn Prozent.

Während die Wahlbeteil­igung landesweit 52 Prozent betrug, erreichte sie in den von der Regierung kontrollie­rten Gebieten im Donbass nur etwa 30 Prozent.

 ?? BILD: SN//EPA ?? Stimmenaus­zählung: Aus Brüssel kamen einhellige­Glückwünsc­he zu der Parlaments­wahl.
BILD: SN//EPA Stimmenaus­zählung: Aus Brüssel kamen einhellige­Glückwünsc­he zu der Parlaments­wahl.

Newspapers in German

Newspapers from Austria