Die Nehmerin
Dilma Rousseff hat die Präsidentenwahl in Brasilien knapp gewonnen. Für ihre zweite Amtszeit gelobt sie Besserung.
Als alles vorbei war, hat sie sogar gelächelt. Dilma Rousseff trat vor ihre Anhänger, als der hauchdünne Sieg in der Stichwahl sicherwar, und lächelte erst einmal. So gelöst hatte man die brasilianische Präsidentin während des gesamten Wahlkampfs nicht gesehen und auch nicht mehr seit jenem Protestsommer 2013, in dem Millionen Brasilianer auf die Straße gingen, umihrenUnmut über ihre Politik zu äußern. Über Gigantomanie, Korruption, schlechte Bildung und miese Gesundheitsversorgung.
Der Wahlkampf hat Spuren hinterlassen – physisch und psychisch. Die Frau ist schließlich 66 und hat Gefängnis, Folter und eine Krebserkrankung hinter sich. Die Stimme klingt wie raues Eisen, die Nerven waren dünn wie Fädchen auf der Zielgeraden. Erst die Ökologin Marina Silva, dann der smarte und jugendliche Aécio Neves. Alle hatten Rousseff in die Ecke gedrängt, sie wankte, aber sie fiel nicht. Wenn Rousseff etwas in dieser Wahl bewiesen hat, dann sind es Nehmerqualitäten. Die Umfragen waren oft gegen sie, die Bevölkerung zeitweise auch, irgendwann machte sie nur noch einen überforderten Eindruck in diesem langen Sommer. Und dann die Schmach bei der FußballWM.
Vermutlich hätte Dilma Rousseff es ohne zwei Faktoren nicht ge- schafft, noch einmal in den Palácio do Planalto, den Regierungssitz in Brasilia, einzuziehen. Der eine ist Lula da Silva, ihr Vorgänger, Mentor und noch immer überaus populärer Ex-Präsident. Er war ihr größter Wahlkämpfer undWahlkampfberater. Und auch ohne die Stimmen aus dem Nordosten Brasiliens hätte sie am Sonntag verloren, jenem riesigen Landstrich von der dreifachen Größe Frankreichs, wo ein Drittel der Brasilianer lebt. Hier verehrt man Lula und Dilma wie sonst nur die Heiligen. Hier hat die Arbeiter- Klaus Ehringfeld berichtet für die SN über Brasilien partei PT in den nun zwölf Jahren an der Macht spürbare Veränderungen mit ihren Sozialprogrammen bewirkt, das Elend gemildert und Millionen den Aufstieg in eine bescheidene Mittelschicht ermöglicht. Hier hat Rousseff mehr als 70 Prozent geholt, die PSDB des GegenkandidatenNeves kamimNordosten nicht über den Status einer Splitterpartei hinaus.
Das Brasilien, das Dilma Rousseff in ihrer zweiten Amtszeit vorfindet, ist polarisierter denn je. Der Riss geht geografisch vonNord nach Süd und gesellschaftlich von oben nach unten. Die Armen und die untere Mittelschicht haben für die Linkspräsidentin gestimmt, die besser situierte Mittelschicht und die Reichen haben Aécio Neves gewählt. Diese Teilung des Landes wollte die Arbeiterpartei mit ihrer Politik immer überwinden. Nun hat sie sich unter Rousseff noch zementiert.
Während die Armen auf die Fortsetzung der Sozialprogramme hofften, wollte die andere Seite endlich eine vernünftige Wirtschaftspolitik, die der Inflation ein Endemacht und das Wachstum wieder ankurbelt. Unter Rousseff wuchs Brasilien gerade noch einmal zwei Prozent durchschnittlich pro Jahr.
Nur noch blasse Erinnerungen sind die Lula-Wachstumsjahre mit 7,5 Prozent. Es war die Zeit, als Brasilien Öl auf dem Meeresgrund fand, zum Agrargroßexporteur aufstieg und Devisen scheffelte. Kommendes Jahr rutscht die größte Volkswirtschaft Lateinamerikas sogar in die Rezession. Dafür liegt die Inflation bei über sechs Prozent. Damit schaufelt sich die PT langfristig ihr eigenes Grab. Bei stagnierenderWirtschaft fehlt das Geld für mehr Armutsbekämpfung – und zugleich frisst die Inflation gerade den Armen dasMehrverdiente wieder weg. In den Krisen der vergangenen Monate hat Rousseff zu oft Versprechen gemacht, die sie nicht halten konnte – oder wollte. Ob sie sie jetzt einhalten kann, ist fraglich.
Kaum jemand kannte diese ernste und bisweilen mürrische Politikerin, als ihr Vorgänger Lula da Silva sie zu seiner Nachfolgerin auserkor. Die Tochter eines bulgarischen Kommunisten und einer Brasilianerin war Lula als begabter Kader seiner Arbeiterpartei PT aufgefallen, und so machte er sie erst zur Energieministerin, dann zur Chefin des Präsidialamts und schließlich setzte er sie vor gut vier Jahren als Präsidentschaftskandidatin durch. Dabei ist Rousseff das totale Gegenteil ihres charismatischen und fröhlichen Vorgängers. Sie ist eine spaßfreie und akribische Arbeiterin, die Wert auf Details legt. Auch der großeWurf und die Visionen sind ihre Sache nicht.
Die stärksten Veränderungen der vergangenen Jahre betrafen Rousseffs Äußeres. Schon im ersten Wahlkampf trimmten sie Medienberater und Schönheitschirurgen. Kostüme und Perlenketten ersetzen weite Blusen mit Blumenmotiven, Rousseff ließ sich die Zähne richten, das Gesicht straffen.
All die Äußerlichkeitmuss ihr als notwendige Konzession an den Erfolg vorkommen. Rousseff besitzt Nehmerqualitäten. Erst vor fünf Jahren ließ sie eine Krebserkrankung hinter sich, und in den Siebzigerjahren überlebte sie Folter und Gefängnis während der brasilianischenMilitärdiktatur.