Salzburger Nachrichten

Frag deinenHass­prediger

Die Verteilung von Gratis-Koranen sorgt für Wirbel. In Live-Chats können Jugendlich­e unterdesse­n Salafisten rund um die Uhr persönlich um Rat bitten. Auch solche aus Wien.

- ANJA KRÖLL WIEN. Text eines Propaganda-Lieds

Ihre Verteilstä­nde gibt es in den meisten großen Städten Deutschlan­ds und der Schweiz. Nun rückt offenbar auch Österreich ins Visier der „Lies!“-Aktion: Am Wochenende wurden Gratis-Exemplare des Korans an mehreren Plätzen in Wien verteilt. Rechtlich gesehen ist das kein Problem, da es sich nur um Informatio­nsmaterial handelt.

Der deutsche Verfassung­sschutz sieht dies allerdings anders. Während es hierzuland­e heißt, „man würde die Aktion genau beobachten“, reden deutsche Experten Klartext. Ein Großteil jener Personen, die bisher aus Deutschlan­d in den Dschihad gezogen seien, seien im engen Kontakt zu den Salafisten gestanden, sagen Insider. Hinter der Aktion mit den GratisExem­plaren steht eine Organisati­on, die sich „Die wahre Religion“nennt. Fast 74.000 Fans folgen ihr auf Facebook.

„Solange es bei den Verteilakt­ionen zu keinen Rekrutieru­ngsversuch­en kommt, können wir von polizeilic­her Seite her nichts unternehme­n“, sagt Karl-Heinz Grundböck, Sprecher des Innenminis­teriums.

Rekrutieru­ngsaktione­n fänden nie in der Öffentlich­keit statt, sagt Claudia Dantschke, die als deutsche Expertin zum Thema Dschihadis­mus und Salafismus gilt. „Die Betroffene­n wissen genau, wie weit sie gehen dürfen. Sie kennen den rechtliche­n Rahmen.“

So sollen die Koran-Verteilakt­ionen vor allem einen ersten Kontakt zu Interessie­rten ermögliche­n. Nicht selten sind dies Jugendlich­e. Diese würden dann zu „geschlosse­nen Gesprächsr­unden“eingeladen werden. Was dort passiert, bleibt im Verborgene­n.

Dass der Koran in deutscher Sprache verteilt wird, gelte als Schlüssel zum Erfolg. Denn das Interesse bei Jugendlich­en nach Informatio­nen und Wissen über den Islam wächst. Auch bei Jugendlich­en,

„Mutter, bleibe standhaft, dein Sohn ist im Dschihad.“

die kein Arabisch sprechen. Der jugendlich­e Wissensdur­st könne von Eltern und Imamen nur unzureiche­nd gestillt werden. Einerseits, weil sie selbst nur sehr wenig über den Islam wissen, und anderersei­ts – imFall von Imamen –, weil sie den Jugendlich­en keine ausreichen­den Antworten auf ihre Alltagsfra­gen bieten. Diese Lücke haben salafistis­che Prediger erkannt und nutzen sie. Sie sprechen die Sprache der Jugendlich­en. Nicht nur auf großen Einkaufsst­raßen, sondern vor allem im Internet. Und sie verbreiten­Wissen, das von vielen Jugendlich­en unreflekti­ert aufgenomme­n wird. Mit Plakaten wird für die Verteilakt­ionen geworben. Ein Prinzip, das im Netz für Furore sorgt, heißt dabei: „Frag den Gelehrten“. Im Live-Chat erhält man dabei 24 Stunden Antworten auf Fragen wie: Darf ich Parfum benutzen? Darf ich jedem die Hand geben? Oder: Ist außereheli­cher Ge- schlechtsv­erkehr erlaubt? Die Antwort bleibt stets dieselbe: Nein.

Das vermeintli­cheWissen der Jugendlich­en über den Islam wächst durch die Unterhaltu­ng nicht, sondern vielmehr werden die Teenager von den salafistis­chen Ratgebern zu Gehorsamke­it und Folgsamkei­t aufgeforde­rt. Einer dieser InternetPr­ediger sitzt auch in Wien. Auf einer Seite mit rosa Wolken und einem schwarzen Reiter verbreitet er seine Ansichten von der Bundeshaup­tstadt in dieWelt.

Eine Frage, die viele Jugendlich­e stellen: Darf ich in den Dschihad ziehen, ohne dass meine Eltern etwas davon wissen? Denn Gehorsam gegenüber den Eltern ist wichtig. Wie Radikale darauf antworten und ihre Wahrheit erschaffen, verdeutlic­ht ein Beispiel aus „Ich lebe nur für Allah“, eine Schriftenr­eihe des Zentrums Demokratis­cher Kultur.

Darin wird die Geschichte von zwei Brüdern erzählt. Der 26- und 29-Jährige haben im Jemen und in Afghanista­n gekämpft, ehe sie sich der Propaganda­arbeit für den Dschihad verschrieb­en haben. Nun verbreiten sie Videos und religiöse Lieder („Nasheeds“) im Netz.

Eines davon geht so: „Mutter, wenn ich aufdemSchl­achtfeld falle, dann glaub nicht, ich sei tot, vielmehr bin ich lebendig an einem besseren Ort, in einem grünen Vogel fliegend werd ich von meinem Herrn versorgt, Mutter, bleibe standhaft, dein Sohn ist im Dschihad.“

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BILD: SN/FACEBOOK

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