Ja nicht den Infanten erschrecken!
In Spanien muss der dreijährige Thronfolger neben dem närrischen Freund ernst bleiben.
Wie ungeschickt ist der Kleine mit seiner komisch gefransten Schürze! Er springt dem Infanten ins Bild, der mit offensichtlicher Mühe und ganz, ganz brav allem gehorcht, was ihm aufgetragen ist: aufrecht stehen, ernst dreinschauen, ja nicht bewegen, damit die seidene Schärpe nicht verrutscht, und mit dem Fäustchen den Degen fassen. Dem etwa Dreijährigen wurden feinste weiße Spitzen und sogar ein Harnischkragen um den Hals gelegt. Und auf dem Samtpolster liegt sein Federhut parat.
Aber was macht da der unfrisierte Kleine? Er lärmt mit seiner Rassel, die aussieht, als wär’s ein Zepter. Seine Hand, in der ein wahrer Herrscher den Reichsapfel trägt, packt ein echtes rotes Apferl – so, als bisse er demnächst hinein. Er
Velázquez in Wien dreht Kopf und Augen dorthin, wo ihn eine Laune oder ein Geräusch anlockt. Doch der Infant hält still: Er blickt unerschrocken und wacker dem Betrachter und – damals, um 1632 – dem Maler entgegen.
Dieser Maler, Diego Velázquez, versieht die harte Strenge des spanischen Hofs mit sympathischer Unruhe. Der freche Kleine, ein Hofzwerg, bringt die austarierte Komposition des Bildes – der Infant in der Mitte und die Balance aus Grün im Kleid und Rot in Vorhang, Poster und Teppich – ins Wanken. Noch mehr: Die Haare des Zwergs wirken unscharf, so, als hätte Velázquez nicht mit einem Pinsel agiert, son- dern im Blick durch einen Fotoapparat nur das Gesicht des Infanten scharf gestellt.
Obwohl dazwei verspielte Kinder abgebildet sind, wird nicht gelacht. Der Zwerg blickt bedauernd. Und aus dem lieben, rotbackigen Kindergesicht Baltasar Carlos’, des Erstgeborenen von Philipp IV. und Isabel von Bourbon, lässtVelázquez eine Traurigkeit schimmern.
Die würdige Strenge eines Monarchen und Oberbefehlshabers mit zutiefst weichen Emotionen und Verletzlichkeit zu brechen ist eine von Velázquez’ genialen Fähigkeiten, die ab heute, Dienstag, im Kunsthistorischen Museum (KHM) in Wien zu studieren sind. Mit dieser Sonderausstellung spielt Sylvia Ferino, Direktorin der Gemäldegalerie, zum letzten Mal ihre Trümpfe an Kenntnis und Erfahrung aus. „Velázquez“ist die letzte von ihr kuratierte Schau, bevor sie sich in den Ruhestand verabschieden wird. Und nach „El Greco“2001 und „Goya“2005 ist dies ihre dritte opulente Spanier-Ausstellung inWien.
„Velázquez“ist die erste monografische Ausstellung dieses einflussreichen Spaniers (1599–1660) im deutschsprachigen Raum. Und in Anbetracht desAufwands – unter den Leihgebern sind Prado, Louvre undNational Gallery – dürfte es zumindest für eine Generation die letzte sein, stellt die Generaldirektorin des KHM, Sabine Haag, fest. Trotz dieser einmaligen Gelegenheit ist die Schau kleiner, als es möglich gewesen wäre: Weil es dem KHM an Geld für Versicherung und an Haftungen des Bundes mangelte, mussten sogar einige bereits zugesicherte Leihgaben wieder abgesagt werden.
Im mittleren der drei Räume der Sonderausstellung sind die Porträts zu sehen, mit denen der spanische König Philipp IV. seinen Hofmaler beauftragt hat. Dabei sind auch die Bilder der Infantin Margarita, die – weil sie den späteren Kaiser Leopold I. heiraten sollte – von Madrid nach Wien geschickt worden waren. Fabelhaft, was diese fünf Gemälde, jetzt wie aufgefädelt an der Längswand hängend, zur Geltung bringen! Von der Nähe sieht man den groben, fast unförmigen Pinselstrich, der in etwas Entfernung exakte Wirkung erzielt: Da blitzt das Metall der Kette, da glänzt die silberne Spitze, da schimmert die Sei- de anders als der Samt und anders als das Fell des Muffs. Sylvia Ferino rühmt diese „sprezzatura“: das Wechselspiel von Lässigkeit und Eleganz, von Nonchalance und Perfektion. Und auch hier: Im rosigen Gesicht des luxuriösest gekleideten Mädchens – egal ob drei- oder achtjährig – steht die Traurigkeit.
Im ersten und dritten Raumstellt Sylvia Ferino einen Velázquez vor, wie er in Mitteleuropa kaum bekannt ist, der anderes als Habsburger-Porträts gemalt hat. In Sevilla, wo er Jugend und Lehrzeit verbrachte, widmete er sich religiösen Themen – davon zeugen zwei hyperfromme Darstellungen der Ma- donna – sowie den Szenen Wirtshaus, den „bodegones“.
Imdritten Raumist – als Kontrast zu den höfischen Porträts – jener Velázquez zu entdecken, der nach Interessen und Fantasie malt. Hier hängt die aus London angereiste „Venus mit dem Spiegel“(„Rokeby Venus“) . Und hier hängt das Bild einerwundersamanmutigen Frau vor raumlosem Hintergrund: Ihr Körper wirkt weich und gelöst, sie ist unfrisiert. Sie zeigt bestimmt mit dem Finger auf ein leeres Blatt. Sie sagt etwas ins Dunkel hinein.
im
Velázquez, Kunsthistorisches Museum, Wien, bis 15. 2. 2015.
Ausstellung: